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Hundertundneuntes Kapitel.
Der nächtliche Besuch auf der Farm

Der Orden der Ritter vom goldenen Zirkel war gerade in der jetzigen Periode des Krieges in ganz besonders großer Geldcalamität, und das war die Ursache, weshalb von den Führern der Partei die Heirath Berckley's mit solcher Eile betrieben worden war; und jetzt, da dieselbe vollzogen, sollte kein Tag versäumt werden, um dem Orden die Summe, die mindestens eine Million betragen mußte, oder, wie Breckenridge bereits eingeleitet hatte, vielleicht nahe an anderthalb Millionen betrug, zuzuführen.

Mr. Breckenridge hatte daher durch den Notar Berckley's die Gelder schleunigst flüssig machen lassen, und die Banquiers, welche damit beauftragt waren, nach White-House, seiner Besitzung in Virginien, hinbestellt.

Hier sollte Mr. Sanders, der Kriegsminister, in Gegenwart Mr. Berckley's, das Geld aus seinen Händen empfangen. – –

Während man sonst den Besitzer einer Farm niemals früher am Tage sieht, als zur Zeit der Frühstücksstunde, d. h. um zwölf oder ein Uhr, so sah man an dem Tage, welcher der Abreise Berckley's und Breckenridges von Richmond folgte, diese beiden Herren bereits auf der Veranda der Villa zu White-House auf und ab promeniren, als die horizontalen Strahlen der eben erst aufgegangene Sonne durch die Zweige der Sykomoren schillerten, die ihren kühlen Schatten auf die Veranda und über den reizenden Blumenplatz vor derselben warfen.

Sie waren in ernstem Gespräche begriffen.

Auf der Farm war Alles still. Mit Ausnahme einiger Weiber und einiger alter, invalider Nigger war kein lebendes Wesen in den Höfen zu erblicken.

Der Krieg hatte die Sclavenbesitzer gezwungen, ihr Menschen-Eigenthum theils zu verkaufen, theils die brauchbaren Neger zur Armee zu schicken.

Ein Wagen fuhr die Allee, welche vom James-River nach der Farm führte, hinaus. Breckenridge und Berckley hatten ihn erwartet, denn der Neger, der bald darauf mit der Meldung kam, daß ein Fremder Massah Breckenridge zu sprechen wünsche, wurde gar nicht erst angehört, sondern erhielt den Bescheid:

»Ich weiß, ich weiß bereits; führe den Herrn in mein Arbeitszimmer.«

Es war ein Banquier aus Richmond. In Begleitung zweier Beamten seines Comtoirs brachte er in einer Cassette die Banknoten, in welchen das Heirathsgut Miß Emmy Brown's ausgezahlt werden sollte.

»Ich habe Alles in Noten der englischen Bank umgesetzt,« sagte Mr. Burrit, der Banquier, »wie es der Wunsch Ihres Notars war. Ich bringe Ihnen hier zunächst die Hälfte des Betrages, in runder Summe hundert tausend Pfund Sterling; die andere Hälfte erhalten Sie heute Nachmittag durch Ihren Notar, da es Schwierigkeiten hatte, in Richmond selber so viel an englischen Papieren aufzutreiben.«

Breckenridge, Berckley und die beiden Cassirer des Bankhauses Burrit u. Comp. waren Zeugen, wie die hundert tausend Pfund Sterling auf den Schreibtisch Breckenridge's hingezählt wurden.

Berckley sprach kein Wort. Seine gierigen Blicke schienen die Papiere, welche der Banquier auf den Schreibtisch legte, zu verschlingen; aber wie hätte er es wagen können, seinen eigennützigen Wünschen auch nur durch ein Wort Ausdruck zu geben?

Seine Miene indessen, so sehr er ihren Ausdruck auch zu verbergen bemüht war, war Breckenridge nicht entgangen, und um seine unbeweglichen Züge flog ein kaum merkliches sarcastisches Lächeln, als er, nachdem er die Summe überzählt, sagte:

»Sie sind Zeugen, meine Herren, daß ich diese Cassette hier in das Pult schließe; es wird Niemand sie berühren, bevor sie Mr. Sanders in Empfang nimmt.«

Nachdem dies Geschäft abgemacht war, verschloß Breckenridge das Zimmer und führte seine Gäste in den Salon, wo die Haushälterin das Frühstück bereits servirt hatte.

