Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertvierundzwanzigstes Kapitel.
Die Conseilsitzung

Der Donnerstag vor dem Charfreitage, der vierzehnte April 1865, war in Washington ein Festtag, wie ihn die Union vielleicht seit dem unvergeßlichen vierten Juli nicht erlebt hat.

Da kamen die Helden des Feldzuges: Grant, dessen mächtiger Arm die Rebellion zerschmettert, Sheridan, dessen Klugheit und sein berechnete Operationen in den Militairkreisen der ganzen Welt Bewunderung und Staunen erregt und den Beweis geliefert haben, daß auch ein Mann, der nicht im Soldatenrock ergraut ist, sondern bis zum entscheidenden Moment ein bürgerliches Gewerbe trieb, wie jeder andere Bürger, ein tüchtiger Feldherr sein kann, – Farragut, »der Mann mit den hölzernen Schiffen und dem eisernen Herzen«, wie er von seinen Landsleuten genannt wird, der Befehlshaber der Unionsflotte, sie alle zogen in Washington ein, ihre Rosse wateten durch Blumen, ihre Schultern, wie ihr Haupt, waren mit Lorbeeren bekränzt, und, nur den Zipfel ihres Kleides zu berühren, einen freundlichen Gruß, eine Antwort auf eine sinnreiche Huldigung zu empfangen, das dünkte Jeden Einzelnen die höchste Ehre!

Jungfrauen empfingen und begrüßten die Helden, und die Masse der Bürger begleitete sie bis zum weißen Hause, wo des Händedrückens und der Thränen gar kein Ende waren.

Man sah Leute, welche Grants Roß umarmten; man sah Greise, welche sich hinaustragen ließen, um die Männer zu sehen, denen die Freiheit ihre Errettung verdankte.

In den Häusern von Washington blieben an diesem Tage nur Säuglinge und todtkranke zurück. Wie brach der Jubel los, wie weinte Alles vor Freude und Glückseligkeit, als Abraham Lincoln, die Seele Alles dessen, was erreicht war, in seinem einfachen Hausrock hinaustrat, den Helden, welche kamen, um ihm ihre Glückwünsche darzubringen, entgegeneilte, sie einen nach dem andern in die Arme schloß und dann, jedes Ceremoniell außer Acht lassend, einen Arm um Grants den andern um Farraguts Nacken gelegt, in den Flügelthüren des weißen Hauses verschwand.

Abraham Lincoln erst hatte die Freiheit der Republik zur Wahrheit gemacht, Abraham Lincoln war in diesem Augenblicke der Stolz der Nation.

Viele Male mußte er hinaustreten, um den Deputationen die Hände zu schütteln, und die Ovationen, welche ihm gebracht wurden, durch einige freundliche Worte zu belohnen, bis endlich Nicolai der Menge mittheilen ließ, daß Abraham Lincoln gegenwärtig durch die Aufregung angegriffen und dringend mit den Generälen beschäftigt sei, daß er bitte, mit den Ovationen inne zu halten und ihm einige Stunden Ruhe zu gönnen.

Donnernde Cheers aus Old Abem antworteten ihm; die Menge zog sich zurück, aber mit der Verheißung, daß man sich am Abend wieder einstellen, und sich nach seinem Wohlsein erkundigen werde.

Um die Aufregung zu beschwichtigen, theilte Nicolai mit, daß Se. Excellenz diesen Abend das Ford-Theater besuchen werde.

Da wälzte sich die Menge nach dem Ford-Theater. Dasselbe ward belagert von den Leuten, welche hier warteten, um den Präsidenten am Abend zu sehen. Acht Stunden harrten sie hier geduldig aus, nur, um ihm noch einmal ein Lebehoch bringen zu können.

Es sollte das letzte sein!

Die beiden Generäle und der Admiral Farragut verweilten mehrere Stunden bei Lincoln. Grant stattete Bericht ab über seinen Feldzug in Virginien und über Lees Capitulation. Farragut berichtete über die Einnahme von Fort Santer und über die Blockade der Häfen von Süd-Carolina.

Der Ministerpräsident, Mr. William Seward, nahm nicht an dieser Sitzung Theil; seit zwei Tagen lag der Greis schwer krank in seinem Hause.

Er hatte aus dem Süden einen Brief empfangen, ein Schreiben Mr. Conovers.

Durch einen Expressen hatte ihm dieser vorzügliche Kundschafter die Nachricht von der Flucht des Rebellenpräsidenten gegeben und zugleich eine Warnung für den Präsidenten Lincoln ertheilt, da voraussichtlich der Süden einen Mordversuch beabsichtige.

Seward hatte dies Schreiben auf seiner Villa bei Alexandria erhalten. Keinen Augenblick wollte er verlieren, dem Präsidenten die Nachricht zukommen zu lassen.

