Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zum letzten Male saßen sie im Goldenen Ei alle zusammen beim Morgenbrot und waren guter Dinge. Wenn Gilbrecht auch, von seiner Wanderschaft kaum zurückgekehrt, das Vaterhaus noch einmal verlassen mußte, so war es doch nur auf die kurze Spanne eines Jahres, und mit jedem Schritte, den er jetzt, sein Liebstes hinter sich lassend, vorwärts tat, eilte er ja seinem künftigen Glück entgegen, wie er es sich niemals hatte träumen lassen.

Herr Heinrich Viskule kam, ihm Lebewohl zu sagen.

»Wo sind Hildegund und Balduin?« fragte Gilbrecht erstaunt.

»Draußen in der Heide wirst du sie treffen«, erwiderte der Bürgermeister; »Hildegund will ohne Zeugen von dir Abschied nehmen.« Dann drückte er ihm ein leidlich schweres Päckchen in die Hand, das Gilbrecht verschämt zurückweisen wollte, aber dankend einsteckte, als Herr Viskule sagte: »Nun? Mein künftiger Eidam wird mir doch einen Badegroschen verstatten? Und hier ist auch der Brief an Herrn Bartholomäus Overdyk in Lübeck. Du kommst zu ihm in treue Hut, und merke wohl, Gilbrecht! Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind des Kaufmanns Tugenden, und die höchste Redlichkeit ist seine Ehre; er soll mit Fleiß auf seinen Nutzen sehen, aber keinen Pfennig unsauberen Gewinnes darf seine Hand berühren! Gelobst du mir, das zu halten dein Leben lang?«

»Ja, Herr Vater, mein Leben lang!« sprach Gilbrecht.

»Gut, mein Sohn! So fahre wohl, und Gott sei mit dir! Übers Jahr, wenn du wiederkommst, holst du dir die Braut heim; ich werde unterweilen das Nest für euch bauen. Auf Wiedersehen, Gilbrecht, übers Jahr!«

Der Bürgermeister ging, um Gilbrecht seinen Eltern und Geschwistern allein zu überlassen. »Ist es nicht seltsam?« sprach Gilbrecht. »Mit einem Briefe bin ich in die Stadt hereingekommen, und mit einem Briefe gehe ich wieder hinaus.«

»Nur daß du den einen als Böttcherknecht brachtest und der andere dich zum künftigen Kaufherrn macht«, bemerkte Arnold. »Der Tausch ist nicht übel, vermein' ich. Einen besseren Wanderbrief konnte dir kein Meister schreiben.«

»Und ist auch sonst noch ein Unterschied dabei«, sagte Gilbrecht. »Streit trug ich mit dem Brief in die Stadt hinein, und Frieden laß ich nun darin zurück.«

»Das walte Gott!« sprach der Ratsherr.

Die Scheidestunde schlug. Gilbrecht war wanderfertig, sein Felleisen gerüstet und mit allem Nötigen reichlich versorgt.

Der Ratsherr wünschte den Abschied kurz zu machen und drängte zum Aufbruch, zumal draußen auf der Straße schon die Brüderschaft der Böttcherknechte in großer Anzahl versammelt war, um ihrem wandernden Gesellen das Geleit zum Tore hinaus zu geben. Aber Frau Johannas Mutterherz war schwer, und sie zögerte den letzten Augenblick so lange wie möglich hin. »Ich sehe dich noch mit Sack und Pack da in der Tür stehen, Gilbrecht«, sagte sie, »an dem Abend, als du uns ganz unerwartet aus der Fremde wiederkamst. Nie vergess' ich den Anblick!«

»Über Jahr und Tag kannst du ihn noch einmal genießen«, sprach Gotthard, »aber wenn Gilbrecht wiederkommen soll, muß er doch erst einmal fortgegangen sein.«

Ilsabe brach aus dem Laubgewinde des Zirkels einen rötlichen Eichenzweig und steckte ihn Gilbrecht an den Hut, gleichsam als Ersatz für das Wacholdersträußchen, das sie ihm bei seiner Ankunft vom Hute genommen hatte.

