Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundneunzigstes Kapitel.
Die List des Negers

Als Jim das Hotel Miß Brown's verließ, that er es mit äußerst vergnügtem Gesicht und nickte dem steifen Lakaien am Portal so vertraulich zu, indem er auf seine Tasche klopfend, mit einer für einen Neger unerhörten Arroganz sagte:

»Wir sehen uns noch heute wieder, Freund. Sollte die junge Dame, Miß Esther, mit Ihrer Herrin heute noch abreisen, so wundern Sie sich nicht, und auch nicht, wenn Sie in mir ihren Reisebegleiter sehen. – Man ist freier Neger, man ist nicht mehr Eigenthum Mr. Berckley's, man könnte auch in braunem Galaanzuge an der Rampe lehnen und den Tag über Nichts Anderes thun, als die Figuren betrachten, welche dort den Baldachin tragen«.

Und als ihn ein höchst verachtender und äußerst indiguirter Blick des würdigen Mannes in brauner Livree traf, lachte er laut auf und fuhr fort:

»Nur nicht hochmüthig, mein Freund; für künftig werde ich Deine Stelle bekleiden. Du bist viel zu Schade für einen Posten, auf dem es so wenig zu thun giebt, wie auf diesem hier. Du kannst später den meinigen einnehmen; dort werden Deine geraden Beine mehr in Bewegung kommen und laufen nicht Gefahr, völlig zu versteinern.«

Erst als der Gravitätische eine Miene machte, mit seinem langen Heroldsstabe eine auf seinen Rücken gezielte Bewegung auszuführen, sprang Jim die Stufen hinunter und rannte lachend und sich wiederholt nach Negermanier auf die Lenden klatschend, über den Charlestownplatz fort.

Esther war ruhig und gefaßt, wenn auch niedergeschlagen und unheimlich düster vor sich hinstarrend. Sie hatte ein großes Opfer umsonst gebracht, aber sie gab sich der Verzweiflung nicht hin.

Das Gefühl der Rache hielt sie aufrecht und kräftigte sie zu neuen Unternehmungen. Sie hatte mit dem Schwarzen, der ihr Feind gewesen, ein Bündniß geschlossen; denn gegen Keinen war ihr Haß größer, als gegen den, dem zunächst ihre Rache galt.

Emmy empfing die Nachricht, daß die Heirath noch heute vollzogen werden sollte, mit Resignation. Sie hatte sich bereits an den Gedanken gewöhnt und fand sich in ihr Schicksal, das sie bereits als eine unabwendbare Nothwendigkeit anerkannt hatte, um so leichter, als sie damit zugleich eine Freundschaftspflicht gegen die Schwester zu erfüllen meinte.

Esther sagte ihr Nichts von dem Plane, den sie gemacht hatte, um die Heirath noch in der zwölften Stunde zu hintertreiben, sondern sie theilte ihr nur mit, daß um 4 Uhr Nachmittags ein Wagen sie erwarte an einem der Thore der Stadt und daß sie sich deshalb zu einer längeren Reise schleunigst vorbereiten möge.

Emmy war über diese Mittheilung höchlichst erstaunt und fragte, ob das eine von Mr. Berckley getroffene Bestimmung sei.

Esther antwortete kurz:

»Deine Hochzeitsreise, Emmy«, und ließ sich auf weitere Erörterungen nicht ein.

Dann forderte sie Margot noch auf, daß sie ihr einen zuverlässigen Boten schaffen solle, den sie mit einem Auftrage nach Old-Church schicken müsse.

Als Margot hinauseilte, um den Befehl auszuführen, kehrte sie bald wieder zurück mit der Meldung, daß ein Neger dort sei, der Miß Esther dringend zu sprechen wünsche. Derselbe nenne sich Scipio und komme aus dem Libby-Gefängnisse.

Esther sann nach. Scipio? – Sie kannte den Neger – Ha, was konnte ihn nach Richmond geführt haben? –

»Laß ihn eintreten, Margot,« befahl sie.

Der Neger trat ein und sein großes hervorquellendes Auge strahlte vor Vergnügen, als er Esther erblickte. Sie grüßte ihn mit einem herablassenden, freundlichen Nicken des Kopfes und nöthigte ihn, sich niederzulassen. Sie hatte die Dienste nicht vergessen, welche er ihr in Leesburg geleistet hatte, und schuldete ihm daher eine ganz besondere Rücksicht. »

Scipio lehnte die Aufforderung bescheiden ab:

»Ich muß um Verzeihung bitten, Miß Esther, daß ich Sie aufsuche«, fügte er dann hinzu.

