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Hundertundsiebundzwanzigstes Kapitel.
Die Loge des Präsidenten

Booth und Spangler schlugen den Weg nach dem Fordschen Theater ein. Es war etwa zwei Stunden vor der Kasseneröffnung.

Der Haupteingang desselben war von dichten Massen belagert, welche, wie wir bereits wissen, der Ankunft des Präsidenten hier entgegenharrten.

»Wünschen Sie dort hineinzugehen?« fragte Spangler seinen Begleiter, »oder durch den Eingang zur Bühne?«

»Der Letztere ist mir angenehmer!« antwortete Booth kurz.

Spangler schloß eine niedrige Thür am Nordende des Theaters auf, welche auf eine Art Corridor führte, an welchem entlang sich die Garderobenzimmer befanden.

Booth hörte nicht auf die Erklärungen und Auseinandersetzungen seines Begleiters, sondern ging von dem Raume neben den Garderoben aus direkt auf die Bühne.

»Wo ist die Loge des Präsidenten?« fragte er.

Spangler deutete auf eine zur Linken der Bühne gelegene sehr elegant ausgestattete Loge im ersten Range, die mit schweren Seidenvorhängen drapirt war.

»Kann ich die Loge innen besehen?«

»Nein, Sir, das geht nicht an; ich habe keinen Schlüssel. Indessen der Logenschließer wohnt nicht weit; ich könnte ihn rufen.«

»Nein, ich mag es nicht! Kommen Sie, lassen Sie uns versuchen, ob sich die Thür nicht so öffnen läßt. Nehmen Sie einen Hammer und einen Schraubenzieher mit.«

Spangler schüttelte zwar verwundert den Kopf, aber er folgte doch der Aufforderung. Sie stiegen die Treppe hinauf und versuchten durch Anwendung von Gewalt die Thür zur Loge des Präsidenten zu sprengen.

Jedoch das Schloß widerstand.

Er forderte seinen Begleiter auf, einige der Schrauben am Schloß zu lösen. Als das geschehen war, gab die Thür nach.

Er blieb in der Thür stehen und schien die Entfernung von derselben bis zu den an der Brüstung stehenden Sesseln mit den Augen zu messen.

»Dort sitzt er vermuthlich,« murmelte er.

»Ganz Recht, Sir,« bestätigte Spangler; »dort sitzt der Präsident, falls Sie ihn meinen. Se. Excellenz ist ein großer Verehrer des Theaters und sitzt gern nahe an der Bühne.«

Booth that zwei Schritte auf den bezeichneten Sessel zu und streckte die Hand aus. Dann ließ er mit bedeutsamem Nicken die Hand sinken und trat an die Brüstung:

»Man sollte meinen,« sagte er, »daß man von hier aus mit einem Sprunge die Bühne erreichen kann.«

Spangler lachte.

»So viel ich weiß,« versetzte er, »hat noch niemand das Kunststück versucht, und ich habe es mein Lebtag immer für sehr gleichgültig gehalten, ob man's kann, oder nicht.«

»Aber mir ist es nicht gleichgültig!« antwortete Booth barsch.

Er setzte einen Fuß auf den Sessel, einen Fuß auf das Polster der Brüstung und schien den Sprung versuchen zu wollen.

Spangler hielt ihn zurück.

»Thun Sie es nicht, Sir! Sie könnten eine von den Orchester-Lampen zerschlagen, oder einen unglücklichen Fall in's Orchester thun! Versuchen Sie es nicht!«

Booth war kräftig und gewandt: die Entfernung von der Loge zur Bühne war nicht sehr groß, aber doch bedeutend genug, um den Sprung zu einem gewagten zu machen; für Booth genügte die Ueberzeugung, daß ein solcher Sprung möglich sei.

Sorgfältig verwischte er von dem Sessel und der Brüstung die Spur seiner Stiefel; dann ging er auf die Thür zu.

»Hat die Thür keine Vorrichtung,« fragte er, »durch welche sie von innen verschlossen werden kann, so daß man nicht im Stande ist, sie von Außen zu öffnen?«

»Nein,« war Spanglers Antwort; »die Thür kann durch den Schlüssel von Außen immer geöffnet werden.«

»Ich will aber, daß sie eine solche Verrichtung, wie ich angegeben, hat!«

»Ah!« machte Spangler; »ich darf mir aber nicht erlauben, fügte er hinzu, ohne Einwilligung des Directors eine solche Vorrichtung hier anzubringen.«

»Ich hoffe, Sie werden sich das und noch mehr erlauben, wenn ich Ihnen in's Gedächtniß zurückrufe, daß es sich für Sie um den Besitz einer Million handelt, und daß ich noch an diesem Abend, wenn Alles nach Wunsch geht, diese Brieftasche, die, wie Sie sehen, wohl gefüllt ist, in Ihre Hand legen werde.«

Er öffnete bei diesen Worten ein Täschchen und durchblätterte vor Spanglers lüsternen Augen ein ansehnliches Packet Greenbacks.

