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Hundertundsiebentes Kapitel.
Ein zum Tode Verurtheilter

Mr. Berckley's Arbeitszimmer sah ziemlich unordentlich aus.

Reisekoffer standen inmitten der Stube, Papiere lagen auf den Tischen ausgebreitet, Pulte und Schubladen standen offen, Documente lagen hier und da zerstreut, und mitten in dem Chaos eilte er von einem zum andern, bald eins der Papiere durchsehend und sorgfältig verschließend, bald ein anderes in den Papierkorb werfend, bald wieder das ziemlich einsilbige Gespräch mit Mr. Breckenridge fortsetzend, welcher auf einem Fauteuil saß und einige Schriftstücke, die ihm Mr. Berckley vorgelegt hatte, durchblätterte.

Auch Mr. Breckenridge war im Reiseanzuge, und wenn man es auch seinem Habit nicht angesehen haben würde, so hätte doch schon der Reisewagen, welcher vor der Thür hielt, und auf welchem die Sklaven des ehemaligen Kriegsministers die Koffer befestigten, darauf hingedeutet.

»Die Wechsel sind gut und sicher,« sagte Breckenridge, die Papiere, welche er in der Hand hielt, in sein Portefeuil legend. »Wie ich sehe, lauten Sie nicht nur auf hiesige Bankhäuser sondern auch auf New-Yorker. Es ist sehr vorsichtig von Ihrem Notar, daß er für alle Fälle gesorgt hat. Fügen es die Umstände, daß durch das Fallissement hiesiger Häuser ein Theil des Geldes verloren geht, so bleibt uns doch der in New-York stehende Theil erhalten. Fünfzig Tausend Dollars haben Sie, wie ich sehe; bereits erhoben.«

»Ganz recht,« sagte Berckley; »Sie wissen, meine Vermögensverhältnisse sind nicht der Art, daß ich ohne die Mitgift meiner Frau standesgemäß leben kann.«

»Das Vermögen Ihrer Frau beträgt Alles in Allem, mit Ausnahme der Besitzung in Jamaika, von welcher die Revenuen von dem Tage ihrer Großjährigkeit an sie selbst gezahlt werden, zwei Millionen, acht mal hundert tausend Dollars. Davon gehört laut dem Contract, den ich Miß Brown unterzeichnen ließ, die Hälfte, also eine Million, vier mal hundert tausend Dollars, Ihnen.«

»Und eine Million Dollars,« versetzte Mr. Berckley, »versprach ich, dem Orden zu vermachen, so daß mir von dem Heirathsgut nur vierhundert Tausend Dollars verbleiben.

»Natürlich setzt der Orden voraus,« bemerkte Mr. Breckenridge, »daß Sie, da diese Heirath nicht eine Privatsache war, sondern vom Orden betrieben und durchgesetzt worden, daß Sie, sage ich, Ihren persönlichen Antheil auf ein Minimum beschränken.«

Berckley biß sich in die Lippen.

»Sie meinen, auch die vierhundert Tausend Dollars hätte ich die Verpflichtung dem Orden zu übergeben?«

»Nicht gerade die Verpflichtung« –

»O, ich verstehe; – ich habe es gewissermaßen als Ehrensache anzusehen.«

»Natürlich,« versetzte Breckenridge etwas spöttisch, »wird der Präsident des Ordens am besten wissen, welche Verpflichtungen der gemeinsamen Sache gegenüber ein Ordensmitglied hat.«

»Mr. Breckenridge, Sie zwingen mich ...«

»Ich bitte um Verzeihung, Mr. Berckley, ich zwinge Sie nicht. Hier diese Anweisung über vier hundert Tausend Dollars gehört Ihnen. Ich werde sie Ihnen heute aushändigen mit den übrigen Papieren; was Sie damit machen, ist Ihre Sache.«

»Sie haben Mr. Sanders natürlich einen detaillirten Nachweis von dem Vermögen meiner Frau übergeben?«

»Natürlich.«

»Auch dem Orden?«

»Auch dem Orden.«

»Verdammt,« murmelte Berckley; »diese Menschen bringen mich durch ihren Patriotismus an den Bettelstab. – Ich werde den letzten Heller hergeben müssen.«

»Der Orden hat natürlich Anspruch auf Ihre Dankbarkeit,« nahm Mr. Breckenridge das Wort wieder.

