Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Sechstes Kapitel

Nun war es gut Wetter zum Abziehen des Malvasiers. Die Sonne stand am heiteren Himmel und legte es den Menschen recht warm ans Herz, doch endlich an den Frühling zu glauben. Sie blickte ihnen durch die Fenster in die Stuben und in die Werkstätten. Auch in die Gassen schien die Sonne und auf die Dächer und Giebel, daß die Wetterhähne da oben ihr vergoldetes Gefieder funkeln ließen und vor Hoffart und Gefallsucht nicht wußten, wie sie sich drehen und wenden sollten; krähen konnten sie ja nicht, sonst hätten sie es vielleicht noch lauter getan als die lebendigen Haushähne unten auf den Höfen, die mit den Flügeln schlugen und mit geschwollenem Kamm ihr Kikeriki aus Leibeskräften in den Tag hinein schrien.

Und wo die liebe Sonne unter anderem auch noch hineinschien, das war Herrn Heinrich Viskule sein Weinkeller. Nur einen einzigen Strahl konnte sie hineinschicken, der durch das Kellerfenster wie ein breiter Schrägbalken auf die Steinfliesen fiel, und in dem Millionen von winzigen Sonnenstäubchen tanzten und flirrten. Hell war das dicke, steil hinabhängende Gemäuer der tiefen Kellerluke beleuchtet und auch die Stelle, wohin der Sonnenstrahl traf, aber das eingeengte Licht stufte sich schon in der nächsten Umgebung zu einer schnell wachsenden Dämmerung ab, die sich in dem ferner liegenden Raume des Kellers zur völligen Dunkelheit verdichtet haben würde, wenn dort nicht drei brennende Kerzen wieder so viel Licht verbreitet hätten, wie zu dem heiteren Geschäft des Weinabziehens erforderlich war.

Vor dem Faß am Hahn saß Gilbrecht als Kellermeister des Viskulenhofes und zapfte den goldbraunen Wein aus Griechenland in grünliche Flaschen, die ihm Hildegund zu seiner Rechten zureichte und Ilsabe zu seiner Linken gefüllt wieder abnahm, um sie zu pfropfen und dann an Balduin weiterzugehen, der mit einem hölzernen Schlägel die Pfropfen tiefer hineintrieb. Und wie fröhlich und guter Dinge waren die vier dabei! Den Mädchen glühten die Wangen, Balduin sprudelte vor Mutwillen, und auch Gilbrecht hatte einen roten Kopf, weil er am Zapfen den Duft des starken Weines aus erster Hand bekam. Sie saßen freilich nicht bei trockenem Munde, sondern auf dem Lager neben dem Faß standen zwei Gläser, und Gilbrecht sorgte dafür, daß sie nie leer, die anderen, daß sie nie voll waren, und auch hierbei half er den Freunden.

Ein ausgelernter und geübter Weinzapfer war er übrigens noch nicht, denn er zeigte sich beim Empfangen der leeren Flaschen noch recht ungeschickt. Statt nämlich die Flasche, wenn Hildegund, sie am Halse haltend, ihm zureichte, nun etwas tiefer an der stärkeren Rundung zu fassen, ergriff er sie stets an derselben Stelle wie Hildegund, so daß diese ihre Hand erst unter den seinigen hervorziehen mußte, was sehr behutsam geschehen mußte, damit die Flasche nicht hinfiel. Hildegund war nachsichtig genug, ihm diese Ungeschicklichkeit nicht vorzuwerfen, und so lernte er's nicht und beging fort und fort denselben Fehler, den ihm ein alter Küfermeister gewiß nicht so leicht verziehen hätte wie die junge, liebenswürdige Freundin.

Mit den zwei Gläsern war das auch so eine Sache. Warum tranken denn die beiden Mädchen nicht aus einem und die Junggesellen aus dem anderen? Freilich, das eine Glas stand rechts, das andere links vom Fasse, und da Ilsabe zwischen Gilbrecht und Balduin und ebenso Gilbrecht zwischen Hildegund und Ilsabe saß, mußten die Mädchen, bloß der größeren Bequemlichkeit und Zeitersparnis wegen, sich der zwingenden Notwendigkeit fügen, mit ihrem nächsten Nachbarn zur Linken, das heißt nicht mit dem Bruder, sondern mit dem Freunde aus demselben Glase zu trinken. Und das soll sehr gefährlich sein, soll sehr leicht berauschen, daher auch die glühenden Wangen. Daß aber Gilbrecht etwa, wie er die Flaschen an derselben Stelle wie Hildegund mit der Hand faßte, auch das Glas an derselben Stelle wie Hildegund mit dem Mund berührt hätte beim Trinken, das hat keiner gesehen, denn sonst wäre es gewiß streng gerügt worden.