Wenige Stunden später traf auch der zweite Theil des Geldes ein, abermals die Summe von hundert tausend Pfund Sterling in englischen Papieren. In Gegenwart aller Zeugen überzählte sie Breckenridge, und die anderthalb Millionen Dollars lagen auf seinem Schreibtisch ausgebreitet.

Breckenridge schien diesen Act mit Absicht zu verzögern. Er weidete sich schon an der Qual, die Berckley der Gedanke verursachte, daß von all' dem Gelde kein einziger Dollar sein Gewinn sein sollte, sondern daß man es hinnahm, wie eine Schuld, welche er abtrug.

»Hier liegt das Geld,« sagte Breckenridge; »ich schließe das Pult, den Schlüssel stecke ich zu mir.«

Er that Alles, wie er es aussprach. Dann ersuchte er seine Gäste, wieder sein Arbeitszimmer zu verlassen und in den Salon zu treten.

Den Schlüssel zum Arbeitszimmer zog er ebenfalls ab mit den Worten:

»Das Zimmer wird Niemand betreten vor der Ankunft Mr. Sanders. Selbst ich werde dasselbe vor morgen nicht betreten.«

»Aber liegt das Geld auch sicher dort?« fragte Berckley argwöhnisch.

»Seien Sie unbesorgt,« antwortete Breckenridge; »außer uns, die wir hier anwesend sind, kennt Niemand das Geschäft, das wir hier hatten; es vermuthet Niemand in meinem Arbeitszimmer einen solchen Schatz.«

»O, doch weiß noch Einer um unser Geschäft,« murmelte Berckley.

»Sie meinen Jim?« versetzte Breckenridge; »ich denke aber, daß der ungefährlich ist; durch Ihre Vorsichtsmaßregel wird er wahrscheinlich in diesem Augenblicke bereits in Ihrem Niggerverließ an seinen Wunden verendet sein.«

»Ich will es hoffen!« sagte Berckley halb für sich. »Indessen, wenn ich auch von ihm keine Gefahr befürchte, so möchte doch vielleicht einer Ihrer Nigger ...«

»Nichts da! das Zimmer liegt hoch von der Erde und ist, wie Sie sehen, durch Laden fest verschlossen. Von außen kann Niemand hinein und von innen ebenfalls nicht, da ich die Thür verschlossen habe, und meine Dienerschaft in diesen Theil des Hauses nur auf meinen besonderen Befehl kommt!«

Am Nachmittage desselben Tages reisten der Banquier und seine Leute wieder ab, und Berckley und Breckenridge blieben allein auf der Villa zurück als Wächter des Schatzes.

Wie von zwei Dieben, die eine Beute bewachen, jeder mehr fürchtet, daß der Andere, als daß ein Dritter sie entwenden möchte, so bewachten Berckley und Breckenridge einander mit Argusaugen.

In dem an das Arbeitszimmer stoßenden Cabinet saßen Beide. Dem vorzüglichen Wein aus dem Keller des Pflanzers wollte Keiner recht zusprechen, weil Jeder fürchtete, daß ein unvorsichtiger Genuß des feurigen Weines die volle Schärfe seiner Sinne beeinträchtigen möchte, und Beide glaubten ihre ganze Aufmerksamkeit nöthig zu haben, damit nicht der Andere den Schatz in seine Gewalt brächte.

Es kam der Abend. Mr. Breckenridge hatte die Anordnung getroffen, daß die Thüren, welche in diesen Theil des Hauses führten, verschlossen, also alle hier gelegenen Zimmer der Dienerschaft unzugänglich seien. Nur ein einziger Diener, ein Negerknabe von vierzehn oder fünfzehn Jahren versah den Kammerdiener-Posten, wurde aber auch bald mit dem Bescheid, daß man seiner beim Auskleiden nicht bedürfe, entlassen.