»Auf meine Dankbarkeit?«

»Nun ja! Hat Ihnen der Orden nicht die liebenswürdigste Frau und die reichste Erbin in Virginien verschafft?«

»Haha!« lachte Berckley höhnisch, »die liebenswürdigste Frau! – Eine Frau, welche zwei Stunden nach der Hochzeit abreist und mir verbietet, je unter ihrem Dache zu erscheinen!«

»Aber sie bleibt doch die reiche Erbin.«

»Die reiche Erbin wird mir weder von ihrem Vermögen noch von ihrem Einkommen aus freien Stücken einen Dollar geben, und den Antheil, welchen ich von ihrem Vermögen als Heirathsgut erhalten, den wird der Orden bis auf den letzten Cent von mir zurück verlangen.«

Mr. Breckenridge schien weder die Bitterkeit, noch die Aufregung seines Parteigenossen zu bemerken. Mit der eisernen Kälte, mit der unerschütterlichen Unbeweglichkeit seiner Züge begegnete er den heftigen Ausbrüchen Berckley's, der nur mit Mühe seine Wuth unterdrückte, mit einer Ruhe, die jeden Andern zur Verzweiflung gebracht haben würde, und kalt, beinahe gleichgültig hörte er es mit an, als Berckley die Gelegenheit ergriff und ihn mit Vorwürfen überschüttete, daß man gerade ihn ausersehen habe, dem Orden dies Opfer zu bringen.

»Warum,« sagte er, »mußte gerade ich derjenige sein, den man benutzte, die Kastanien aus dem Feuer zu holen? Es war Ihr Werk, Mr. Breckenridge, und ich sage Ihnen, daß ich's Ihnen sehr wenig danke.

»Sie hatten Zeit, Sich's vorher zu überlegen,« antwortete Breckenridge kalt.

»Ich bin jetzt gebunden,« fuhr Berckley fort, »Ich habe ein Weib! Selbst wenn ich liebte, und selbst wenn sich mir ein Eheglück in der verlockensten Gestalt böte, ich könnte die angebotene Hand des Glückes nicht ergreifen, denn meine Hände sind gefesselt; das ist Ihr Werk!«

»Sie haben eine Frau, um welche Sie Jeder beneidet.«

»Eine Frau, um welche mich Jeder beneidet?! Eine Frau, welche mich verachtet, Mr. Breckenridge, und das ist Ihr Werk!«

»Es wird Ihre Aufgabe sein, sich die Achtung Ihrer Frau zu erwerben.«

»Die Frau soll mich achten, deren Vermögen ich gegen Ihren Willen verschenke!?«

»Sie thun nur Ihre Pflicht.«

»Meine Pflicht ist, daß ich mich und sie unglücklich mache?«

»Sie werden sentimental.«

»O! Es ist keine Sentimentalität, wenn man beunruhigt ist bei dem Gedanken, sich einen Feind geschaffen zu haben, der sich nicht scheut, mit Dolch und Gift Rache zu suchen.«

»Sie meinen Ihre Frau?«

»Nicht meine Frau, aber deren Freundin oder Schwester.«

»Ah! ich verstehe! Miß Esther!«

»Allerdings, Miß Esther! und es ist eben keine große Beruhigung für mich, zu wissen, daß Miß Esther im Lande und in der Nähe meiner Frau ist. Wo ich gehe und stehe, muß ich befürchten, daß entweder sie selber, oder eine ihrer Creaturen mir in den Weg tritt.«

Breckenridge zuckte die Achsel.

»Tausendmal schon habe ich diese verfluchte Heirath bereut und verwünscht.«

»So hätten Sie zurücktreten sollen, Mr. Berckley.«

»Konnte ich? Durfte ich es des Ordens wegen, durfte ich es meiner politischen Carrière wegen!?«

»Politische Carrière!?« höhnte Breckenridge; »einem Sanders gegenüber können weder Sie, noch ich, noch sonst Jemand auf Erfolg rechnen. Doch was Ihre Furcht betrifft, Mr. Berckley, so finde ich dieselbe nicht sonderlich begründet. Hat Miß Esther Ursache, Jemand zu hassen, so bin ich es; aber Mr. Berckley, ich habe keine Furcht und würde es unter meiner Würde halten, ein Mädchen zu fürchten, und noch dazu ein Mädchen, das noch vor einem Jahre meine Sklavin war.«

»Nun, ich will Ihnen wünschen, daß Ihre Sicherheit Ihnen nicht zum Nachtheil gereicht. Was mich betrifft, so gebe ich mich einer solchen Sicherheit nicht hin; ich habe meine nächste Umgebung im Verdacht, mit ihr im Bunde zu stehen. Den Nigger Jim, welchen ich von Ihnen kaufte, habe ich in's Stockhaus schicken und dort durchpeitschen lassen. Ich wollte, sie hätten ihn zu Tode gepeitscht. Nach meiner Rückkehr soll es das Erste sein, daß ich ihn verkaufe, und zwar bis in den entferntesten Staat, um ihn aus meiner Nähe zu schaffen.«

Breckenridge schwieg und fuhr fort, die Papiere, welche er in der Hand hielt, zu durchsehen, während Mr. Berckley die Schubladen und Pulte verschloß und die umherliegenden Papiere wegräumte.