»Ich kann nicht mehr«, sprach Ilsabe, als Gilbrecht das linke Glas wieder gefüllt hatte.

»Gut!« sagte Balduin. »Machen wir eine Weile Schicht und trinken einmal ordentlich dazwischen.«

»Ach, ich meine ja, ich kann nicht mehr trinken; pfropfen kann ich noch.«

»Ruhe dich ein wenig«, sprach Balduin, »so ein Schemel hat keinen Rückhalt; komm, hier ist dein Platz!« Er legte den Arm um sie, und sie lehnte sich an seine Schulter. »Ach, Ilsabe! So möcht' ich dich ewig halten!«

Sie machte eine Bewegung, als wollte sie aufstehen, aber er drückte sie fester an sich, und sie ließ es sich wohlich gefallen.

»Bist du auch müde?« wandte sich Gilbrecht zu Hildegund und hob schon den Arm.

»Nein«, sprach sie, »und trinken kann ich auch noch.« Nahm das rechte Glas, hielt es zwischen ihre und Gilbrechts Augen und sagte bloß: »Dir!« und trank die Hälfte.

Gilbrecht nahm es ihr ab: »Und dir!« Und trank die andere Hälfte.

Was leuchtete heller, was glänzte feuriger? Der funkelnde Wein vor dem flackernden Wachslicht oder die vier Sterne in den Angesichtern der beiden sich also Grüßenden?

»Seht den Sonnenstrahl!« sprach Ilsabe. »Wie der so hell dort in den Keller fällt.« Sie sprang auf und stellte sich mitten hinein, und wie das Sonnenlicht ihr blondes Haar umspielte, gab es einen goldigen Schein, als wäre ihr Haupt von einer Glorie umstrahlt.

»Welch ein Bild!« rief Hildegund. »Wie eine Madonna sieht sie aus, von einem Mönch gemalt!«

So war es wirklich. Rings um Ilsabe war tiefer Schatten, sie allein stand mit ihrer seinen Gestalt in hellem Licht und hob sich in ihrem farbigen Gewande von dem dunklen Hintergrund wunderbar herrlich ab. Über dem blühenden Angesicht, dem von Sonnenglanz umwobenen Haupte spannte sich dämmernd im Boden das schmucklose Gewölbe und diente mit seinem steingrauen Ernst der anmutvollen Erscheinung zum gewaltigen Rahmen, ihre Schönheit noch erhöhend.

»Bleib stehen, bleib stehen!« rief Balduin. »So schön hab' ich dich noch nie gesehen!«

Bald kam Ilsabe zu den andern zurück. Der Sonnenstrahl flimmerte nach wie vor an derselben Stelle, aber es war nicht mehr so hell und goldig dort, seit der holde Zauber daraus verschwunden war.

»Weiter!« rief Gilbrecht. »Hildegund, gib Flaschen her! Ilsabe, paß auf!«

Und das Zapfen nahm seinen lustigen Fortgang. Flasche nach Flasche wanderte an dem Faß unter dem Hahn vorüber von Hand zu Hand, leer ankommend, gefüllt beiseitegestellt, und die den Umschwung besorgten, plauderten und scherzten und lachten und vergaßen auch das Trinken nicht ganz. Die umgekehrt im Korbe stehenden Flaschen klirrten oft laut gegeneinander, wenn Hildegund eine herausnahm, und Balduins Klopfen mit dem Schlägel klang durch den gewölbten Raum, so daß die Geschäftigen nicht hörten, wie Herr Heinrich Viskule die Treppe herabstieg. Auf den mittleren Stufen blieb er stehen und dachte: ›Da sitzen sie, glückselige Kinder, beim Herzenströster Wein und wissen nichts, worüber er sie trösten könnte.‹

Er kam vollends herab, und nun bemerkten sie ihn.

