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XI. Jodokus Schneider an Magister Ortuin Gratius.

Allzeit dauernden Gruß zum neuen Jahr, nebst gutem Glück, wie es in der Welt ist, und womöglich noch mehr, wünsche ich Eurer Herrlichkeit, und tue Ihr zu wissen, daß es mir noch gut von statten geht durch die Gnade Gottes, der mir seine Barmherzigkeit erzeigt hat und, wie der Psalmist sagt: »Der Herr hat mein Flehen erhöret, der Herr hat mein Gebet angenommen«; denn ich bete täglich für meine Sünden, und bitte, daß unser Herr Jesus Christus mir Seele und Leib bewahren wolle, doch mehr noch die Seele, denn der Leib ist Staub und, wie die heilige Schrift sagt: »Du bist Staub, und zu Staub sollst du wieder werden«. Auch hoffe ich, daß es Euch nicht schlecht gehe; denn, wenn einer jene Gnade von Gott hat, daß er stets seine Sünden bereut und andächtig sein Gebet verrichtet, wenn er auch nicht oft fastet, dann läßt Gott der Herr es ihm nicht schlecht ergehen. Ich weiß, daß Ihr ein gutes Gewissen habt und immer eifrig damit beschäftigt seid, für das Beste der Kirche zu sorgen. Weiß ich ja doch, daß Ihr unlängst ein Buch gegen einen gewissen Ketzer Johannes Reuchlin geschrieben habt, und daß dasselbe so meisterhaft abgefaßt ist, daß ich darüber staunen mußte; auch sagte ich zu einem Kursor aus dem Predigerorden, der ein solches Buch herumtrug: »Ich glaube, dieser Mann hat zwei Köpfe, daß er eine einzige Sache mit so vieler Wissenschaft behandeln kann;« allein ich erfuhr auch von diesem Kursor, daß Ihr einen Kommentar über das Buch unsers Magister Arnold von Tongern schreibet, welches derselbe unter dem Titel »Articuli« über die ketzerischen Sätze des »Augenspiegel« verfaßt hat. Schicket mir doch, wann er fertig ist, einen solchen Kommentar, denn ich weiß, daß er ohne Zweifel meine Bewunderung erregen wird, da er alle Beweise, alles Bemerkenswerte, alle Sätze, Schlußfolgerungen und Korollarien vor Augen legt, was nur wenige recht verstehen, weil dieser unser Magister allzu spitzfindig in seinen Schriften ist, wie zumal die Albertisten auf ihrem Wege. Ihr dürft es mirjedoch nicht übelnehmen, daß ich, während Ihr ein Thomist seid, die Albertisten lobe; denn der Unterschied ist nicht groß, und in manchem stimmen sie sehr miteinander überein, aber der heilige Doktor ist gründlicher, und das hat er durch besondere Eingebung des heiligen Geistes, daher heißt er auch der heilige Doktor, obgleich Reuchlin in seinen Schriften ihn nicht so nennt, und darum ist dieser auch ein Ketzer und mag es bleiben in Teufels Namen. Unlängst geriet ich in Zorn über einen Juristen, der ihn verteidigte und schrieb ein metrisches Gedicht gegen ihn; denn ich pflege auch zu dichten, wann ich allein bin, nach »Bebels Kunst, Verse zu machen«, welche gar scharfsinnig ist. Das Gedicht lautet aber folgendermaßen:

Herrscher im Sternengezelt, ihr Götter, gepriesene Mutter
Christi, neige dein Ohr gütig zu meinem Gebet,
Was dein Diener erfleht für die heilige Gottesgelahrtheit,
Welche mit Schriften verfolgt Reuchlin, der böse Jurist:
Kein hell denkender Kopf, und nicht von oben erleuchtet,
Wie man von dein verlangt, welcher gefallen dir will.
Bringe daher huldvoll bei deinem Sohne die Bitt' an:
Unserer Fakultät helfend zur Seite zu stehn.

Es ist eine Elegie und wird skandiert wie das erste Versmaß im Boethius, welches beginnt »Carmina qui quondam studio etc.« Der Bote hat mir aber nicht gesagt, daß er so schnell zurückkehren wolle, sonst hätte ich Lust gehabt, Euch mehrere Gedichte zu senden, welche ich zur Verteidigung der Kirche und des Glaubens gemacht habe. Seid daher darauf bedacht, mir einen solchen von Euch bearbeiteten Kommentar zu schicken; dann will auch ich Euch wieder eine Sendung mit etwas Neuem machen. Lebet wohl! Eiliglich, seliglich, inbrünstig.

Gegeben zu Olmütz in Mähren.


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