»Es ist Alles in Ordnung, Mr. Berckley,« sagte Breckenridge, »und es steht unserer Abreise nichts im Wege. Sie wissen, der Kriegsminister erwartet uns morgen oder übermorgen in White-House um das Geld, das Sie dem Orden zu übermachen Willens sind, in Empfang zu nehmen. Lassen Sie uns damit nicht säumen, sondern abreisen und dort vor Zeugen das Geschäft in Ordnung bringen; denn es verlangt mich, dieser Verantwortung los zu sein.«

»Meinetwegen, ja!« sagte Berckley. »Ist's Ihnen gefällig, Sir, ich bin fertig.«

Er klingelte.

»Ist der Wagen bereit?« fragte er den Diener.

»Jawohl, Sir; er hält bereits seit einer halben Stunde vor der Thür.«

»So lassen Sie uns gehen, Mr. Breckenridge.«

Die beiden Herren griffen nach ihren Hüten. – –

Wie wir bereits erwähnten, grenzten ihre Palais in der Yorktown-Straße an einander. Zwei Wagen standen bereit und an jedem die Diener der beiden Junker.

Als dieselben eben aus der Thür heraustraten, trug man durch das Hofthor von Mr. Berckley's Villa eine Bahre, auf welcher ein langer Korb stand, ähnlich denen, in welchen man Verwundete oder Verunglückte in Krankenhäuser zu tragen pflegt.

»Was ist das?« fragte Berckley die Träger.

»Es ist Ihr Nigger, Sir, Jim, dem man nach Ihrer Vorschrift auf dem Stockhause die fünfzig Hiebe mit der neunschwänzigen Katze gegeben hat.«

»Man bringt ihn in einem Tragkorbe ...· ist er todt?«

In seiner Seele dämmerte einige Hoffnung auf, daß ihn die Grausamkeit der Vögte von einem Menschen befreit haben möchte, den er zu fürchten Ursache hatte.

»Todt nicht, Sir,« sagte der Begleiter der Bahre, ein Diener des Profosen-Amtes, mit eigenthümlichem Lächeln; »aber es könnte sein, daß er es nicht lange mehr macht.«

»Wie kommt das?« fragte Berckley, der seine innere Freude kaum zu verbergen vermochte, es indessen nicht für rathsam hielt, dieselbe in Gegenwart so vieler Zeugen laut werden zu lassen; vielmehr stellte er sich, als ob die Strafe, die der Nigger erlitten, seine Theilnahme erregte, – »wie kommt das? Durch fünfzig Hiebe in solchen Zustand gebracht?«

»Nun, Sir,« sagte der Begleiter der Bahre, »der Herr Profoß hat geglaubt, daß er Ihnen gegenüber die Verpflichtung habe, die Hiebe etwas zu verschärfen, und da hat der Vogt, welcher mit der Strafe beauftragt war, vielleicht ein Uebriges gethan.«

»Und ich habe den Vortheil, ihn vierzehn Tage lang pflegen und abwarten zu lassen, ehe ich ihn wieder brauchen kann,« sagte Berckley barsch.

Heimlich aber flüsterte er Breckenridge zu:

»Ich werde mich wohl hüten, ihn zu pflegen, bis er gesund ist; der Hund soll in den Keller geworfen werden, bis er an seinen Wunden krepirt.«

Er ertheilte in leisem Tone seinem Haushofmeister einige dahin gehende Befehle und stieg dann in seinen Wagen.

Die beiden Equipagen rollten davon.

»Wo kommt der Nigger hin?« fragte der Diener des Profosenamtes den Haushofmeister.

»Seht nur die Bahre ab,« antwortete dieser; »wir werden schon dafür sorgen, daß er gut untergebracht wird und werden einen passenden Ort zu seiner Pflege aussuchen.«

Die Männer stelltest die Bahre in die Nähe der Niggerwohnungen, im entferntesten Theile des Hofes, nach den Stallungen zu gelegen, und entfernten sich.

Um die Bahre hatte sich eine Menge Neugieriger versammelt, meist Farbige, theils Sklaven Berckley's, theils von der benachbarten Besitzung Breckenridge's.

Sie hatten den Deckel der Bahre emporgehoben, und in derselben lag Jim mit geschlossenen Augen und völlig regungslos.

Da er halb auf der Seite lag, und sein Rücken entblößt war, so konnte man sehen, wie der letztere eine einzige große Wunde darstellte. Die Geißel, deren man sich zur Züchtigung der Neger bediente, ist schon früher von uns beschrieben worden. Dieselbe hatte den Rücken des Negers vollständig zerfleischt. Ja selbst dort, wo beim Hiebe die Knoten der Geißel über den Arm gefahren, oder um die Seiten herum die Brust getroffen hatten, waren tiefe Wunden oder dicke, blutunterlaufene Striemen sichtbar.

