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Hundertdreiunddreißigstes Kapitel.
Die letzte Ehre

In der Stunde, da Christus am Kreuze starb, zerriß der Vorhang im Tempel, und die Sonne verfinsterte sich und ein Erdbeben entstand. – Wahrlich, es scheint Thaten zu geben, bei deren Ausführung sich selbst die Elemente empören, und welche die ganze Natur erschüttern.

So war seit dem Bekanntwerden der Ermordung des Präsidenten in New-York das Wetter so trübe wie die Stimmung der Menschen. Schneewolken hingen über der Stadt, und ein kalter, fast eisiger Regen trat ein. Der vergoß, wie es schien, Thränen, und die Stimmung in der Stadt nahm einen fast unheimlichen Charakter an.

Etwas Aehnliches ist wohl noch nicht erlebt worden, und einer ähnlichen Trauer darf sich kein Todter rühmen.

In monarchischen Ländern mag bei Todesfällen eines Regenten eine Landestrauer angeordnet werden, und man mag die Bürger zwingen, sich ihrer Geschäfte für einige Tage zu enthalten; in Amerika geht das aber nicht, und es giebt keine Gewalt, welche die Bürger zwingen könnte, von der Betreibung ihrer Geschäfte abzustehen.

Trotzdem schlossen sich, als ob es auf einmüthigen Beschluß geschehen wäre, gleich nach der Ankunft der Trauer-Nachricht alle Geschäfte, und ein Gefühl, ein Zug der tiefen Trauer schien durch die ganze Stadt zu gehen; die Bürger schienen nicht im Stande zu sein, dem Erwerbe nachzugehen, und das Bewußtsein, daß man Grund zu tiefer Trauer habe, machte sich mit solcher Kraft geltend, daß Niemand es wagte, demselben Trotz zu bieten.

In solchen Fällen bedarf es in· Amerika keiner Polizei; das Volk controlirt sich selbst und beweist, daß es reif zur Selbstregierung ist.

Alle Häuser hüllten sich in Trauer, und wohin man blickte, konnte man schwarz und weiße Draperien von den einfachsten bis zu den prächtigsten sehen; der ärmste Neger zeigte sein Gefühl für das große Unglück ebenso wie der reichste Millionär.

In New-York lebten nicht wenige Anhänger des Südens, aber Niemand schloß sich von der Trauer aus. Angst und gemeine Feigheit mögen bei Vielen das Motiv zur Aeußerung ihrer Trauer gewesen sein, aber Niemand untersuchte das; es war genug, daß die Trauer stattfand.

Das Attentat selbst und die Frage, wie es nur dem Mörder möglich gewesen sei, zu entkommen, bildete das Tagesgespräch. An den Plätzen, wo das Bild des Mörders Booth aufgehängt war, drängte sich die trotz des schlechten Wetters dicht versammelte Menge, und man studirte fast die Züge des Menschen, welcher der gräßlichsten That fähig war, durch welche die Geschichte der der Republik befleckt worden ist. Man las neben dem Bilde die Notiz, daß für die Ergreifung des Mörders eine Belohnung von hunderttausend Dollars festgesetzt sei. Aber nicht das war es, was den Eifer der Bürger spornte. Auf stürmisches Verlangen der Bürger mußte sich die Polizei in New-York nach Washington begeben, um sich an der Verfolgung zu betheiligen.

Im Laufe des Vormittags kam eine Depesche von Washington, welche zur großen Befriedigung der Bewohner New-Yorks meldete, daß zwei der Complicen des Mörders, ein gewisser Harrold und Payne, bereits verhaftet seien. Zugleich langte ein Erlaß des Kriegsministers an, welcher sofort an allen Ecken angeschlagen wurde.

In diesem Erlaß bedrohte Stanton die Leute, in deren Schutz sich die Verbrecher befanden, mit unverzüglicher Todesstrafe.

