Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Neuntes Kapitel

Die für ihn ganz neue Tätigkeit, der sich Gilbrecht unter Balduins Anleitung auf dem Viskulenhofe mit redlichem Fleiß hingab, gewährte ihm viel Freude. Lernbegierig und leicht auffassend, wie er war, machte er auch in der pünktlichen Erfüllung aller ihm von Balduin nach und nach übertragenen Obliegenheiten schnelle Fortschritte und hielt sich schon für ein wirklich eingreifendes, treibendes Rad in dem großen Viskuleschen Handelswerke.

Wenn ihm das einer gesagt hätte, als er nach seiner Heimkehr aus der Fremde zum ersten Male wieder dieses Haus betrat und sich bänglich fragte, ob er wohl noch hierhergehöre, hierher, wo er nun die rechte Hand des jungen, jetzt einzigen Gebieters war!

Soviel es seine Zeit erlaubte, bemühte er sich, seine Handschrift zu verbessern und sich im Rechnen zu üben, was bisher seine starke Seite nicht gewesen war. Wenn er die Menge der ein- und ausgehenden Güter betrachtete und einen Einblick gewann in den oft bedeutenden Unterschied des Preises, für den sie eingekauft und zu dem sie wieder verkauft wurden, sich also berechnen konnte, wieviel daran verdient wurde, so erfüllte ihn mehr und mehr die Lust am Gewinn, und bald regte sich in ihm ein starker Trieb zum Wetten und Wagen. Er begriff es nicht, ja er konnte fast unwillig darüber werden, wenn Balduin seine klugen Vorschläge zu einem, seiner Meinung nach vielversprechenden Geschäft etwas von oben herab belächelte, statt mit Eifer an die Ausführung zu gehen, und konnte sein Erstaunen nicht unterdrücken, wenn ein bedeutender Gewinn oder ein auch vorkommender Verlust, was beides ihn teilnahmsvoll erregte, den Freund völlig ungerührt ließen. Seine Freude jedoch an den mannigfachen kaufmännischen Arbeiten, die er selber leistete und von Gehilfen und Untergebenen leisten sah, trübten solche Erfahrungen keineswegs; er gewöhnte sich allmählich daran, und hätte er den alten Herrn nicht aufrichtig liebgehabt und ihm die baldige Erlösung aus dem Kerker von Herzen gewünscht, so hätte seinetwegen Herr Heinrich Viskule immer noch eine Weile wegbleiben können, denn wie Balduin jetzt seinen Vater vertrat, so betrachtete Gilbrecht sich als den Stellvertreter Balduins, und dieses Verhältnis mußte aufhören, sobald Herr Viskule zu Haus und Hof zurückkehrte und selber wieder die Zügel in die Hand nahm.

Der Tag rückte auch immer näher, an dem Jakob abziehen und er selber als Böttcherknecht in seines Vaters Werkstatt treten wollte; aber ob ihm sein ehrbares Handwerk noch behagen würde, nachdem er einen ganz anderen Lebenslauf kennen und schätzen gelernt hatte, war ihm selber sehr fraglich. Wieviel freudenreicher aber wäre sein Wirken hier auf dem Viskulenhofe gewesen, wenn er es unter Hildegunds Augen hätte vollbringen können. Der Mangel ihrer Gesellschaft war eine harte Entbehrung für Gilbrecht, und aus ihrer längeren Abwesenheit schloß er, daß sie mit Gewalt im Kloster zurückgehalten würde und dort ebensogut eine Gefangene wäre wie ihr Vater im blauen Turm. Nicht einmal eine Nachricht hatte man von ihr, wie sie dort lebte im Kloster, und zu wann ihre Heimkehr in Aussicht stünde. Zwei liebe, grausam Entführte fehlten in den wohnlichen Räumen des Viskulenhofes, und es verging kaum ein Tag, ohne daß die drei Freunde berieten, wie die Verstrickten aus ihren Banden zu lösen wären. Ilsabe hatte sich schon öfter erboten, nach Kloster Lüne zu gehen, um Hildegund wenigstens zu sehen und zu sprechen; aber dem widersetzte sich Balduin mit großer Entschiedenheit, weil er besonders fürchtete, daß man dann auch noch Ilsabe dort zurückbehalten könnte.