»Bitte nicht um Verzeihung, Scipio«, antwortete Esther. »Im Gegentheil, ich freue mich, Dich wiederzusehen und wie es scheint, froher und zufriedener, als Du es damals in Leesburg warst.«

»O, Ma'm, froher, zufriedener ... Ha, ha! – glücklich, überglücklich, selig, wonnetrunken! Ich bin frei, Miß Esther, frei, wie Sie und wie Blackburn und wie Alston und wie alle Weißen in Virginien und Carolina.«

»Du bist frei?« fragte Esther erstaunt.

»Ich bin frei, Ma'm und wäre nicht hier, wäre ich nicht frei. Da, hier ist Freibrief, hier ist Reisepaß; durch ganz Virginien, durch ganz Georgia, durch ganz Carolina kann Scipio reisen, und kein Weißer darf ihn peitschen lassen, wenn er Lust hat, und darf ihn treten und darf ihn ins Gelbefieberlazareth schicken oder ins Hospital zu Libby oder an andere gräuliche Orte, wenn er nicht von selbst hingehen will.«

»Aber Scipio, erkläre mir, wie bist Du zu einem solchen Glück gekommen! – Ich begreife nicht ...«

»Ihr Bruder, Miß Esther, Ihr Bruder ist Ursache.«

»Mein Bruder?«

»Ja Miß. – Lag auf den Tod im Libby-Gefängnisse. Scipio hat ihn gepflegt, hat hinausgeschafft, todtkranken Obrist Brown, und Mr. Cleary hat Freibrief ausfertigen lassen.«

»Wer?« rief Esther erstaunt, und ihre Spannung, diesen räthselhaften Zusammenhang zu ergründen, ließ sie einen Augenblick ihren eigenen Kummer vergessen.

»Mein Bruder war im Libby-Gefängnisse, und ich wußte Nichts davon? Also er war doch von den Feinden fortgeführt, während ich glaubte, daß er in irgend einem Hospital der Union sei?«

»Ihr Bruder, Ma'm, war im Libby-Gefängnisse und lebte heute nicht mehr, wenn ich nicht wäre.«·

»Also er lebt?«

»Lebt und ist munter und gesund und bereits mit auf dem Marsche nach Charleston.«

»Und Cleary, sagst Du, machte Dich frei?«

»Massah Cleary kaufte mich der Gefängnißdirection in Leesburg ab. Hat hohe Summe bezahlt, und hier sein Freibrief.«

Mit glückseligem Gesicht zog er ein Papier aus der Tasche und betrachtete es, wie ein frommer Katholik etwa eine Reliquie betrachtet, indem er es in einiger Entfernung vor sein Auge hielt und dann mit einer gewissen Feierlichkeit vor Esther auf dem Tische ausbreitete, nur leider umgekehrt, sodaß diese sich schwerlich von dem Inhalt hätte überzeugen können, auch wenn sie Lust dazu gehabt hätte. Ihr lag jetzt zunächst viel mehr daran, von dem Schicksale ihres Bruders zu erfahren.

»Erzähle, Scipio, wie fingst Du es an, meinen Bruder zu befreien?«

Scipio erzählte, was der Leser bereits weiß, von dem Besuch Cleary's im Gefängnisse, von seiner Unterredung mit ihm und von dem Contract, den der Ritter des Südens mit dem Neger abschloß.

»Ich war schlau,« fuhr er fort; »pflegte einen oder zwei Tage Massah Brown so, daß der ohne Anstrengung wieder stehen lernte auf seinen Beinen, und als das geschehen, machte ich aus Blauholz und Gummi eine Farbe, bestrich in der Nacht seine Lippen, Nägel, Augen und färbte den übrigen Theil seines Gesichte gelb, rannte dann Hände ringend am andern Morgen zu Mr. Alston und sagte ihm:

»Ein Kranker im Hospital hat das gelbe Fieber. Kommen Sie, Herr Gouverneur, sehen Sie selbst, schon ganz blau.«

»Mr. Alston erschrak furchtbar, und alle Beamten im Gefängniß, meist Weiße bekamen solchen Schauder, daß Keiner hinein wollte in diese Station, und ich erhielt den Auftrag, weil ich ja im Gelben-Fieber-Lazareth so lange gedient hatte, ihn nach meinem eigenen Gutdünken zu behandeln.

