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LXI. Peter Lieb, Kursor in der Grammatik und Professor der Logik, grüßt vielmal den Magister Ortuin Gratius.

Hochwürdiger Herr Magister! Es ist hier am Vorpech oder Vorharz Sitte, daß man täglich immer zwei Zechen hält: die eine heißt die Bürgerzeche, beginnt um zwölf Uhr, und dauert bis vier oder fünf Uhr; die andere heißt Nacht- oder Nachzeche, beginnt um fünf Uhr und dauert zuweilen bis acht, neun, auch zehn Uhr, zuweilen sogar bis zwölf und ein Uhr, und wann die reichen Bürger, die Bürgermeister und Zunftvorsteher bei der ersten Zeche gesessen und genug getrunken haben, darin bezahlen sie und gehen nach Hause. Allein das junge Volk und jene Gesellen, die sich nicht viel darum kümmern, was der Weizen kostet, die bleiben bei jener Nachtzeche sitzen und trinken, als gälte es Leib und Seele. Neulich also, als wir auch bei einer Nachtzeche saßen, ich und Herr Petrus, Mönch aus dem Predigerorden, der Euch sehr gewogen ist wegen des Ketzermeisters Jakob van Hoogstraten in Köln – es war zwischen zehn und elf Uhr – da disputierten wir viel darüber, was es mit Eurem Namen für eine Bewandtnis habe. Ich hielt die Meinung fest, Euer Name komme von den Römischen Gracchen her. Allein Herr Petrus, der auch in den Humaniora ziemlich gut bewandert ist, sagte, das passe nicht, sondern Ihr führet den Namen Gratius von der Gnade von oben. Da war auch so ein Windbeutel daselbst, der ein gar grauses Latein machte, sodaß ich nicht alles recht verstand. Dieser sagte, weder von den Gracchen, noch von der Gnade hättet Ihr den Namen Gratius, und machte so viele unnütze Worte, daß ich fragte: »Woher heißt er also Gratius? haben doch andere, gründlich gelehrte Männer langes und breites hierüber Untersuchungen angestellt, und sind zu dem Schlusse gekommen, daß er entweder von den Gracchen, oder von der Gnade den Namen Gratius habe«. Auf dies sagte er: »Die, welche hierüber disputiert haben, waren Freunde von Magister Ortuin Gratius, und jeder hat diesen Namen nach seiner Meinung auf die bessere Seite erklärt; allein dennoch können diese Meinungen der Wahrheit nicht vorgreifen.« Da frug Herr Peter: »Was ist Wahrheit;« und glaubte, jener solle schweigen, wie unser Herr getan hatte, als Pilatus ihn frug. Der aber schwieg nicht, sondern sagte: »In Halberstadt ist ein Henker, der Meister Gratius heißt, und dieser ist Ortuiris Oheim von mütterlicher Seite-, von diesem Henker Gratius führt er den Namen Gratius«. Da konnte ich mich nicht mehr halten und sagte: »Oho, Freund! Das ist eine große Beleidigung, gegen die ich protestiere, und die Magister Ortuin nicht so hingehen lassen darf; ich weiß, Ihr sagt das nur aus Mißgunst, die Ihr gegen Herrn Ortuin hegt. Denn jeder Abkömmling empfängt Namen und Beinamen vom Vater, und nicht von der Mutter: weshalb also sollte dieser gute Magister von seiner Mutter und seinem mütterlichen Oheim den Namen haben, und nicht vom Vater, wie andere?« Da entgegnete er und sagte keck, daß jedermann es hörte: »Es ist wohl wahr, und sollte so sein, wie Ihr sagt; allein er wagt es nicht, seinen Vater mit Ehren zu nennen, weil sein Vater ein Priester ist. Würde er sich also nach seinem Vater nennen, so würde jedermann erfahren, daß er das Kind eines Priesters und einer Hure sei, die man eigentlich Hurenkinder nennt«.

Auf das tat ich abermal ganz beherzt einen lauten Schrei und sprach: »Wie kann das wahr sein? er ist doch ein Kölner Magister; diese segenspendende Universität hat aber ein Statut, daß sie keinen promoviert, der nicht in rechtmäßiger Ehe geboren ist, und folglich etc.« Da entgegnete er: »Mag sie Eheliche oder Uneheliche promovieren, so ist und bleibt Magister Ortuin doch ein Bastard in Ewigkeit«. Hierauf sagte ich abermal: »Was dann, wenn etwa der Papst ihm Dispens erteilt hätte? dann wäre er dennoch legitim, und Du würdest Dich und Dein Gerede schwer gegen die römische Kirche versündigen«. Auf dies sagte er: »Wenn er auch tausendmal Dispens erhalten hätte, so wäre er dennoch nicht legitim«, und führte ein Beispiel an: »Wie es mit einem Juden der Fall wäre, der mit Wasser getauft würde, ohne daß der heilige Geist dabei wäre, daß dieses Wasser nichts fruchtete, sondern er immer noch ein Jude bliebe: ebenso ist es auch mit diesen Bastarden, welche Kinder von Priestern und Huren sind: denn diese Priester können keine Huren in rechtmäßiger Ehe haben, und folglich kann der Dispens ihren Kindern nichts nützen«. Da frug ich wiederum: »Was hältst du also von Herrn Johannes Pfefferkorn?« Er erwiderte: »Ich bleibe fest dabei, daß er noch ein Jude ist«, und indem er die oben berührten Anführungen wiederholte, führte er auch noch das Evangelium Matthäi an, wo steht: »So einer nicht wiedergeboren wird aus Wasser und Geist, kann er nicht in das ewige Leben eingehen«. Weil aber Pfefferkorn niemals wiedergeboren worden ist aus dem Geiste, darum nütze auch jenes Wasser nichts, sondern er wird ein Jude bleiben in Ewigkeit. Auf dieses konnte ich ihm nicht weiter antworten: wir standen auf, ich und Herr Petrus, und gingen schlafen. Nun aber höre ich, daß jener Taugenichts sich rühmt, er habe im Disputieren den Sieg über uns davongetragen, und sei gelehrter, als ich und Herr Petrus. Daher bitte ich Ew. Herrlichkeit, Ihr wollet mir zurückschreiben, wie ich jene Beweise hinsichtlich der Dispensation, sowie auch hinsichtlich der Taufe des Herrn Johannes Pfefferkorn zu lösen und jenem Lecker auf den Schnabel zu binden habe. Und das will ich mein Leben lang wohl um Euch verdienen. Lebet wohl!


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