Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Elftes Kapitel

Lange vor Mittag war Meister Gotthard wieder zu Hause. »Nun?« fragte Frau Johanna. »Wie schmeckte Ambrosius sein Wein, und wie lautete Hans Laffert sein Rat?«

»Ambrosius sein Wein war gut, bei Hans Laffert bin ich nicht gewesen, gehe vielleicht heute abend hin«, erwiderte der Meister, band sich sein langes, braunes Schurzfell um und machte sich in der Diele an die Arbeit. Aber es wollte nicht recht damit flecken; statt fleißig zu hobeln, stand er oft mit aufgestütztem Arm an die Fügebank gelehnt, in Gedanken verloren. Jakob stieß Arnold leise an und deutete mit dem Kopf nach dem Meister. Träumerisch und lässig bei der Arbeit, so kannten sie ihn gar nicht; es mußte ihm sehr Schweres im Sinne liegen, oder er war krank.

»Ist dir nicht recht, Vater?« fragte Arnold. »Soll ich die Dauben zurichten? Das Binden hier eilt nicht.«

»Laß nur«, erwiderte der Meister; »mir fehlt nichts, ich hatte mir nur etwas zu überlegen.« Arnolds Teilnahme, an die er nicht mehr gewöhnt war, freute ihn aber, und nun ging das Stabholz in seinen Händen wieder flink und kreischend über das Eisen hinweg, daß die Späne flogen.

Die Zeit des Wartens und Bedenkens war für Gotthard Henneberg zu Ende. Schon war er durch Zufall oder durch heimliche Mitteilung verzagt mißbilligender, vor dem Äußersten zurückschreckender Eingeweihter hinter manches andere von dem schändlichen Vorhaben der Verräter gekommen, was seine Geduld auf eine harte Probe stellte. Was er aber heute von Ambrosius von dem Rhyne erfahren hatte, die Hinterlist, mit der man ihn fangen wollte, die unmenschliche Behandlung Springintguts und dessen beschwörendes Wort um Rache, das ihn an der Seele gepackt hielt wie die grausige Mahnung eines abgeschiedenen, ruhelosen Geistes, das rüttelte den gelassenen, bedächtigen Mann mit Gewalt aus seiner Untätigkeit auf und spornte ihn zu einem entschlossenen Handeln. Jetzt schien auch ihm das Eisen heiß genug zum Schmieden, und um zur rechten Stunde schlagfertig zu sein, mußte man anfangen zu rüsten.

Als die Vesperglocke ausgeläutet hatte, verließ er das Haus, um sich zu Schnewerding zu begeben, ging langsam und nicht den nächsten Weg. In der Schrangenstraße traf er mit dem Amtsmeister der Gerber zusammen, begrüßte ihn und sprach: »Wir haben wohl einen Weg, Peter?«

»So?« sagte Peter Flachs. »Weißt du denn, wo ich hin will?«

»Du willst nach dem Meere zu Schnewerding«, erwiderte Meister Gotthard.

Der Gerber sah ihn erstaunt an, sein Gesicht verklärte sich zusehends, als ginge ihm plötzlich ein Licht auf, und er fragte: »Gotthard! – Kommen noch mehr?«

»Noch vier außer uns.«

»So hast du uns bestellt!« rief Peter Flachs. »Willst vom Leder zieh; brav, brav, Gotthard! Es wird auch wahrlich Zeit, daß wir uns regen.«

»Still!« sagte der Böttcher. »Mach kein Aufhebens hier auf der Gasse, wir müssen Vorsicht brauchen.«

»Hast recht«, erwiderte der Gerber, »aber ich kann meine Freude kaum hehlen.«

Sie gingen in ruhigem Gespräch weiter und fanden bei Schnewerding schon den Maurermeister Stephan Bartels, sowie Kerkrink und Schuttenhelm vor. Die waren bereits von Schnewerding verständigt, wozu er sie geladen hatte, und drückten den Ankommenden die Hände wie die Wissenden eines Bundes, die zu hochwichtigem Raten und Taten zusammentreten und sich stumm ihre Treue versichern. Der Harnischmacher war stolz darauf, daß die kleine Versammlung in seinem Hause tagte; er hatte Knechte und Jungen zu entfernen gewußt und in der Wohnstube neben der Diele einen Tisch mit sieben Stühlen darum gestellt, damit die Verschwörer ordentlich Sitzung halten konnten. Schiffer Kerkrink, der in seinen jüngeren Jahren noch nach Hamburg fuhr, sagte kein Wort, aber dem ernsten wetterbraunen Gesicht des abgehärteten Mannes sprach eine eiserne Willenskraft. Stephan Bartels knüpfte mit Gotthard Henneberg eine leise Unterhaltung an; Schuttenhelm aber, der lebhafte Schmied, war voll Unruhe, und seine Erregtheit suchte sich in Worten und Späßen Luft zu machen, denn er freute sich auf den endlich bevorstehenden Kampf. Wiederholt sah er aus dem Fenster, ob Eekholt noch nicht käme, der Kuntor- und Paneelenmacher.