»Nun? Ist er gut, Gilbrecht?« fragte er. »Ist er klar?«

»Klar und süß, Vater!« rief Hildegund schwärmerisch. »Ein Göttertrank!«

Der Ratsherr blickte seiner stolzen Tochter etwas verwundert in das schön erregte Antlitz und bemerkte lächelnd: »Ist wohl stark und feurig, der braune Grieche?«

»Oh, das geht«, meinte Balduin.

Gilbrecht hatte inzwischen eins der Gläser gefüllt, hielt es am Rande des Fußes gefaßt dem Ratsherrn artig entgegen und sagte den Küferspruch:

»Ich hab' ihn gepflegt in Dauben und Band,
Bis daß er bekommen sein Kraft und Verstand,
Ich hab' ihn gelassen, wie Gott ihn gemacht,
Nicht sauer noch süß in sein Spündlein gebracht,
Er ist wie ein' Jungfrau so rein und so fein,
Gott segne den Trunk! 's ist Wein, 's ist Wein!«

Herr Viskule nahm dankend das Glas und trank, neigte den Kopf vor und kostete vorn auf der Zungenspitze, bog den Kopf zurück und kostete hinten am Gaumen. Dann bewegte er die Lippen bedächtig, trank noch einmal und nickte freundlich: »Ein sauberes Weinchen, Gilbrecht! Ein edles Blut! Aber nichts für euch, junges Volk, zu stark, zu heiß für euch, den dürfen ungemischt nur wir Alten trinken.« Und er leerte das Glas.

»Oh, Herr Ratsherr, wir Jungen können's auch«, sprach Ilsabe und klopfte ans Faß. »Es ist bald leer, und wenn Ihr die Flaschen zählt, werdet Ihr finden, wieviel daran fehlt.«

»Ich gönn' es euch, Kinder«, lächelte Herr Viskule, »aber nehmt euch in acht! Er steigt in den Kopf.«

»Dem einen in den Kopf, dem anderen ins Herz, Herr Ratsherr!« rief Ilsabe. »Was wäre das für ein Wein, der uns kalt und nüchtern ließe!«

»Sie hat recht, Vater«, sprach Hildegund; »ich liebe den Geist, der im Weine wohnt, lasse mich von ihm erfreuen und erwärmen und doch nicht bezwingen. Gilbrecht, was meinst du?«

»Mir ist er bald ein Freund und lieber Geselle, bald ein vornehmer Herr, dem ich nur mit Ehrfurcht nahe«, sprach Gilbrecht.

»Laß sie streiten, Vater!« lachte Balduin. »Uns soll der Malvasier gut schmecken, und ich bitte dich, schließe du ihn weg, laß es nicht Base Barbara tun.«

»Warum, mein Sohn?«

»Ich gönn' ihn dem Propste nicht!«

Mit einem schlauen Lächeln klopfte der alte Herr dem Sohn auf die Schulter: »Balduin – ich auch nicht! Sag's nur dem Martin, er soll ihn zu meinen firnen Rheinischen legen, den Schlüssel führ' ich selbst.«

»Soll geschehen, Vater! Verlaß dich darauf!« frohlockte Balduin.

Der Ratsherr strich Ilsabe über das Stirnhaar und sagte liebevoll: »Grüß mir deinen braven Alten, du blonde Maid! Und auch Frau Johanna meinen dienstwilligen Gruß; ich besuche euch bald einmal.«

»Wird uns viel Ehre und Freude sein, Herr Ratsherr!« sagte Ilsabe lebhaft, sich auf den Fußspitzen wiegend, und drückte seine Hand an die Brust.

Endlich war das Faß leer, die beiden Geschwisterpaare trennten sich mit Lachen und herzlichen Grüßen, und die Hennebergs gingen nach Hause. –

»Ihr seht gut aus!« sagte die Meisterin Frau Johanna, als sie Sohn und Tochter erblickte. »Habt ihr den Malvasier in Flaschen gefüllt oder –?«

»Einiges auch in Flaschen, Mutter«, lachte Gilbrecht, »aber das meiste davon hat Ilsabe getrunken.«

»Aber, Mädchen, du!« sagte die Mutter.

