Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Fünfzehntes Kapitel

Bürgermeister und Rat in Lüneburg wiegten sich nicht in sorgloser Sicherheit vor der gewaltsamen Vollstreckung des Spruches, den das Kaiserliche Hofkammergericht in Wien gegen sie gefällt hatte, aber sie machten auch nicht die geringste Anstalt, seinen Beschluß zur Ausführung zu bringen. Kaiser Friedrich III. war ein bequemer und schwacher Herr, der selber lieber Geld nahm als ausgab, und Wien war weit von Lüneburg. Der einzige Gegner, der nicht mit sich spaßen ließ, war Rom; aber da der hochedle Rat von dieser Seite so wenig etwas erfuhr, was ihn hätte beunruhigen können, wie von seiten der weltlichen Macht, so beschränkte er seine Tätigkeit in dieser Sache auf eine verschärfte Wachsamkeit und ließ im übrigen alles seinen gewohnten Gang gehen. Von Acht und Bann war keine Rede mehr. Um so rühriger waren die Feinde des Rates, namentlich die ehrgeizigen und habgierigen Vorkämpfer der Prälaten, Sengstake, Dalenborg und die Gebrüder Schupper. Heimlich und mit verdoppelter Vorsicht wühlten und hetzten sie bei den Bürgern und Handwerkern, machten sich bald in dieser, bald in jener Werkstatt zu schaffen, ließen sich bald in dieser, bald in jener Trinkstube sehen und säten hier wie dort Hader und Zwietracht.

Noch verhielten die Gilden sich ruhig. Das Schimpfen auf den Rat war Gewohnheitssache bei ihnen und hatte eben darum, weil sie es zu allen Zeiten taten, auch jetzt nichts Auffälliges und Bedrohendes. Aber bei manchen Handwerksmeistern fiel der listig ausgestreute Same des Aufruhrs auf empfänglichen Boden, der Mißvergnügten wurden immer mehr, und es fing an in der Stadt leise zu gären, ehe der Rat etwas davon merkte. Von den Verlegenheiten und Gefahren aber, die ihnen aus dem verschwiegenen Treiben der Handwerksknechte unter Sengstakes und Dalenborgs versteckter Leitung auftauchten, ahnten die Meister nichts.

Wie nun der Böswillige und der keck Wagende oft mehr Glück im Leben haben, als der Gewissenhafte und Pflichttreue, so spielten Schicksalslaune und Zufall auch dem Ränkeschmied Sengstake manches willkommene Mittel für seine Zwecke in die Hände, das er sich gar nicht besser hätte wünschen können. Schon die Tatsache, daß Arnold Henneberg und der Schusterknecht Timmo ihn ins Vertrauen gezogen und zum Geheimen Oberhaupt ihrer Verschwörung gegen die Meister gemacht hatten, war so ein unverhoffter Glückszufall für ihn gewesen. Jetzt sollte ein an sich unbedeutender Gegenstand ihm wieder zu einem ziemlich unschuldigen, aber durchaus nicht unbrauchbaren Werkzeug für seine Wühlarbeit verhelfen.

Der Gegenstand waren Herrn Marquard Mildehövets Pelzstiefel, und das Werkzeug der unglückselige Schustermeister Daniel Spörken.

Timmo selber, der Anstifter und Mitschuldige bei dem Verbrechen gegen Handwerks Ordnung und Gerechtigkeit, hatte Sengstake die Geschichte mit den Pelzstiefeln unbedacht erzählt, als zwischen ihnen beiden zufällig einmal die Rede auf den Ratsherrn Marquard Mildehövet gekommen war. Sengstake erkannte sofort, daß die kluge Benutzung dieses Vorfalls ihm neue Verbündete werben könnte, wenn er es nur richtig anfinge, und erklärte dem erschrockenen, seine Schwatzhaftigkeit flugs bereuenden Timmo, daß er als Wardierer die Pfuscherei nicht verschweigen dürfe, sondern zur Erkenntnis des Handwerks bringen müsse. Er riet Timmo, bei der Untersuchung alles einzugestehen und versprach ihm, aus Freundschaft für ihn dafür zu sorgen, daß die Sache möglichst still abgemacht würde; eine kleine Geldstrafe allerdings wäre unvermeidlich; falls ihn aber sein Meister etwa dafür ansehen wollte, weil er diesen zu der Pfuscharbeit verleitet hatte, so wäre er gern bereit, ihm, Timmo, den Schaden aus seiner Tasche heimlich zu ersetzen.