Schnewerdings Frau trat herein mit einer Schenkkanne voll Bier und sieben zinnernen Bechern, die sie auf den Tisch stellte. »Guten Abend hochachtbare Amtsmeister!« sagte sie und gab jedem die Hand. Sie war eine gesunde, frisch aussehende Frau und zwei hübsche Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, hatten sich an die Mutter geschmiegt, mit hereingedrängt. Die Meister erwiderten ihren Gruß aufs freundlichste; Schuttenhelm nahm sofort den Knaben auf den Arm, und Peter Flachs das Mädchen.

»Sind das die Jüngsten, Frau Immecke?« fragte Schuttenhelm.

»O nein, Meister Schuttenhelm«, antwortete sie, »es sind noch zwei Kleinere da; das Jüngste kann noch nicht laufen.«

»Wieviel sind es denn im ganzen?« fragte er weiter.

»Sechse bis –, sechse sind's im ganzen«, erwiderte sie lächelnd.

»Und wie alt ist das Älteste?«

»Nun natürlich sechse«, lachte Meister Gotthard.

»O Herr Gevatter! Ihr solltet es doch besser wissen«, sprach die Frau; »bald neun Jahre ist der Älteste, und eins haben wir schon verloren.«

»Richtig, richtig!« sagte Gotthard, »Nehmt's nicht übel, Frau Gevatterin!«

»Nicht im geringsten, Herr Gevatter!«

»Die ganze Mutter«, sagte Peter Flachs und streichelte das Kind auf seinem Arm. »Wie alt bist du denn Miezeken?«

»Fünf Jahr«, sprach das kleine Mädchen.

»Und wie alt bist du?« fragte Schuttenhelm den Jungen.

»Auch fünf Jahre«, antwortete der.

»Es sind nämlich Zwillinge«, erklärte Frau Immecke mit fröhlichem Mutterstolz.

»Aller Ehren wert!« sprach Schuttenhelm. »Hätt' ich gar nicht gedacht.«

»Habt ja selber fünf!« sagte die Meisterin.

»Aber sie sind nicht paarweise gekommen«, lachte der Schmied.

»Immecke«, sprach Schnewerding, »wenn Eekholt da ist, so riegle zu und laß niemand herein.«

»Nein, ihr sollt ungestört bleiben«, erwiderte sie.

»Darfst auch nicht horchen, Immecke!« sagte Peter Flachs.

»Hast du mich schon einmal mit dem Ohr an der Tür angefunden, Peter?« entgegnete sie.

»Ach, ihr Frauen habt es alle hinter den Ohren.«

»Nur zu eurem Besten, wenn's euch Männern manchmal hier oben fehlt. Ich will gar nicht fragen, was ihr zu schaffen habt, kann mir's schon denken; meinen Segen habt ihr! Kommt, Kinder!«

»Wir können ihn brauchen, Frau Gevatterin!« sprach Meister Gotthard.

Sie ging mit den Kindern hinaus, und nun kam auch Eekholt.

»Endlich!« rief Schuttenhelm. »Wo steckst du denn, alter Totengräber und Kistenmacher aus sechs Brettern?«

Gotthard Henneberg aber ging ihm entgegen, bot ihm die Hand und sagte: »Sei willkommen, Eekholt! Schnewerding hat sich für dich verbürgt, daß du fortan treulich zu uns halten wolltest wider die Gartenritter und ihren Anhang.«

»Habt Dank, Brüder, daß ihr mir nicht vorbeigegangen seid!« erwiderte der Schreiner. »Euer Vertrauen soll an uns Schnitzlern nicht zuschanden werden, alle meine Werkbrüder in der Gilde denken wie ich.«

»Das hab' ich ihnen schon gesagt, Eekholt«, sprach Schnewerding. »Nehmt Platz, Brüder! Und wer Durst bekommt, der lange zu! Dazu steht's da.«

