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Hundertzweiunddreissigstes Kapitel.
Einer vom Complott

Ein guter Criminalbeamter darf so wenig die Geduld verlieren, wie etwa ein Physiker, der irgend einer neuen Entdeckung auf der Spur ist. Die Geduld der beiden Herrn war allerdings auf eine sehr harte Probe gestellt; sie hatten die Nacht hindurch bereits die ganze Schärfe ihrer Sinne angespannt, um zu erreichen, was die Bürger der Republik so dringend erreicht zu sehen wünschten; die Anstrengung und Aufregung, welche sie anwandten, die nichtswürdigen Frevler zu ergreifen, drohte die Spannkraft ihres Geistes zu erschlaffen, und die Aussicht, mit dieser Anstrengung irgend etwas zu erreichen, rückte immer ferner.

Ein gewisser Mißmuth mochte sich auf ihren Mienen ausprägen und sie in der Maskirung ihrer Absicht weniger vorsichtig machen, genug, die Art, wie sie jeden Eintretenden musterten, und jeden Vorübergehenden betrachteten, erregte die Aufmerksamkeit und das Mißfallen der Boarding-Wirthin, welche noch immer hinter dem Buffet thronte.

Ihre ohnehin stets finstere Stirne furchte sich immer mehr, unruhig erhob sie sich mehreremale und sagte endlich mit schneidender Stimme:

»Ich hoffe nicht, Gentlemen, daß Sie an den Personen, welche mein Boardinghouse besuchen, etwas Verdächtiges finden. Ich muß bitten, daß Sie meine Gäste nicht mit solchen Blicken belästigen, als ob unter ihnen ein Verbrecher wäre.«

Der Polizeichef erkannte seinen Fehler. Er nahm sofort eine völlig unbefangene Miene an und wandte sich lächelnd nach der Sprecherin um.

»Ich bitte um Entschuldigung, Ma'am,« sagte er, »wenn es den Anschein hatte, als wollte ich Ihre verehrten Gäste durch meine Blicke beleidigen, ich versichere Ihnen, daß ich nicht das mindeste Mißtrauen hege, vielmehr bin ich überzeugt, daß bei einer so frommen Frau, wie Sie sind, nur die rechtschaffensten Leute verkehren. Sie würden einen Verbrecher in Ihrem Hause nicht dulden.«

»Das will ich meinen, Sir,« versetzte Mrs. Surratt.

»Ja,« fuhr der Polizeibeamte fort, »falls Einer der verruchten Mörder hierher käme, und Sie erkennten ihn, Sie würden ihn eigenhändig der Polizei ausliefern.«

»Das würde ich, Sir,« antwortete« die Wirthin, ohne eine Miene zu verziehen.

Der Polizeichef fixirte sie scharf, aber keine Muskel ihres Gesichts verrieth ein Schuldbewußtsein.

»Noch eine Flasche Porter,« sagte er nach einer Pause.

Miß Mary Surratt, an welche dieser Auftrag gerichtet war, machte ein verdrießliches Gesicht, trotz dessen aber schickte sie sich an, das Verlangte zu bringen.

Ihre Mutter hielt sie zurück.

»Nichts da; die Herren erhalten bei mir nichts mehr; wollen sie Porter trinken, so mögen sie wo anders hingehen.«

»Oho!« rief Mr. Schleiden; »weshalb das, Frau?«

»Weil Sie ein verdächtiges Aussehen haben, Sir. Ich dulde in meinem Hause keine Leute von verdächtigem Aussehen. Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie selbst zu den Mördern Lincoln's gehörten.«

Der Name des theuren Todten wirkte wie ein electrischer Funke auf die Anwesenden. Der Grobschmied richtete sich auf seinem Stuhle hoch auf und legte seine gewaltige Faust auf den Tisch; der Friseur reckte seinen langen Hals empor und sein dünnes Haar schien sich ebenfalls emporzusträuben.

»Der Mörder Lincoln's?« murmelten Mehrere.

»Ergreift sie, haltet sie fest!« riefen Andere.