Damit war Timmo nicht nur zufrieden, sondern er freute sich schon auf den Spuk, den das in der Löwengrube geben würde, auf Meister Daniels Angst und auf Gesches Toben.

Sengstake ging nun zunächst zum Amtsmeister der Pelzer und sagte dem Meister Mockeling, er hielte es für seine Pflicht als Wardierer, ihm die Anzeige zu machen, daß der Schuhmachermeister Daniel Spörken durch Anfertigung von einem Paar Pelzstiefel für den Ratsherrn Meldehövet den Pelzern ins Handwerk gepfuscht habe.

Meister Mockeling lachte laut auf: »Na, den wollen wir kriegen! Und für den Ratsherrn Mildehövet, sagt Ihr? Aber Mildehövet ist ja Morgensprachsherr beim Schusteramt.«

»Desto schlimmer, Meister! Desto schlimmer!« sprach Sengstake. »Seht Ihr, so macht es der Rat! Kennt nicht mal die Handwerksordnung und gibt selber ein so schlechtes Beispiel, daß er die Pfuscherei begünstigt und die Handwerker dazu verleitet.«

»Du lieber Gott!« entgegnete Mockeling. »Podagel ist auch kein Vergnügen, hab' ich sagen hören. Aber Strafe muß sein; ich werde mich beim Morgensprachsherrn des Schusteramtes, also bei dem Besitzer der Pelzstiefel, beklagen.«

»Der ist der Hauptschuldige, den laßt nur gehörig büßen«, rief Sengstake.

»So zieht ihm die Pelzstiefel aus, dann kriegt er das Podagel wieder. Aber ich tue das dem alten, lieben Herrn nicht an.«

»Wegnehmen müßt Ihr sie ihm, das versteht sich!« eiferte Sengstake, »Denn es ist wandelbare, sträfliche Arbeit. Aber damit ist's nicht abgetan; er muß Buße zahlen, und es muß ruchbar werden, wie der Rat mit dem Recht und dem alten Herkommen der Handwerker umspringt. Laßt lieber den Meister Spörken mit einem blauen Auge davonkommen und packt dem Ratsherrn die Pön auf.«

»Wollen sehen, was er angibt«, erwiderte Mockeling. »Vielleicht weiß er gar nichts von der Pfuscherei und denkt, Daniel hat die Stiefel mit einem Pelzer zusammen gemacht, wogegen sich ja dann nichts sagen ließe.«

»Er wird's schon wissen, daß sie der Schuster allein gemacht hat, denn er hat sie ihm ganz insgeheim bestellt«, versicherte Sengstake.

»Der Schuster muß dran glauben, da hilft nichts«, sprach der Pelzermeister.

Sengstake gab sich viel Mühe, und es gelang ihm auch, den Amtsmeister für den Schuster milder zu stimmen, gegen den Ratsherrn und den gesamten Rat aber aufsässig zu machen, der sich zu seinem Vorteil Dinge herausnähme, die dem gemeinen Bürger verboten und mit Strafen bedroht wären. Dann kamen sie auf den Prälatenstreit zu sprechen. Hier war Sengstake nun in seinem Fahrwasser, und als er von dem Pelzmeister schied, freute er sich, ihn schon halbwegs auf seine Seite gelockt zu haben.

Timmo fühlte doch Gewissensbisse wegen seiner Unbesonnenheit, als er sich später ihre möglichen Folgen ausmalte, die er unter dem starken Einfluß Sengstakes und seiner für den Augenblick beruhigenden Worte sich nicht so rasch klargemacht hatte. Er hatte seinen Meister, der sich in seiner Schwarzschusterunschuld von Pelzstiefeln nichts träumen ließ, erst auf den Gedanken gebracht, hatte ihm seine Furcht vor der Sträflichkeit solcher Pfuscherei ausgeredet und ihn überzeugt, daß der Ratsherr schon aus Dankbarkeit reinen Mund halten würde; und nun war er selber zum Verräter geworden. Wenn nur Sengstake diesen Umstand wenigstens verschwiege! Wenn er aber seinen Gewährsmann angäbe, was dann? Dann konnte Timmo keine Stunde länger in Meister Daniels Hause bleiben, und seine Mitgesellen, die Schusterknechte, würden ihn vielleicht gar aus der Stadt ausleuchten. Dann konnte er nicht mit auf grüne Heide gehen, bekam auch keinen Dankelbrief von seinem Meister, sondern Scheltebriefe würden ihm in die Fremde nachfolgen, wo sie ihn nur finden könnten. Auch sein Meister, den kränken oder schaden zu wollen er durchaus keine Ursache hatte, tat ihm leid dabei; aber er hoffte doch, daß die Buße nur gering ausfallen würde. Zunächst kam es für ihn darauf an, den Kopf geschickt aus der Schlinge zu ziehen und seine unbeabsichtigte Verräterei nicht ans Licht kommen zu lassen.

