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Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel.
Die Theilung des Raubes

Wäre zufällig einer der Metropolitain-Policemen, welche in der Nähe des Union Place stationirt sind, in die Umgegend des Spangler'schen Hauses gekommen, so würde er um die Nachmittagsstunde daselbst einen ungewöhnlichen Lärm vernommen haben.

Die Habeascorpus-Acte, die in Amerika ja noch mehr Bedeutung hat, als in London, würde ihn sicherlich verhindert haben, hinein zu gehen und dem bis auf die Straße hörbaren Gezeter der Weiber ein Ende zu machen. Wenn er aber, was nicht schwer gewesen wäre, zufällig nur einige Worte von dem heftigen und lautgeführten Diskurse gehört hätte, so würde er mit dem größten Recht auf ein Verbrechen geschlossen und das Haus einer sorgfältigen Observation unterzogen haben.

Es war Mrs. Gamps Stimme, die, nie besonders melodisch, in diesem Augenblicke noch weniger wohlklingend war, da die Wuth und die Aufregung sie selten aus den allerhöchsten Fisteltönen herauskommen ließ, und Fisteltöne haben ja bekanntlich selbst bei der Primadonna des Opernhauses ihr Bedenkliches, wie viel mehr also bei Mrs. Gamp, deren Stimmorgan bei ihrem eigenthümlichen Berufe beinahe ebenso gelitten hatte, wie ihr Herz.

Accompagnirt wurde sie von dem obligaten schnarrenden Mezzo-Sopran der Mrs. Bagges, welche beiden Hauptstimmen denn auch in dem Maße prädomiuirten, daß der sanfte Flöten-Tenor Spanglers, der hin und wieder an ganz besonders kräftigen Stellen einfiel, gar nicht zur Geltung kam.

»Ich lasse Sie nicht fort, Sie Gauner, Sie Betrüger, Sie Räuber, Sie Schurke!« schrie Mrs. Gamp. »Halt' ihn Bethsey, wir erwürgen ihn, wir erhängen ihn, wir überliefern ihn dem Gericht, wir kratzen ihm die Augen aus, wenn er nicht das Geld herausgiebt, was er gestohlen!«

»Recht so Schwester,« fiel hier der eben so unmelodische Mezzo-Sopran ein; »ich hole Polizei, er soll uns nicht entkommen! Es ist ein Vorwand, daß er nach dem Theater will, oho! wir kennen das; heraus mit dem Gelde!«

»Ei! das wäre schön; man bezahlt ihm die hohe Miethe, weil man denkt, man hat eine Kiste voll Gold, und dann hat es der Räuber gestohlen!«

»Meine Damen, ich bitte Sie,« setzte hier Spanglers Flötentenor ein, so sanft und lieblich, daß schon die Stimme allein im Stande gewesen wäre, ein weniger aufgeregtes Weibergemüth zu rühren, »ich bitte vielmals ...«

Aber Mrs. Gamp und Mrs. Bagges blieben ungerührt; im Gegentheil, sie verstiegen sich von einer Todesart, die sie über ihn verhängen wollten, auf die andere, bis endlich selbst das umfangreichste Album einer Criminal-Justiz keine Mordart aufzuweisen hatte, mit welcher sie den unglücklichen Spangler nicht bedroht hätten.

Zu diesem unerquicklichen Concert stand die Unterredung, welche zwei Treppen höher geführt wurde, nicht im mindesten in Einklang.

Dort fand eine Scene statt, welche unter andern Verhältnissen sicherlich eine sehr rührende gewesen wäre. Hektors Abschied von Andromache, als er hinausging, um Achilles, seinen Todfeind aufzusuchen, konnte nicht herzergreifender sein, als der, welcher in den Zimmern Statt fand, die vor einigen Monaten Mr. Bleackburn inne gehabt hatte.

