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Sechsundachtzigstes Kapitel.
Ein gefährliches Geschenk

So verschieden wie die beiden Töchter des Mr. Brocklyn in ihrem Aeußern waren, so wenig glichen sie sich auch in Bezug auf ihren Charakter. Während Carlyn still, sinnig, mehr ein geistiges und Gemüthsleben lebte, war Helene die rastlos thätige Wirthschafterin ihres Vaters. Während Carlyn den sittlichen Aufschwung ihres Bruders bewunderte, so war Helene die unaufhörliche Lobrednerin des Characters ihres Vaters.

»Ich bringe gute Nachricht,« sagte sie; »Soeben war der Arzt bei Mr. Seward und erklärte auch ihn für soweit hergestellt, daß er jeden Tag einen kleinen Spaziergang durch den Garten ertragen könne. Miß Brown's Genesung nimmt sichtlich zu; ich begegnete ihr soeben im Park und fand sie so wohl aussehend, daß ich ihren Entschluß, ihre Freunde und Verwandten schon in der nächsten Woche aufzusuchen, nur billigen kann.«

»Dank Deiner unermüdlichen, treuen Pflege, Helene!« sagte Carlyne. »Du hast ein gutes Herz, Helene, und wenn Du manchmal hart scheinst, und wenn ich Dir auch öfter Vorwürfe Deiner allzugroßen Sparsamkeit wegen machen muß, so versöhnst Du mich doch stets wieder durch Handlungen, welche von einem edlen und aufopfernden Herzen zeugen.«

»Nun, diese Anerkennung aus Deinem Munde ist eine seltene, und ist mir deshalb um so mehr werth,« sagte Helene halb scherzend. »Was Du mir aber in Bezug auf allzu große Sparsamkeit vorwirfst, ist durchaus nicht gerechtfertigt, wie Du Dich bald überzeugen wirst. Mac Farlane, jener Ire, der die Waaren aus Newport brachte, war heute früh bei mir und bot mir verschiedene Gegenstände zum Kauf an.«

»Du hast doch Nichts gekauft?« fragte Carlyne.

»Und warum nicht?«

»Hast Du nicht gehört, daß Richard sagte, die Waaren seien vermuthlich keine anderen, als die bei der Pöbelemeute zu Newport erbeuteten?«

»Was weiß Richard! Und wenn es wirklich wäre, so ist es Beute, die im Kampfe gewonnen wurde und unbestrittenes Eigenthum des Siegers bleiben muß. Plündern nicht die Yankees unsre Städte und unsre Magazine auch? Warum sollen nicht unsre Freunde in Newyork einmal Repressalien nehmen?«

»Ich muß gestehen, ich mag von diesen Waaren nichts wissen und sehe es nicht gern, daß Du etwas davon gekauft hast.«

»Und doch hoffe ich, Dich mit meinem Kaufe zu versöhnen; denn, was ich kaufte, ist gerade zum Geschenk für Dich bestimmt.«

»Für mich? Was ist es denn?«

»Du wirst es nicht rathen, Carlyne, denke Dir, ein äußerst eleganter Anzug, der dem reichsten Banquier in New-York, Mr. Ayron Levy, gehört hat und vermuthlich für dessen Tochter bestimmt war. Ich habe diesen Anzug gekauft und für Dich zum Angebinde bestimmt ... Nun, sieh selbst, ob nicht mein Geschenk Dich mit der Geberin aussöhnt.«

Sie deutete zur Seite auf eine eben eintretende Dienerin, die auf dem Arme einen höchst eleganten Damenanzug trug, ein karirtes Seidenkleid, einen seidenen Canessous nebst einem Shawl.

Gegenstände des Putzes sind immerhin ein Anblick, der seinen Eindruck auf ein Weib und namentlich auf ein Mädchen nie verfehlt.