»Neben ihm lag ein Todter. Ich bestrich mit meiner Farbe auch ihn und meldete am andern Tage Mr. Alston, es sei schon Einer angesteckt und gestorben. Nun war erst die Furcht groß. Ha, ha, ha! Hatten sehen sollen, Miß Esther, wie alle weißen Krankenwärter davon liefen, wenn ich ihnen nur nahe kam. Fand sich Keiner zum Transportiren des angeblich am gelben Fieber Gestorbenen, mußte ihn selbst auf die Schulter nehmen und zum Todtenhaufen schleppen. Und hier wieder wollten ihn die Leute nicht auf den Karten laden; mußte selbst einen Schubkarren herbeiführen, ihn aufladen und zur Grube fahren.

»Das war's, was ich beabsichtigt hatte. Nun wußte ich genug. Noch an demselben Tage bemalte ich einen Dritten, der im Sterben lag und zwar so, daß er kaum wieder zu erkennen war. Ich meldete nun dem Aufseher, daß schon wieder Einer gestorben sei.

»Schaffe ihn fort, schwarzer Hund,« brüllte er »und zwar so schnell, wie möglich.«

»Ich zog dem Sterbenden die Uniform Ihres Bruders an und diesem die Gefangenkleidung des andern, lud Ihren Bruder, der sich trotz der blauen Lippen und blauen Nägel und blauen Augen zusehends erholte, in meinen Karten und führte ihn den Weg zur Grube hin, lud ihn aber nicht in dieselbe ab, sondern hinter einer Hecke am Wege. Als ich zurückkehrte, war auch der Dritte, der mit der Uniform bereits gestorben und ich meldete ohne jede Furcht vor Entdeckung den Tod des Obersten. Wenn auch wirklich Einer die Leiche hätte besichtigen wollen, es hätte ihn Keiner erkannt, so hatte ich ihn mit der Farbe entstellt.

»Damit ist die Geschichte zu Ende, Miß, Ihr Bruder entkam, ich erhielt den Freibrief und bin hier in seinem Auftrage, um Sie aufzusuchen und bei Ihnen zu bleiben und Sie zu beschützen. Das hat mir Mr. Brown aufgegeben. Vor Allem Sie zu warnen und wenn möglich nach dem Norden zurückzubegleiten.«

»Ich danke Dir, Scipio,« antwortete Esther, ihm mit Wärme die Hand reichend, mit bewegter Stimme. Ich nehme Deinen Schutz an. Deine Warnung indessen muß ich leider unberücksichtigt lassen, Dir nach dem Norden folgen kann ich nicht. Willst Du mir aber Deine Dienste widmen, so wirst Du mich nur noch zu größerer Dankbarkeit verpflichten, und wenn ich meinen Bruder recht kenne, auch ihn.«

»O reden Sie, Miß Esther; für Sie will ich Alles thun, was ich kann; ja wenn es Ihnen nützt, will ich noch einmal nach Leesburg gehen und dort im Gelbenfieberlazareth leben und durch den Geruch meiner Kleider Ihre Verfolger verscheuchen. Sie erinnern sich des Mr. Atzerott? – Ha, wie er rannte, als ich ihm nahe kam.«

Esther erinnerte sich dieser Scene sehr wohl. Indessen machte die Komik derselben auf sie in ihrer gegenwärtigen Stimmung keinen Eindruck.

»Scipio,« sagte sie, »Du wirst noch heute, noch in dieser Stunde nach Old-Church abreisen.«

»Ich soll nicht bei Ihnen bleiben, Miß Esther?«

»Du wirst später bei mir sein Scipio, aber noch heute mußt Du nach Old-Church. Dort wirst Du in dem Hause des Mr. Brocklyn den Obrist Frederick Seward finden. Derselbe war verwundet, ist aber der Genesung sehr nahe. Sage ihm, daß Miß Emmy Brown, seine Braut, noch heute von hier abreist; daß sie gezwungen werden soll, sich zu verheirathen; dieser Heirath aber durch die Flucht entgehen wird. Miß Brown hat Besitzungen auf Jamaika. Wenn wir ein englisches Schiff finden können, so wird sie dorthin gehen und in seinem, wie in ihrem Interesse liegt es, daß er ihr dahin folgt sobald es die Verhältnisse erlauben.« – –

*

Der Hof von Richmond hatte seine Vergnügungen in Charleston abgekürzt und war bereite nach einem kaum vierwöchentlichen Aufenthalte nach Richmond zurückgekehrt, da sich die Nachricht verbreitet hatte, daß Charleston sowohl von der Landseite, als von der Seeseite von den Unionstruppen angegriffen werden solle. Zur See war Faragout mit einer bedeutenden Panzerflotte unterwegs; zu Lande rückte Sherman's Corps vor.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß sich auch bereits Mr. Breckenridge wieder in Richmond befand, und daß dieser Veranlassung genommen hatte, den Präsidenten des Ordens, Berckley, an seine Verpflichtung in Bezug auf die Heirath zu erinnern.