»Lebe wohl, Jungfer Henneberg!« lächelte Gilbrecht. »Das nächstemal sage ich guten Tag Frau Viskule!«

»Fahre wohl, altes treues Bruderherz!« erwiderte Ilsabe und umschlang ihn.

Die Mutter faßte sich herzhaft, klopfte den Liebling und sprach: »Glück auf den Weg, Gilbrecht! Und Gott schenk' uns ein frohes Wiedersehen!«

Dann brachten sie ihn bis vor die Haustür, blieben aber im Beischlag stehen.

»Lebe wohl, Vater!« sagte Gilbrecht und fügte scherzend hinzu: »Halte auch auf gut Regiment im Rat von Lüneburg!«

»Lebe wohl, mein Junge!« sprach der Sülfmeister. »Wir wollen beide nicht vergessen, daß wir ehrbare Böttcher waren.«

Ein letzter Händedruck an Mutter und Schwester, und Gilbrecht trat zu den Gesellen der Brüderschaft, unter die sich auch Arnold, Jakob und Lutke mischten. Gilbrecht hatte ihnen gesagt, daß er nach Lübeck ginge, aber verschwiegen, daß er nun Kaufmann werden wolle. Den Gottespfennig, der ihm als Geschenk von der Brüderschaft zukam, hatte er dankend ausgeschlagen und den Brüdern das Geld für die wandernde Tonne gegeben mit der Bitte, das Bier auch ohne ihn auf sein Wohl zu trinken, womit sie zufrieden waren.

Sie setzten sich grüßend in Bewegung. Der Böttcherknecht, der mit Gilbrecht zusammen Sengstake auf dem Flusse verfolgt hatte, trug ihm jetzt nach altem Brauch sein Felleisen, so weit wie die Brüderschaft mitging.

Singend zog die Schar durch die hochgiebligen Straßen zum Bardowicker Tor hinaus, und so klang ihr Lied:

Frisch auf, du treuer Knabe,
Was hält dich noch zu Haus?
Du mußt am Wanderstabe
Geschwind zum Tor hinaus.

Ach laßt mich noch mal blicken
Trautliebchen ins Gesicht,
Noch einmal nur mich nicken:
Lieb Kind, vergiß mich nicht!

Nein, nein, du mußt sie meiden,
Gabst ihr den letzten Kuß,
O Scheiden und o Leiden,
Wenn eins vom andern muß!

So laßt mich noch mal drücken
Des alten Meisters Hand,
Am Flusse von der Brücken
Mich schauen Stadt und Land.

Der Meister hat vergessen,
Wer sein Geselle war,
Der Fluß trieb unterdessen
Viel Wasser schon zu Tal.

So kehret vor dem Gehen
Noch einmal mit mir ein
Und trinkt aufs Wiedersehen
Noch ein, zwei Krügelein.

Zieh hin, Gesell, und grüße
Das Handwerk weit und breit,
Und brauche deine Füße
Und nutze deine Zeit.

Freu dich in Lust und Leben
Und tröste dich in Not:
Von Dornen stets umgeben
Blühn Rosen weiß und rot.

Bis an die Landwehr brachten sie ihn; dann gebot der Altschaffer halt. Gilbrecht nahm sein Felleisen auf den eigenen Rücken, und die Gesellen schlossen einen Kreis, in den sich Gilbrecht und der Altschaffer zur Leitsage ihm gegenüberstellte. Hier unter freiem Himmel sprach des Altgesell:

»Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk! Bis hierher, Bruder Gilbrecht, haben wir dir ein freundliches Geleit zum Tor hinaus gegeben; darum kannst du nicht traurig, sondern mußt desto froher sein. Frisch auf, mein Junggesell! Und habe guten Mut zur Wanderschaft; so wird es sich ja wohl mit dir schicken. Du hast deine Feder gen Mitternacht geblasen; so lauf denn, lauf ein Loch in die Welt hinein, daß man es mit zehn Fuder Heu nicht zustopfen kann! Es gibt überall milde Herzen, die dir eine leidliche Liegerstatt gönnen, und bekommst du kein Gericht, das fausthoch über die Schüssel steht, so findest du wohl ein Stück weißes Brot und einen guten Trunk an einem kühlen Brunnen, wo die zarten Jungfräulein wohnen.