Das Zimmer, welches für Mr. Berckley zum Schlafzimmer bestimmt war, war neben dem seines Wirthes gelegen; indessen Berckley gab vor, nicht müde zu sein, und zog es vor, die Nacht in dem Schlafzimmer Mr. Breckenridge's hinzubringen.

Mr. Breckenridge hatte ebenfalls keine Lust, sich zu Bett zu begeben, und so warfen sich Beide in die Fauteuils; schweigend dampften sie ihre Cigarren, und hin und wieder nippten sie von dem Weine, der vor ihnen stand. Das Abendessen ließen sie ganz unberührt, und wenn Einen oder den Andern die Müdigkeit einmal überwältigte, wenn ihm die Augen zufallen wollten, dann schreckte ihn ein beängstigender Traum auf.

Ein Drache, ein Ungeheuer schien ihnen den Schatz einführen zu wollen; ja, nicht selten geschah es, daß bei einem solchen Auffahren aus dem Halbschlummer Einer den Andern packte, als ob er in ihm einen Räuber erblicke, bis sie schließlich vollständig erwachend ihren Irrthum einsahen, einander halb verlegen anblickten, die Cigarren von neuem anzündeten und sich wieder in die Fauteuils zurücklehnten, um von neuem der unabweislichen Gewalt des Schlafgottes anheim zu fallen. – –

Während dieser eben so anstrengenden, als langweiligen und peinlichen Wache der beiden Junker in White-House·hielt eine nicht minder anstrengende und ermüdende Wache ein Mann, dessen Anwesenheit in der Umgegend von White-House gewiß Keiner der Beiden sich träumen ließ; und wenn sie nur im Entferntesten eine Ahnung davon gehabt hätten, sie hätten mit der äußersten Kraftanstrengung gegen den Schlummer angekämpft; sie hätten sich nicht blos mit der ganzen Schärfe ihrer Sinne, nein, sie hätten sich mit Büchsen und Revolvern bewaffnet, um diesem gemeinsamen Feinde entgegen zu treten.

Wir kennen den Wald von Mecrudeshill.

An der Lisière dieses Waldes war es, wo O'Laughlin bei der Flucht Esthers aus White-House Frederick Seward ergriffen und von wo er ihn, an sein Pferd gebunden, zurückgeschleift hatte. Hier war es, wo die Bluthunde, die von Jim abgerichtet und auf Nigger-Verfolgung dressirt waren, den unglücklichen Offizier ergriffen und fast zerfleischt hätten.

Hinter den Gebüschen, welche hier den Weg bis zum Bache umgaben, da kauerte eine schwarze Gestalt, welche man in der Finsterniß der Nacht schwerlich für eine menschliche gehalten haben würde. Dunkel war die Kleidung, dunkel war die Hautfarbe und dunkel das Haar.

Wie ein Thier des Feldes, auf allen Vieren kroch der Schwarze hinter den Gebüschen entlang, vorsichtig, unhörbar, selbst den Athem zurückhaltend und die Schmerzenslaute zurückdrängend, welche zuweilen gewaltsam hervorzubrechen drohten.

Es war Jim.

Er kannte den Weg wohl, den er jetzt nahm; es war der versteckteste von allen Wegen, die nach White-House führten, und derjenige, dessen sich alle entwichenen Neger aus ihrer Flucht zu bedienen pflegten, es war derjenige, auf welchem auch damals Esther mit Frederick Seward entflohen war.

Ueber den Bach, welchen O'Laughlin damals hatte durchreiten müssen, dort, wo die Hunde unschlüssig waren, ob sie der Spur Pets oder der Spur Esthers folgen sollten, lag jetzt ein schmaler Steg. Er kroch hinüber und kroch durch die Wiese.