Die sieben Amtsmeister setzten sich, und Gotthard Henneberg begann: »Ich bin es gewesen, Brüder, der euch durch unseren Freund Schnewerding hierher entboten hat, denn ich meine, es ist Zeit, daß wir der schandbaren Wirtschaft, die wie eine Zuchtrute des Himmels über unsere gute Stadt verhängt ist, mit handhabender Gewalt ein Ende machen. Ich brauch' es euch gewiß nicht auf das Tischblatt zu schreiben, was die gewissenlosen Menschen alles gebrochen und gefrevelt haben, und warum sie reif sind, von den Stühlen gestoßen zu werden, die sie sich mit Trug und Tücke angemaßt haben. Nur das Neueste will ich euch sagen, was ihr vielleicht noch nicht wißt: sie haben Johann Springintgut heimlich bei nachtschlafender Zeit aus dem steinernen Weinfaß in den neuen Turm gebracht und lassen ihn elendiglich verkümmern, wenn wir ihn nicht lösen und retten.«

Ausrufe des Unwillens antworteten ihm. »In den neuen Turm?« sprach der Mauermeister Bartels entrüstet. »Der ist ja kaum fertig und noch so naß, daß das Wasser an den Wänden herunterläuft; da kann doch kein Mensch drin aushalten.«

»Halunken, verfluchte!« rief Schuttenhelm und donnerte mit der Faust auf den Tisch.

»Wir wollen sie selber hineinwerfen!« rief Schnewerding.

»Bei Wasser und Brot!« rief Peter Flachs.

»Ach was! » sprach Schuttenhelm und machte mit der Hand eine waagrechte Bewegung. »Kurzweg! Kopf ab!«

»Laßt uns hier nicht in Eifer und Zorn geraten, Brüder«, sagte Meister Gotthard, »wenn uns das Herz auch bis an den Rand voll Galle ist, sondern laßt uns mit Ruhe und Vorbedacht erwägen, was wir zu tun haben, das Unheil zu wenden, denn sie haben noch Schlimmes vor, dem wir steuern müssen, solange es Zeit ist. Brüder, sie wollen der Stadt von ihrer Freiheit helfen! Ich habe glaubliche Kundschaft, daß sie mit dem Herzog in Celle über Abtretung des Blutbannes verhandeln und mit den fremden Prälaten und Domkapiteln um anderes schachern und feilschen; sie wollen unsere Handfesten, Siegel und Briefe hingeben und Freiheit, Ehre, Macht und Herrlichkeit unserer Stadt verraten und verkaufen. Um die Schulden zu bezahlen, heißt es, aber ihr könnt euch denken, wieviel dabei an ihren Diebesfingern kleben bleibt.«

»Höre auf, Henneberg!« sprach Schnewerding. »Es ist mehr als genug; sage uns nur, wann wir losschlagen sollen.«

Die anderen äußerten sich in dem gleichen Sinne wie der Harnischmacher, und Gotthard Henneberg sagte: »Daß ihr des Willens seid, weiß ich wohl, aber es fragt sich, ob wir stark genug sind und auf wen wir dabei zählen können. Zehn Gilden waren es, die in der Versammlung im Kaland dem Rat treu blieben –«

»Heute kannst du die Zahl mindestens verdoppeln«, unterbrach ihn Eekholt. »Die meisten von denen, die damals gegen euch stimmten, sind längst bekehrt und werden mit Freuden eure Hand ergreifen, wenn ihr sie ihnen nur halb entgegenstreckt. Ich weiß ja, wie es drüben steht; wir haben uns nur noch nicht wieder an euch herangetraut, weil ihr unsere Gegner waret, aber ebensogut wie ich hier sitze, könnten die Amtsmeister von einem Dutzend anderer Gilden, die ich euch nennen kann und die sich alle gern mit euch verbünden möchten, auch hier sitzen.«

»Gut, desto besser, desto viel besser!« sprach Meister Gotthard. »So wollen wir fragen: Wer sind heute noch unsere Gegner?«

»Erstlich oder zum ersten die fünf Gilden, deren Amtsmeister jetzt im Rate sitzen«, sagte Peter Flachs.

»Und das sind die stärksten«, fügte Stephan Bartels hinzu.