Eines dieser Plakate befand sich auch in der Nähe des Justiz-Palastes. Unter den Personen, welche sich um dasselbe drängten, befanden sich zwei, die es mit größerem Interesse lasen, als alle Uebrigen. Sie standen ein wenig seitwärts und führten flüsternd ein angelegentliches Gespräch:

»Es ist die höchste Zeit,« sagte der Eine, »daß wir die canadische Grenze zu erreichen suchen. In New-York ist unsers Bleibens nicht mehr. Wo sollen wir hier Zuflucht suchen? – Ja, wäre Mrs. Gamp noch hier, die würde vielleicht gegen gute Belohnung – trotz jener Drohung da – uns verbergen, bis die erste Verfolgungshitze vorüber ist, so aber kenne ich Keinen in ganz New-York, der das Risiko übernähme.«

»Das Verdrießlichste ist,« entgegnete der Andere, »daß wir der Belohnung verlustig gehen werden. Wir sind die beiden Einzigen, welche ihre Aufgabe nicht gelöst haben, es müßte denn sein, daß auch Bob Harrold das Seinige nicht gethan hat.«

»Wir haben wenigstens Alles gethan, was wir konnten,« versetzte der Erste wieder. Es ist nicht meine Schuld, daß Grant seine Abreise verschoben hat, und nach dem Attentat auf Lincoln und seine Minister ist er so vorsichtig geworden, daß man ihm unmöglich beikommen kann. – Ich werde also durchaus nicht Anstand nehmen, mir den Rest der Belohnung einzufordern.«

»Dazu hätte ich größeres Recht als Du,« meinte der Andere, »denn ich habe wenigstens meinen guten Willen gezeigt. Diese Quadroone, die mit ihrem Begleiter dazwischen trat, verfolgt uns wirklich wie das böse Geschick, sie allein ist an allem Mißlingen schuld. Ich wollte, sie käme mir zu Gesicht an einem Orte, wo kein Zeuge zugegen sei, ich würde mich für alle Zeiten rächen.«

»Du vergißt Arnold's Flamme, die Spionin, die wir in Surrats Hause eingeschlossen haben. Ich bin der Meinung, daß sie noch unser Verderben sein wird.«

Darin irrte der Mann sich nicht. Durch Mary Powels Bericht, den sie jetzt frei und ohne Rückhalt abstattete, erhielt man das vollständige Signalement aller an der Verschwörung Betheiligten. Der Telegraph hatte Miß Powels Aussagen bis an die entferntesten Grenzen des Landes getragen, und auch in New-York war die Polizei im Besitz derselben.

Während jene beiden Männer sich unterhielten und nicht im Entferntesten vermutheten, daß sie Gegenstand der Aufmerksamkeit irgend eines Menschen sein könnten, heftete sich der scharfe Blick eines Polizeibeamten bereits auf sie.

»Sehen Sie selbst, Mr. Morris,« sagte er zu einem anderen Beamten, welcher ihn begleitete, »das Signalement John Atzerott's und Mac O'Laughlin's stimmt mit dem Aeußeren der beiden Männer auf ein Jota überein, wir riskiren nichts, wenn wir sie sofort verhaften.«

»Sollten wir uns aber dennoch täuschen,« wandte Mr. Morris ein, »so hätten wir uns des in einer Republik unerhörten Verbrechens schuldig gemacht, einen Bürger widerrechtlich seiner Freiheit beraubt zu haben.«

»In einem solchen Falle, wie der gegenwärtige, liegt es im Interesse der Bürger selbst, daß man lieber eine Verhaftung zu viel, als zu wenig vornimmt,« entgegnete der Policeman, »indessen um unser Gewissen völlig zu beruhigen, lassen Sie uns eine Probe anstellen, ob jene beiden Subjecte die gesuchten sind oder nicht.«

Er schlich sich ganz in die Nähe der beiden Männer, berührte dann plötzlich die Schulter des einen und rief:

»John Atzerott!«

Der Mann wandte sich erschrocken um.