Von dem hohen Gras derselben gegen jede Entdeckung geschützt, gelangte er bis an den Weidenweg, der zu dem hintern Eingang des Parkes führte. – –

Durch nichts sind die einsamen Farmen so geschützt, wie durch die Rüden der Bluthunde, die sich auf denselben befinden. Bei dem geringsten verdächtigen Geräusch erheben sie nicht nur ein furchtbares Gebell, sondern sie fallen mit der Wuth eines Raubthieres den Fremden an, und kein Dolch, kein Revolver schreckt sie ab. Ist einer erlegt, so sitzt ein anderer der Hunde dem Opfer bereits wieder am Leibe, und namentlich sind sie darauf dressirt, jeden Schwarzen anzupacken, der sich zu einer ungewöhnlichen Zeit aus einem ungewöhnlichen Wege befindet.

Für Jim waren die Bluthunde auf White-House kein Hinderniß.

Auch hier umkreisten sie die ganze Besitzung während der Nacht, und bewachten, wie die Höllenhunde den Eingang zur Unterwelt, die Pforte des Parkes.

Im Schatten der Weidengebüsche, welche bis an das Packthor führten, hatte Jim es gewagt, sich auszurichten, an der nicht eben hohen Mauer empor zu klettern und von dort mit einem Satze herunter zu springen.

Zwei der Bestien, die sonst der Schrecken der Schwarzen waren, wurden durch ihren scharfen Geruch schnell herbei gelockt; aus irgend einer entlegenen Gegend des Parkes kamen sie herangesprungen, und standen, die Schnauze hoch empor gehoben, die dicken, muskulösen Beine gespreizt, am Fuße der Mauer, als ob sie den Herabspringenden mit ihren Zähnen auffangen wollten.

Aber das waren ja dieselben Hunde, welche von Jim dressirt und lange Zeit ihm zum Gehorsam verpflichtet waren. Statt zu bellen, oder gar ihm an die Gurgel zu springen, wedelten sie mit dem Schweife und schmiegten sich liebkosend an seine Beine. Ein freudiges Winseln ausstoßend, begleiteten sie ihn, indem sie ihn umkreisten, als ob sie nur des Winkes gewärtig wären, um wie früher irgend einer Spur eines entlaufenen Niggers zu folgen.

»Still, Ajax! – Zurück, Sultan!« flüsterte Jim, und stumm legten sich die vorzüglich abgerichteten Hunde in dem Kiesweg nieder.

Wieder kriechend näherte Jim sich dem Wohnhause.

Die Nacht war finster, und die Stille des Grabes herrschte rings umher. Zwischen dem tiefen Grün des Landes, da funkelten Jims glänzende Augen hervor, als wollten sie die Finsternis; durchdringen.

Sein Gehör zur äußersten Schärfe anspannend, suchte er auch das leiseste Geräusch zu vernehmen, namentlich den Tritt der Patrouille, welche jede Nacht in gewissen Zwischenräumen die Besitzungen zu durchsuchen hatte.

Selbst das, was im Hause vorging, hörte er.

Das Ohr eines Schwarzen, der Geruch eines Schwarzen, ja, alle Sinne eines Schwarzen sind unendlich viel schärfer, als die civilisirter Nationen. Ein Nigger ist im Stande, so gut wie ein Indianer, durch seinen Geruchssinn die Spur eines bestimmten Menschen aufzufinden. – Wenn ein Nigger das Ohr auf den Boden legt, so hört er den Tritt der Rosse in meilenweiter Entfernung; ja noch mehr, er vermag die Zahl der Pferde, deren Tritte er hört, zu bestimmen.

Was Wunder also, daß Jim durch die Schärfe seiner Sinne herausbrachte, nicht nur, in welchem Theile des Hauses sich Berckley und Breckenridge befänden, sondern auch, daß in diesem Theile des Hauses keiner der Diener sich aufhielt?

Hundert Anzeichen hatte er, welche ihn das Mittel finden ließen, auf welche Art es ihm möglich sein würde, in das Innere des Hauses unbemerkt hinein zu gelangen.

Er befand sich an dem Weinspalier, auf welchem stehend Esther damals die Liste M'Clellan's durch das Fenster gelangt und wieder hineingelegt hatte.

Vorsichtig wartete er hier, bis die Patrouille vorüber war.

Es glückte. Die Patrouille hatte ihn nicht bemerkt.

Dann schlich er herum nach dem entgegengesetzten Giebel des Hauses.