Die beiden Vigilanten waren bald von einem Menschenhaufen umringt. Man stieß drohende Worte aus und machte Miene, sich ihrer zu versichern.

Da erschien die wohlgenährte Gestalt des Pfarrers Jorey in der Thür.

»Was giebt es meine Lieben?« fragte er mit sanfter Stimme. »Lasset Friede sein unter Euch,« fügte er, als er keine Antwort erhielt, salbungsvoll hinzu. »Es ist nicht christlich, daß in diesen Tagen der Trauer Hader sei unter den Bürgern des Staats. Lasset ab von diesen Männern, meine Freunde, und geht in's Gotteshaus, um zu beten, daß nicht neues Unheil über dies Land hereinbreche.«

»Schweigen Sie, Mr. Jorey,« versetzte der Grobschmied, den Redefluß des Augen verdrehenden Heuchlers unterbrechend, »Sie sprachen von einer Zeit der Trauer, aber ich bin überzeugt, daß Sie in Ihrem Herzen nichts von Trauer empfinden. Sie sind ein Freund der Rebellen, das wissen wir, und möchten gern diese hier unsrer Rache entziehen, aber daraus wird nichts.«

»Vielleicht ist er ein Mitschuldiger!« rief ein Anderer. »Er ist einer von den Geistlichen, die von der Kanzel herab aus der heiligen Schrift zu beweisen suchten, daß die Sclaverei eine gottgefällige, ja von Gott gebotene Sache sei. Er ist ein Demokrat, hört nicht auf ihn!«

Der Geistliche hielt es nicht für gerathen, den Republikanern bei ihrer jetzigen Stimmung länger Opposition zu machen. Theils um sich keinen Unannehmlichkeiten auszusetzen, theils durch einen Wink der Mrs. Surratt aufgefordert, zog er sich zurück, während die Dame vom Hause sich anschickte, ihn zur Kirche zu begleiten.

Schon hatten sich die kräftigen Hände der Umstehenden nach den beiden Fremden ausgestreckt, als plötzlich der Polizeichef aufsprang und nach der Eingangsthür deutete.

Wie wir bereits erwähnten, stand diese Thür offen, und man konnte durch sie hinaussehen auf den Hausflur.

Schleiden folgte mit den Augen dem Winke seines Begleiters.

An der Thür vorüber ging eben ein Mensch von hoher kräftiger Figur, gekleidet wie ein Arbeiter, in blauer Blouse und grau leinenen Beinkleidern, auf der Schulter trug er eine Schaufel und eine Hacke, der große Schirm seiner Mütze verdeckte nicht ganz die düstern scheuen Augen, und unter derselben hervor drang das dichte braune Haar.

»Er ist es!« rief der Polizeibeamte halblaut. »Das Signalement paßt.«

»Es scheint so,« antwortete Schleiden, »nur steht hier« – er deutete auf das Signalement Paynes, das er in Händen hielt – »daß der Mörder Sewards einen eleganten schwarzen Anzug trägt.«

»Er ist verkleidet!« versetzte der Polizeibeamte und wollte hinaus.

Halt!« rief der Grobschmied, ihn am Kragen packend, »nicht hinaus. Ihr seid verdächtig, Ihr müßt uns folgen zur Polizei.«

»Zurück da!« schrie der Angegriffene.

Gleichzeitig riß er Bart und Perücke herunter.

»Kennt Ihr mich?«

Verblüfft wichen die Leute vor dem Polizeichef zurück.

»Ihr wollt den Präsidentenmörder fangen,« fuhr dieser fort; »ergreift den da, und Ihr habt Einen vom Complott!«

»Wen – wen?«

»Den Mann, welcher eben dort an der Thür vorüberging.«

Alle stürzten hinaus.

Mrs. Surratts Gesicht hatte beim Anblicke des gefürchteten Polizeimannes Todtenblässe überzogen.

Nach einigen Minuten ward der Mann mit der blauen Blouse hereingeschleppt.