Der Polizeibeamte wechselte einen Blick mit Morris, worin er diesem ausdrückte: wir haben unsern Mann gefunden! dann fuhr er fort:

»Im Namen des Gesetzes verhafte ich Sie und Ihren Begleiter, Mac O'Laughlin!«

Die beiden Verbrecher waren wie niedergedonnert, sich hier, wo sie sich so völlig sicher wähnten, so plötzlich bei ihrem Namen angeredet zu sehen. Sie wagten nicht den mindesten Widerstand, und als ihnen die Fassung so weit zurückgekehrt war, daß sie an einen Versuch der Flucht denken konnten, da hatte sich um sie bereits eine solche Menschenmenge gesammelt, und dieselbe hatte ein so drohendes und erbittertes Aussehen, daß es Wahnsinn gewesen wäre, noch einen Funken von Hoffnung zu hegen.

Nur mit Mühe gelang es, die Verhafteten durch den Volkshaufen hindurch zu führen; denn man erhob Knüttel und Steine gegen sie und zeigte nicht übel Lust, sofort Lynch-Justiz gegen sie zu üben.

Die frohe Nachricht, daß man wieder Zwei vom Complott ergriffen habe, wurde sofort nach Washington telegraphirt.

Hier hatte man bereits zur selben Stunde, da in New-York jene beiden verhaftet wurden, einen andern Mitschuldigen in Haft gebracht.

Das Gerücht hatte von vornherein Mr. Spangler, den Theaterzimmermann, der Mitwissenschaft beschuldigt. Als man an jenem Abend nach ihm rief, um von ihm den Schlüssel zur äußern Thür des Coulissenraumes zu fordern, war er nicht so leicht zu finden, er war draußen gewesen.

Schon das war verdächtig, da doch die Pflicht seine Anwesenheit im Maschinenraume erforderte, dazu aber kam, daß ein Bürger gesehen hatte, wie Mr. Spangler vor der kleinen Ausgangspforte, welche aus jenem Coulissenraum führte, ein Pferd gehalten habe. Der Mann hatte gesehen, wie ein hochgewachsener blondhaariger Jüngling über den Platz ritt, ein zweites Pferd mit sich führend; nach Mary Powels Aussage konnte es nicht zweifelhaft sein, daß dies Mr. Arnold war. – Er hielt mit den beiden Pferden vor jener kleinen Thür. Da trat Mr. Spangler heraus und hielt das eine Pferd, während der junge Mann auf dem andern weiterritt.

Diese Aussage war Grund genug, zur Verhaftung Spangler's zu schreiten. Der Polizeidirector Mr. Jones begab sich deshalb sofort nach Spangler's Hause, nicht nur, um sich der Person des Verdächtigen zu versichern, sondern auch eine Durchsuchung des Hauses vorzunehmen.

Schon als der Polizeibeamte sich dem Hause näherte, bemerkte er, daß eine große Menschenmenge vor demselben versammelt war. Alles drängte sich, die Hintenstehenden reckten die Hälse, als ob es da vorn etwas Außerordentliches zu sehen gäbe, und schon von ferne hörte Mr. Jones hie und da Ausrufe äußerster Indignation.

»Was giebts hier?« fragte er die Nächststehenden.

»Ah, gut daß Sie da sind,« erhielt er zur Antwort. »Ein schauderhaftes Verbrechen ist da in dem Hause des Mr. Spangler verübt worden.«

»Was für ein Verbrechen?«

»Eine Frau, welche in dem Hause wohnte – man sagt eine Lady aus dem Süden – ist ermordet worden.«

»Mr. Jones begab sich unverzüglich in das Haus, von drei Beamten begleitet. Willig machte ihm die dicht gedrängte Volksmasse Platz. Die Portierloge war verschlossen, indessen war die Stimme des Hauswirthes von oben herab zu vernehmen; er schien in einem heftigen Wortwechsel mit einigen Frauen zu sein.