Auch hier war ein Spalier angebracht, an welchem emporkletternd, er bis auf das Dach eines Wirthschaftsgebäudes gelangte. Mit der Gewandtheit eines Marders, der einen Taubenschlag erklettert, klomm er von hier aus weiter, sich an Simse und Sparren klammernd, bis er das Dach des Wohnhauses erreicht hatte.

Von all den Schornsteinen, die hier mündeten, kannte er den genau, der in die Zimmer des Herrn führte.

Durch die weite Oeffnung, welche der Schornstein oben hatte, kam er leicht hindurch; indessen dort, wo sich die nach den verschiedenen Zimmern führenden Kaminröhren abzweigten, da mußte er sich gewaltsam hindurchpressen, jede Minute in Gefahr, zu ersticken, und in jeder Secunde Folterqualen erduldend durch die Reibung seines wunden Rückens an den scharfen Wänden des Schlotes.

Eine dieser Seitenröhren, welche nur wenige Fuß Länge hatte, führte ihn in den Kamin des Empfangszimmers.

Es war überall finster; sämmtliche Läden waren geschlossen.

Doch was bedurfte Jim hier Licht, wo er jeden Winkel, jedes Möbel genau kannte? Jim wußte, zu welchem Zwecke Berckley und Breckenridge nach White-House gereist waren; er wußte, daß sich in White-House das Geld befände, um dessentwillen man das Verbrechen gegen Miß Emmy Brown unternommen hatte.

Aber wo war das Geld? In welchem Theile des weiten Hauses?

Offenbar in demjenigen Theile, wo er vom Park aus das einsilbige Zwiegespräch der beiden wachehaltenden Herren vernommen hatte.

Das Arbeitszimmer Mr.·Breckenridge's hatte die größte Wahrscheinlichkeit für sich. – Aber wie da hingelangen?

Die Leidenschaft macht, wie die Noth, erfinderisch, und die Rache macht waghalsig.

Die Laden an den Fenstern des Empfangszimmers, das ebenfalls, wie das Arbeitszimmer, im ersten Stock belegen war und unmittelbar an dasselbe grenzten, waren von innen verschlossen.

Durch das Fenster war der einzig mögliche Weg zum Arbeitszimmer, denn die Thüren waren sämmtlich verschlossen. Jim öffnete einen der Laden, öffnete das Fenster; vorsichtig ließ er seinen Blick über die Gänge des Parkes schweifen; mehrere Minuten lauschte er, die Hand an's Ohr gelegt, hinaus, um zu erfahren, in welcher Gegend der Farm sich die Patrouille befinde.

Dann stieg er hinaus aus dem Fenster. Mit den Fingerspitzen sich an die Verzierungen der Wand klammernd und mit den Füßen auf dem abschüssigen Gesims stehend, schwebte er jeden Augenblick in Gefahr, aus der Höhe von 30 Fuß hinab zu stürzen.

Nach wiederholtem vergeblichen Versuche gelang es ihm endlich, mit einem Fuß den Sims des angrenzenden Fensters, eines der Fenster des Arbeitszimmers, zu erreichen. Noch ein gewagter Schritt, und er stand mit beiden Füßen auf dem Sims dieses Fensters.

Nun zog er aus seiner Blouse ein Stück Leder, mit einer klebrigen Masse bestrichen, und einen Kiesel mit scharfen Kanten hervor, fuhr mit dem letzteren einige Male über eine Scheibe, drückte dann das Stück Leder darauf, und – geräuschlos war die Scheibe zersprengt und hatte eine Oeffnung, durch welche er mit der Hand bequem hindurch zu fahren vermochte. Mit einem Messer durch die Spalte des Ladens fahrend gelang es ihm, den Riegel, welcher von innen die beiden Hälften des Ladens zusammen hielt, empor zu heben.

Nach einer Arbeit von noch nicht zehn Minuten befand sich Jim zwei Schritte von dem Schatze, welchen Breckenridge und Berckley in diesem Augenblicke mit Argusaugen bewachten.

»Hier muß das Geld liegen.« murmelte er und schob einen Dietrich in das Schloß des Schreibpultes.