Wenn du an ein Wasser kommst, so siehst du wohl eine große Perle darin liegen, auf deutsch nennt man's einen Mühlenstein, und um den Teich sitzt ein Haufen grüner Männer, die rufen Arg! Arg! Laß dich nicht hindern und irren, mein Junggesell! Und wenn die schwarzen Raben dich anschreien oder die alten Weiber dich anbetteln, so wandere fürbaß und halte dich nicht auf bei Leuten, die das Handwerk im Winkel auf den Dörfern erlernt haben, wo die Hunde über die Zäune springen, denn die Bauern sind grob, sie schlagen gemeiniglich zwei- oder dreimal auf denselben Fleck.

Grüße mir Meister und Gesellen, soweit das Handwerk redlich ist; ist es nicht redlich, so nimm Geld und Geldeswert und hilf redlich machen; ist es nicht redlich zu machen, so laß Diebe und Schelme sein und meide Pfuscher und Bönhasen, soweit man ein weißes Pferd im flachen Felde sehen kann.

Wo die Böttcher Reiftag halten, da gehe herzu und nenne deinen ehrlichen Schleifnamen; dann trinkt dir jedermann eher einen Krug Bier oder Wein zu, dessen du sonst darben müßtest. Wenn du aber Durst hast, so schlage mit der Kanne auf den Tisch und laß die Zeche mit weißer Kreide an einen schwarzen Balken schreiben.

Alles, was Schatten wirft, laß dich nicht schrecken, alles, was unter der Sonne Gutes ist, laß dir dienen und das Beste behalte in der Heimlichkeit deines Herzens, damit desto mehr Glück dazu schlage.

Wo man meiner im argen gedenkt, da gedenke meiner im Guten; ich will dir Fuß darum halten und desgleichen tun wie alle ehrlichen Gesellen, die vor uns gewesen sind und die nach uns kommen.

Fahre wohl, mein Junggesell! Und kehre gesund und fröhlich wieder! Wenn dir aber der Rückweg verleidet wird, und du die liebe Heimat nicht wiedersehen sollst, so findest du wohl auch in der Fremde ein freies Grab, und der barmherzige Gott mache dir die Erde leicht! Lebe wohl! – So scheid' ich von dir und du von mir. Viel Glück ins Feld, Bruder Gilbrecht!«

Die Böttcherknechte reichten ihm nach der Leitsage alle die Hand zum Abschied, zuletzt Arnold und Lutke. Dann kehrten die Gesellen um, und Gilbrecht schritt einsam und allein mit seinen Gedanken in die Heide hinaus.

Er war noch nicht weit gegangen, als er an eines der kleinen Gebüsche kam, die hier und da zerstreut wuchsen. Da trat ihm mit höflichem Gruß ein einzelner Mensch daraus entgegen: Timotheus Schneck!

»Ich wußte deinen Weg«, sprach der Schuster, »und habe hier auf dich gewartet, um –« er stockte und fuhr dann mit einem verlegenen Lächeln fort: »– um nachzusehen, ob auch dein Schuhwerk für die Wanderschaft in gutem Stande ist.«

»Willst du mich hier in der Heide neu besohlen?« lachte Gilbrecht. »Du hast etwas auf dem Herzen, Timmo!«

»Laß mich eine kleine Strecke mit dir wandern«, sprach Timmo. »Weißt du noch, als wir von Uelzen her selbander durch die Heide zogen und du mir zuredetest, ich sollte statt in Lübeck erst einmal in Lüneburg mein Glück versuchen? Dafür wollte ich dir danken; denn ich habe mein Glück gefunden. Daniel Spörken hat mir versprochen, wenn ich noch ein paar Jahre bei ihm bliebe, wollte er mir die Werkstatt übergeben und sich zur Ruhe setzen, und dann könnte ich auch mein Holz und Salz haben und die Florentine freien. Was sagst du dazu?«