»Ach, Mutter, es ist nicht so schlimm«, sprach Ilsabe, »ich habe kaum genippt; aber schön war es, war er, und süß und rot wie – nein, braun, nicht wahr, Gilbrecht? Braun sah er aus.«

»Jawohl, braun, braun, so braun wie – wie Malvasier.«

»Nun setzt euch mal hierher und erzählt«, sagte die Mutter.

Das taten sie denn unter beständigem Lachen, und wenn sie auch nicht alles beichteten, so erriet doch die Mutter auch manches Ungesagte und dachte sich noch mehr. Sie merkte wohl, daß die überlustige Stimmung ihrer Kinder nicht bloß vom Wein kam, sondern daß es noch etwas anderes, ein tieferes Glück sein mußte, was sie so erregte und ihnen aus Herzensgrund so fröhlich und selig durch die Augen blickte. Was für eine Art von Glück das war, wußte sie bald so gut und sicher, als wäre sie selber dabei gewesen.

Gilbrecht hatte keine Ruhe auf dem Stuhl im Zimmer; er lief treppauf in die Kammer, legte dort ein kurzes Wams an, band sich sein Schurzfell um und kam so in die Werkstatt, wo der Meister sowie Arnold, Jakob und Lutke fleißig bei der Arbeit waren, sie aber jetzt unterbrachen und verwundert auf Gilbrecht schauten. Dieser stellte sich vor seinen Vater hin und sprach mit lauter Stimme: »Mit Gunst und Erlaubnis, ehrbarer, günstiger Meister! Ich wollte Euch um Arbeit und Beförderung angesprochen haben, nach Eurer und meiner Beliebung, nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit, solange es Euch und mir gefällt.«

Der Meister sah ihn groß an.

»Ich habe das Faulenzen satt, Vater! Muß was um die Hand nehmen.«

»Schon«, lächelte der Vater. »Meinetwegen, nur zu!« Und wies auf ein paar Tonnen hin, an denen noch sämtliche oberen Bände fehlten.

Gilbrecht nahm sich Werkzeug, wählte Reifen aus, paßte sie um, schnitt sie zurecht und fing an zu arbeiten.

»Wenn du schaffst, so kann ich feiern«, sagte Meister Gotthard und ging in die Stube zu seiner Frau.

Als er eintrat, sprang Ilsabe auf und eilte hinaus.

»Was ist denn das?« fragte der Meister. »Der Junge schnallt sich das Schurzfell um, spricht mich um Arbeit an und fängt an zu binden, und das Mädchen läuft fort, sowie ich komme. Was haben denn die beiden?«

Frau Johanna klärte ihn auf, und er begriff sehr schnell. »Was?« sagte er lachend. »Und der will geraden Weges vom Rhein kommen, will ein halber Küfer geworden sein und läßt sich ein Fäßchen Malvasier in den Kopf steigen? Und die Ilsabe! Das hätte ich dem Mädchen gar nicht zugetraut, daß sie sich zu ihren zwei blonden Zöpfen noch einen braunen dazu trinkt. Was sagst du dazu?«

»Oh, es ist nicht so schlimm«, begütigte die Meisterin, »der kleine Weinrausch vergeht bald wieder; aber – der andere –«

»Welcher andere?«

Nun suchte die Meisterin ihrem Mann die Beobachtungen, die sie über die ungewöhnliche Heiterkeit der Kinder gemacht hatte, und die Vermutungen, die sie daran knüpfte, behutsam beizubringen. Ganz verhehlen konnte und wollte sie ihm die wichtige Entdeckung nicht, aber sie als unumstößliche Gewißheit hinzustellen wagte sie auch nicht, sowenig sie auch an der Richtigkeit ihrer Schlüsse zweifelte. Ihre Entdeckung stand mit ihren geheimsten Wünschen im Einklang, und eben darum, weil sie eine Verbindung ihrer Kinder mit dem reichen und hochangesehenen Hause der Viskule für ein großes Glück der ersteren ansah, so hütete sie sich, durch eine bestimmte Meinung die schnelle Entscheidung ihres Gatten und seine immerhin mögliche Einsprache dagegen herauszufordern. Was bei ihr nicht mehr bloß Wunsch und Hoffnung, sondern schon Überzeugung war, daß nämlich ihre Kinder liebten und geliebt würden, das stellte sie ihrem Gotthard als eine Möglichkeit, als etwas sich Vorbereitendes und noch Werdendes hin, das kaum den Grad der Wahrscheinlichkeit erreichte.