Als sie wieder einmal eines Nachmittags im Viskuleschen Wohngemach saßen und sich über diese Angelegenheit unterhielten, kam Martin herein und meldete: »Junker, eine Dame wünscht Euch zu sprechen, sie wollte Euch Nachricht von Fräulein Hildegund bringen.«

»Von Hildegund?« rief Balduin. »Willkommen, wer es auch sei!«

Eine leicht begreifliche Erwartung bemächtigte sich der Freunde. Nahende Schritte draußen auf dem Gang ließen sich durch die offengebliebene Tür vernehmen, und gleich darauf erschien in deren Rahmen – Frau Walpurg Grönhagen.

Die Überraschung war auf beiden Seiten sehr groß, aber Walpurg faßte sich schnell, und nach einer kaum merklichen Neigung des Kopfes zur Seite gegen die Hennebergs, wobei sie Ilsabe mit zwinkernden Augen von unten nach oben maß, was heißen sollte: Ihr beiden werdet hoffentlich sofort verschwinden! beachtete sie die Geschwister nicht weiter, sondern wandte sich mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln zu Balduin und sagte: »Verzeiht, Junker, daß ich Euch heimsuche und in so gefälliger Gesellschaft störe! Aber ich erfuhr kürzlich, Ihr wäret verwundet, und wollte selber nach Eurer Genesung fragen.«

»Ich danke Euch, Frau Walpurg«, erwiderte Balduin beklommen, »die kleine Wunde ist längst geheilt, und es geht mir nach Wunsch.«

»Das freut mich von Herzen«, sprach sie mit leise schwingender Stimme, »aber dann wundert mich, daß ich Euch so lange nicht gesehen habe. Seit dem köstlichen Abend im Rathause habt Ihr Euch nirgends blicken lassen.«

»Ihr wißt wohl, daß mein lieber Vater gefangenliegt«, entgegnete er, »da hab' ich hier viel zu schaffen und zu sorgen.«

»Aber man darf doch seine besten Freunde nicht vergessen. Ich kenne Leute, Junker Balduin, die Euch gesucht haben«, lächelte sie mit einem heißen Blick, indem sie sich lebhaft zu ihm hinüber bog.

»Wer wird mich in dieser trostlosen Zeit suchen, wo ich mir selber kaum zu helfen weiß!« erwiderte er trocken und ohne verstehen zu wollen.

»Wer Euch gesucht hat, fragt Ihr? Oh, wer den recht innigen Wunsch hat, Euch zu sehen, und – und wer ein Recht darauf hat, Junker Balduin!« sprach sie mit warmer Betonung und schielte nach Ilsabe hin, die regungslos und mit gepreßtem Herzen Balduins Antwort darauf in seinem Gesicht zu lesen suchte, ehe er sie aussprach.

Balduin war der Besuch der jungen Witwe über alle Maßen peinlich. So unangenehm ihn jedoch ihre auffallende, ja zudringliche Annäherung berührte, er konnte gegen eine Frau nicht unhöflich sein, die er schon mit Armen umschlungen und an seine Brust gedrückt hatte. Daß er sowohl die leidenschaftliche Begegnung im Mondschein als auch sein Verhalten gegen Walpurg bei Mandelsloh und im Rathaussaale jetzt bereute, befreite ihn nicht von einem gewissen Schuldgefühl ihr gegenüber. Aber es gereichte ihm andererseits zum Troste, daß er sich ihr mit keinem Wort verbunden hatte, und mit dem Überschreiten seiner Schwelle vergab sie sich seiner Meinung nach etwas, denn es war ihm nicht zweifelhaft, daß die Überbringung einer bis jetzt noch nicht einmal erwähnten Nachricht von der ihr wenig befreundeten Hildegund ihr nur zum Vorwand für diesen unternehmenden Besuch dienen sollte.

Walpurg hatte allerdings gehofft, mit Balduin allein zu sein. Sie konnte es nicht ertragen, daß er sich von ihr abwendete, wollte ihre frühere Macht über ihn noch einmal gegen sein Herz Sturm laufen lassen und mußte nun die hier finden, um derentwillen er sie, wie sie überzeugt war, in den letzten Wochen vernachlässigt hatte. Oh, wüßte sie nur, wie sie sich an ihr rächen könnte!