Mit ängstlicher Spannung sah er am zweiten Tage nach seiner letzten Zusammenkunft mit Sengstake dem Augenblick entgegen, wo der Amtsmeister in die Werkstatt treten würde, um für den hier verübten Frevel Rechenschaft zu fordern. Dieser Augenblick kam sehr früh, denn der Amtsmeister der Schuhmachergilde, Jochen Hesterwegen, wußte sehr wohl, daß er sich beizeiten aufmachen mußte, wenn er Daniel Spörken noch zu Hause treffen wollte. Sie saßen alle vier, Daniel, Gesche, Timmo und Hans, auf ihren gewohnten Plätzen, als es klopfte und Meister Hesterwegen eintrat.

Der Amtsmeister sagte bloß: »Guten Morgen, Gesellschaft!« fügte aber nicht hinzu: Gott ehr' ein ehrbar Handwerk! Das Ausbleiben dieses Grußes machte die Gesellschaft schon stutzig, aber sie sollten über die Ursache nicht lange in Zweifel bleiben, denn Jochen Hesterwegen brach sofort los: »Was habt Ihr denn da wieder für Dummheiten gemacht, Daniel? Habt ja den Pelzern ins Handwerk gepfuscht! Habt Ihr oder habt Ihr nicht?«

»Ach, du lieber Gott!« machte Daniel. »Ihr meint wohl die Pelzstiefel?«

»Natürlich mein' ich die Pelzstiefel. Wie könnt Ihr Euch denn mit Rauchwerk befassen gegen alle Handwerks Ordnung und Gerechtigkeit?«

Daniel sagte gar nichts.

»Ihr gesteht es also ein?« fuhr Hesterwegen fort.

»Es ist 'ne Tränenwelt!« seufzte Daniel.

»Wie kommt Ihr denn nur auf die Dummheit?« fragte der Amtsmeister.

Daniel zeigte auf Timmo und sagte beklommen: »Der da!«

»Ach was, der da! Wer ist hier Meister in der Werkstatt? Ihr oder der da?«

»Ich, Meister, ich«, sagte Daniel beinahe wimmernd.

»Wo habt Ihr denn das Rauchwerk her?« fragte Hesterwegen weiter.

Jetzt zeigte Daniel auf Hans: »Der da, der Junge.«

Hans hatte sich tief auf seine Arbeit gebeugt; jetzt fuhr er hoch, als hätte ihn was gebissen.

»Junge, du?!« sprach Hesterwegen. »Was war's für Fell?«

»Kar –«, Hans spitzte das Maul, schnupperte mit den Nasenflügeln und wackelte mit den Ohren – » Karnickel«.

»Karnickel? Wo hast du denn die hergekriegt?«

»Von Hennecke.«

»Von Hennecke? Von meinem Sohn Hennecke? Also von unseren, von meinen Karnickeln?«

»Ja«, sagte Hans und hielt den Kopf schief, behutsam hervorschielend.

»Da hört doch alles auf!« rief Hesterwegen. »Eine Handwerkspfuscherei, begangen mit den Karnickeln des Amtsmeister der eigenen Gilde! Junge, was fang' ich mit dir an?«

Hans sah sich nach einem Mauseloch um.

»Daniel, Ihr wißt, was darauf steht«, wandte sich Hesterwegen jetzt wieder zu dem bejammernswerten Haupt der Familie.

