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XLVII. Bruder Benedikt der Schotte an Magister Ortuin Gratius.

Brüderliche und herzinnige Liebe anstatt des Grußes schicke ich voraus und setze Euch, Eurem Verlangen gemäß, in Kenntnis, daß Euer Brief mir am Feste des h. Michael zugestellt wurde, und will Euch auf Euer letztes Punkt für Punkt antworten. Für's erste fragt Ihr, warum wir Brüder Prediger eine rauhere Stimme beim Singen haben, als die andern Religiosen. Ich sage: es hat dies, wie ich glaube, keinen andern Grund, als die Schriftstelle Jesaias LXI: »Wir brummen alle, wie die Bären, und ächzen, wie die Tauben«. Und darum glaube ich, der heilige Dominikus habe jene Prophezeiung erfüllen wollen. Zweitens fraget ihr, wozu ich mich halte: ob der heilige Thomas, oder der heilige Dominikus heiliger sei? Ich antworte: die Meinungen sind verschieden, und die Doktoren unseres Ordens disputieren in verschiedener Weise: die einen behaupten, der heilige Dominikus sei heiliger hinsichtlich des Verdienstes im Leben, nicht aber hinsichtlich des Verdienstes der Gelehrsamkeit, und umgekehrt, der heilige Thomas heiliger hinsichtlich des Verdienstes der Gelehrsamkeit, nicht aber hinsichtlich des Verdienstes im Leben. Andere sind der Meinung, unbedingt sei der heilige Dominikus heiliger, und beweisen dies durch zwei Gründe. Der erste ist der: der heilige Dominikus ist der Stifter unseres Ordens und so war denn der heilige Thomas, der aus diesem Orden ist, sein Schüler; der Schüler aber ist nicht über den Meister, folglich etc. Der zweite ist der: die Gelehrsamkeit hat nicht den Vorrang vor dem Leben und den Taten: somit, wenn auch der heilige Thomas gelehrter war, als der Dominikus, so war er darum doch nicht auch heiliger. Wieder andere wollen, unbedingt sei der heilige Thomas heiliger, weil es unter allen Heiligen keinen andern Doktor gebe, welcher »der heilige Doktor« heiße, außer der heilige Thomas; und wie Aristoteles der »Philosoph« und Paulus »der Apostel« heiße, so heiße auch Thomas vorzugsweise »der Heilige«, und darum sei er nicht bloß hinsichtlich der Gelehrsamkeit, sondern auch der Heiligkeit heiliger, als der heilige Dominikus. Man entgegnet, der heilige Thomas heiße »heilig« nicht, weil er überhaupt heiliger sei, als alle anderen Heiligen, sondern er sei nur der heiligste unter den heiligen Doktoren, und so sei er nicht heiliger, als der heilige Dominikus, was mir auch ein Alter aus unserem Orden gesagt hat, der mir auch in einem sehr alten Buche zeigen wollte, daß es verboten sei, über den Vorzug zwischen jenen beiden Heiligen zu disputieren. Und darum verlasse ich diese Frage und will sie nicht entscheiden. Drittens fraget Ihr, ob auch ich der Meinung sei, daß Johannes Pfefferkorn im christlichen Glauben verharren werde. Meine Antwort lautet: bei Gott! ich weiß nicht, was ich sagen soll; es ist dies etwas sehr heikeles; Ihr kennt wohl jenes Beispiel bei dem heiligen Andreas: ein Dekan dieser Kirche, ein getaufter Jude, war sehr lange beim christlichen Glauben geblieben und hatte ein ganz rechtschaffenes Leben geführt; nachher aber, auf dem Totenbette, ließ er sich einen Hasen und einen Hund bringen und ließ beide laufen: da packte der Hund den Hasen auf der Stelle; dann ließ er wieder eine Katze und eine Maus laufen, und die Katze packte die Maus. Nun sagte er zu den zahlreich Umherstehenden: »Ihr sehet, die Tiere lassen von ihrer Natur nicht ab: ebenso läßt auch ein Jude nie von seinem Glauben ab, folglich will auch ich heute sterben als ein guter Jude«, und er starb. Da ließen die Bürger von Köln zum Gedächtnis dieser Begebenheit die Wachsfiguren machen, welche sich jetzt noch auf der Mauer vor dem Gottesacker befinden. Ebenso habe ich von einem andern gehört, der auf gleiche Weise, als er auf dem Totenbette lag, sich einen großen Stein bringen, diesen in einen Topf mit Wasser legen und ans Feuer stellen ließ, um ihn zu kochen. Er stand wohl drei Tage am Feuer, da frug er, ob er gekocht sei? Man antwortete ihm mit »nein«, weil es nicht möglich sei, daß ein Stein gekocht werden könne, worauf er erwiderte: »Gleichwie dieser Stein am Feuer niemals weich werden wird, ebenso wird auch ein Jude nie ein rechter Christ, sondern sie tun dies nur des Gewinnes wegen, oder aus Furcht, oder daß sie einen Verrat begehen können; und so will denn ich heute sterben, als ein gläubiger Jude«. Daher, bei Gott, Magister Ortuin! muß man wegen Johannes Pfefferkorns sehr in Besorgnis sein, obgleich ich hoffe, der Herr werde ihm seine besondere Gnade verleihen und ihn im Glauben erhalten, und wir müssen jedenfalls immer sagen, er werde ganz gewiß stets ein Christ bleiben, wegen Johannes Reuchlins und seiner Anhänger. Viertens fraget Ihr, was ich hinsichtlich der Eigennamen für eine Ansicht habe, ob sie keinen Pluralis haben, wie die alten Grammatiker, Alexander und andere behaupten, oder ob sie einen Pluralis haben, wie die Meinung der Modernen und Neuen, wie des Diomedes und Priscianus ist. Ich antworte: die Eigennamen haben keinen Pluralis, als solche; allein zuweilen setzt man sie in den Pluralis und dann müssen sie als Gattungsnamen erklärt werden, wie die zwei Jakobi, d. h. die zwei Apostel, welche Jakobus hießen; die zwei Katone, d. h. zwei Könige oder weise römische Senatoren, welche so hießen; die drei Marien, d. h. die drei Frauen, welche diesen Namen hatten. Ich habe Euch nach meinem besten Wissen geantwortet, wüßte ich es noch besser, so würde ich Euch auch noch besser antworten. Nehmet es daher als wohlgemeint auf. Auch grüßet mir recht viele Male unsern Magister Arnold von Tongern, meinen besonders hochgeschätzten Lehrer.

Gegeben zu S …


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