»Ich habe ihn herauskommen sehen,« hörte man ihn rufen. »Es war der schwarze Satan, welchen Sie mir damals auf den Leib herzten, und welcher auch mich erwürgt haben würde, wenn nicht jener Gentleman dazwischen kam. Kein Anderer als er hat den Mord begangen. Er trug ein Kästchen in seiner Hand, wahrscheinlich ihre Kasse. Wer wird mir die Miethe bezahlen, wenn er alles baare Geld mitgenommen hat, schändlich! – und gerade die Hand, an welcher sie die kostbaren Ringe trug. Oh, Mrs. Gamp, Sie sind an diesem Unglück schuld, Sie werden mich schadlos halten, falls ich die Miethe einbüße.«

Mrs. Gamp hatte eben eine heftige Entgegnung auf der Zunge, als Jones und seine Begleiter auf der Treppe erschienen. Was der Polizeibeamte gehört hatte, war mehr als hinreichend, um die drei Personen, welche er auf dem Corridor anwesend traf, nämlich Bethsey Bagges, ihre Schwester und Mr. Spangler über den Mord sofort einem Verhör zu unterziehen.

Er wandte sich zunächst an Spangler, der bei dem Erscheinen des Polizeibeamten ein wenig zu zittern begann und sich vergebens bemühte, eine gewisse Sicherheit anzunehmen.

»Sie sind der Eigenthümer des Hauses?«

»Ja, Sir,« war die Antwort.

»Wo ist der Mord begangen?«

»In dem Logis eine Treppe höher. Es war eine Lady, welche eine Monats-Miethe von 70 Dollars zahlte und die Wohnung auf sechs Monate gemiethet hat, meine Forderung beläuft sich also für die fünf Monate, die sie noch zu wohnen hatte, auf 350 Dollars.«

»Es handelt sich hier nicht um Ihre Forderung,« erwiederte der Beamte kurz, »sondern um den Mord. Wann ist derselbe verübt?«

»Ich sah den Kerl gestern in der Dämmerungsstunde, gerade als ich ins Theater zu gehen im Begriff war, um das Haus schleichen; mir ahnte nichts Gutes, ich kehrte nach einer Viertelstunde noch einmal zurück in mein Haus, da sah ich ihn herauskommen. Er trug ein Kästchen unter dem Arm. Ich glaubte, daß ich bestohlen sei, allein ich täuschte mich, meine Wohnung war unberührt geblieben.«

»Wer ist der Mensch, von dem Sie reden?«

»Der Nigger, Sir, die Satansbestie, welche mir selbst schon einmal ans Leben wollte.«

»Sie kennen ihn?«

»Ich nicht, Mr. Jones, aber diese Damen hier« – mit schadenfrohem Grinsen deutete er auf Mrs. Bagges und Mrs. Gamp – »die stehen in näherer Beziehung zu ihm.«

»Was wissen Sie von dem Mörder?« wandte sich der Polizeibeamte an die Kupplerinnen aus Charlestown.

»Nichts, Sir!« war die trotzige Antwort.

»Glauben Sie es nicht, Mr. Jones, sie kennt ihn!« fiel Spangler ein« »Er steht in ihrem Dienst.«

»Schweigen Sie, Spitzbube, Räuber, Betrüger!« platzte hier Mrs. Gamp los; »was fällt Ihnen ein, ehrliche Leute der Mitwissenschaft an einem Morde zu beschuldigen. Es war Scip Sir, ein Nigger, welcher im Dienst meiner Schwester stand, wir wissen aber jetzt nichts von ihm; ob er die That begangen hat oder nicht, können wir also auch nicht wissen.«

»Führen Sie mich zu der Ermordeten,« befahl der Polizeichef, sich an Spangler wendend.

Der Angeredete machte ein verlegenes Gesicht.

»Ich muß um Entschuldigung bitten,« stotterte er endlich nach einigem Zögern, »ich bin so nervenschwach, ich möchte mich, während Sie die Besichtigung der Leiche vornehmen, in mein Zimmer begeben.«

Er machte, während er diese Worte sprach, eine Wendung der Treppe zu. Der Polizeibeamte trat ihm in den Weg.

»Sie sind verhaftet,« sagte Mr. Jones, als Spangler ihn betroffen anstierte. »Sie werden Ihr Zimmer nicht anders betreten, als unter polizeilicher Bewachung.«

»Sie glauben, daß ich mit dem Nigge ...«

»Mit diesem Morde haben Sie vielleicht nichts zu schaffen, aber Sie sind dringend verdächtig, Theil zu haben an dem Morde des Präsidenten.«

Spangler verfärbte sich. Ein Polizeibeamter legte ihm sofort die Fesseln an.