»Macht's gnädig, Meister!« bat dieser demütig. »Es soll nicht wieder vorkommen.«

»Das wollt' ich Euch auch geraten haben!« sprach Hesterwegen. »Aber bessern müßt Ihr's dem Handwerk, uns sowohl wie den Pelzern und auch etwas zu der Stadt Behuf.«

»Ach du lieber Gott!« stöhnte Daniel. »Es ist 'ne Tränenwelt!«

»Na, nur ruhig! So schlimm wird's nicht werden. Wir rechnen – mit Verlaub! – Eurer Dummheit was zugute, und der Wardierer Sengstake, mit dem Ihr ja recht gut Freund zu sein scheint –«

»Ich?« fragte Daniel erstaunt. »Nicht daß ich wüßte.«

»So? Er hat sich aber Euretwegen höchlich bemüht und viel gute Worte bei mir und Mockeling für Euch eingelegt, bis wir uns mit der kleinsten Buße zufrieden erklärten.«

»Da bin ich ihm ja vielen Dank schuldig«, sprach Daniel. »Aber wie habt Ihr's denn nur erfahren, das mit den Pelzstiefeln?«

Da war nun die verhängnisvolle Frage. Timmo wagte nicht aufzublicken; er saß wie auf Kohlen.

»Das will Sengstake nicht sagen«, erwiderte Hesterwegen unbefangen. »Wir vermuten, er hat es von Mildehövets alter Hausmagd.«

Ein Stein fiel von Timmos Seele. Er atmete auf und war frech genug, zu sagen: »I, so ein verdammtes, altes Plappermaul!«

»Nun sagt nur mir meine Strafe, Meister«, sprach Daniel kleinlaut, »ich will's bezahlen.«

»Ei, wo denkt Ihr hin, Ihr Bönhase?« lachte der Amtsmeister. »So leicht kommt Ihr nicht los. Erst stellt Euch mal heute vormittag mit dem Glockenschlag elf bei unserem günstigen Morgensprachsherrn, dem Ratsherrn Marquard Mildehövet, ein, der Eure gepfuschten Pelzstiefel an seinen Podagelbeinen sitzen hat; da wird sich das weitere finden. Ich und Mockeling kommen auch hin.«

Diese Aufforderung hatte nichts Beunruhigendes für Daniel Spörken; im Gegenteil, Herr Marquard Mildehövet war immer gütig gegen ihn gewesen und würde seinen armen, unglücklichen Podagelschuster gewiß in Schutz nehmen, so viel er konnte. Daniel versprach also, pünktlich zu erscheinen, und Jochen Hesterwegen verließ die Löwengrube.

Frau Gesche, geborene Mushund, hatte während der ganzen Verhandlung mit dem Amtsmeister steif und stumm dagesessen, nur ein krampfhaftes Zucken in ihrem eckigen Antlitz hatte die Empörung ihrer Gedanken und Gefühle verraten. Jetzt aber prasselte der Hagelschauer ihrer Entrüstung auf die Häupter ihrer drei männlichen Hausgenossen sturmgewaltig herunter. Sie sahen es kommen und warfen sich einen Blick zu, der bei jedem einen anderen Ausdruck hatte. Daniel hätte am liebsten den Vorschlag gemacht, ob sie sich nicht zur größeren Sicherheit alle drei mit dem Rücken gegeneinander stellen sollten. Timmo schien zu denken: ›Jetzt mal eine Weile stillhalten, 's ist ein Übergang.‹ Hans aber war darauf gefaßt, daß ihm nun das Fell über die Ohren gezogen werden würde; er hielt die Hände gefaltet und blickte mit einem verzweifelten Armesündergesicht nach dem breiten Messer auf dem Werktisch, womit der Meister das Sohlleder zu schneiden pflegte.

»Ihr seid mir eine schöne Gesellschaft!« fing Gesche an. »Einer immer noch dümmer, immer noch nichtsnutziger und verwahrlosten als der andere! Bringt Schimpf und Schande über unseren ehrlichen Namen und macht euch selber zu Narren und Popanzen vor allen vernünftigen Leuten, von denen es freilich in Lüneburg nicht allzu viele gibt. Wie kannst du alter Esel von Pechfiester dich von so einem hergelaufenen Darmstädter Großmaul aufs Glatteis locken lassen, daß du auf deine alten Tage noch unehrliche Pfuscharbeit anfängst, der ganzen Stadt zum Gespött und den lieben Nachbarn zur Schadenfreude! Du Darmstädter, du mußt nette Meister gehabt haben, daß du so 'ne nichtswürdige Schockschwerenotspfuscharbeit gelernt hast, womit du einen ehrbaren Meister ins Unglück bringst; schäme dich in deine verlogene und verlodderte, verrostete Drahtklemmerseele hinein, daß kein Hund ein Stück Brot mehr von dir nimmt! Und du, Kröte von Jungen, du Galgenstrick, du Strolch, du Ruppiegel von Schusterjungen, wo habt ihr Spitzbuben, ihr Räuber und Mörder, wo habt ihr die armen, unschuldigen Karnickel gelassen, denen ihr das Fell abgezogen habt? He?«

»Vergraben«, hauchte Hans.