Er bestieg sein prächtiges Pferd, um noch denselben Tag dem Präsidenten den Brief einhändigen zu können. Allein noch ehe er das Bleackhouse erreichte, ereilte ihn das Unglück, daß er vom Pferde stürzte und einen Kinnbacken zerbrach. Mr. Fisher, der Wirth vom Bleackhouse fand ihn leblos an der Straße und sorgte für seinen Transport nach Washington.

Der Brief, welchen der verwundete Greis, sobald er zum Bewußtsein erwachte, dem Präsidenten übersandte, ward von Lincoln in der Sitzung des vierzehnten April den Generälen vorgelegt.

»Verdammt!« sagte Grant, »daß Jefferson Davis uns entkommen ist! Es ist nur möglich, daß er in Verkleidung entkommen, denn Weitzel hatte alle Thore besetzt; die Minister und sonstigen höhern Beamten, selbst Mr. Sanders, welcher die Staatsarchive in Sicherheit zu bringen gedachte, Alle sind gefangen genommen, nur Jefferson David ist uns entschlüpft!«

Abraham Lincoln lächelte und sagte:

»Sie erhalten meine Verzeihung leichter dafür, als Sie denken, lieber Grant.«

»Es giebt nur zwei Wege, auf denen er entkommen kann,« fuhr Grant fort, »der eine durch Tennessee nach Mexico, der andere über Charleston nach Cuba oder St. Thomas. Für den ersteren Fall habe ich bereits Burnside, für den zweiten Buttler Instruktionen ertheilt und sie dafür verantwortlich gemacht, daß er nicht entkommt, und ich wünsche nur, Ihre Bestätigung dieser meiner Maßregeln zu erhalten.«

Abraham Lincoln liebte es, namentlich, wenn er gut gelaunt war, seine Meinung durch Gleichnisse kund zu geben. Sehr häufig antwortete er mit der Erzählung irgend einer Anecdote, welche zu dem vorliegenden Fall als Gleichniß paßte.

»Als mein Vater,« sagte er mit gutmüthigem Lächeln, »in Ohio Farmer war, lehrte eines Tages ein reisender Quäker bei uns ein. Wir saßen gerade beim Thee, und mein Vater forderte den Gast auf, den seinigen mit Rum zu mischen.

»»Meine Religion verbietet mir den Genuß geistiger Getränke,«« antwortete der Quäler.

»Aber der Thee schmeckt in der That besser,« sagte mein Vater, »wenn Sie ihn mit Rum mischen.«

»»Ich will mein Gewissen nicht beunruhigen,«« versetzte der Gast.

»Beunruhigt sich Ihr Gewissen auch, wenn Sie Rum trinken, ohne es zu wissen?«

»»Nein; wenn hinter meinem Rücken Rum in die Tasse gegossen wird, kann ich ihn ohne Beunruhigung meines Gewissens trinken.««

Mein Vater nahm die Tasse, ging hinaus, mischte den Thee mit Rum, und – der Quäker trank ihn mit Wohlbehagen.

Die Nutzanwendung auf Grants Frage, was mit dem Rebellenpräsidenten anzufangen, fügte Lincoln nicht hinzu. Grant schien dieselbe nicht machen zu können; er schüttelte unwillig mit dem Kopfe.

»Sie meinen, Excellenz,« entgegnete Sheridan, »wenn wir den Rebellenpräsidenten laufen ließen, ohne daß Sie die Erlaubniß dazu gegeben haben, so werden Sie Ihr Gewissen nicht dadurch beunruhigen?«

»Ich habe es nicht gesagt, Mr. Sheridan; Grant hat Vollmacht, nach seinem Belieben zu handeln; seine Anordnungen bedürfen meiner Bestätigung nicht. Ich habe Ihnen nur die Geschichte eines Quäkers erzählt.«

Es leuchtete ein, daß Lincoln von diesem Gegenstand abzubrechen wünschte.

Aug dieser Aeußerung, wie aus manchen andern, welche von ihm, von der Eroberung Richmonds an bis zu seinem Tode registrirt sind, geht deutlich hervor, daß er Milde walten lassen und selbst des Mannes schonen wollte, welcher all' das Unheil über das Land gebracht.

»Und wie haben Sie die Warnung aufgenommen, die dem Briefe beigefügt ist?« fragte Farragut.

»Diese Warnung, Mr. Farragut, hat zur Folge, daß ich den Brief zu den Uebrigen in die graue Mappe stecke; eine andere nicht.«

»Sie sind völlig unbesorgt Excellenz,« bemerkte Sheridan, »wo so viele Freunde sie schon gewarnt haben!? Ich würde Ihnen rathen, gerade jetzt die umfassendsten Vorsichtsmaßregeln zu treffen.«

»Nein, Sheridan! Argwohn und Mißtrauen wären eine Beleidigung gegen die Bürger der Republik. Ich habe die Bürger im Laufe des Krieges von einer edlen Seite kennen gelernt; ich will sie nicht durch Mißtrauen kränken. Mögen sich Tyrannen fürchten und mit Sicherheitswachen umgeben! Der erste Bürger der Republik, der seine Pflicht erfüllt, so gut, wie der letzte, braucht sich nicht zu fürchten, mit einem jeden von ihnen unter einem Dache zu schlafen.«