Auch Carlyn vergaß einen Augenblick die Quelle, aus der Mr. Mac Farlane die Kleider bezogen hatte, und bewundernd betrachtete sie jedes Stück. Doch konnten die Bedenken, welche sie gegen denselben soeben geäußert, nur einen Moment in ihrem Herzen zurückgedrängt werden« Schon nach kurzer Zeit traten dieselben aufs Neue hervor, und fast unwillig legte sie die Kleider bei Seite.

»Nein, Schwester,« sagte sie, »muthe mir nicht zu, daß ich Kleider trage, die Nichts sind, als gestohlenes Gut.«

»Gestohlenes Gut! Wie magst Du nur so sprechen, Carlyn. Die Damen des Nordens werden sich nicht scheuen, Kriegsbeute zu kaufen, sofern sie davon benutzen können. Thu' es mir zur Liebe, Carlyn, trage mir zu Liebe die Kleider; ja ich bitte Dich, lege sie noch heute an. Ich werde sie sofort auf Dein Zimmer tragen lassen, und erwarte, daß Du zur Mittagstoilette damit bekleidet bist.«

»Ich mag nicht, Helene.«

»Ich bitte Dich darum, Carlyne. Gieb mir diesen Beweis der schwesterlichen Zuneigung, Carlyne und Deiner Versöhnung.«

»Ich weiß, daß Du mich liebst, Helene, und danke Dir dafür. Ich zürne Dir wahrlich nicht, und halte es nur für eine Handlung der Uebereilung oder Deiner übergroßen Sparsamkeit, daß Du es nicht über Dich gewinnen konntest, den Irländer mit seinen Waaren abzuweisen.«

»Keines von Beiden, Carlyne. Weder Uebereilung noch übergroße Sparsamkeit bewog mich, sondern lediglich das Verlangen, Dir eine Freude zu machen. Darum, Carlyne, zieh die Kleider an; noch heute. Bedenke, sie sind nie getragen, sie waren von dem reichen Banquier wahrscheinlich ebenfalls zu einem Geschenk bestimmt. Uebrigens kann ich Dir zu Deiner Beruhigung sagen, daß nach der Aeußerung des Banquiers die Waaren ihm gar nicht gehörten, sondern ein Geschenk gewesen sind, das Mr. Atzerott, der wie Du weißt, ein treuer Anhänger unsrer Partei ist, für Mrs. Powel bestimmt hatte, von ihr aber zurückgewiesen ward.«

»Um's Himmels willen, Miß! Dann rühren Sie die Kleider nicht an,« rief in diesem Augenblicke eine Stimme hinter den beiden Mädchen. Fast erschrocken blickten sie sich um und sahen Esther Brown in der Thür stehen. Die Krankheit hatte ihr Antlitz gebleicht; indessen das Feuer ihres dunklen Auges nicht erlöschen gemacht. Mit einem fast flammenden Zornesblicke deutete sie auf die Kleider, als sie wiederholte: »Rühren Sie sie nicht an; Die Kleider sind vergiftet.«

»Vergiftet!« riefen beide Mädchen wie aus einem Munde.

»Vergiftet, sage ich,« wiederholte Esther, mit feierlichem Nachdruck, und ihre Lippe bebte vor Aufregung.

»Von einem Buben vergiftet,« fügte sie hinzu, »von einem Schurken vergiftet, den die Ritter des Südens gedungen haben, um unschuldige Menschen zu morden.«

Mr. Brocklyn, der bis dahin nachdenkend am Tische gesessen und sich wenig um das Gespräch seiner Töchter gekümmert hatte, horchte plötzlich auf.