»Das ist etwas Anderes,« schmunzelte Spangler. »Die Anstalten erscheinen mir in der That so sonderbar, daß ich nicht einmal zu fragen wage, was sie zu bedeuten haben. Aber Sie sind ein Gentleman und es wäre unhöflich von mir, wollte ich Ihr gütiges Anerbieten wegen der Greenbacks da ausschlagen.«

»Hier ist eine Kramme und ein Haken," sagte Booth; »befestigen Sie Beides so an der Thür, daß man dieselbe damit leicht von innen verschließen kann.«

»Aber wenn der Logenschließer, der vorher, ehe der Präsident kommt, die Loge besichtigt, die Vorrichtung entdeckt?«

»Sie muß so angebracht werden, daß sie so leicht nicht entdeckt wird. Warten Sie einmal! Sehen Sie, hier! Die Tapete läßt sich sowohl von der Thür, wie von der Wand ablösen. Machen Sie sie vollends los, befestigen Sie Krumme und Haken darunter, und Beides wird dann durch die Tapete wieder verdeckt sein.«

Spangler fing an zu bohren und zu hämmern.«

»Wer ist da!?« ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Raume des Theaters herauf.

Booth erblaßte, und Spangler schrak zusammen. Er ließ von seiner Arbeit ab. Keiner antwortete.

»Wer ist dort oben in der Loge?« wiederholte die Stimme.

»Es ist Mr. Olin, der Logenaufseher,« flüsterte Spangler.

Dann lehnte er sich über die Brüstung und sagte:

»Es ist etwas am Schloß in Unordnung, das ich reparire.«

»Ah! Sie sind es, Mr. Spangler! Ist nicht Ihre Sache!

Sie haben an den Schlössern der Logen nichts zu machen; es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Schlösser der Logen in Ordnung sind. Gehen Sie auf Ihren Posten in den Maschinenraum!«

Spangler nahm Booth am Arme und führte ihn schleunigst durch den Gang, um ihn unbemerkt auf die Bühne zurückzugeleiten. »

Der Aufseher der Logen war in der nächsten Minute bereits an der Thür, um das Schloß, das angeblich in Unordnung sein sollte, zu revidiren.

»Er hat Sie nicht bemerkt,« flüsterte Spangler seinem Begleiter zu; »ich bitte Sie aber, um keinen Verdacht zu erregen, jetzt so schnell als möglich wieder hinauszugehen Es wird sich bald mehr und mehr vom Theaterpersonal einfinden, und Ihre Anwesenheit hier möchte leicht auffällig und verdächtig sein.«

»Wird sich der Aufseher nicht bald wieder aus der Loge entfernen?« fragte Booth.

»Voraussichtlich ja!« versetzte Spangler.

»So mache ich es Ihnen zur Pflicht, daß bis zum Beginn der Vorstellung die Vorrichtung an der von mir bezeichneten Stelle angebracht ist! Ich werde diesen Abend Gelegenheit haben, mich davon zu überzeugen. Bedenken Sie den Besitz einer Million und dieses Portefeuilles.«

Spangler nickte.

»Ich werde dafür sorgen, Sir. Aber nun eilen Sie!

»Noch nicht, Freund!« antwortete Booth; »ich muß von der Bühne einen Ausgang finden, aus dem man mir so leicht nicht folgen kann.«

»Der bequemste Ausgang von der Bühne aus ist der durch die Garderobenräume.«

»Ich frage nicht nach dem bequemsten Ausgang, sondern nach dem sichersten.«

»Hm! Es giebt noch einen Ausgang von der Bühne aus, aber der hat seine Schwierigkeiten.«

»Zeigen Sie mir denselben.«

Spangler führte Booth durch eine Seitencoulisse. In einem entlegenen Winkel führte eine schmale Stiege hinab in den Maschinenraum, von hier in einen weiten Raum, in welchem Coulissen, Decorationsgegenstände und dergleichen aufbewahrt wurden, wovon freilich Booth nichts sah. Es war stockfinster daselbst.

»Von hier kann man auch nach Außen gelangen,« sagte Spangler.

»Sehr gut,« versetzte Booth, »aber die Finsterniß!«

»Ich werde ein Licht holen, Sir, warten Sie!«

Spangler entfernte sich und kehrte nach einiger Zeit mit einer Laterne zurück. Der weite Raum enthielt ein wahres Chaos von Gerümpel. Es war unmöglich für Einen, der sich hier nicht tagtäglich bewegte, zurecht zu finden.

»Sehen Sie dort hinten die kleine Thür?« fragte Spangler.

