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Zweiundachtzigstes Kapitel.
Der Steckbrief

Was drängt die Menge der Zuschauer sich nach dem Quai von New-York! Was strömt das Volk haufenweise über Castle-Garden an die Barriere des Hafens? Welches außerordentliche Ereigniß zwingt jeden Vorübergehenden, stillzustehen und· seine Aufmerksamkeit demselben Gegenstande zuzuwenden, der Hunderte, ja Tausende von Menschen dort fesselt? Männer, Weiber, Matrosen, Kaufleute, Arbeiter, Paketträger, Jumters, Agenten, Müßiggänger und fleißige Tagearbeiter, Alles ohne Unterschied sammelt sich dort und betrachtet einen Gegenstand im Hafen, der die Aufmerksamkeit mehr fesselt, als den rastlos thätigen Yankee sonst irgend ein außerordentliches Ereigniß, das sein Geschäft nicht angeht, zu fesseln vermag.

Ist es der neue Monitor aus der Fabrik von Mr. Erikson, der alles bisher Dagewesene übertrifft, und welcher im Hafen von New-York ankert, um demnächst die Corvetten von Massachusetts zum Bombardement von Monroe zu begleiten? Ist es das Auswanderschiff, das eben von Liverpool aus landet; dessen Capitain über schlechte Geschäfte klagt, da Niemand vom europäischen Continent Lust hat, unter den gegenwärtigen Verhältnissen Amerika, das Asyl der Freiheit, den Zufluchtsort des Verbrechens, das Land der Hoffnung für alle Hoffnungslosen aufzusuchen? Ist es die Handelsflotille, welche unter Begleitung einer Dampfcorvette eben, von den Lucayos kommend, gelandet ist? Ist es der gigantische Dampfer Great-Eastern, der, ein Dutzend Briggs und Barks verdeckend, sich wie ein Coloß über alle Fahrzeuge des Hafens erhebt, dessen umfangreiche Schornsteine die Aussicht auf die Bergspitzen der Sea-Islands versperren, und dessen achthundert Fuß langer Rumpf die einlaufenden Fahrzeuge zwingt, einen Umweg zu machen? Ist es der Postdampfer vom Cap, welcher neue Nachrichten bringt über die von Kapern zerstörten Schiffe und verlorengegangenen oder geraubten Frachten?

Nein, das Alles sind Dinge und Ereignisse, welche im Laufe des Krieges längst aufgehört haben, den Yankee zu interessieren.

Die Aufmerksamkeit richtet sich auf einen Gegenstand, der scheinbar weit weniger in die Augen fällt, als der Monitor von Erikson, die Handelsflottille von den Lukayos, die Auswanderer- und die Postschiffe. Die Aufmerksamkeit gilt dein winzigsten Fahrzeuge des Hafens, einem Schooner, welches in der Nähe einer mächtigen Panzerfregatte, eines Dreideckers von achtzig Kanonen, ankert, die Segel gerefft und seine nackten schlanken Masten, seine vortreffliche Takellage und seinen gefällig und schön gebauten Rumpf im besten Lichte zeigen.

»Die Alabama!« hört man fast Jeden rufen, der sich von Neuem der bereits versammelten Menge zugesellt. Wo ist die Alabama? Welches ist sie?«

»Sie irren Sir,« antwortet Einer, von denen, welche sich bereits über das fesselnde Ereigniß unterrichtet haben, »die Alabama ist es nicht, sondern nur ein Begleitschiff der Alabama, die Sea-bright.«

»Nun, ich meine, der Vanderbild hat Jagd gemacht auf die Alabama?«

»Allerdings hat der Vanderbild auf sie Jagd gemacht, allein – ist es dem schweren Dreidecker denn möglich gewesen, diesem flüchtigen Schiffe von der Geschwindigkeit von funfzehn Knoten in der Stunde zu folgen?« – »Die Alabama ist über alle Berge und kreuzt in diesem Augenblicke wahrscheinlich schon wieder an der Küste von Guinea und kapert amerikanische Schiffe und setzt ihr Seeräubergewerbe so ungestört fort, wie jemals. Aber Etwas hat der Vanderbild erreicht. Diesem Adjutanten des Raubschiffes, dieser Sea-bright, hat er das Steuer zerschossen und sie zugerichtet, daß sie schon nach wenigen Minuten die Flagge zu streichen gezwungen war. Der Lieutenant Sinclair und dreißig Mann von der Mannschaft des Freibeuters befinden sich als Gefangene auf demselben und einer der Gefangenen der Alabama befehligt den Schooner, und zwei andere der Gefangenen versehen Officiersstellen auf demselben.«