Berckley empfing den Bescheid seines Boten, daß Miß Brown bereit sei, den Ehecontract zu vollziehen, mit einigem Mißtrauen. Er hatte einen heftigen Widerspruch erwartet, und so schlau Jim sonst auch war, so hatte er doch nicht die Fähigkeit, sich in die Seele eines Mädchens wie Emmy hineinzudenken und eine Schilderung von ihren Empfindungen und von der Aeußerung ihrer Gefühle bei dieser Gelegenheit aus dem Stegreif zu machen.

Dazu kam noch, daß sich die rosige Aussicht, von welcher er bereits mit dem Portier im Hause Lady Brown's gesprochen, allzu deutlich auf seinem Gesicht abprägte, um einem Manne, wie Berckley, verborgen zu bleiben. Instinktmäßig ahnte dieser einen Hinterhalt, hütete sich aber, seine Ahnungen merken zu lassen.

Er hatte Miß Brown sagen lassen, daß die Trauung um 4 Uhr vollzogen werden solle. Es war 1 Uhr.

Sofort schrieb er zwei Briefe; den einen an Mr. Breckenridge, den andern aber an den Polizeichef; und beide Briefe übergab er Jim mit der Weisung, sie unverzüglich zu besorgen, und zwar zunächst den an Mr. Breckenridge.

Dieser Brief enthielt eine Aufforderung, um zwei Uhr bei der Trauung zugegen zu sein, wie Jim sehr richtig vorausgesehen hatte. Wenn derselbe aber meinte, daß auch der zweite Brief keinen andern Zweck habe, so mußte er sehr überrascht sein über die Wirkung desselben.

Der Polizeichef las den Brief, welchen ihm der Neger übergab, schellte und befahl einem Polizeidiener, den Schwarzen sofort in's Stockhaus zu führen.

Mr. Berckley hatte nämlich sehr richtig vorausgesehen, daß sein Sclave wegen des Wortbruchs gegen ihn auf Rache sinne. Er hatte dem Polizeichef seinen Verdacht mitgetheilt und es diesem als eine weise Maßregel empfohlen, ihn einige Tage in sicherem Gewahrsam zu behalten.

Außerdem aber enthielt der Brief eine Aufforderung, an den Thoren der Stadt Polizeibeamte zu postiren und eine Abreise Miß Brown's unter jeder Bedingung zu verhindern, bevor nicht der Ehecontract abgeschlossen.

Bereits um 2 Uhr erschien Mr. Berckley in Begleitung eines Notars und Mr. Breckenridge's als Zeugen in der Wohnung seiner Braut.

Emmy sank in Ohnmacht, Esther erblaßte und zitterte vor Wuth; ihre Blicke durchbohrten den Verräther, den Schurken, den Mörder ihrer Unschuld und ihres Friedens, den Verruchten, der mit dem, was einem Mädchen das Heiligste ist, ein verbrecherisches Spiel trieb, der alle Gesetze der Moral, des Gefühls mit Füßen trat, um seine Selbstsucht oder seine viehische Lust zu befriedigen! ...

Aber was half Alles, was konnte geschehen? – Die Ehe ward in aller Form Rechtens geschlossen, Mr. Breckenridge selbst ergriff Emmy's zitternde Hand, welche kaum die Feder zu halten vermochte, und legte sie auf das Papier, und das unglückliche Opfer schrieb den Namenszug, der sie zu der entsetzlichsten Sklaverei verurtheilte, die je ein Mensch erduldete. Mr. Breckenridge eröffnete darauf dem neuen Ehegatten, daß es ihm anheimstehe, das Vermögen seiner Frau nunmehr zu jeder Stunde zu heben. Er legte seine Vormundschaft nieder und in die Hände des Ehegatten. –


 << zurück weiter >>