»Was sagen Sie, Miß, die Ritter des Südens hätten Mörder gedungen?«

»Verruchte Giftmischer haben sie gedungen, Sir,« wiederholte Esther. »Sie haben Kleider anfertigen lassen und haben sie im »Gelben-Fieber-Lazareth« zu Leesburg mit Krankheitsstoff des gelben Fiebers vergiftet. Sie beabsichtigten, die Kleider nach dem Norden zu senden, um die Seuche dort zu verbreiten. Bis jetzt, so viel ich weiß, ist das nicht geschehen; indessen, da diese Kleider von Mr. Atzerott herrühren, so schwöre ich Ihnen, daß sie zu denen gehören, die in Leesburg vergiftet sind. Denn ich weiß, daß Mr. Atzerott von dort einen Anzug von dieser Beschaffenheit mitnahm, um die unglückliche Frau, deren Namen Sie eben nannten, Mrs. Powel zu opfern und zwar zu keinem andern Zwecke, als um zu probiren, ob das Mittel sich bewähre. Mrs. Powel aber hat die Kleider zurückgewiesen. Der Hauswirth der Dame hat sie Mr.·Aaron Levy übergeben, um sie Atzerott wiederzustellen zu lassen. Diesem sind sie bei der Pöbelemeute gestohlen worden, und Sie haben sie von dem Dieb gekauft. Das ist die Geschichte der Kleider.«

Helene hatte nicht übel Lust. zu glauben, daß Esther immer noch im Fieber, spreche, und ihre sichtliche Aufregung, ihr verstörtes Aussehen, der Ton ihrer Stimme schienen dafür zu sprechen.

»Miß Esther,« sagte sie daher in sanftem Tone, »sprechen Sie das mit Ueberzeugung, oder giebt Ihnen eine plötzliche Aufregung das ein?«

»Ah!« lachte Esther, und ihr Lachen klang fast wie das einer Wahnsinnigen; »Sie glauben mir nicht, weil Mr. Atzerott ein Freund dieses Hauses ist. Nun, Miß, Sie haben ja Nigger, und die Nigger sind ja dazu da, um solche Experimente mit sich machen zu lassen. – Lassen Sie eine Ihrer Niggerinnen das Kleid anziehen, und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß nicht 24 Stunden vergehen, und sie ist am gelben Fieber erkrankt.«

Mr. Brocklyn sprang auf von seinem Sitze.

»Das muß ich wissen, es wäre eine verruchte That! – Ha, Miß Brown, wenn Sie Recht hätten? ... Ums Himmels willen, die Frau des Mannes, welchen ich ins Unglück brachte, sollte gemordet werden, von dem gemordet werden, der ein Agent meiner Partei ist? ... Es ist fürchterlich zu denken, ich kann es nicht glauben.«

Esther wandte sich ab und sagte:

»Ich habe Sie gewarnt, Miß Brocklyn und stelle es Ihnen anheim, eine Probe zu machen. Ich kann nicht mehr thun; ich habe nicht die Mittel, meine Behauptung zu beweisen. Indessen seien Sie überzeugt, daß ich mit vollem Bewußtsein spreche und meiner Sinne völlig Herr bin. Und wenn Sie, Sir, Atzerott und dessen Anhänger nicht einer solchen That fähig halten, dann bitte ich Sie, begeben Sie sich zu Dr. Blackburn in Leesburg; er wird Ihnen die Wahrheit meiner Aussage bestätigen. Haben Sie mich bis dahin immerhin im Verdacht, daß ich eine Verläumderin sei oder eine Rasende; aber gewähren Sie mir alsdann, wenn Sie sich Ueberzeugung verschafft haben, die Genugthuung, mir zu sagen, daß ich mich Ihnen auf keine bessere Weise dankbar bezeigen konnte, als durch diese, meine Warnung.«

Esther begab sich zurück in den Park.

Das Zimmer, in welchem die eben erwähnte Unterredung statthatte, war, wie gesagt, ein Balkonzimmer, und die Thür nach dem Balkon stand offen, so hatte sie vom Garten aus dieser Kleider erwähnen hören. Es war in ihr der Verdacht aufgestiegen, daß es dieselben Kleider wären, von welchen Mrs. Powel ihr erzählt habe, und sie hatte deshalb nicht umhin können, ihren Wohlthätern ihren Verdacht auszusprechen.