»Aber die sind nicht mehr einig«, sprach Eekholt; »viele von ihren Meistern wollen von dem neuen Rat nichts wissen, und wenn sie auch nicht gegen ihre eigenen Werkbrüder streiten werden, so werden sie doch auch gegen uns die Hand nicht erheben.«

»Kurz und gut, wir sind stark genug«, rief Schuttenhelm. »Was gilt die Wette? Wir haben nicht so viel Gilden gegen uns, wie wir hier Meister sind.«

»Der Rat hat mehr reitende Knechte und Söldner geworben«, wandte der Maurermeister ein, »hat ihnen ein reichlich Wortgeld gegeben und dazu Futter und Mehl, Eisen und Nägel, Sattelgeld, Haube, Hengst und Harnisch.«

»Und was nicht noch alles?« lachte Schuttenhelm. »Stephan, den Hengsten der tapferen Stallbrüder wollen wir Schmiede schon die Hufe vernageln.«

»Und wir wollen ihnen das Sattelleder gerben«, sagte Peter Flachs.

»Alle Geschlechter haben wir für uns mit ihrem ganzen Anhang und Gesinde«, sprach Schnewerding, »und auch viele von den Sülfmeistern.«

»Brauchen wir gar nicht«, meinte der Schmied, »hier haben wir einen Sülfmeister, unseren! Der wiegt hundert andere auf.«

Da sprach der Schiffer: »Zählt die Feinde nicht, Brüder! Lugt nicht aus nach Luv und Lee; wenn wir flott sind, werden wir schon merken, wie der Wind geht und wer gleichen Strich mit uns hält.«

»Kerkrink, so denk' ich auch«, sagte Gotthard Henneberg. »Wir wollen alle, wie wir hier sind, die Werkbrüder von den anderen Gilden fleißig ausforschen, und die wir bereitfinden, mit Leib und Leben, mit Gut und Blut zu uns zu stehen, denen wollen wir alles klärlich mitteilen, daß sie mit uns und wir mit ihnen gehen. Und dann in Gottes Namen vorwärts! Laßt es uns wagen, Brüder! Es muß sein! Es ist eine heilige Pflicht, eine unweigerliche Tat, zu der uns der Allmächtige seinen Beistand nicht versagen wird. Damit aber alles klippt und klappt, muß jeder wissen, was er zu tun hat und ohne einigen Verzug im rechten Augenblick auf seinem angewiesenen Posten sein. Schnewerding, gib mir ein Stück Kreide.«

Der Harnischmacher holte ein Stück Kreide, und damit malte Gotthard nun in groben Umrissen Figuren auf den Tisch, obenan eine Glocke, darunter ein Tor, dann einen Turm, dann ein Haus mit sechs senkrechten Strichen auf dem Dach und endlich ein Kreuz, das auch ein Schwert sein konnte. »So!« sagte er dann, »seht her! Zuerst die Glocken. Wer übernimmt es, Sturm zu läuten?«

»Ich!« sprach Schuttenhelm.

»Du?« erwiderte Gotthard. »Dich und deine handfesten Schmiede können wir besser gebrauchen. Die Glockenstränge ziehen ist leichte Arbeit; ich meine, das überlassen wir den Goldschmieden; ich werde es Hans Laffert sagen. Einverstanden?«

»Jawohl!« sprachen die anderen. »Die Goldschmiede.«

Gotthard malte einen Ring neben die Glocke und fuhr dann fort: »Dann müssen schleunigst die Tore geschlossen und besetzt werden. Wer soll das besorgen?«

»Ich!« sagte Schuttenhelm wieder.

»Nein, ich!« sagte Schnewerding. »An den Toren wird es mit den Söldnern am ehesten zum Kampf kommen, und wir Harnischmacher sind alle stark gerüstet.«

»Gut«, sprach Meister Henneberg; »aber ihr könnt nicht alle sechs Tore besetzen; übernimm das Neue, das Sülztor und das Rote Tor.«

»Jawohl!« erwiderte Schnewerding.

»Das Altenbrücker, Lüner und Bardowieker –«

»Übernehmen wir«, sprach Eekholt.

»Ist mir recht«, erwiderte Meister Gotthard, »die Schnitzler und Kistenmacher.« Dann zeichnete er neben das Tor einen Harnisch und ein Winkelmaß.

»Wann komm' ich denn an die Reihe?« fragte Schuttenhelm ungeduldig.

»Jetzt kommst du dran«, sagte Gotthard; »du erbrichst die Kerker in den Türmen an der Mittagsseite der Stadt, befreist die gefangenen Ratsherren und kommst dann mit deinen Leuten auf den Markt; aber es muß sehr schnell gehen.«

»So schnell wie der Hammer aufs Eisen fällt!« rief Schuttenhelm und schlug wieder mit der Faust auf den Tisch. »Die Türme an der Mittagsseite überlaßt uns Maurern, Meister Gotthard«, sprach nun Stephan Bartels.