»Bringen Sie den Gefangenen in ein Zimmer und bleiben Sie zu seiner Bewachung bei ihm,« befahl Mr. Jones dem Beamten, bis ich zurückkehre ... Ma'am,« wandte er sich an Mrs. Gamp, »Sie erweisen uns wohl den Dienst, uns bis dahin eins Ihrer Zimmer zur Verfügung zu stellen.«

Das Blatt hatte sich schnell gewendet. Eben noch hatte Spangler in der Freude geschwelgt, sich an den beiden Frauen gerächt zu sehen, und nun hatten diese die Genugthuung, Spangler in der Fatalität zu erblicken, in welche er sie zu bringen gedachte; dieser Umstand sowohl als auch die Freude darüber, daß sie selbst so leichten Kaufes davonkamen, machte Mrs. Gamp unvorsichtig. Mit einer Bereitwilligkeit, welche sie schon im nächsten Moment bereuen sollte, öffnete sie die Thür eines Zimmers.

Spangler ward hineingeführt und der Polizeibeamte angewiesen, an der Thür Wache zu stehen.

Mr. Jones hatte beim Oeffnen der Thür nur einen flüchtigen Blick in das Zimmer geworfen, aber für einen guten Polizeibeamten, welcher geschickt zu combiniren versteht, ist ein einziger Blick oft genügend, die Spur eines längst vergessenen Verbrechens zu entdecken.

Das war auch hier der Fall.

Während das scharfe Auge des Polizeichefs in dem Zimmer die Runde machte, fiel es auf einen Gegenstand, den es sofort scharf fixirte. Es war eine halb zertrümmerte starke Kiste von Eichenholz. Eiserne Reifen lagen um dieselbe und drei Schlösser hingen daran; in den Deckel aber war ein Loch geschnitten oder gehauen.

Eine Viertelsekunde genügte, um alle diese Bemerkungen zu machen. Niemand hatte bemerkt, daß dieser Gegenstand für Jones ein besonderes Interesse hatte, selbst Mrs. Gamp nicht, welche erst jetzt, leider zu spät, inne wurde, daß sie eine Unbesonnenheit begangen habe, gerade dies Zimmer zu öffnen. Unruhevoll heftete sie ihr Auge auf den Polizeichef, aber nichts verrieth ihr, daß etwas seinen Argwohn erweckt habe.

Jones flüsterte dem Beamten, welcher mit Spanglers Bewachung beauftragt war, einige Worte in's Ohr und entfernte sich dann mit zweien seiner Leute, um die Leiche in Augenschein zu nehmen.

Er stieg die Treppe hinauf. Die Thür des Corridors war offen, ebenso die Thür des vorderen Zimmers.

Ein entsetzlicher Anblick! Auf dem Boden ausgestreckt lag die Leiche der Ermordeten. Die Kleider in Unordnung und zerrissen, das Haar aufgelöst, an den entblößten Schultern und Armen Spuren vom Druck einer Hand – das Alles deutete auf einen heftigen Kampf mit dem Mörder. Der Mund war mit einem Tuch verstopft. Jones entfernte dasselbe. Auf dem Gesicht lag noch eine Spur der ausgestandenen Todesangst, die Züge waren verzerrt aber doch immer noch schön, und so Entsetzen erregend der Anblick der Ermordeten auch war, so übte ihr Körper selbst im Tode noch einen Theil des Zaubers, welchen er im Leben stets verbreitet hatte.

Jones erkannte sie. Wer hätte wohl die schönste Frau im Staate Kentucky nicht gekannt? ...

Es war Mistreß Cleary's Leichnam, welcher hier am Boden lag, von einer Blutlache umgeben.