Die Aufregung und der edle Zorn, welcher ihre Wangen geröthet hatte, hatten ihre Kräfte erschöpft. Sie war nicht im Stande, ihren Spaziergang fortzusetzen, sondern ließ sich auf einer an einem Bosquet stehenden Bank nieder, ihr Haupt auf den Piëdestal einer neben ihr stehenden Statue stützend. Die Augenlider schlossen sich ihr unwillkürlich. Ihre Pulse flogen fieberhaft, ihr Busen wogte heftig, und ihren Lippen entfuhren von Zeit zu Zeit Ausrufe, welche die Entrüstung ausdrückten, die sie jedes Mal empfand, wenn von den Nichtswürdigkeiten der Sclavenbarone die Rede war.

Ihre Gedanken hatten sich unwillkürlich von Atzerott abgewandt auf seine Auftraggeber. Da war Mr. Breckenridge, dessen Peitsche auch ihre Schulter mit Striemen bedeckt hatte ... Rache an ihm! – Da war Mr. Berckley, dessen schamlose Sinnlichkeit ein Opfer verlangte, um eine verruchte Handlung zu unterlassen ... Rache an ihm! – Da war Mr. Sanders, dessen Brutalität die Geliebte des theuren Bruders mordete ... Rache an ihm! – Da waren alle die andern Ritter des goldenen Zirkels, deren Herzlosigkeit und deren nichtswürdiger Character ein schwaches, liebendes Mädchen zwangen, sich Ketten aufbürden zu lassen, unter deren Last sie erliegen mußte, welche diejenige, die ihr die Theuerste auf der Welt war, zu dem elendesten Dasein zwingen wollten ... Rache an ihnen Allen! – Da waren jene Mörder, welche die Opfer des Krieges, die in ihre Hände geriethen, durch Hunger und Kälte dem Tode weihten, welche den theuren Mann, dessen Bild tief, unendlich tiefer, als je das Bild eines Menschen ihrem Herzen eingeprägt war, demselben Schicksal hatten weihen wollen ... Fluch allen diesen Werkzeugen der Rebellion! Das Gefängniß zu Millen erinnerte sie an Frederik Seward, den Mann, für den sie ihr Leben hatte opfern wollen, das Leben, das ihr freilich nichts mehr werth war; das Leben aber, das sie sich dennoch zu erhalten wünschte, um Rache an Denen nehmen zu können, die Elend und Schande über sie gebracht ... »O Frederik,« murmelte sie, »warum starb ich nicht, da ich Dich zum letzten Male küßte? Warum war es mir nicht vergönnt, in Deinen Armen zu sterben! Ein süßer Tod, in den Armen des Geliebten zu sterben! – Und bin ich denn Dir nicht gestorben? Darf meine Lippe jemals die Deinige wieder berühren? Darf ich jemals wieder die Schwüre Deiner Liebe hören ...?«

»Du darfst es, Esther, und Du sollst es,« rief eine Stimme neben ihr, ein Arm legte sich stürmisch um ihren Nacken, und eine warme Lippe berührte ihre Stirn.

Esther fuhr empor. Frederik Seward, bleich, mit hohlen, halb verglasten Augen, die indessen in diesem Augenblicke mit einem fast verklärten Glanze leuchteten, saß an ihrer Seite, den einen Arm in der Binde tragend, mit dem andern sie an seine Brust pressend.

»Esther, nur Dir gehöre ich. Wem dürfte ich anders Liebe schwören, als Dir? Wer darf anders die Meine werden, als Du, die Du Dir tausendmal das Recht auf mein Herz und meine Hand erworben? Sprich' mir nicht mehr von Emmy. Wie kann ich Emmy noch lieben, da uns bereits der Tod getraut? Der Tod hat uns Beiden die eisige Hand auf das Haupt gelegt und am Rande der Ewigkeit unsre Hände in einander gefügt. Wir sind erwacht zu einem neuen Leben! – Esther; die Vergangenheit liegt hinter uns. Was in dem vergangenen Leben geschah, es sei vergessen. In dem neuen Leben, das wir jetzt leben, Esther, gehöre ich Dir, Dir allein.«

»Nie, nie!« rief Esther.

Ihre Hände an die glühende Stirn pressend, sprang sie auf und verschwand im Gebüsch. –


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