»So dachte ich auch, Meister Stephan«, erwiderte Gotthard und malte neben den Turm einen großen und einen kleinen Hammer. »Aber zertrümmert nicht alles«, fügte er hinzu, »laßt ein paar Käfige ganz; wir werden sie nötig haben.«

»Haha! Ja, ja! Versteht sich!« lachten die anderen.

»Nun hier das Rathaus«, fuhr Meister Gotthard fort. »Kerkrink, das übergebe ich euch; besetzt es mit euren Teerjacken, und nehmt euch noch eine oder zwei Gilden dazu, wenn ihr wollt und könnt. Man wird es verteidigen, und könnt ihr's nicht zwingen, so kommen wir anderen allzumal euch zu Hilfe, denn wir sammeln uns auf dem Markt und in den nächsten Straßen.« Dann malte er einen Anker auf den Tisch neben das Rathaus.

»Was tue denn ich?« fragte Peter Flachs.

»Peter, du?« sprach Gotthard. »Ich dachte, ihr ginget am liebsten den Schustern zuleibe.«

».Ja, natürlich!« lachte der Gerber.

»Henneberg, was bedeutet das Schwert hier unten?« fragte Schuttenhelm.

»Das Kreuz hier bin ich«, erwiderte Gotthard, »ich greife Dalenborg, Schupper und Sengstake und sorge dafür, daß sie uns nicht entwischen.«

»Übertragt das ein paar sicheren Männern, Henneberg«, sprach Kerkrink; »Ihr habt anderes zu tun. Wie auf jedem Schiff nur einer ist, dem alle an Bord gehorchen, so muß auch hier in der Stadt einer sein, der alles lenkt und leitet und überall die Augen und die Stimme hat, und dieser eine müßt Ihr sein, Henneberg!«

Die Meister stimmten ihm freudig zu.

»Und wenn wir, will's Gott, gesiegt haben«, fuhr er fort, »so müßt Ihr, Ihr allein im ganzen Weichbild von Lüneburg und so weit unser Frone geht, Gebot und Befehlich haben als oberster Stadtvogt, bis der Ratsstuhl wieder vollzählig besetzt ist.«

»Jawohl! Jawohl! Unweigerlich! Sülfmeister, du nimmst das Regiment!« riefen die anderen.

Schnewerding stand auf, hielt dem Meister Gotthard die Hand hin und sprach fest und warm: »Henneberg, mit handgebender Treue geloben wir dir Gehorsam in allem, was du befiehlst, und alle, die wir küren und werben, wollen wir darauf verpflichten, daß sie dir gehorchen; wer dagegen fehlt, der tut es auf seinen Schaden und Gefahr.«

Da erhoben sich auch die anderen Amtsmeister und reichten Gotthard Henneberg die Hand, die er jedem einzelnen herzlich drückte und schüttelte. »Ich danke euch, Brüder!« sprach er. Es geschehe nach eurem Willen. Ich hoffe zu Gott, daß wir nicht nötig haben, Bürgerblut zu vergießen. Wo wir aber ernsten Widerstand finden, da hilft es nichts, liebe Brüder, da dürfen wir nicht schwach und weichmütig werden, und wenn gute Worte nicht fruchten, so müssen wir fest aufdrücken sonder Gnade. Sind wir erst Herren dieser Stadt, so soll jedem eine milde Hand geliehen werden, der dessen wert und würdig ist; bis dahin aber – laßt es eure gute Freundschaft wissen, Brüder! –, bis dahin wird keiner geschont, der der Gewalt mit Gewalt begegnen will!«

»Sülfmeister!« rief Schuttenhelm. »Jetzt bist du der wahre Schmied, der am Amboß steht und das Eisen schmiedet, weil es heiß ist! Aber nun sage uns: Wann? Wann geht es los?«