Meister Gotthard hatte in seinem hölzernen Lehnstuhl sitzend seine Frau ruhig ausreden lassen. Als sie mit ihrem leise anklopfenden Bericht fertig war, und gespannt auf eine Äußerung von ihm wartete, sagte er: »Du meinst also, es könnte sich da etwas anspinnen? Hm, hm!« Und er schüttelte das mächtige Haupt. »Daß es ernsthaft wird, glaube ich nicht und kann es kaum wünschen. Sie haben mal wieder wie Kinder gespielt, und der Malvasier hat mitgespielt. Sie sind wie Geschwister zusammen aufgewachsen und halten daran fest, was wir ihnen nicht verübeln wollen. Freilich sind ihnen mit den Jahren auch die Augen aufgegangen, und da haben sich die Jungen in die beiden hübschen Mädchen ein wenig verliebt. Aber du hast ganz recht, das ist auch nur ein anderer Rausch, der sich schon wieder geben wird, wenn sie sich besinnen, daß daraus doch nichts werden kann.«

»Du sagst, du möchtest es kaum wünschen?« fragte Frau Johanna.

»Kannst du es denn wünschen?« fragte er zurück. »Traust du dem flinken Junker schon Stetigkeit genug zu, sich ehelich einzulassen fürs ganze Leben, fest und unverbrüchlich?«

»Er ist ein Viskule«, sprach die Frau, »wenn er Handtreu gelobt, so wird er sie auch halten, das Vertrauen hab' ich zu ihm.«

»Ich will's ihm nicht absprechen«, sagte der Meister, »wenn er erst älter und das Mädchen ehrlich von Herzen liebt, aber er soll ihr nichts in den Kopf setzen, was sie vielleicht schwerer vergißt als er.«

»Und die anderen beiden?«

»Gilbrecht? Oh, ich möcht' ihm die Hildegund wohl gönnen, kann mir aber nicht denken, daß die Viskulentochter große Lust hat, eine Böttcherfrau zu werden, und dann – er ist ja noch lange nicht Meister.«

»Hier sitzt dir eine gegenüber«, sprach Johanna lächelnd, »die recht gerne eine Böttcherfrau geworden ist und –«

»Und die auch unter ihrem Stand gefreit hat, willst du sagen.«

»Nein, Gotthard! – Und die es keinen Augenblick ihres Lebens bereut hat, wollte ich sagen.«

»Bist ein braves Weib!« sprach er. »Hattest immer den Fuß an der Wiege und die Hand am Wocken. Aber hat es uns in unseren jungen Jahren nicht trübe Stunden genug gemacht? Du hast wohl vergessen, welchen Kampf du mit den Deinen um mich gekämpft hast und wie deine ganze Sippe den jungen Böttchermeister und seine Frau nicht mehr kennen wollte, mit Ausnahme deines guten Vaters, Gott hab' ihn selig! Welche Kränkungen haben wir hinnehmen, welche Behandlung haben wir ertragen müssen!«

»Und wir haben sie ertragen, haben uns liebgehabt und sind glücklich gewesen; vergißt du das? Und, Gotthard, du bist Sülfmeister, und Gilbrecht wird es auch einmal; ich habe dir wenig zugebracht außer der halben Pfanne erst vor zwei Jahren, aber Hildegund Viskule –«

»Macht ihren Mann einmal reich; das ist es ja, was mir gegen den Strich geht«, sprach der Meister, »der Mann soll die Frau ernähren, soll sie durch seine Kraft und Arbeit auf Rosen betten, wenn er kann, aber sein Wohlleben nicht ihr verdanken. Willst du es in unseren Kindern noch einmal und doppelt erleben, was wir durchgemacht haben, daß sie über die Schulter angesehen werden?«

»Des Sülfmeisters Kinder werden nie über die Schulter angesehen werden«, sprach Johanna mit einem stolzen Blick auf ihren Mann, »und seine Enkel dereinst sind auch Viskulenenkel.«

»Du möchtest deine Tochter gern als Herrin auf dem Viskulenhof sehen, als Frau eines Ratsherrn, wohl gar eines Bürgermeisters, wenn du es erlebst; nun, ja, sie ist nicht niedrig geboren, ist groß und schön genug, um dem Kaiser den Ehrentrunk der Stadt mit aller Würde zu kredenzen. Das mag noch gehen, wenn Balduin sie liebt und zum Weibe begehrt, aber das andere Paar –«