Die fromme Wirthin war eben im Begriff, sich mit dem Geistlichen zur Thür hinauszustehlen. Schleiden hielt sie zurück.

»Bleiben Sie hier, Mrs. Surratt,« sagte er, ihr in den Weg tretend. »Niemand verläßt dies Zimmer, bevor die Persönlichkeit dieses Mannes festgestellt ist.«

»Wer sind Sie?« fragte der Polizeibeamte den Mann in der Blouse, welcher ihm mit trotzigen, finstern Blicken gegenüberstand.

»Wie Sie sehen, ein Arbeiter,« war die kurze Antwort.

»Wie heißen Sie?«

»Robert.«

»Mit Zunamen?«

»Genügt Ihnen der Name nicht?«

»Was haben Sie hier zu thun?«

»Ich bin herbestellt worden, um den Hof zu reinigen.«

»Hat das seine Richtigkeit, Mrs. Surratt?«

Die Frau, welche sonst nie die Fassung verlor, vermochte nicht zu antworten. Sie nickte nur zum Zeichen der Bestätigung.

Der Polizeibeamte aber ließ sich so leicht nicht irre machen.

»Im Namen des Gesetzes verhafte ich Sie.«

»Mich? – Und weswegen?«

»Sie sind der Mörder des Staatssecretairs Seward.«

Der Gefangene zuckte zusammen.

»Auch Sie muß ich verhaften,« fuhr der Beamte zu Mrs. Surratt gewendet fort. »Sie kennen diesen Menschen und sprechen die Unwahrheit, da Sie behaupten, ihn für eine Tagearbeit gedungen zu haben.«

Mrs. Surratt stieß einen Schrei aus.

»Ich schwöre Ihnen, daß ich unschuldig bin!«

»Das wird sich zeigen, Ma'am. – Wer ist dieser Mann?«

Der Gefangene schlug die Augen zu Boden.

»Beim allmächtigen Gott, ich kenne ihn nicht und habe ihn nie gesehen!« schwur die fromme Frau.

Ihre Betheuerung schützte sie nicht, sie ward mit Robert Payne als Gefangene fortgeführt. Schleiden erhielt den Auftrag, das Haus von oben bis unten zu durchsuchen, und alles Verdächtige der Polizei zukommen zu lassen.

Der Major machte sich sofort ans Werk. Das ganze Hauptgebäude bis in die kleinsten Winkel ließ er von seinen Leuten durchstöbern. Da fanden sich Briefe in einer unleserlichen Chiffernschrift, Portraits von Booth, Jefferson Davis, Lee und andern Rebellen, das Wappen Virginiens mit der Unterschrift: »Virginia die mächtige – sic semper Tyrannis.« Nun ging es an die Seiten- und Hintergebäude, auch das unscheinbarste der Hofgebäude ward nicht verschont.

*

Die Bewohnerin der versteckten Zelle in einem der Hintergebäude den Boardinghauses hatte eine entsetzliche Nacht durchlebt. Mary Powel, die glühende Patriotin, welche selbst ihr Geschlecht verleugnet hatte, um Arm und Kopf dem Vaterlande zu widmen, welche vor keiner Gefahr zurückgebebt war, wenn es galt, der Sache der Republik einen Dienst zu leisten, mußte sich jetzt am Ende ihrer ruhmgekrönten Laufbahn sagen, daß ihre Leidenschaft sie zur Mitschuldigen an Booths Verbrechen gemacht hatte.

In ihrer Hand hatte es gelegen, die Theilhaber des Complotts schon längst der Gerechtigkeit zu überliefern; sie hatte diese Pflicht versäumt. Den Mann, den sie liebte, den sie mit aller Leidenschaft, der ein Mädchen fähig ist, anbetete, dem Henker in die Hände in geben, das hatte sie nicht vermocht. Doch hatte sie andrerseits auch geglaubt ihrer Verpflichtung als Bürgerin der Republik nachkommen zu können, sie hatte gemeint, daß sie im Stande sein würde, jedes beabsichtigte Verbrechen der Verschwornen verhindern zu können, auch ohne den Geliebten zu verrathen, allein sie hatte nicht alle Eventualitäten vorausgesehen. Miß Mary Surratt hatte sie beim Lauschen ertappt, und Mrs. Surratt hatte sie zum Tode verdammt, einer menschlichen Regung in Booths Brust und der warmen Fürsprache Arnolds dankte sie es, daß man ihrer Ermordung eine Kerkerhaft substituirte.