Diese Zimmer waren gegenwärtig an eine Dame vermiethet, an eine Dame, welche zwar unter einem angenommenen Namen in Washington existirte, welche aber Jeder, der nur einmal in diese Feueraugen geblickt, der nur einmal diese üppige Gestalt bewundert, der nur einmal diese Wollust-Atmosphäre, die das leidenschaftliche Weib umgab, eingeathmet hatte, als jene schöne Creolin erkannt haben würde, die Mr. Cleary sich zum Weibe genommen.

Es ist nicht schwer zu errathen, wer der Jüngling war, den sie schluchzend in ihre Arme preßte, dessen Lippen sie mit heißen Küssen bedeckte, und dem sie tausendmal ewige Liebe bis über das Grab hinaus schwur.

Es war Wilkes Booth, welcher dieser Pflicht des Abschiednehmens sich entledigen mußte.

So sehr sich auch seine Phantasie bereits mit der Glorie beschäftigte, die ihn, seiner Ansicht nach, bald umstrahlen sollte, so konnte er doch nicht umhin, dieser leidenschaftlichen Liebe für Mrs. Cleary auf einige Minuten seine Träume von Heldenruhm zu opfern.

Das Terzett, welches vom Hausflur heraufgellte, brachte allerdings einige nicht wohlthuende Dissonanzen in diese harmonischen Gefühlsausbrüche. Die Störung wurde immer unangenehmer und der Zank immer widerwärtiger, und ein Ende desselben war gar nicht vorauszusehen.

In der That hatte der Streit eine für Mr. Spangler äußerst bedenkliche Wendung genommen.

Mit den beiden Frauen wäre er am Ende noch zurecht gekommen; dieselben hatten aber eine ganz unerwartete und äußerst kräftige Hülfe gefunden.

»Nichts als Bleistücke, alte Lumpen und verrostetes Eisen in der Kiste!« schrie Mrs. Gamp; »Gerechter Gott! Er muß gerädert werden, von Pferden zerrissen!«

Sie sprang ihm an die Gurgel und schien in Ermanglung einer Jury, welche die nöthigen Pferde requirirte, die von ihr erwähnte Execution in Gemeinschaft mit ihrer Schwester vornehmen zu wollen. Mrs. Bagges zerrte ihn am Rockkragen, und unter unaufhörlichem Schreien und Zetern fuhren sie mit ihm aus einem Winkel des Hausflures in den andern.

Mr. Spangler betheuerte händeringend, daß in der Kiste nicht ein Cent baaren Geldes gewesen sein könne; Mrs. Gamp aber hatte vermuthlich eine gute Prognose mit der Kiste angestellt, denn sie taxirte ihren früheren Inhalt auf mindestens hunderttausend Dollars.

Mrs. Bagges machte den Vorschlag, sich mit der Hälfte zu begnügen; Mrs. Gamp wollte das Ganze, oder mit ihm an den Galgen!

Mr. Gamp hatte nach Monate langem Bemühen die Kiste ohne fremde Hülfe zu öffnen gewußt und ohne dabei auffälliges Geräusch zu verursachen und namentlich, ohne daß ihre Schwester in die Möglichkeit versetzt wurde, einen vollständigen Einblick in den Inhalt der Kiste zu erlangen, die Arbeit endlich nach ungeheurem Fleiße vollbracht.

Die Schlösser waren herausgeschnitten, und der Inhalt lag vor ihren Augen. Wie bereits gesagt, bestand derselbe nicht, wie sie vermuthet hatte, aus purem, blankem Golde, sondern aus werthlosem Metall und ekelhaften Lumpen. Da nun die Kiste in Niemandes Händen, als in deren Mr. Spanglers gewesen war, so konnte er natürlich auch nur der Dieb sein, der die Schätze widerrechtlich an sich gebracht. An ihn also hielt sie sich mit aller der Energie, die sie in kritischen Momenten stets an den Tag legte.

Der Streit hatte eben das Maximum seiner Heftigkeit erreicht, und wer weiß, ob nicht Mr Spangler, wenn auch nicht gerade geviertheilt, so doch wenigstens gezweitheilt wäre, wenn nicht eben der Klopfer an der Hausthür gedröhnt hätte.