Ilsabe war über das Erscheinen Walpurgs heftig erschrocken. Schon bei deren übermütiger Erwähnung des für sie so schmerzvollen Abends im Rathause ergriff sie eine tiefe Unruhe, daß sich das dort Vorgegangene hier in ähnlicher Weise wiederholen könnte, und sie verfolgte das Liebesgeplänkel, die halb verhüllten Schmeichelworte und das noch mehr sagende Augenspiel, womit die sehr entgegenkommende Frau den Freund zu umstricken suchte, mit angsterfüllter Spannung, wie sich das weiter entwickeln und welchen Erfolg es haben würde.

Es war ihr daher eine große Erleichterung, als Balduin das Gespräch mit den Worten abbrach: »Frau Walpurg, der Diener sagte, Ihr wolltet mir eine Nachricht von meiner Schwester bringen. Wißt Ihr etwa, wie es Hildegund geht?«

»Es geht ihr nicht so gut, wie es Euch hier zu gehen scheint, Junker«, gab Walpurg zur Antwort und fügte mit einem spöttischen Blick auf Ilsabe hinzu: »Ihr habt ja leicht Ersatz gefunden, mit dem Ihr Euch über die Abwesenheit der Schwester tröstet.«

»Soweit eine Schwester dem Bruder ersetzt werden kann, geschieht es allerdings durch unsere liebe Jugendfreundin Jungfrau Ilsabe«, sprach Balduin mit ernstem Gesicht.

»Hildegund ist gesund und wohl und sehnt sich nach Hause zurück«, bemerkte Walpurg. »Aber damit sage ich Euch wohl nichts Neues. Jungfer Ilsabe hat ihre Gespielin gewiß schon öfter im Kloster besucht.«

Sie wußte, daß dies nicht geschehen war, und wollte Ilsabe damit einen Stich versetzen, der auch traf. Ilsabe fühlte sich beschämt, daß jene den Gang zum Kloster unternommen hatte und sie nicht.

»Ich habe mich mehrmals dazu erboten –«, sprach sie.

»Aber auf meinen nachdrücklichen Wunsch«, fiel ihr Balduin in die Rede, »hat Jungfer Ilsabe meine Schwester bis jetzt noch nicht besucht.«

»Warum denn nicht? Welche große Gefahr fürchtet Ihr denn dabei für Eure liebe Jugendfreundin?«

»Verzeiht, wenn ich Euch die Antwort darauf schuldig bleibe«, erwiderte Balduin. »Ich bitte Euch, sagt mir: wann wird Hildegund zu uns zurückkehren?«

»Das weiß ich nicht. Mir scheint, sie ist über die Zustände hier in der Stadt falsch unterrichtet, glaubt, hier tobte der Kampf, und ist besorgt um das Leben ihrer Freunde. Ich habe sie beruhigt«, sprach Walpurg lachend weiter, »nur konnte ich ihr leider nicht sagen, wie wohl sich's ihre Freunde hier auf dem Viskulenhof sein lassen.«

»Ich wollte, Ihr hättet ihr sagen können, wie besorgt ihre Freunde hier auf dem Viskulenhof um sie sind, Frau Grönhagen!« bemerkte Ilsabe mit mühsam bewältigtem Zorn.

»Wirklich, Jungfer Henneberg? Und habt Euch trotzdem hier nicht losreißen können? Der Wunsch Eures Freundes, Euch nicht von sich zu lassen, war also doch wohl noch mächtiger als Eure und seine Sorge um Hildegund?«

»Wenn's Euch bequem ist, so nehmt an, es wäre so«, erwiderte Ilsabe erregt.