Welch fürchterlicher Gedanke aber für die schwärmerische Patriotin, zu wissen, daß das schwarze Verbrechen, das die Verschworenen brüteten, jetzt zur Ausführung kommen würde, jetzt, da sie es nicht mehr hindern konnte. Tausendmal verfluchte sie ihre unselige Leidenschaft und sich selbst, das Leben ward ihr mit jeder Minute mehr zur Last, der Gedanke, daß sie sich als Mitschuldige bekennen mußte, drückte sie nieder und vernichtete sie. Sie war unbeschreiblich elend.

Vergebens hatte sie Arnold angefleht, ihrem elenden Leben ein Ende zu machen, oder ihr eine Waffe in die Hand zu geben, damit sie selbst im Stande sei, sich von den Qualen ihres Gewissens zu befreien, vergebens hatte sie es versucht, mit den ungeschicktesten Mitteln ihrem Leben ein Ende zu machen – sie sollte zu ihrer eigenen Qual fortleben.

Noch einmal hatte ihr bereits ersterbendes Herz den warmen Hauch der Glückseligkeit empfunden, als sie die Stimme des geliebten Mannes an der Thür ihres Kerkers vernahm, als sie beim Schein der Blendlaterne seine Züge erkannte, allein hundertfach war die Folter, welche sie empfand bei seinem Scheiben. Sie wußte jetzt, daß der gefürchtete Augenblick, da das Verbrechen verübt werden sollte, nahe sei, noch vier und zwanzig Stunden, und der erste Bürger der Republik, die festeste Säule der Freiheit war durch Mörderhand gefallen. – Ha, warum hatte ihr der Mann, der ihr diese Mittheilung machte, nicht den Dolch gegeben, der sie von dem unerträglichen Gedanken befreite! –

Sie zählte die Minuten, bis zum Herannahen der Stunde, welche zur verruchten That bestimmt war.

»Ich kann es nicht überleben!« rief sie. »O, Himmel gieb mir ein Mittel, mich dem verdienten Tode zu weihen.«

Sie zerriß ihre Kleider, um sich mit den zusammengedrehten Zeugstreifen zu erdrosseln. Es mißlang. – Sie suchte sich mit der Decke ihres Lagers zu ersticken, auch das wollte nicht gelingen. In unablässigen Versuchen, ihrem Leben ein Ende zu machen kam der nächste Morgen.

»Jetzt fließen in Washington bereits die Thränen der Bürger, welche ihr Theuerstes beweinen,« stöhnte sie, »und ich, die Mitschuldige des Mörders, ich lebe ... Gott im Himmel, giebt es denn keine Seele, welche erbarmend ein Messer in meine Brust stößt?«

Verzweifelnd, die Hände an die fiebernde Stirn gepreßt, warf sie sich auf die Matratze.

Da ließ sich ein fernes Geräusch hören.

Sie horchte auf ... Es waren Männertritte; sie kamen näher ... Schlüssel drehten sich in den Schlössern, eine sonore männliche Stimme ertheilte Befehle.

»Laßt keinen Winkel undurchsucht, wer weiß ob von den Hunden nicht irgend Einer sich hier verborgen hält – Nur immer weiter den Gang hinauf. Sprengt die Thüren, welche sich nicht öffnen lassen ... Nichts gefunden?«

»Nein, Herr Major,« antwortete eine andere Stimme. »Alle diese Gemächer sind leer, nichts als Schmutz und Gerümpel. Hier würde schwerlich Jemand seinen Aufenthalt wählen; ich glaube, diesen Theil des Gebäudes können wir aufgeben.«

»Keineswegs!« versetzte der Erste wieder. – Vorwärts nur. Der Gang wird hier niedrig ... Da öffnet die kleine Thür dort linker Hand.«

»Sie ist mit einer Stange verschlossen, Sir.«

»Höchst auffällig, wir haben um so mehr Grund, sie zu öffnen, nehmt ein Brecheisen.«

Mit Gekrach gab die Thür einer Arbeit von beinahe zehn Minuten nach.

