Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundachtzigstes Kapitel.
Das erste Debüt

Die alten Römer können nicht glücklicher gewesen sein, sich den Schlund wieder schließen zu sehen, nachdem Curtius hinabgesprungen, als das Personal der Menagerie, da sie erfuhren, daß Tomahuhu, der Unüberwindliche, in Noddy einen Nachfolger gefunden hatte.

Indessen war diese Freude doch durchgängig mit einiger Besorgniß gemischt, denn Noddy war der Liebling des ganzen Personals geworden; und wenn auch Alle ihm von Herzen den Ruhm, den er möglicher Weise ernten würde, gönnten, so konnten sie sich doch andererseits nicht verhehlen, daß sein Unternehmen höchst wahrscheinlich unglücklich ablaufen würde.

Mr. Mops schüttelte mit vielsagender Miene sein weises Haupt und wollte nur hoffen, daß es ihm vergönnt sein möge, dem kühnen Jünglinge nach der Vorstellung zum glücklichen Schlusse derselben zu gratuliren. Der Oberschlächter, Mr. Warren, rieb sich behaglich die Hände und meinte, es werde ein sehr interessantes Schauspiel geben.

Noddy hatte mit den Thieren keine weiteren Proben angestellt, da er wollte, daß sie bei frischen Kräften und verhältnismäßig guter Laune sein möchten, wenn er zu ihnen in den Käfig träte, so sehr auch Mr. Seyers ihm gerathen hatte, es lieber vorher erst zu versuchen. Ja, Mr. Seyers hatte plötzlich eine solche Anwandlung von Mitgefühl erlitten, daß er noch am Vormittage des verhängnißvollen Tages zu Noddy äußerte, er würde es lieber sehen, wenn Noddy die Thiere gar keine Kunststücke machen ließe, sondern nur einfach zu ihnen in den Käfig ginge.

Die angesagte Stunde rückte immer näher. Schon begann die glänzende Zuschauerschaft sich zu sammeln. Die Wagen der Menagerie waren in einem Halbzirkel aufgestellt, dessen Mitte die Thiere vom Katzengeschlechte einnahmen, und diesen gegenüber war ein erhöhter Sitz angebracht für den Präsidenten und dessen Familie, daneben Sitze für die Minister, die Herrn vom Hofe und dann auch für das übrige Publikum.

Da der Präsident die ganze Vorstellung bezahlte, so waren durch ihn und einige Herren vom Hofe verschiedene fremde Personen zu derselben eingeladen. Zu diesen Eingeladenen gehörte auch eine Dame, welche sich in Begleitung mehrerer hübscher Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren auf einem der vordern Sitze placirt hatte.

Es war dies die uns wohlbekannte Mrs. Bagges mit ihren armen Verwandten Sie hatte expreß diesen Platz gewählt, obwohl er der gefährlichste war, und die Nähe der Thiere den Kleinen Furcht einflößte; denn es war ihr ja nicht darum zu thun, daß ihre Schützlinge sahen, sondern daß sie gesehen wurden, und beiden Zwecken entsprach dieser Platz ganz wohl. Sie sah es daher ungern, als Fanny darauf drang, weiter nach hinten sitzen zu wollen, um den Rachen der Thiere nicht so nahe zu sein.

Die Vorstellung im Käfig des Löwen und der Tigerin sollte den Schluß bilden; dagegen die Löwenjagd in Central-Afrika den Anfang und in der halben Stunde, welche zwischen diesen beiden Vorstellungen liegen sollte, hatte Mr. Mops die Aufgabe, die Elephanten ihre Kunststücke machen zu lassen.

Der neue Tomahuhu hielt sich natürlich bis zum Augenblicke seines Auftretens als Löwenbändiger in strenger Verborgenheit. Er war allein in seinem Wagen und damit beschäftigt, sich anzukleiden, wobei seine Gedanken sich neben dem, was ihm bevorstand, mit den Personen beschäftigten, die er weit, weit von hier entfernt glaubte, und die ihm doch in Wirklichkeit so nahe waren.

Sollte Noddy wirklich im gegenwärtigen Momente eine Anwandlung von Furcht haben, so war auf seinem Antlitze nichts davon zu lesen.

Ganz anders aber verhielt es sich mit Mr. Seyers, als dieser zum letzten Male vor der Vorstellung zu ihm in seine Wohnung trat.

»Bedenken Sie, Noddy,« sagte er eindringlich, daß ich selbst noch in diesem Augenblicke Sie durchaus nicht überreden will, einen einzigen Käfig zu betreten. Ich denke darin ganz wie meine Frau, die noch diesen Morgen zu mir sagte. »Williams,« sagte sie, »ich könnte mein Lebelang nicht froh sein, wenn unserm Noddy ein Unglück widerführe.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Seyers,« antwortete Noddy lächelnd. »Doch ich denke keineswegs an Sie und Ihren Vortheil, indem ich mich entschließe, dennoch in die Käfige zu gehen, sondern lediglich an mich selbst.«

Das war in der That der Fall, denn seine Lippen hatten diesen Morgen schon mehr als einmal die Namen: Cleary und Fanny ausgesprochen. Und der Gedanke an die letztere hatte den an die reißenden Thiere beinahe in den Hintergrund gedrängt.