»Tu's Timmo, tu's! So gut wird dir's nicht wieder geboten.«

»Schon recht!« lachte der Schuster. »Wenn ich's nur so lange aushalte; aber das Sitzfleisch, Bruder, das Sitzfleisch! Daran fehlt mir's.«

»Sei gescheit, Timmo, und bleib da!« sprach Gilbrecht. »Oder sehnst du dich heim?«

»Heim?« wiederholte Timmo und lachte bitter dabei. »Ich habe kein Heim.«

»Timmo, jeder Mensch hat eine Heimat und soll das Fleckchen Erde, wo er geboren ist, in Lieb' und Ehren halten.«

»Wohl dir, daß du's kannst! Ich tät's auch gern.«

»Als du bei deiner Einfahrt aus dem Hemsbecher trankst, machtest du ein finsteres Gesicht, und es kamen unfrohe Worte aus deinem Munde. Sage, was ist's mit dir?«

»Sollst es wissen«, erwiderte Timmo, »wirst es ja nicht weiterplaudern. – Ich hatte auch Vater und Mutter, aber ich kann nur mit Schaudern an sie denken. Der Vater war Söldner und geleitete Fuhrleute und reisende Kaufleute, aber was er damit verdiente, das vertrank er und gewöhnte sich an das Leben auf des Reiches Straßen, so daß er zu Hause keine Ruhe mehr hatte. Wenn er heimkam, so hatte er leere Taschen, aber große Worte und erzählte Geschichten, die niemand glauben wollte. Wenn ihm die Mutter Vorwürfe machte, so schlug er sie und uns Kinder auch, weil wir darüber heulten; halbtot hat er uns manchmal geschlagen. Da verfluchte ihn die Mutter, und er ging davon, ließ uns im schrecklichsten Elend und kehrte nicht wieder. Die Mutter nahm einen anderen Mann, mit dem sie schon lange vertraut war. Der wollte von den Kindern des Landläufers nichts wissen und verstieß uns, und die Mutter litt es, weil wir die Züge des Vaters trugen. Wir waren drei Brüder, und ich der jüngste. Ich habe die anderen beiden nie wiedergesehen, nie wieder von ihnen gehört. Ein Kerzengießer brauchte einen Jungen, und ich kam ihm gelegen, als ich bei ihm bettelte. Aber ich hielt nicht aus, lief aus der Lehre und log mich von einem Dorf zum anderen, bis ich halb verhungert nach Darmstadt kam. Ein mitleidiger Schuster nahm mich auf, und ich tat gut und lernte sein Handwerk. Ihm hab' ich es zu danken, daß ich ein ehrlicher Mensch geworden bin. Meine Mutter habe ich nicht wiedergesehen, wollte es auch nicht. So habe ich mir allein durch die Welt geholfen, aber das unruhige Blut meines Vaters steckt in mir, und ein wenig Flunkern ist mein größtes Vergnügen; aber ich bin doch ein Schuster geworden, der sein Handwerk versteht. Und nun weißt du alles.«

»Timmo«, begann Gilbrecht –

»Sage mir kein Wort«, fiel der Schuster ein, »sondern vergiß es so schnell wie möglich, was ich dir erzählt habe; ich habe es auch beinah vergessen. Siehst du die Reiter dort in der Heide. Die lauern dir auf, und du wirst ihnen den Wegzoll nicht weigern, den sie dir abverlangen. Dabei will ich nicht stören. Lebe wohl! Lauf dir die Sohlen nicht schief, nimm kein falsches Geld, und wenn du einmal nicht weißt, ob du lachen oder weinen sollst, so lache, lache aus vollem Halse, das ist tausendmal gescheiter. – Viel Glück ins Feld!«

»Auf Wiedersehen, Timmo!«

»Fahr wohl, Sülfmeistersohn!«

Sie reichten sich die Hände und der Schuster wandte sich stadtwärts.