»Leuchte einmal her. Vielleicht werden hier die Archive der Verschwörung aufbewahrt ... Hierher die Blendlaterne.«

»Der Raum ist ganz leer, Herr Major.«

»Seltsam! – Untersucht die Wände.«

»Da ist eine Thür – Meiner Treu ganz wie eine Gefängnißthür, sogar die Klappe darin, zum hineinreichen der Speisen – wieder mit einer Eisenstange verschlossen.«

»Oeffnet die Thür.«

Das war aber leichter gesagt als gethan, denn dieselbe war mit Eisen beschlagen und mehrfach verschlossen und verriegelt, indessen die Klappe ward bald geöffnet.

»Ist Jemand darin?« fragte die Stimme des Befehlshabers.

Keine Antwort.

»Die Blendlaterne her ... Leuchtet hinein.«

Das grelle Licht der Laterne fiel in die Gefängnißzelle.

Mary Powel hatte längst die Stimme des Major Schleiden erkannt. Aber wehe, wenn er sie hier sah. Mehr als einen Beweis hatte sie, daß sein Herz für sie mehr empfand, als gewöhnlichen Antheil an ihrem Geschick, wie sollte sie es nun über sich gewinnen ihm vor Augen zu treten? – Mußte sie nicht ihm ihre Schuld bekennen und sich seiner Verachtung preisgeben? Würde sie ihn nicht, wie damals in New-York zwingen, gegen seinen Willen ihr Ankläger zu werden? Und wenn auch menschliche Justiz keinen Grund fände sie zu verurtheilen, mußte er im Innern seines Herzens sie nicht dennoch verdammen? –

Beim ersten Klang seiner Stimme sprang sie von ihrem Lager auf und suchte sich zu verbergen, aber die Zelle gewährte ihr kein Versteck, das Licht der Laterne fiel hell und blendend auf ihre abgezehrte Gestalt, wie sie an der Kante des Tisches lehnte.

»Eine Gefangene!« rief der Mann, welcher die Laterne hielt.

»Wie? Eine Gefangene?« wiederholte Schleiden, und sein Gesicht zeigte sich in der Thüröffnung.

Kaum aber hatte er einen Blick auf Marys Züge geworfen, als er einen Schrei der Ueberraschung ausstieß. Sofort ergriff er mit eigener Hand eine Brechstange, und die Riegel krachten unter seiner Anstrengung. Laut und unablässig feuerte er seine Begleiter an, ihm beizustehen, bis endlich für die Gefangene der Weg zur Freiheit gebahnt war.

Sicherlich hat nie ein Gefangener den Sonnenstrahl der Freiheit mit größerem Widerwillen geschaut, als Mary Powel, und sicherlich hat ein Gefangener nie weniger Dankbarkeit gegen seinen Befreier empfunden, als sie empfand Sie zögerte, den Kerker zu verlassen.

Der Major Schleiden schrieb ihr Zögern der Entkräftung ihres Körpers zu und bot ihr seinen Arm.

Sie machte eine abwehrende Bewegung.

»Rühren Sie mich nicht an,« flüsterte sie; »Sie sind viel zu rein von Gesinnung, um sich durch Berührung der Mitschuldigen des Präsidentenmörders zu beflecken.«

Schleiden hielt dafür, daß ihr Verstand durch die Gefangenschaft gelitten. Sanft legte er seinen Arm um ihren Leib, und so, halb sie tragend, halb führend, gelang es ihm, sie in ein Zimmer zu bringen, in welchem man sie pflegen und beruhigen konnte.