In Walpurgs Augen blitzt ein glühender Haß auf; aber ehe sie Antwort gab, fragte Gilbrecht: »Hat Euch Hildegund kein Mittel gesagt, wie sie von dort erlöst werden könnte?«

»Wollt Ihr sie vielleicht befreien?«

»Wenn ich könnte, ja!«

»Ein solches Mittel hat sie mir nicht angegeben«, sprach Walpurg, »aber sie deutete mir an, daß man zur Rettung ihres Vaters ein sehr schweres Opfer von ihr verlangte.«

»Zur Rettung des Vaters?« sagte Balduin sehr beunruhigt. »So wird sie belogen und betrogen.«

»Die Ärmste!« rief Ilsabe. »Und der liebsten Freundin nicht helfen zu können!«

»Ei, Jungfer Ilsabe«, sprach Walpurg, »wenn Ihr Hildegund wirklich so liebt, wie Ihr vorgebt, so wüßte ich vielleicht ein Mittel, wie Ihr sie befreien könntet.«

»Nun?« fragte Ilsabe.

»Man sucht, glaub' ich, in Kloster Lüne eine schöne, junge Nonne; opfert Ihr Euch doch, Jungfer! Nehmt Ihr doch an Hildegunds Stelle den Schleier!«

Das war in dem entehrenden Sinne, wie Walpurg es meinte und mit einem leichtfertigen, höhnischen Lachen deutlich genug zu verstehen gab, eine unauslöschliche Beleidigung.

Entsetzt sprangen die anderen drei auf. Balduin faßte mit raschem Griff Ilsabes Hand, hielt sie fest und sprach am ganzen Körper bebend: »Frau Walpurg Grönhagen! Wer diese hier nur mit einem Blick beleidigt, der ist mein Todfeind! Eine weitere Antwort auf Eure schamlose Rede verdient Ihr nicht!«

Darauf führte er die mit Tränen kämpfende Ilsabe sofort in das Nebengemach, wohin ihnen Gilbrecht folgte.

Bleich, zitternd und keuchend vor Wut eilte Walpurg hinaus.

Die Freunde schwiegen; keiner von ihnen fand gleich ein beruhigendes Wort. Ilsabe hatte sich gesetzt, denn sie fühlte sich wanken von dem Stoße, den die Neidvolle gegen sie geführt hatte; Gilbrecht, empört über Walpurg wie über Balduin wegen seines Verkehrs mit ihr, lief stumm grollend hin und her, und Balduin stand am Fenster und schaute finster hinaus, ohne etwas zu sehen. Es war eine drückende, peinliche Stille im Gemach. Endlich kehrte sich Balduin hastig um, wandte sich zu Ilsabe und sagte mit einer Stimme, in der noch die heftigste Bewegung schütterte: »Ilsabe – daß die Frau es wagen durfte, hierherzukommen, ist meine Schuld! Ich habe mich in Unbedacht und Übermut hinreißen lassen, mit ihr zu tändeln und zu spielen. Ich bitte dich, Ilsabe, verzeihe mir!«

Er hatte die letzten Worte weich und rührend gesprochen. Ilsabe hob das Haupt mit einem innigen, feuchtschimmernden Blick zu ihm empor und legte ihre Hand in die dargebotene seine.

Balduins Bitte versöhnte Gilbrecht, und er wollte dem Freunde das Bekenntnis einer Torheit nicht durch seine Gegenwart erschweren; darum entfernte er sich still und ging hinab in die Schreibstuben.

»Wie du mir auf dem Rathause den Tanz versagtest«, sprach Balduin, als er mit Ilsabe allein war, »das war mir eine bittere Lehre, und mit meiner Lust am Feste war's vorbei; aber ich sah mit einem Male klar und deutlich, was ich getan, was ich dir getan hatte, Ilsabe. Ich nahm mir vor, am nächsten Tage zu dir zu gehen und dir alles reumütig abzubitten; aber da brach die böse Zeit über uns herein, die Erregung, der Aufruhr, die Gefangenschaft meines Vaters, und es unterblieb; ich hatte nicht die Stimmung, nicht den Mut, dir zu nahen. O wie glücklich war ich dann, als du gleich nach meiner Verwundung von selber zu mir kamst und mich pflegtest! Ich schloß daraus, du hättest mir verziehen, oder hoffte, du würdest es tun, und nun kommt die Arge hierher und kränkt dich aufs neue mit frechen Worten. Kannst du auch das verzeihen, Ilsabe? – Noch einmal bitte ich dich: vergib mir meinen sträflichen Leichtsinn!«