Mr. Seyers wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er sah, daß seine Ueberredung so wenig nütze.

»Nun, junger Freund,« sagte er, »wenn Sie doch durchaus wollen, so rathe ich Ihnen wenigstens, schonen Sie die Bestien nicht, sobald sie Ihnen gefährlich werden, brauchen Sie den Griff der Peitsche. Sie wissen doch die Stelle?« fügte er flüsternd hinzu.

»O, ich weiß sie sehr wohl,« sagte Noddy ernst. »Ich weiß, dicht über der Schnauze. Denken Sie nicht, daß ich mit irgend einem Kunstgriffe unbekannt bin. Ich gehe nicht hinein in die Käfige, wie ein dummer Junge, der weder eine Ahnung hat von der Gefahr, die ihn dort bedroht, noch eine Kenntniß von den Mitteln, welche ihm zu Gebote stehen, sich seiner Haut zu wehren.«

»Ja, ja, ich weiß, Sie haben die Natur der Thiere und ihre Dressur gut genug kennen gelernt. Jede einzelne dieser Bestien hat für mich einen Werth von mindestens 800 Dollars; aber schonen Sie sie nicht; ich will lieber, daß sie alle zum Teufel gehen, als daß Ihnen irgend etwas Leids geschehe.«

»Und ich würde mich auch keinen Augenblick besinnen, Mr. Seyers, im Käfig der Semiramis die beiden Bestien todt zu schlagen, wenn ich sähe, daß mein Leben in Gefahr käme.«

Es giebt Charaktere, welche unter der Zwangruthe verkommen und sich zu allein möglichen Schlechten auszubilden Neigung haben, in der Freiheit aber sich zu einer Größe und zu einer edlen Form gestalten, die Bewunderung verdient. Wahrlich, mancher Mann von schwarzem Blute, dem man seine Tücke, seine Falschheit, seine wilde Leidenschaft und was sonst noch vorwirft, und den man eines civilisirten Bürgerthums unwürdig hält: er wäre ein Anderer geworden, wenn er nicht in Ketten aufgewachsen wäre.

Noddys Handlungsweise kann nicht aus seiner Ruhmsucht, noch aus irgend einer Unüberlegtheit erklärt werden. Er war, wie sich aus seinen Aeußerungen abnehmen läßt, sich alles dessen, was ihn erwartete, wohlbewußt, und ein Mann, der seine früheren Erinnerungen unter der über seinem Haupte schwebenden Gefahr nicht vergessen kann, der hat sich ein moralisches Ehrgefühl, ein Herz bewahrt und kann nicht sinken.

Mr. Seyers betrachtete Noddy ebenfalls mit Blicken ungeheuchelter Bewunderung.

»Sie sind ein braver Junge, Noddy,« sagte er. »O, Gott, wie ich zittere für Sie, und wie gern will ich wünschen, daß Alles gut geht. – Doch jetzt muß ich eilen. Hören Sie, wie die Jungen draußen Hurrah rufen?« –

Der Präsident hatte nämlich, um sich bei den Bewohnern von Charleston populär zu machen, den oberen Classen der Eton-Schule gestattet, dieser Vorstellung kostenfrei beizuwohnen. –

Mr. Seyers sprang mit diesen Worten auf und eilte hinaus, um seinen Platz in der Nähe des Präsidenten einzunehmen, um demselben nöthigenfalls über dies und jenes Aufschluß zu geben. Ganz aufgeregt und zitternd vor Befangenheit und Besorgniß, daß er dieser Aufgabe nicht zur Zufriedenheit des Präsidenten genügen möchte.

Noddy zog jetzt seine schweren Stiefeln an, warf das Leopardenfell über seine kräftigen Schultern, setzte die Messingkrone mit den Adlerfedern aufs Haupt, nahm die Peitsche und verließ den Wagen.

Die Scene, welche ihn nun erwartete, war im höchsten Grade anregend und ermuthigend. Die Schüler der Etonschule begrüßten ihn mit einem donnernden Hurrah, und selbst das übrige Publikum ließ Beifallsrufe und Beifallsäußerungen in schmeichelhafter Weise hören. Ja, sogar Miß Jenny Davis und die andern Damen vom Hofe klatschten leise in die behandschuhten Hände, und Miß Sairy flüsterte Miß Polly zu: »Wie hübsch er aussieht; Ach! wenn doch ein solcher Mann einmal zu uns käme!«

Fanny indessen, welche die Entfernung hinderte, ihn genau zu sehen, starrte ihren Jugendgespielen mit den Blicken des Staunens an.