»Sind die Gefangenen schon ausgeschifft?«

»Noch nicht, Sir; aber wenn Sie ein Weilchen warten, können Sie sie sehen, binnen einer halben Stunde werden sie ans Land kommen.«

In diesem Augenblicke sah man eine weiße Wolke aus einer der Stückpforten der Panzerfregatte Vanderbild sich erheben, eine Feuersäule daraus emporsteigen, und ein Donner drang an das Ohr der Menge.

»Sehen Sie, das ist das Signal zur Ausschiffung der Gefangenen, geben Sie Acht, man wird sie ans Land bringen.«

Eine Anzahl Policemen und Miliz war bereits am Ufer des Quai postirt.

Es währte in der That nicht lange, so sah man von dem Schooner eine Pinasse in die See lassen und bemannen. Kräftige Ruder setzten sich in Bewegung, und eine halbe Stunde später wurden zwölf Mann der Gefangenen gelandet, von den Policemen in Empfang genommen und zunächst nach City-Hall transportirt, um dann in das Gefängniß der Kriegsgefangenen zu Elmira gebracht zu werden.

Die Pinasse aber, unter dem Befehle des bekannten Oberbootsmanns Jonas, kehrte um, um den Rest der Gefangenen ans Land zu schaffen.

Jubel der Menge begrüßte den alten Seemann, und Hohn- und Schimpfreden verfolgten die Gefangenen.

Wie aber Alles sein Interesse verliert, so verlor sich auch das Interesse der Menge. Als sie sich überzeugt hatten, daß außer dem Lieutenant Sinclair kein einziger Gefangener von Bedeutung zu sehen war, daß die Uebrigen Matrosen waren, und daß sich eine Aussicht auf ein ergötzliches Schauspiel, etwa daß Jemand gelyncht oder auf der Stelle gehängt werde, sich nicht darbot, fingen Alle an, sich zu zerstreuen, und nur Einzelne blieben dort, um die Officiere zu sehen, welche die See-bright befehligten, und die in sofern für sie Interesse hatten, als sie ja Gefangene auf dem Kaperschiffe gewesen sein sollten.

Capitain Foote selber landete in Begleitung dieser Officiere; nämlich des jetzigen Capitains der Sea-bright, Mr. Eugene Powel und Mr. Richard Brocklyn, des ersten Lieutenants.

Jubelnd begrüßte sie die Menge und begleitete sie über Castle-Garden den Broadway hinab bis zur Philadelphia-Bahn. Dort nämlich trennten sich die drei Kameraden. Mr. Brocklyn und Mr. Foote fuhren mit der Bahn ab, der erstere, um seinen Vater, welcher in Maryland sich aufhalten sollte, aufzusuchen, der Zweite, um sich nach Washington zu begeben und dem Marineminister Rapport abzustatten.

Eugene Powel aber blieb in New-York; denn er hatte, wie wir wissen, dort theure Verwandte aufzusuchen. Er wußte bereits, daß sein Bruder, Charles Powel, eines gemeinen Verbrechens angeklagt, im Gefängnisse sei; von der Verhaftung seiner Schwägerin und seiner Schwester wußte er bis dahin noch Nichts.

Das Haus Charles Powel und Compagnie existirte lange nicht mehr, und die Wohnung des Chefs dieser Firma zu erfahren, wollte ihm so leicht nicht gelingen. Er hielt es deshalb für das Beste, sich an den Polizei-Chef, Mr. Judd, zu wenden.

»Ich suche die Wohnung des Mr. Powel, Sir,« sagte er, »kennt die Polizei dieselbe?«

»Die Wohnung Mr. Charles Powels ist im Corthause,« antwortete Mr. Judd.