»Aber Jefferson Davis hat im Lande viele Freunde, wie Sie es im November vorigen Jahres bei der Wahl gesehen haben; alle die Stimmen, welche M'Clellan erhielt, die kamen von den Freunden der Rebellen.«

»Mag Jefferson Davis viele Freunde im Lande haben,« erwiderte Lincoln gelassen, »davon bin ich eben so überzeugt, daß ich im Lande keine Feinde habe; und, ist der Dolch eines Mörders auf mich gezückt, so darf ich nicht, um dem Elenden zu entgehen, Millionen Unschuldige durch Mißtrauen kränken.«

»Sie gehen allein in's Theater, Sir?« fragte Sheridan.

»Ich hoffe, Johnston wird mich begleiten Ihnen, meine Herren, will ich's nicht zumuthen; Sie sind von der Reise ermüdet und werden lieber den Abend im Kreise ihrer Familie, als im Theater zubringen wollen, zumal Sie schon morgen früh wieder abzureisen haben.«

Als Lincoln die Session geschlossen hatte, begab er sich in das Boudoir seiner Gemahlin.

Er führte ein herrliches Familienleben; die Ehe Lincoln's war die glücklichste von der Welt. Er liebte seine Frau zärtlich, und jede Minute, welche seine zahlreichen Geschäfte ihm übrig ließen, widmete er sich ihrer Gesellschaft.

Er hatte gegenwärtig gerade Besuch erhalten; seine Schwägerin, Mrs. Lincoln, die dem Leser bereits wohl bekannt ist, sowohl aus Boston her, als aus den Abenteuern des Macdonald, sie war mit ihrer Nichte, Miß Lavinia Crofton nach Washington gekommen, nicht bloß, um den Schwager und die Schwägerin zu besuchen; sie verband, wie man in Boston allgemein wußte, mit dieser Reise noch einen andern Zweck.

Der jugendliche Capitain in der Unionsflotte, Mr. Richard Brocklyn, hatte um die Hand der schönen Tochter Crofton's angehalten. Lavinia liebte den jungen Mann schon seit dem Moment, da sie ihn im Park ihres Vaters zu Boston zum ersten Male gesehen. Sie hatte ihn bewundern gelernt während ihres Zusammenseins mit ihm am Bord des Macdonald, sie hatte sein Andenken treu in ihrem Herzen bewahrt während der traurigen Zeit ihrer Gefangenschaft auf der Alabama.

Es braucht in Amerika Niemand die Einwilligung irgend eines Menschen zu einer Heirath. Indessen Mrs. Lincoln, so sehr sie sonst für Alles, was das Seewesen anbetrifft, schwärmte, da es sie an ihren Seeligen erinnerte, hatte doch in Folge ihrer letzten Seeabenteuer eine so entschiedene Abneigung gegen Seeleute, daß sie nimmermehr ihre Einwilligung gegeben haben würde zu einer Heirath Lavinias mit einem Seemann.

Sie hatte sich deshalb nur unter der Bedingung mit dieser Heirath einverstanden erklärt, daß Mr. Brocklyn vom Seewesen abginge und ein bürgerliches Gewerbe ergriffe.

Der Vater Brocklyns hatte die Wiederannahme der Besitzung zu Old-Church, welche ihm Mr. Powel hatte zurückschreiben lassen, abgelehnt, und sich nur nach vielem Zureden damit einverstanden erklärt, daß sein Sohn Richard dieselbe übernähme.

Richard Brocklyn entsagte seinem Berufe allerdings nicht gern, da ihm jedoch Lavinia's Besitz mehr galt, als Alles auf der Welt, so willigte er darin, den Aufenthalt an ihrer Seite in Old-Church mit dem Seeleben zu vertauschen.

Die Entlassung aus dem Militairdienste hatte jetzt, nach Beendigung des Krieges, keine Schwierigkeit, Mrs. Lincoln hätte sich also die weite Reise von Boston nach Washington ersparen können; allein, als sie abreiste, war ein solches Resultat noch nicht vorauszusehen gewesen.

Sie war äußerst glücklich, zu sehen, daß ihr Schwager, der Präsident, der Heirath nicht die mindesten Schwierigkeiten in den Weg legte, sondern sofort darin willigte, den jungen Capitain aus der Marine zu entlassen.

Lavinia verwandte diesen Abend dazu, ihrem Geliebten, welcher mit seinem Schiffe vor Charleston kreuzte, dies Resultat zu schreiben; sie schlug es aus, den Präsidenten, dessen Gemahlin und ihre Tante nach dem Theater zu begleiten.

Das Haus des Präsidenten sah diesen Nachmittag nur glückliche Leute.

Wenige Stunden später – wie ganz anders sah es da im weißen Hause, in ganz Washington, in den ganzen Vereinigten Staaten aus! – –


 << zurück weiter >>