»Vergraben? Vergraben! O du Mißgeburt von einem Affen, warum hast du sie denn nicht mit hergebracht? Das hätte doch – hui, hui! ein paar schöne – hui! Braten gegeben, du Hun – hui, hui! du Hunde – hui, hui hui!« Ein fürchterlicher Husten überfiel sie, und vorläufig waren die drei Opfer gerettet. Hans schüttelte sich wie ein Pudel; Daniel faßte sich nach dem Halse, um den fest zugezogenen Strick, den er dort deutlich fühlte, etwas zu lockern; Timmo dagegen sagte: »Meisterin, soll ich Euch ein bißchen klopfen, damit Ihr weiterreden könnt? Oder waret Ihr gerade fertig?«

Immer noch hustend und unfähig zu sprechen, schüttelte sie in einer fast erstickenden Wut heftig mit dem Kopfe und griff nach dem ersten besten Gegenstand, der ihr zur Hand lag. Drei Nacken duckten sich nieder, und über Timmos Krauskopf sauste ein schwerer Männerschuh hinweg und traf – Sengstake, der in diesem Augenblick eintrat, mitten auf den Bauch.

»Gottes Lohn, Frau Meisterin, für den kräftigen Willkommen!« sagte Sengstake lachend. »Ihr wolltet gewiß Eurem wackeren Knecht Timmo den Schuh zur Weiterarbeit zuwerfen, und der sonst so Geschickte hat ihn nicht aufgefangen.«

»Ich dachte, der Meister sollte ihn haben«, sprach Timmo boshaft.

»Alle drei sollten sie ihn haben – hui, hui! Aber an den Kopf«, rief Gesche, »und daß Ihr ihn gekriegt habt, ist – hui, hui, auch nicht vorbeigeschmissen. Schade nur, daß er Euch nicht – hui! ein paar Fuß höher getroffen hat mit dem Absatz, benagelt – hui! ist er schon.«

»Aber, liebe Frau Meisterin«, erwiderte Sengstake sanft und katzenfreundlich, »habe ich das wohl um Euch verdient? Hat Euch denn Meister Hesterwegen nicht gesagt, wie ich unserem ehrbaren Meister Daniel den Rücken gehalten und gebeten habe, seine Buße zu mildern?«

Die Meisterin konnte sich von ihrem Husten noch nicht erholen, aber Daniel sprach: »Doch, Herr Sengstake, der Amtsmeister hat es mir gesagt, und ich danke Euch vielmals dafür. Wenn ich Euch auch einmal einen Gefallen tun kann –«

»Oh, mein lieber, ehrenfester Meister! Darum habe ich's ja nicht getan, an so etwas denke ich gar nicht. Ich weiß aber auch, daß ich auf einen Mann wie Ihr, der in der ganzen Stadt bei Vornehm und Gering ausnehmend beliebt ist, wohl zählen könnte, wenn ich einmal eine bescheidene Bitte an ihn hätte.«

»Gewiß, Herr Sengstake! Immer und allezeit will ich tun, was Ihr von mir verlangt. Sagt nur, womit ich Euch dienen kann.«

»Nein, nein, ich weiß nichts, wüßte in der Tat nichts, ganz im Gegenteil, ich komme nur her, um Euch noch einen guten Rat mit auf den Weg zu geben, wenn Ihr heute zu Eurem Morgensprachsherrn geht. Seht, lieber Meister Daniel«, fuhr er fort, als ihn Daniel mit offenem Mund angaffte, »das beste für Euch ist, offen einzugestehen, wie sich die Sache verhält und daß Euch der Ratsherr die Pelzstiefel bestellt hat, nicht wahr? Nun ja, also!«