Vergebens. Das Schloß widerstand allen Versuchen, es zu öffnen.

Jim versuchte, mit einem Messer das Schloß heraus zu schneiden.

Wieder vergebens! – Das Möbel war zu compact aus Eichenholz gearbeitet. Tage lange Arbeit hatte es mit einem so mangelhaften Instrument erfordert, um auf diese Weise zum Ziele zu kommen.

»Kann ich das Geld nicht haben,« knirschte er, »so sollen sie es wenigstens auch nicht haben.«

Ein Loch von etwa einem Zoll Durchmesser war durch die Klappe bereits hindurchgearbeitet. Durch diese Oeffnung zwängte er eine der Zündfackeln, das heißt einen kleinen, aus Harz, Pech und anderem leicht brennbaren Material zusammengesetzten Cylinder, deren sich die Marodeurs während des Krieges zu bedienen pflegten, um Ställe, Schuppen, Getreideschober, Holzstöße und dergleichen in Brand zu stecken.

Das Feuer dieser Torpedos brannte mit solcher Heftigkeit und solcher Hitze, daß es sofort alles Brennbare in seiner Nähe entzündete und war durch Wasser nicht auszulöschen.

Zur Vorsicht hatte sich Jim mit einigen solchen Brandfackeln versehen. Nachdem er die eine durch das Loch im Pulte eine andere durch das Actenspind, eine dritte unter ein mächtiges Bücherrepositorium geschoben, zündete er alle drei an.

Dicker Qualm erfüllte das Zimmer.

Mit teuflischer Freude sah Jim den Erfolg seines Beginnens. Nur mit Mühe konnte er ein lautes, dämonisches Lachen unterdrücken.

»Hei,« sagte er, vor dem Pulte stehend, aus dessen Fugen sich der Qualm hervordrängte, »dieser Rauch, das sind Eure Millionen, Ihr räuberischen Wölfe; Eure Millionen werden Euch zu Rauch – und der Euch darum brachte, das war Jim!«

*

Berckley und Breckenridge hatten ihren Posten keine Minute verlassen. Ja, sie hatten es schließlich über sich gewonnen, sich trotz der gegenseitigen Schweigsamkeit nicht mehr dem Einfluß des Schlafes zu überlassen.

Breckenridge war mehr als einmal von seinem Sitze aufgestanden, hatte die Thür geöffnet und auf den Corridor hinausgeblickt, um zu sehen, ob Jemand dort sei.

Allein, die auf den Corridor führenden Thüren waren und blieben verschlossen.

Er war zu dieser Vorsichtsmaßregel veranlaßt durch die wiederholt ausgesprochene Ansicht Berckley's, daß Jemand müsse durch den Park gekommen sein, er habe es im Kies rascheln hören.

»Auf dem Corridor ist Niemand,« beruhigte ihn Breckenridge.

»Sehen Sie aus dem Fenster!«

»Auch dort Nichts,« versetzte sein Wirth. »Sehen Sie nur,« fügte er hinzu, »dort liegen zwei Wächter, die uns längst auf eine Gefahr aufmerksam gemacht haben würden.«

Er deutete auf Ajax und Sultan, welche noch auf demselben Flecke lagen, auf dem Jim ihnen zu warten befohlen hatte.

»Sie hätten denjenigen längst zerrissen, der es gewagt hätte, sich dem Hause zu nähern,« fügte er hinzu.

Berckley war beruhigt.

Mitternacht war längst vorüber. Die ewige Anspannung seiner Sinne hatte Berckley in eine fast fieberhafte Aufregung versetzt. Breckenridge zündete sich eine neue Cigarre an und lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück.

»Ich kann nicht so ruhig sein, wie Sie!« schrie Berckley; »ich schwöre Ihnen, Sir, ich höre Geräusch.«

»Wo? Im Corridor?«

»Nein, nein! ... Da, hören Sie nichts?«

»Knistert's wieder im Kies des Parkes?«

»Auch das nicht! Hören Sie wirklich Nichts, Sir?«

Beinahe krampfhaft erfaßte er Breckenridge's Arm und zog ihn in die Mitte des Zimmers. Seine Augen traten aus dem Kopfe hervor, sein Athem war keuchend, seine Knie bebten, Alles verrieth den höchsten Grad der Aufregung.