Er hatte sich beim Sprechen, halb hinter ihr stehend, auf die Lehne des Stuhles gestützt, auf dem Ilsabe saß. Sie hatte ihn ruhig angehört; jetzt erhob sie sich, nahm wieder seine Hand und sprach sanft mit niedergeschlagenen Augen: »Laß das ruhen, Balduin! Es soll vergessen sein, wir wollen nicht mehr davon sprechen.«

»Wirklich? Willst du es vergessen?« fragte er schnell und freudig. »O Dank! Tausend Dank! Und glaube mir, Ilsabe – mein Herz wußte nichts davon, denn das gehört dir, Ilsabe – hat dir immer gehört und wird immer und ewig dir gehören.«

Bestürzt blickte sie rasch zu ihm auf; ihr stockte der Atem, wie sie mit halbgeöffneten Lippen dem Freunde sprachlos in die Augen starrte.

»Du siehst mich so verwundert an; ja weißt du es denn nicht, daß ich dich liebe?!« sprach er mit einem Ton, der laut und stark aus freiem, frohem Herzen drang.

Ein Zittern überkam sie; heiß und rot überlief es ihr Antlitz; die Brust wollte ihr springen, und ihre Augen strahlten in einem wunderbaren Glanze.

»Ilsabe, das hast du nicht gewußt?« rief er noch einmal und faßte ihre beiden Hände. »Ich liebe dich, ich liebe dich, Ilsabe! nicht wie seit den Kinderjahren, nein, ganz anders, ganz anders, Ilsabe! Oh, wenn du mich so wiederlieben könntest! Nur halb so –«

»Ach!!« – ein Schluchzen nur, ein auffliegendes Jauchzen war es, womit sie sich stürmisch in seine Arme warf, und wie er sie umfing, so drückte sie ihn mit liebender Gewalt an die hochklopfende Brust und lachte und weinte, und Augen und Lippen blühten und glühten ihm wonnig entgegen.

»Oh, welches Herzeleid hab' ich dir zugefügt!« sprach er, sie in seinen Armen haltend. »Aber wie manchmal auch hat mir das Geständnis auf der Zunge geschwebt und die Frage, ob du mein sein wolltest! Ich wollte warten, bis mein Vater wieder frei und bis Hildegund wieder bei uns ist, doch nun haben mir die Worte des Hasses jener Unseligen das Wort der Liebe von den Lippen gelöst.«

»Das ist die beste Antwort, Balduin, die wir ihr geben können, daß wir uns auf Leben und Tod miteinander verbunden haben. Aber schweige von ihr! Wir wollen sie aus unserem Gedächtnis verlöschen.«

»Ja, das wollen wir«, sprach er; »aber auch von unserer Liebe müssen wir noch schweigen, Ilsabe.«

»Nur der Mutter laß es mich sagen«, bat sie.

»Nein, Ilsabe! Solange mein Vater im Turm liegt, müssen wir schweigen. Wenn wir ihn wiederhaben, will ich mit dir vor die Deinen treten, daß er uns seinen Segen gibt.«

»Wie du willst, Geliebter!« sagte sie, »deine Wünsche sollen meine Wünsche sein. Aber nun laß mich! Laß mich fort, daß ich meine wirbelnden Gedanken sammele!«

»Die meinigen nimmst du alle mit!« sprach er.

Sie entwand sich seinen umschließenden Armen und eilte davon.

Zu Hause flüchtete sich Ilsabe hinauf in ihr Schwalbennest. Dort stand sie mitten im Stübchen, bog den Kopf zurück und schlug die Hände vor das Gesicht, jubelnd: »Er liebt mich! Er ist mein!« Mit einem langen, tiefen Atemzuge hob sie die wogende Brust, als befreite sie den Busen von einer Bergeslast und holte mit dem Atem alle Not und Angst aus dem Herzensgrund herauf, sie von sich stoßend auf immerdar. Dann trat sie ans Fenster und sandte den lächelnden Blick in die sonnenbeglänzte, unabsehbare Heide hinaus, als tauchte sie ihn mit seligem Vertrauen in die unergründliche Zukunft.


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