Gilbrecht schritt wacker aus in der offenen, nun baumlosen Heide, aber die Reiter kamen ihm schon entgegengetrabt. Es waren Balduin und Hildegund.

»Kommst du, mein Fahrender?« rief ihm Hildegund zu, sprang geschickt vom Pferde, dessen Zügel sie Balduin übergab, und ging mit Gilbrecht Hand in Hand zu Fuß, während Balduin langsam nebenherritt, ohne an der halb geflüsterten Unterhaltung der Liebenden teilzunehmen. Aber endlich mahnte er Hildegund zur Rückkehr.

Nun gab es einen langen, heißen Abschied, bis Hildegund sagte: »Jetzt sei mein Ritter und hilf mir in den Bügel.« Da beugte Gilbrecht das Knie, und darauf fußend, schwang sich die geübte Reiterin leicht in den Sattel.

Auch Balduin drückte dem Freunde die Hand; dann noch ein Winken herüber und hinüber, und Gilbrecht zog seine Straße fürbaß. Die Geschwister aber hielten noch lange auf demselben Fleck und blickten dem sich mehr und mehr Entfernenden schweigend nach.

Schon war er über Rufweite hinaus, da plötzlich gab Hildegund ihrem Pferd einen Druck und sprengte in sausendem Galopp hinter dem Wandernden her. Als sie ihn eingeholt hatte, sagte sie: »Der letzte Kuß sollte keinen Zeugen haben!« bog sich vom Pferde zu Gilbrecht herab, umschlang ihn und küßte ihn.

»Behüt dich Gott, meine Hildegund!« sprach er.

»Übers Jahr, Gilbrecht! Übers Jahr!« jubelte sie.

Schnell warf sie das Roß herum und jagte zu ihrem harrenden Bruder zurück.

Die Heide stand in voller Blüte. Bis in grenzenlose Ferne lag sie rundum in einer schimmernden Pracht, und die Farben spielten und wechselten in wundervollem Glanze. Das zarte Rosa der einzelnen Blüten wob sich, weil meilenweit dicht gedrängt Busch an Busch und Blüte neben Blüte stand, zu einer einzigen, gleichmäßigen Decke von einem freudigen Hellrot, das je ferner vom Auge, je satter und reicher wurde und allmählich in echten Purpur überging. Dann legte sich unmerklich ein bläulicher Hauch über das leuchtende Meer, durchdrang es stärker und leitete es sanft in ein herrliches, vollgetränktes Violett, das sich immer tiefer, immer dunkler hinauszog, bis es in letzter Ferne sich in ein vollkommenes Schwarz zu verlieren schien.

Noch immer konnten sie sich sehen, über die nun Scheiden und Meiden verhängt war. Manchesmal stützte Hildegund die Hand auf das Kreuz ihres Pferdes und schaute rückwärts dem geliebten Wanderer nach, der in immer kleiner, immer schwächer werdender Gestalt durch die prangende Flur dahinschritt. Je größer aber der Raum der Trennung wurde und auf je farbendunklerem Grunde sich Gilbrecht bewegte, desto schwieriger ward es, sein mattes, immer weiter entrückendes Bild zu erkennen. Mehr als einmal schon hatte sie ihn verloren; dann hielt sie ihr Pferd an und suchte die Ferne zu durchdringen. Er kam auch immer wieder zum Vorschein, noch nicht losgelassen von ihr, mit Blicken der Sehnsucht zurückgezogen in Sichtbarkeit des Daseins. Aber war das langsam, kaum unterscheidbar sich regende Wesen, der unsichere, irrende Punkt dort wirklich ihr jugendlich schöner Bräutigam, der blonde Gilbrecht? O ja! Sie sah ihn mit rüstigen Schritten dahinziehen, den Ranzen breit auf dem Rücken, den Wanderstab fest in der Hand und mit dem bekränzten Hut auf dem lockigen Haupt – mit dem Herzen sah sie ihn so, mit den Augen nicht mehr. Er war spurlos verschwunden in der sonnigen Pracht der endlos blühenden Heide.


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