»Ich sehe sie.«

»Die führt nach Außen.«

»Wie gelangt man aber hin zu der Thür? Ueber diese Barrikaden von Geräthschaften hinweg würde man eher Hals und Beine brechen, als man die Thür erreicht.«

»Ich werde Ihnen einen Gang frei machen von der Treppe aus gerade aus die Thür zu; ich werde diese Decorationen und Setzstücke bei Seite stellen, so, daß Sie nur geradeaus zu gehen brauchen.«

»Ich will diesen Weg heute Abend zurücklegen, während der Vorstellung. Da ich voraussichtlich große Eile haben werde, so verlange ich, daß es hier hell ist.«

»Ich werde beim Beginne der Vorstellung eine Laterne hierher stellen.«

»Wird das nicht auffallen?«

»In diesen Raum kommt Niemand als ich und diejenigen Leute, welche ich hierher schicke; Sie können deßhalb unbesorgt sein!«

»Und der Ausgang?«

»Ist, wie gesagt, durch jene Thür; die Thür ist immer verschlossen; sie wird heute Abend offen sein.«

»Und im Falle einer Verfolgung ...?«

»Haben Sie nur nöthig, die Thür hinter sich ins Schloß zu werfen.«

»So sind wir einig. Ich habe nur noch Eins. Ein junger Mann, der sich, falls man ihn fragt, Mr. George nennt, wird an dieser

Thür mit einem Pferde halten. Sollten Sie das bemerken, so hindern Sie ihn nicht, er ist in meinem Auftrage da; und sollte er Sie auffordern, statt seiner das Pferd zu halten, so werden Sie sich nicht weigern.«

»Wenn ich Ihnen damit dienen kann, werde ich mich nicht weigern!«

»Auf Wiedersehen!«

»Viel Glück, Sir! Vergessen Sie nicht, die Greenbacks mitzubringen!« – –

Durch die bezeichnete Thür verließ Booth das Theater und schlug einen Seitenweg ein, um von der das Theater umstehenden Menge nicht bemerkt zu werden.

Unwillkürlich führte ihn sein Weg in die Nähe des Platzes, an welchem Stanton und Seward wohnten. Vor des Ersteren Hause befand sich ein kleiner mit Bäumen bepflanzter und parkartig angelegter Platz. Als Booth denselben durchschritt, bemerkte er hinter einem Gebüsch die Gestalt eines Mannes.

Er näherte sich der bezeichneten Stelle. Der Mann, welcher sich Anfangs offenbar hatte verstecken wollen, trat jetzt hervor. Es war O'Laughlin.

»Sie sind auf dem Posten hier?« fragte Booth.

»Alles geht gut,« antwortete der Gefragte. »Er ist soeben zu Fuß fortgegangen, und zwar, wie ich gesehen habe, zu Seward. Gegen neun Uhr wird er zurückkehren Um neun Uhr ist es hier schon halbdunkel; ein guter und wohlgezielter Stoß wird alles unnöthige Geräusch vermeiden, und meine Aufgabe ist bestens gelöst.«

»Wie steht's mit Atzerott?«

»Hat sich bereits an Grants Fersen geheftet.«

»Und Bob Harrold?«

»Hm sich, so viel ich weiß, in Kirkwood-Hôtel neben Mr. Johnston eingemiethet und wird ihm heute Abend auflauern, wenn er aus dem Theater kommt!«

»Guten Erfolg!« sagte Booth; »vielleicht sehen wir uns bald wieder, vielleicht nie mehr. Sehe ich Euch nicht wieder, so bestellen Sie Grüße an unsere Freunde.«

Booth nahm seinen Weg direct nach der Reitbahn des Mr. Young.

Hier fand er bereits George Arnold, welcher den Preis für zwei Pferde ausbedang.

Er hatte die Pferde bereits ausgewählt und probirt.

»Es sind vorzügliche Renner,« sagte er zu Booth, »und das ist es ja, was wir gebrauchen; und was ihre Ausdauer anbetrifft, so versichert Mr. Young, daß sie darin Außerordentliches leisten.«

Booth hatte Nichts gegen die Auswahl der Pferde einzuwenden, sondern befahl seinem Freunde nur, sich um neun Uhr mit denselben vor die kleine Thür an der hintern Seite des Ford'schen Theaters zu begeben.

Theils um die Pferde zu probiren, theils, um seinem Freunde genaue Instruktion zu geben, daß er die richtige Thür nicht verfehle, bestiegen Beide die Pferde und machten einen Spazierritt am Theater vorbei, bei welcher Gelegenheit Booth seinem Freunde die Thür, die aus dem Coulissenraume führte, zeigte.

»Hier,« sagte er, »übergiebst Du Spangler, dessen Person ich Dir bereits beschrieben habe, das für mich bestimmte Pferd. Du selbst, damit Du Dich nicht der Gefahr aussetzest, wartest am Portland-Thor. Dort treffe ich Dich, und von dort aus setzen wir unsere Reise gemeinsam fort. Führe jetzt die Pferde zurück; zwei Reiter fallen in der Regel leichter auf, als zwei Fußgänger. Lebe wohl, George! Hoffentlich sehen wir uns heute Abend am Portland-Thor. – Bin ich bis zehn Uhr nicht dort, so reite allein zu meiner Mutter, welche in Columbia wohnt, und bestelle ihr meinen letzten Gruß·«


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