Unter Thränen und Schluchzen legte sie ihrem Retter das Geständniß ihrer Schuld ab. Mit inniger Theilnahme hörte Schleiden ihr zu.

»Sie haben gefehlt, Miß,« sagte er, als sie ihre Erzählung beendet. »Es ist wahr, Sie hätten das Unheil verhüten können, das jetzt über die Republik herein gebrochen ist; doch verdamme ich, Sie nicht. Ihre Liebe war stärker als Ihr Patriotismus. Viel, unendlich viel haben Sie dem Vaterlande geopfert, mehr aber noch Ihrer Liebe! – Ich, ich kann Sie nicht verdammen, ich fühle, daß die Seelengröße die Schuld aufwiegt.«

Er schwieg eine Weile; ein Seufzer entrang sich seiner Brust; vielleicht dachte er, wie namenlos glücklich er gewesen sein würde, wenn solche Opfer ihm gegolten hätten.

Mit fast ängstlicher Miene betrachtet ihn Mary. Sie schien zu erwarten, daß er fortfahre, als dies nicht geschah, versetzte sie in fast flüsterndem Ton:

»Sie sind edel, Sir, aber doch weiß ich, daß »Sie mich verachten, wie mich alle Welt verachten wird.«

»Ich Sie verachten, Miß? – Nie!« rief Schleiden mit Begeisterung.

»Dank, Dank!« hauchte Mary. »Bewahren Sie mir ein gutes Andenken, wenn ich nicht mehr bin.«

»Sie werden nicht sterben, Miß Powel, Sie werden leben und noch lange dem Vaterlande Ihre Dienste leihen.«

Mary schüttelte den Kopf.

»Nur der Tod vermag meine Schuld zu sühnen.«

»Reden Sie nicht so,« rief Schleiden lebhaft »Es giebt ein Mittel, einen großen Theil Ihrer Schuld gut zu machen, und das Bewußtsein, Ihrem Vaterlande auf's Neue einen großen Dienst geleistet zu haben, wird im Stande sein, Sie mit Ihrem Gewissen auszusöhnen.«

»Welchen Dienst könnte ich meinem Vaterlande leisten?«

»Sie können den Rebellenpräsidenten fangen helfen.«

»Ich?«

»Sie kennen Jefferson Davis persönlich.«

»Allerdings.«

»Sie würden ihn auch in einer Verkleidung wiedererkennen?«

»Ohne Zweifel.«

»Gut, so sind Sie im Stande, dem Vaterlande einen wesentlichen Dienst zu leisten. Jefferson Davis ist entflohen, wie man jetzt aus zuverlässiger Quelle weiß, ist er nach einer der südlichen Städte gezogen, um von dort aus sich und seine Schätze in Sicherheit zu bringen. Obgleich ein Preis von hunderttausend Dollars auf seine Ergreifung gesetzt ist, ist es doch nicht möglich gewesen, seiner habhaft zu werden. Er befindet sich offenbar in einer vorzüglichen Verkleidung. Von unsern Leuten kennen ihn nur wenige persönlich, und auch diese nicht genau genug, um seine Maske zu durchschauen.«

»Werden Sie die Expedition gegen den Rebellenpräsidenten leiten?«

»Ja, Miß, falls ein Anderer es übernimmt, der Spur des Präsidentenmörders zu folgen.«

Mary Powel seufzte. Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie:

»Es ist meine Schuldigkeit, dem Vaterlande diesen letzten Dienst zu leisten. Ich werde mich der Expedition gegen Jefferson Davis anschließen.«

Sie reichte dem Major die Hand, welche dieser an seine Lippen führte.

Noch an demselben Nachmittage begab sich die Expedition zur Bahn. An der Seite des Majors Schleiden ritt George Borton. Mary Powel hatte wieder ihre Offizier-Uniform angelegt, die Uniform, welche mit Ehrenzeichen aller Art geschmückt war, und welche sie vier Jahre im Dienst des Vaterlandes getragen. Noch einmal legte sie diese Kleider an – zum letzten Dienst.


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