»Er ist also noch nicht freigelassen, man hat noch nicht seine Unschuld erkannt, die doch so offen zu Tage liegt, daß man glauben sollte, es hätte in den vereinigten Staaten niemals möglich sein können, eine Anklage gegen einen Mann, wie Charles Powel, zu erheben?«

»Ich muß gestehen, Sir, daß ich Ihre Ueberzeugung fast theile. Ich habe diesen Gefangenen persönlich kennen gelernt und zwar bei einer Gelegenheit, die jedem Bewohner von New-York unvergeßlich sein wird. Es war am Morgen nach der Pöbelemeute vom 9. September. Ich fand ihn, nachdem man alle Gefangenen freigelassen, die Thür des Courthauses gesprengt und die Zellen geöffnet hatte, ihn allein in seiner Zelle sitzen, sieh weigernd, von der ihm dargebotenen Freiheit Gebrauch zu machen. Es hat mir das eine gute Meinung von ihm eingeflößt. Allein über seine Unschuld wissen wir heute noch nicht mehr, als wir vor einem Jahre wußten. Sie wissen, daß er rechtskräftig verurtheilt ist, und daß man Anstrengungen getroffen hat, seinen Proceß wieder aufzunehmen, um ein anderes Resultat zu erzielen.«

»Und diese Anstrengungen sind vergeblich gewesen?«

»So ganz vergeblich nicht, Sir. Mr. Slowson, der Director der westindischen Handels-Compagnie hat an einen hiesigen Advokaten die Summe von l0,000 Dollars gesandt, um dieselbe zu dem angedeuteten Zwecke zu verwenden.«

»Das ist mir bekannt, Sir. Und nun?«

»Die Summe hat Mr. Powel selber nichts genutzt, wohl aber seiner Frau.«

»Man hat seine Frau mit dem Gelde unterstützt?«

»Das eben nicht, sondern man hat von dem Gelde eine Caution für seine Frau gestellt.«

»Auch sie war verhaftet?«

»Allerdings, des Hochverraths angeklagt.«

»Entsetzlich! Welch ungerechter Verdacht häuft sich auf diese Unglücklichen? Ich sage Ihnen, Mr. Judd, daß Mrs. Powel noch hundertmal weniger den Verdacht verdient, als ihr Mann, daß sie unschuldig ist, wie ein Engel, daß sie das Muster eines Weibes und einer guten Patriotin ist.«

»Dasselbe haben wir auch geglaubt, Sir; indessen die Verdachtsmomente waren schwer genug. Wenn es auch der Jury bis jetzt nicht gelungen ist, einen positiven Beweis ihrer Schuld beizubringen.«

»Sie befindet sich jetzt auf freiem Fuße?«

»Ja.«

»Und wo hält sie sich auf?«

»Das werden Sie bei ihrem Advokaten am Besten erfahren.«

»Während dieses Gespräches hatte Mr. Judd die Schelle gezogen. Einer der Beamten war eingetreten und hatte von Mr. Judd einen Befehl in Empfang genommen. Er entfernte sich und kehrte nach kurzer Zeit wieder mit einem Zeitungsblatte in der Hand zurück.

Während Mr. Judd das Gespräch mit dem jungen Manne fortfetzte, fixirte der Beamte denselben unablässig, das Zeitungsblatt in der Hand haltend, und bald einen Blick auf ihn, bald in das Blatt werfend.

»Welches ist der Name des Advocaten?« fragte Eugene.

Mr. Judd antwortete nicht; vielmehr erhob sich hier der Polizeibeamte, trat auf den Chef zu und sagte: »es stimmt, Mr. Judd; sein Signalement stimmt mit dem im Steckbriefe angegebenen bis aufs Jota.«

Mr. Judd nahm das Zeitungsblatt, nickte, und der Beamte zog sich in den Hintergrund des Zimmers zurück.

Eugene wiederholte seine Frage nach der Wohnung des Advokaten.