Wie electrisirt hielten die drei an·

Erst jetzt schienen sich's die Weiber zu überlegen, daß der Hausflur nicht der geeignete Kampfplatz sei und am allerwenigsten passend, um eine so gefährliche Execution auszuführen, wie beide sie vor hatten.

Mrs. Bagges benutzte daher diese Pause, um die Thür der Portierloge auszustoßen, und, als ob dieser strategische Kunstgriff verabredet sei, faßten sie beide ihr Opfer von Neuem, und mit Gepolter ging's die Stufen zur Portierloge hinab.

Allerdings gerieth der überlegnere Theil mit dem bedrohten Gegner in gleiche Gefahr und in eine nichtsweniger als angenehme Lage. Sie fielen nämlich alle drei der Länge nach auf den Boden und wälzten sich eine geraume Zeit auf demselben herum, da es Keinem leicht wurde, sich aus den Händen des Andern zu befreien.

Diese Situation war jedenfalls eine sehenswerthe, und es wäre schade gewesen, wenn sie keinen Zuschauer gehabt hätte.

Sie hatte aber in der That einen Zuschauer.

Der Mann, welcher den Klopfer gerührt hatte, fand es äußerst verdächtig, daß trotz des Lärmes im Innern des Hauses ihm Niemand öffnete. Um sich zu überzeugen, wie weit der Portier daran Schuld sei, beugte er sich herab und drückte sein Gesicht an die Scheiben des niedrigen Fensters der Portierloge.

Eine geraume Zeit war er hier verwunderter Zuschauer; da bemerkte Mr. Bagges das häßliche grinsende Gesicht des Niggers.

»Scip!« rief sie; »da ist Scip, er wird uns helfen. Ich öffne, Scip!« fügte sie hinzu, ließ Mr. Spangler los, eilte hinaus und schob den Riegel von der Hausthür zurück.

»Es ist Geld zu verdienen, Scip!« rief sie ihrem ehemaligen Gehülfen vom Kupplergewerbe entgegen; »erwürge den Spitzbuben, und Du erhälst so viel Geld, als Du willst!«

Scips herkulische Gestalt drängte sich durch die schmale Thür der Portierloge Er erfaßte den immer noch am Boden liegenden und mit Mrs. Gamp ringenden Delinquenten am Rockkragen, hob ihn in die Höhe, wie eine Strohpuppe und lehnte ihn an die Wand, als ob er eine hölzerne Figur gewesen wäre.

Spangler stierte entsetzt den Mann an.

Wenn der Teufel selber ihn beim Rockkragen genommen hätte, es hätte das Entsetzen sich nicht deutlicher auf seinem Gesichte malen können. Auch Scip glotzte ihn an.

»Soll ich ihn todt schlagen, Ma'am?« wandte er sich dann an seine ehemalige Herrin.

»Schlage ihn todt, wenn er nicht hunderttausend Dollars herausgiebt!«

Indem Scip den zitternden Spangler, dessen Augen bei diesen Worten schon Nacht umfing, mit der Linken festhielt, erhob er die gewaltige geballte Rechte zu einem Schlage, der sicherlich ausreichend gewesen wäre, Mr. Spangler in's Jenseits zu befördern; noch eine Sekunde später – und das Ford-Theater wäre um einen Zimmermann ärmer gewesen.

Während dieser Secunde aber erschien der Retter.

»Halt da! Um was handelt sich's hier?« rief eine gebieterische Stimme von der Thür her.

Alle wandten sich überrascht um. In der Thür stand, ruhig und fest die Einzelnen anblickend, ein junger Mann, der ihnen Allen nicht unbekannt war.

»Ah, Mr. Wilkes!« rief Mrs. Gamp ihrem ehemaligen Kunden entgegen; »Sie kommen da gerade zu rechter Zeit, um einen Spitzbuben züchtigen zu helfen.«

»Laß den Mann los!« befahl Booth, ohne auf den höflichen Gruß von Mrs. Gamp zu achten.