»Das heißt, er hat mir –«

»Er hat sie Euch in Auftrag gegeben, wollt Ihr sagen; das ist dasselbe.«

»Ja, aber er hat mir nur gesagt –«

»Daß er gewöhnliche Stiefel, wie sie die Schuhmacher hier machen, bei seinem Podagel nicht brauchen könnte und er andere, weichere, wärmere haben wollte.«

»Ja, Herr Sengstake.«

»Das sag' ich ja doch, und das müßt Ihr nachher den Amtsmeistern auch sagen, daß Euch der Ratsherr die Pelzstiefel bestellt hat, weiter nichts. Ihr konntet ja doch einem Ratsherrn nicht widersprechen, durftet einem Ratsherrn nichts abschlagen; was Euch ein Ratsherr zu tun heißt, muß doch recht und gerecht sein, dafür habt Ihr keine Verantwortung zu tragen, nicht wahr?«

»Nein!« sagte Daniel gedehnt und dumm in den Tag hinein.

»Nicht im mindesten! Wenn Ihr nur fest dabei bleibt, daß Euch der Ratsherr die Pelzstiefel selber bestellt hat, wie Ihr mir eben gesagt habt, so können Euch die Amtsmeister nichts anhaben, und ich wüßte nicht, wofür man Euch da noch in Bruch und Buße nehmen wollte.«

»Ach, Herr Sengstake«, sprach Gesche, der dieser Ausweg sehr gefiel, jetzt mit ihrem breitesten Mund, »ich danke Euch, daß Ihr das auch meinem Mann sagt. Ich war eben dabei, ihm dasselbe mit ziemlichen und freundlichen Worten auseinanderzusetzen, aber mir glaubt er ja nicht.«

»Aha!« machte Sengstake. »Ja, lieber Meister, auf der Frauen Wort soll man fleißig hören, denn sie meinen es gut mit uns. Ich könnte Euch Beispiele dafür anführen, könnte Euch Geschichten erzählen – Ihr glaubt nicht, was ich alles zu erfahren kriege. So zum Beispiel in einer Sache, über die so viel falsche Ansichten in der Stadt verbreitet sind, in dem Streit unseres hochedlen Rates mit den Prälaten. Ich bin durch meine frühere Stellung, die ich nur darum niedergelegt habe, sehr tief eingeweiht in diese Verhältnisse, und falls es Euch darum zu tun ist, hinter die Wahrheit zu kommen, wie sich das alles eigentlich verhält, so fragt nur mich. Ich will Euch reinen Wein einschenken, natürlich ganz unter uns, das bitt' ich mir aus. Was Ihr davon etwa diesem oder jenem guten Bekannten anvertrauen dürft, das will ich Euch dann schon sagen und gehörig klarmachen.«

»Ach, wenn Ihr das tun wolltet, Herr Sengstake!« sprach Daniel freudestrahlend. »Das wäre gerade was für mich, wenn ich den Leuten mal ordentlich zeigen könnte, daß ich doch am besten weiß, wie die Dinge stehen.«

»Herzlich gern!« erwiderte Sengstake. »Ihr sollt gut bedient werden von mir. Wißt Ihr was? Ich möchte doch gern wissen, wie Eure Verhandlung bei dem Morgensprachsherrn abgelaufen ist, und bitte Euch, kommt Glocke fünf zu mir und bringt mir Bescheid darüber. Dann plaudern wir ein wenig, und ich erzähle Euch dies und das und setze Euch instand, den Leuten Eure Meinung gründlich sagen zu können; aber« – er legte den Finger auf den Mund mit hochwichtiger Miene – »Ihr dürft beileibe nicht sagen, daß Ihr's von mir habt.«

»Nein, nein! Aber ich komme, ich komme, Herr Sengstake!« rief Daniel, als sich Sengstake von den beglückten Schustersleuten für heute verabschiedete.

Timmo war der einzige in der Löwengrube, der Sengstakes Absichten mit Daniel Spörken durchschaute, aber er hütete sich wohl, den Meister zu warnen; denn Sengstake war ja auch sein Beschützer und Berater in Angelegenheit des Gesellenaufstandes, zu dem unter den Handwerksknechten schon eifrig in aller Stille geworben wurde.

Als Sengstake die Techt hinabschritt, sagte er sehr zufrieden zu sich: morgen um diese Zeit weiß die ganze Stadt, was Heinrich Sengstake will, das sie wissen soll.


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