»Es ist überflüssig für Sie, dieselbe zu erfahren, Mr. Powel,« antwortete der Chef der Polizei; »denn Sie werden schwerlich Gelegenheit haben, Ihre Schwägerin zu sprechen.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz so, wie ich es sage, Sir; denn sie sind mein Gefangener.«

»Ich Ihr Gefangener?«

»Ja wohl, Mr. Eugene Powel, sie sind mein Gefangener.«

»Sie kennest mich, Sir?«

»Ganz genau. Da lesen Sie.«

»Mit diesen Worten reichte er ihm das Zeitungsblatt, und Eugene Powel las mit zitternden Händen und marmorbleichem Gesicht einen auf ihn laufenden Steckbrief, worin als sein Verbrechen angegeben war, eine geheime Verbindung mit den Rebellen zu unterhalten, weil er der Alabama, dem Kaperschiff der Rebellen, durch die Klippen von Lynnes Island als Lootse gedient habe.«

»Herr, das ist eine Lüge. Mr. Slowson kann bezeugen, daß es eine Lüge ist. Ich habe dem Schiffe als Lootse gedient, aber meine Absicht war eine andere, als die, es glücklich durch die Klippen zu bringen.«

»Bemühen Sie sich nicht, Mr. Powel, ich weiß, daß Sie eine andere Absicht vorgegeben haben; indessen der Heroismus, um den es sich dort handelte, wird wahrscheinlich nur auf den Gewinn einiger Tausend Dollars hinauslaufen Sie sehen, daß Sie in demselben Verdachte stehen, wie Ihre Schwägerin. Sie sind des Hochverraths angeklagt, wie jene. Und daß ein Mitglied Ihrer Familie sich bereits desselben Verbrechens schuldig gemacht hat, ist ein sehr gravirender Umstand für Sie.«

»Mr. Judd,« rief Eugene entrüstet, ich muß mich Ihrer Maaßregeln fügen. Indessen erkläre ich, daß es der größte Undank des Vaterlandes gegen meine That ist, mich verhaften zu lassen. Ich werde Zeugen stellen, daß ich mich als Gefangener auf der Alabama befand, daß ich nach dem Versuche, die Alabama aufzurennen, in Gefahr war, gehängt zu werden, daß ich mit Gefahr meines Lebens einen Fluchtversuch machte und endlich als Schiffbrüchiger von der Sea-bright aufgefischt wurde.«

»Wenn Sie diese Beweise beizubringen im Stande sind, Mr. Powel, so wird natürlich jeder Verdacht gegen Sie schwinden, und das Vaterland wird eine doppelte Schuld gegen Sie abzutragen haben, nämlich den Lohn für Ihr heldenmüthiges Unternehmen und eine Genugthuung für die Schmach dieses Verdachtes. Allein bis dahin, daß es Ihnen gelingt, diesen Verdacht zu entkräften, muß ich meine Pflicht erfüllen und Sie in Haft bringen«

»Wahrlich!« rief Eugene, »es ist zu viel des Unglücks, was meine Familie trifft. Wir alle stehen da, schimpflicher Verbrechen angeklagt und gegen nichtigen Verdacht fällt das, was wir bisher gethan, nicht in die Waage. Ich hoffe indessen, daß man wenigstens ein Glied unsrer Familie schonen wird, meine Schwester. Schon aus deren hochherziger Aufopferung hätte man auf die übrigen Glieder der Familie schließen müssen. Sie wissen, Mr. Judd, daß meine Schwester, Mary Powel, vor drei Jahren als Freiwillige mit in den Kampf zog; daß sie unter Sheridans Chor sich Lorbeeren erworben hat, daß sie dort unter einem angenommenen Namen existirt, und Niemand von ihrem Geschlecht eine Ahnung hat, daß sie mehr als einmal ihr Leben aufs Spiel setzte, dem Vaterlande erhebliche Dienste leistete und wahrscheinlich heute bereits einen hohen Offizierrang bekleidet, wenn sie nicht auf dem Schlachtfelde geblieben ist.«

»Das Letztere ist nicht der Fall, Mr. Powel,« antwortete Judd ruhig.

»Sie kennen meine Schwester, Sir?«

»Ich kenne sie und weiß, daß sie nicht unter den Todten ist, auch sich keine Lorbeeren auf dem Schlachtfelde mehr erringen wird. Sie werden von hier nach City-Hall gebracht und dort in der Nähe Ihrer Schwester einquartirt werden.«

»Was? Auch meine Schwester verhaftet?«

»Auch sie verhaftet, Sir, und zwar desselben Verbrechens angeklagt, wie Sie selber. Sie sehen, Mr. Powel, Sie sind nicht der Einzige des Hochverraths Verdächtige in Ihrer »Familie.«

»Mr. Jakson,« wandte er sich an den Polizeibeamten, welcher an der Thür Posto gefaßt hatte, »führen Sie den Gefangenen ab.«


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