Scip aber war nicht gewohnt, den Befehlen eines Andern, als der Mrs. Bagges zu gehorchen. Indem er Spangler immer noch festhielt, blickte er diese fragend an, ob sie damit einverstanden wäre. Da er aber in dem Antlitz jener Dame nichts Derartiges las, so schnürte er vorläufig seine Linie noch etwas fester um Spanglers Hals und erhob die Rechte, von Neuem zum Schlage.

Mit zwei Sätzen aber stand Booth neben ihm; der Lauf eines Revolvers war zwei Fuß von seiner Schläfe.

»Zurück, schwarzer Hund, sage ich!«

Der Nigger prallte unwillkürlich zurück.

»Was hast Du hier zu thun?« fuhr Booth fort, ohne das Pistol sinken zu lassen.

»Geschäfte, Sir, ...« stotterte der Nigger.

»Wie kommst Du nach Washington?« fuhr ihn Booth an.

»Ich bin in einem Auftrage hier, Sir.«

»Richte Deinen Auftrag ein anderes Mal aus. Hinaus mit Dir!«

Gewohnheitsmäßig fragte der Nigger wieder das Antlitz der Mrs. Bagges. Ob auf demselben etwas zu lesen war, ist zweifelhaft; nur das steht fest, daß Booth seine Aufforderung noch energischer wiederholte und hinzufügte:

»Ich schieße Dich nieder, wenn Du noch zwei Secunden hier verweilst!«

Langsam zog sich der Nigger zurück und schlich zur Hausthür hinaus.

»Schieben Sie den Riegel vor, Mrs. Gamp!« fuhr Booth fort.

Die Dame war dermaßen eingeschüchtert, daß sie nicht zu widersprechen wagte. Sie that, wie ihr befohlen worden, kehrte dann zurück und fing sehr kleinlaut an, die Ursache des Auftrittes zu erzählen.

»Um welche Summe handelt es sich?« fragte Booth.

»Es waren mindestens hunderttausend Dollars,« antwortete Mrs. Gamp.

»Die hunderttausend Dollars zahle ich, hier ist eine Anweisung, welche morgen honorirt werden wird. Gehen Sie hinauf und lassen Sie mich mit Mr. Spangler allein!«

Da die Verhandlung ein so befriedigendes Ende erreicht hatte, so nahmen die beiden Damen durchaus nicht Veranlassung, länger in der Portierloge zu verweilen. Knixend und unter den Versicherungen der unbeschreiblichsten Hochachtung zwängten sie sich durch die schmale Thür, und stiegen die Treppe hinauf.

»Mr. Spangler,« sagte Booth, »Sie sind in meiner Hand. Sie haben die Million Dollars gestohlen, welche Eigenthum der Conföderation ist. Ich werde keine Anzeige machen, vorausgesetzt, daß Sie geneigt sind, mir einen Dienst zu erweisen.«

Mr. Spangler kam sich in diesem Augenblicke vor, wie zu neuem Leben erwacht.

»Fordern Sie, Sir, was Sie wollen; wenn ich das Geld behalten kann, will ich Alles thun!«

»Was ich von Ihnen fordere, Mr. Spangler, ist nur ein kleiner Dienst. Sie begeben sich jetzt mit mir in's Ford-Theater; Sie zeigen mir alle Ausgänge und Eingänge desselben, sowie die Loge des Präsidenten und nehmen an dieser, wenn es nöthig ist, eine kleine Reparatur vor, wie ich sie anordne. – Verstanden?«

»O! wenns weiter nichts ist, Mr. Wilkes, sehr gern! Aber ich kann doch das Geld behalten?«

»Meinetwegen, ja. Wenigstens will ich nichts thun, um es Ihnen zu entziehen. Nehmen Sie die Schlüssel und folgen Sie mir!«


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