»Wie? Sie hören noch nichts?« keuchte er.

Breckenridge erblaßte.

»Bei Gott!« versetzte er; Jetzt höre auch ich das knisternde Geräusch; das ist im Nebenzimmer.«

»In Ihrem Arbeitszimmer, wo das Geld liegt!« ergänzte Berckley.

»Der Schlüssel! Ha! Wo ist der Schlüssel?«

Breckenridge sprang zur Thür. In der Angst und Eile vermochte er nicht, den Schlüssel zu finden.

»Riechen Sie nichts?« fuhr Berckley fort.

»Ja, ja!« stöhnte Breckenridge; »es riecht nach brennendem Papier!«

»Unsere Millionen!« war die halb erstickte Antwort Berckleys.

Der Rauch quoll bereits durch die Fugen der Thür.

»Feuer! Feuer!« ertönte der durchdringende Ruf Breckenridges, als es ihm endlich gelungen war, den Schlüssel in das Schloß zu bringen und die Thür zu öffnen.

»Feuer! Feuer!« schrie er hinaus.

Herbei stürzte die Dienerschaft; aber die Thüren zum Corridor waren ja verschlossen.

Als Breckenridge die Thür seines Arbeitszimmers öffnete, schlug ihm dicker Rauch und lodernde Flamme entgegen. Die Zugluft, welche er geschaffen, gab dem furchtbaren Element erst rechte verheerende Kraft.

Das ganze Zimmer stand in Flammen. Die Repositorien, das Actenspind, das Schreibpult, Alles brannte.

»Unser Geld! Unser Geld!« schrie Berckley und stürzte durch die Flammen nach dem Schreibtisch.

Er war verschlossen, obwohl bereits die Flammen einen Theil der Seitenwände und der Klappe verzehrt hatten.

Flammen und Rauch drohten die Eindringenden zu ersticken. Allein Breckenridge brachte es dennoch zu Wege, daß er den Schlüssel in sein Schreibpult steckte, die Klappe öffnete, ... da aber schlug ihm die Flamme von innen heraus ins Gesicht, daß ihm die Haare versengt wurden.

Der Schrei, den er ausstieß, galt indessen nicht diesem Schmerz. Er galt dem Anblick, der sich ihm darbot.

Alle Papiere und auch die Noten der englischen Bank, welche das Schreibspind in sich geschlossen, sie waren in einen Aschenhaufen verwandelt.

»Feuer! Feuer!« wiederholte sich der Ruf durch die ganze Farm.

Die Dienerschaft mußte die Thüren sprengen, um zu dem brennenden Theile des Hauses zu gelangen. Die Körper zweier Leblosen waren das Erste, was man hinaustrug.

Es waren der Herr des Hauses und sein Gast, Mr. Berckley.

Mit riesiger Schnelligkeit griff die Flamme um sich. – – –

Als am Morgen des nächsten Tages Mr. Sanders auf White-House eintraf, um die Millionen in Empfang zu nehmen, da zeigte man ihm von dem Schlosse die noch rauchenden Ruinen. Als er nach dem Hausherrn fragte, da führte man ihn in ein Zimmer der Wohnung des Statthalters und deutete auf einen von Brandwunden entstellten Mann, der ohne Besinnung da lag.

An der Seite seines Bettes lag auf einen Sopha Mr. Berckley.

Seine Verletzungen waren weniger gefährlich, als die Breckenridges; aber auch er war nicht im Stande, auf Sanders Fragen eine zusammenhängende und aufklärende Antwort zu geben. Es war, als hätte ihm der Schrecken die Besinnung geraubt oder seine Verstandeskräfte erschüttert.

Unverrichteter Sache kehrte Sanders zurück. Vor sich hin murmelte er:

»Ich traue weder Breckenridge noch Berckley und will darauf schwören, die Millionen sind nicht verbrannt, sondern unterschlagen. –

Der Orden mag's entscheiden!«


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