»Ha, welche Aehnlichkeit!« murmelte sie. »So sah er aus, als er mitten in den Haufen wüthender Nigger trat, um uns zu retten, – gerade so wie dieser Löwenbändiger!«

Noddy indessen achtete auf alle diese Zeichen des Beifalls sehr wenig und erwiderte keinen der Blicke, die erwartungsvoll aus ihm ruhten; sondern still und in sich gekehrt schritt er vorwärts; denn sein geistiges Auge sah in diesem Augenblick eine Person, von welcher er sieh durch hundert Meilen Entfernung getrennt wähnte. Er hörte Nichts, denn in feinen Ohren klangen nur die Worte Fanny's:

»Du bist kein Sklave, Noddy ... Du bist mein Bruder und hast das Recht, meinen Mund zu küssen!« – – –

Im nächsten Augenblicke sah er sich, von der athemlos zuschauenden Menge durch ein starkes Eisengitter getrennt, in der Mitte der sieben Löwen. Sie brüllten und sperrten die Rachen auf, wie sie es bei Tomahuhu gethan hatten, und sie erhielten Peitschenhiebe, wie sie sie damals erhalten hatten; aber sie gehorchten, wenn auch keineswegs mit der größten Willfährigkeit.

Der größte Löwe allein schien Noddys Identität mit Tomahuhu entschieden in Zweifel zu ziehen und starrte ihn mit einem Blicke an, den sich selbst in einer noblen Gesellschaft Jemand aus Scheu, den Anstand zu verletzen, ohne Opernglas schwerlich hätte zu Schulden kommen lassen.

Gerade diese Bestie ergriff Noddy daher bei der Mähne und zwang sie, sich emporzurichten, ihre Tatzen auf seine Schulter zu legen und sich Angesicht zu Angesicht zu überzeugen, daß die Zweifel in seine Identität mit dem Löwenbändiger aus Centralafrika eine Frechheit seien, die nicht ungestraft bleibe. Mit einem Ruck warf Noddy die Majestät zur Seite, daß sie auf die Vordertatzen zu Boden fiel und fügte noch einige Peitschenhiebe hinzu, worauf die Majestät sich nicht weiter herausnahm, den neuen Bändiger in beleidigender Weise anzuglotzen, sondern gehorsam durch den ihm hingehaltenen kleinen Reifen sprang.

Noddy machte Alles genau so, wie Tomahuhu es gemacht hatte. Den Schluß dieser Production sollte die Löwenjagd bilden, die eigentlich schon jetzt hätte folgen sollen. Allein Noddy wollte nicht von dem Programm Tomahuhus abgehen, um die Thiere nicht zu irritiren. Er ließ deshalb hier das Tableau des ruhenden Löwenjägers folgen, welches darin bestand, daß er zwei der Löwinnen zwang auf den beiden, an der Wand befestigten kleinen Consolen als Schildwache Platz zu nehmen, die übrigen fünf Löwen aber, sich zu lagern und ihm selbst zum Lager zu dienen.

Darauf folgte nun die Löwenjagd. Mit Peitschenhieben und mit seinem unerschrockenen Auge zwang er die Thiere, über ihn hinwegzuspringen, ihm zwischen die Beine hindurchzulaufen, ihn zu umkreisen; und mit großer Behendigkeit und großer Geschicklichkeit wußte er seinen Kopf zu drehen und zu wenden, wenn ein Thier über ihn hinwegsprang, um nicht von den scharfen Klauen geritzt zu werden. Die gluthfunkelnden Augen der Thiere flogen dicht an seinem Kopfe vorbei, und ihr heißer Athem wehete wie ein verzehrender Feuerstrom an seine Wangen.

Es war dies diejenige Arbeit, die am meisten Ausdauer und Kraftanstrengung erforderte, aber Noddy entledigte sich ihrer auf eine glänzende Weise. Seine Körperkräfte, die weit über seine Jahre entwickelt waren, reichten vollständig zu diesen Productionen aus.

Am Schlusse dieser Löwenjagd nahm er den Carabiner, welcher mit losem Pulver geladen war, feuerte den Schuß ab und verließ den Käfig. Der Jubel der Etonschüler brach in markdurchdringenden Donnertönen los, und die Bravorufe der übrigen Zuschauer zeigten deutlich, mit wie großer Befriedigung die Herren des Südens diesem Schauspiel beigewohnt, und welche Theilnahme seine Persönlichkeit und sein Auftreten bei den anwesenden Damen erweckt hatte. Sich verneigend ging er ruhig und ohne irgend eine gehobene Stimmung zu verrathen seinem Wagen zu.


 << zurück weiter >>