Mehrere Messerstiche hatten die Brust durchbohrt, am Halse fand sich ein tiefer Schnitt, und – O, über die Brutalität! – ihr rechter Arm war ein Stumpf, die Hand war am Gelenk abgetrennt. Hatte der Mörder diesen Frevel an der Leiche geübt, um sich die kostbaren Ringe anzueignen, welche die Ermordete tragen pflegte? ... Ach nein, Hand und Ringe sollten an einer Stelle zum Vorschein kommen, wo sie Niemand vermuthete. –

»Ein Raubmord!« war Mr. Jones' erster Gedanke. Er mußte diesen Gedanken indessen bald wieder aufgeben, denn von den Preziosen, welche die Dame trug, fehlte nichts. Der Schreibtisch war offen, aber nicht erbrochen, die Dame hatte beim Eintritte des Mörders wahrscheinlich vor demselben gesessen und geschrieben. In einem der Fächer stand eine Cassette mit Geld gefüllt; sie war unberührt.

Was konnte das Motiv des Mordes sein? – Mr. Jones dachte vergeblich nach.

Vielleicht fand sich Aufschluß in den Papieren. Die Schreibmappe lag offen da, ein angefangener Brief lag darauf.

Der Brief lautete:

»Geliebter!

Ob dieser Brief in Deine Hände kommen wird? – Ich weiß es nicht, aber die Sehnsucht welche verzehrend in meinem Herzen brennt, treibt mich, jetzt, da mich das Geschick von Dir fern hält, an Dich zu schreiben· – Die That ist gelungen. Deine Kugel endete das Leben des Tyrannen. Ich danke Gott auf den Knieen für Deine Rettung; nur ein Wunsch bleibt mir, bald, bald ganz Dein zu sein, ganz Dir zu leben. Mein Gatte soll uns kein Hindernis sein, sobald ich seinen Aufenthalt erfahre, schaffe ich ihn aus dem Wege, ein Nigger, Namens Scip hat mir bereits seine Dienste angeboten ... Es klopft ... O, wäre es ein Bote von Dir ...«

Hier war der Brief abgebrochen. Der Inhalt dieser Zeilen war sehr geeignet, die Aufmerksamkeit des Polizeibeamten zu erregen und trieb ihn, auch andre Papiere in's Auge zu fassen.

An wen war der Brief der Lady Cleary gerichtet? – Ueber diese Frage erhielt Jones leicht Aufschluß. Ein photographisches Portrait stand auf einem Ebenholzgestell auf dem Schreibtisch, grade vor dem Platz, wo die Schreiberin gesessen hatte, so daß es schien, als habe sie es beständig vor Augen haben wollen.

Es war das Portrait von John Willes Booth, dem Präsidentenmörder.

Daneben lag seine Karte und ein Brief.

Jones öffnete diesen und las:

»Angebetete meines Herzens! Ich habe den Preis errungen. Die Krone des Ruhmes ziert mein Haupt. Doch die schönste Perle in diesem Diadem ist mir Deine Liebe. Den Preis, den Du selbst für die That ausgesetzt, ich habe ihn errungen – Deine Hand, mein Lohn! Der Neger, welcher Dir diesen Brief überbringt, wird Dir sagen, welchen Weg ich genommen habe. Er hat versprochen, mir Botschaft von Dir zu bringen. Ich glaube, Du kannst ihm vertrauen. Geld macht ihn zu jeder That willfährig.«

W.

Jetzt war Alles klar. Der Bote, welcher Mrs. Cleary im Schreiben unterbrochen, hatte diesen Brief gebracht und war ihr Mörder. Sie selbst war eine Mitschuldige Booths; der Dolch des Meuchelmörders hatte sie ihrem Richter entzogen. –

Mr. Jones schrieb sofort einen Bericht mit Blei auf ein Blatt Papier und entsandte damit einen seiner Begleiter nach dem Justizpalast; er selbst begab sich in das Zimmer der beiden Frauen zurück.

Mrs. Gamp knixte so devot, als sie den Polizeichef ersuchte, näher zu treten, und Mrs. Bagges war so bereitwillig, jeden Dienst, der zur Auffindung des Mörders beitragen konnte, zu leisten, daß die Kälte des Polizeichefs sie fast beleidigte. Ohne auf die Fluth von Fragen nach dem Befund der Leiche oder auf die hundert verschiedenen Vermuthungen, welche die beiden Schwestern aussprachen, näher einzugehen, richtete er die Frage an sie:

»Was ist das für eine Kiste, welche in dem Zimmer steht, worin der Gefangene sieh befindet?«

Die beiden Schwestern erblaßten und fanden im ersten Augenblick keine passende Antwort.