»Er hat genug,« sagte Einer.

»Sehr schlimm zugerichtet,« fügte ein Anderer hinzu.

»Was hat Jim gethan?« fragte ein Dritter.

»Pst!« flüsterten ihm die Nigger zu. »Mr. Berckley hatte ihm Freiheit versprochen und nachher wieder abgeschlagen; da ist er störrisch geworden.«

»Ja, ja,«« höhnte ein Anderer; »geschieht ihm Recht, daß er selbst einmal die neunschwänzige Katze gefühlt. Hat oft genug andere Nigger gepeitscht und kein Erbarmen gehabt, als er noch bei Mr. Sanders Voigt war, wenn er hat Nigger über den Baum gebunden oder auf Bock reiten lassen. Geschieht ihm Recht!« –

»Ja, ja! geschieht ihm recht!« bestätigte auch einer der andern Nigger, der sich vordrängte und sich dicht über den Leblosen beugte; »hat oft genug Nigger gehetzt mit Bluthunden, wenn Nigger fortgelaufen und sich nicht wollten zu Tode foltern lassen. Er hat mit den Bestien Nigger gejagt, bis sie todt nieder fielen, oder bis die Niggerhunde sie festhielten; und dann hat er sie an's Pferd gebunden und sie geschleift, daß sie halb todt zu Hause ankamen ... Ja, ja, Jim, das ist die Strafe; die Rache kommt. Denke an Esther, Jim, denke an Esther, als sie über die Wiese von White-House floh, als Du die Hunde hinter sie hetztest. Ja, ja! Du hättest auch schöne Miß Esther zu Tode gehetzt, wäre nicht weißer Officier ihr Retter gewesen. Das ist die Strafe, Jim! Habe immer gesagt, Verrath an Deinen eigenen Brüdern bleibt nicht unbestraft!«

Während der alte Nigger so halb gutmüthig und theilnehmend, halb vorwurfsvoll und bitter, über den Krankenkorb hingebeugt, sprach, öffnete der Leblose plötzlich die Augen.

»Pet,« flüsterte er.

Der Nigger fuhr empor. Jim gebot ihm mit den Augen Schweigen.

Pet starrte ihn verwundert an.

»Bringe mir Dein Ohr näher,« flüsterte Jim, »damit ich nicht laut zu sprechen gezwungen bin.«

Pet gehorchte, zwar widerwillig, aber doch theilnahmevoll. Er hielt sein Ohr dicht an den Mund Jims und stellte sich, als ob er die Wunden auf den Schultern Jims genau besichtige.

»Pet,« flüsterte der Verwundete, »wo man mich hinbringt, gieb Acht und komm zu mir; ich habe Dir etwas zu sagen, Pet.«

»Mir?« wiederholte dieser erstaunt.

»Ja Dir; es betrifft Miß Esther.«

»Miß Esther? ...«

»Still! man hört uns! geh fort, damit Niemand Verdacht schöpfe.«

»Zurück da, Ihr schwarzen Bestien!« erscholl die Stimme des Haushofmeisters. »Marsch an Eure Arbeit! Was steht Ihr da und lungert? Ihr werdet ihm mit Eurer Zärtlichkeit doch nicht wieder auf die Beine helfen! Du, Red, und John und Cesar, Ihr bleibt hier! Nun, wird's bald?! Marsch! sage ich.«

»O, Massah, muß es denn so eilig sein?« bat Pet; »ich hätte gern diesen schwarzen Teufel, der mich hat so oft durchgepeitscht, als ich noch bei Mr. Breckenridge war, hier sterben oder in's Hundeloch bringen sehen, so feucht und so finster, als das, in welches er mich oft genug gesperrt hat.«

»Haha!« lachte der Haushofmeister, »glaub's Dir wohl, daß der da Dein Freund nicht ist. Es würde Dir Vergnügen machen, ihn mit Füßen zu treten, und falls er noch nicht todt wäre, ihm den Rest zu geben!?«

»Massah nehmen's nicht übel; aber es ist so, wie Massah sagen.«

»Nun, das Vergnügen kannst Du haben,« versetzte der Haushofmeister, dem es im vorliegenden Falle nur darum zu thun war, Leute zu haben, auf die er sich bei dem Geschäfte, das er vorhatte, verlassen konnte.

»Ich würde Ihnen dankbar sein,« versetzte Pet.

»Fasse mit an, und hilf den Korb in's Gewölbe tragen; dort werft ihn ab und laßt ihn liegen, bis ich das Weitere verfüge.«


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