Gotthard Henneberg dachte einen Augenblick nach. Sollte er die Gefahr versuchen, die im blauen Turm auf ihn lauerte, oder sollte er sie vermeiden, indem er seine Feinde niederwarf, ehe sie den Anschlag auf sein Leben ausführen konnten? Nein! Das Abenteuer reizte ihn, er wollte es bestehen, wenn es nicht zu lange auf sich warten ließ. »Wir gebrauchen Zeit«, sagte er; »es muß alles ganz heimlich mit großer Vorsicht geschehen und wird sich in weniger als drei, vier Tagen kaum bewerkstelligen lassen. Ihr habt zu dem, was jeder von euch übernommen hat, Hilfe nötig, die ihr euch sorgfältig auswählen und genau unterrichten müßt, damit alle, die mit uns gemeine Sache machen wollen, Bescheid wissen und gehörig eingreifen können. Ich will euch, wenn mir der rechte Augenblick gekommen scheint, ein Zeichen geben, noch ehe die Glocken stürmen. Jeder muß Rüstzeug stets bereithalten, und wer sich auf seine Knechte verlassen kann, der gebe ihnen Wehr und Waffen und bringe sie mit.«

»Was für ein Zeichen willst du uns geben?« fragte Schnewerding.

»Das laßt uns überlegen«, erwiderte Meister Gotthard. »Die Besetzung der Tore und die Befreiung der Gefangenen muß das allererste sein, was geschieht. Ich werde also euch vieren, Schnewerding und Eekholt, die ihr die Tore, und Schuttenhelm und Bartels, die ihr die Türme auf euch genommen habt, zugleich mit Hans Laffert, der die Glocken ziehen lassen soll, das Zeichen senden. Es soll ein Stück eichen Stabholz sein, auf dem meine Hausmarke eingebrannt ist; sobald ihr das erhaltet, macht ihr euch mit höchster Eile an euer Werk, denn ehe ihr es vollendet habt, werdet ihr schon die Glocken hören, und ihr seid mir verantwortlich, daß Tore und Türme in unserer Gewalt sind, bevor die Gilden gewappnet auf dem Platze sein können. Habt ihr mich verstanden, Brüder? Ist euch alles klar und deutlich?«

»Jawohl!« erwiderten sie. »Es soll an nichts fehlen, in drei Tagen werden wir fertig und bereit sein.«

»Gut!« sagte der Böttcher. »Ich verlasse mich darauf und nehme an, daß ihr in drei Tagen fertig seid; aber es kann auch vier Tage, es kann fünf Tage dauern, bis ich euch das Zeichen sende, dann werdet nicht ungeduldig, sondern vertrauet mir, daß ich den rechten Augenblick erfasse.«

»Das wollen wir«, sprach Schuttenhelm, »aber wenn du zu lange zauderst, Henneberg, so komme ich und hetze dich.«

»Komm nur«, erwiderte Gotthard lächelnd; »aber du Hitzkopf von Schmied, bei dem das Feuer so leicht zur Esse hinauslodert, halte deine Zunge im Zaume, und schlage nicht schon vorher mit wilden Worten um dich, damit du dich und uns nicht verrätst.«

»Habe keine Bange!« lachte Schuttenhelm. »Ich werde so lange kalt schmieden, aber nachher läßt du mich auch mein Feuer aufblasen und mich frei gewähren, wenn ich ein paar rote Hitzen schlage!«

»Wenn's nötig ist, sonst nicht!« sprach Gotthard Henneberg.

Die Meister erhoben sich. Sie waren in der Seele bewegt, weil sie vor einer verhängnisvollen Tat standen, bei der sie selbst ihr alles wagten und in deren Gefahren sie tausend andere mit hineinrissen; und doch war ihnen freier und leichter ums Herz als seit langer Zeit. Keiner empfand das tiefer als Gotthard Henneberg, »So wären wir denn einig, liebe Brüder!« sprach er zum Abschied. »Mit fast fröhlichem Mut haben wir den Aufstand geplant und fühlen doch alle den schweren Ernst des Unternehmens, zu dem wir uns entschlossen haben. Nicht leichtsinnig gehen wir in den Kampf, sondern mit wohlerwogenem Willen und vertrauender Kraft. Wenn es uns mit Gottes Hilfe gelingt, Ehre, Recht und Freiheit unserer guten Stadt zu retten, so können wir auch das Blut, das vielleicht dabei vergossen wird, vor Gott und unserem Gewissen ruhig verantworten. Unterliegen wir aber, so müssen wir mit dem einzigen Trost, daß unsere Absicht lauter und rein war, willig auf uns nehmen, was dann mit uns geschieht. Lebt wohl, Brüder! Wenn wir uns zusammen wiedersehen, so ist es auf dem Markt mit dem Schwert in der Hand.«

Sie trennten sich mit einem stillen Händedruck; jeder ging einzeln seines Weges und ließ den vor ihm Gegangenen erst eine Strecke voraus, ehe er ihm folgte.

Gotthard Henneberg begab sich zum Goldschmiedemeister Hans Laffert.


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