Der Beamte wiederholte dringender seine Frage.

Da raffte Mrs. Gamp ihre Kraft so weit zusammen, daß sie etwas von »Mr. Spangler's Eigenthum« stotterte.

»Meine Damen,« fuhr Jones fort, »diese Kiste ist bei dem Cravall in New-York dem Banquier Aaron entwendet worden. Derselbe behauptet, nicht gewußt zu haben, was sie enthielt, ohne Zweifel aber wissen Sie, was sich darin befand, denn wie ich sehe, ist der Deckel durchbrochen.«

»Was darin war?« fuhr jetzt Mrs. Gamp auf. – »Lumpen, Eisen, lauter werthlose Dinge waren darin, ich schwöre Ihnen, Sir, daß nichts anderes darin war. Kommen Sie, sehen Sie selbst, ich habe Alles so gelassen, um den Spitzbuben Spangler zu überführen. Er allein ist der Schuldige – fragen Sie ihn aus, er wird es nicht leugnen.«

So sehr sich die beiden Frauen auch bemühten, ihre Unschuld zu betheuern und jeden Verdacht auf Spanglers Schultern zu wälzen, so war der Polizeibeamte doch nicht zu überzeugen, vielmehr erklärte er, daß er auch sie verhaften müsse.

Ein markdurchdringendes Zeterduett begann jetzt. Mr. Jones ließ sich aber dadurch nicht abhalten, er befahl ihnen, ihm in das Nebenzimmer zu folgen, wo er sie mit Spangler confrontirte.

Heulend und händeringend betheuerte Mrs. Gamp ihre und ihrer Schwester Unschuld; Spangler aber blieb dabei, daß ihm die Kiste von Mrs. Gamp zur Aufbewahrung übergeben sei, und daß er, als sie in sein Hans zog, dieselbe unversehrt und uneröffnet zu ihr hinauf getragen habe.

»Er lügt!« rief Mrs Gamp. »Er hat das Geld vorher herausgenommen Sehen Sie nur, er hat es, ich will darauf schwören, daß er es hat!«

Die Durchsuchung von Spanglers Wohnung begann denn auch ohne Verzug.

Trotz aller angewandten Sorgfalt aber ließ sich lange nichts entdecken. Alle Schranke, selbst die Oefen wurden durchsucht, kein Dollar wurde gefunden, vielmehr zeugte Alles, was man in der Wohnung Spangler's vorfand, von Armuth und Elend. Erst als Mr. Jones Arbeiter requirirte, welche die Wände und Dielen untersuchten, kam man zum Ziel.

Eine der Dielen des hintern Zimmers war nur leicht angenagelt und ließ sich ohne Mühe emporheben.

Welche Schätze in der Wohnung des Geizhalses! – Da waren in Cigarrenkisten verpackt die Banknoten aufgestapelt, da lagen in schlechtes Papier gewickelt die schweren Goldbarren, da lag auch – ein wichtiger Fund! – ein kleines Portefeuille, in welchem Booths Name stand, mit einem ansehnlichen Päckchen Greenbacks. –

Der Geiz Spanglers hatte es nicht zugelassen, daß er von dem Schatz, den er in der Eichenkiste gefunden, auch nur einen Dollar verausgabte. Die Beute der Alabama, im Betrage von über eine Million Dollars, kam jetzt in die Hände der Union zurück, und ein Theil des Schadens, welchen das gefährliche Raubschiff der Republik zugefügt hatte, war gedeckt. –

Es erregte in den Straßen Washingtons nicht geringes Aufsehen, als die drei Gefangenen abgeführt wurden. Es gewährte den Bürgern eine große Genugthuung daß man wieder einen Theilhaber des Mordcomplotts ergriffen habe. – Nur der Eine, der Schuldigste von Allen, war und blieb verschwunden.«


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