»Leg ihnen nichts in den Weg, Gotthard!« sprach Johanna mit flammenden Augen bei der Vorstellung von dem möglichen, künftigen Glück ihrer Tochter und froh, auf keinen entschiedeneren Widerspruch bei ihrem Mann gestoßen zu sein. »Stell es Gott anheim, der wird's wohl machen.«

»Gut, Johanna! Anders, als Gott will, kommt es doch nicht.« Er erhob sich und sagte: »Höre nur, welchen Höllenlärm sie draußen machen; ich glaube, der Gilbrecht will sich seinen Rausch wegböttchern, den einen mein' ich, den Weinrausch, aber am liebsten wäre mir's, er schlüge auch bei dem anderen das Faß zu.« Und er wandte sich zur Tür, die auf die Diele führte.

Als Gilbrecht in der Werkstatt den ersten Band um seine Tonne gelegt hatte, nahm er Treibhammer und Beil und trieb den Reifen an, indem er in hüpfendem Gang um die Tonne schritt und in singendem Tone dazu sprach:

»Zum Riegel,
Zum Spriegel,
Zum Prunk und Prank,
Wohl auf dem Tische,
Wohl unter der Bank.«

Aber es wollte mit dem Binden nicht redet gehen, er kam öfter aus dem Takt, und die anderen drei lachten ihn aus. Arnold sagte: »Ja, ja, Bruder Dichtbinder! Eisenband und Holzreif sind zweierlei Dinge. Das Setzeisen macht eine zu schwere Hand für den hölzernen Treiber.«

»Nur Geduld! Werd's schon wieder lernen«, sagte Gilbrecht und trommelte weiter. Er kam auch wirklich bald hinein, und beim zweiten Bande ging es schon besser. Dann hielt er inne und sagte: »Wenn das ein Weinfaß wäre –«

»Und voll Malvasier!« lachte Arnold.

»Wenn das ein Weinfaß wäre, so wollte ich euch mit dem Setzeisen die schönsten Schläge zeigen und kurzweilige Verslein dazu, die ich in Hochheim und Mainz gelernt habe.«

»Mach's uns doch mal vor«, sagte Jakob.

»Ich will's versuchen«, sagte Gilbrecht, »sie gehen viel langsamer. Also paßt auf! Dies ist der rote Mönchs- oder Klosterkellerschlag; es gibt nämlich auch einen weißen; aber der rote geht so:

Im Kloster die Brüder
Schnipp schnapp, schnipp schnapp!
Die steigen in den Keller
Tripp trapp, tripp trapp!
Und bohren am Fasse
Ripp rapp, ripp rapp!
Und wie sie nun lecken
Schlipp schlapp, schlipp schlapp!
Da kommt der Herr Abt,
Der Herr Abt, der Herr Abt!«

»Ach, was! Das hat keine Art«, unterbrach er sich, »auf Holz klingt's nicht.«

»Kannst du denn unseren kleinen Wachtelschlag noch?« fragte Arnold.

»Ja, den kann ich noch«, sagte Gilbrecht.

»Auch den kurzen Hundeschwanz? Und rückwärts den hinkenden Krebs?«

»Ich denke doch. Erlaubt denn der Herr Vater das Klappern hier in der Werkstatt?«

»Eigentlich nicht«, meinte Arnold, »aber heute wird er wohl nichts darüber sagen; sonst schieben wir's auf dich.«

»Na, denn mal losgeklappert alle viere! Aber ordentlich«, sprach Gilbrecht.

»Welchen?« fragte Jakob.

»Den Kunterbunten, den kann ich am besten.«

»Gut! Also los!«

Nun ging's los, und wie! Alle vier sprangen sie in einem besonderen Tanzschritt jeder um ein Faß herum und hieben mit dem Treibhammer in der Linken und dem Beil in der Rechten darauf los, daß die Diele dröhnte, während sie zu dem schnellen Takt halb sprachen, halb sangen:

»Klipperklapper klipperklapper eins, zwei drei!
Kunterbuntes Mädel, du kommst auch bald an die Reih',
Klipperklapper klipperklapper vier, fünf, sechs!
Hast zwei schwarze Augen wie ein' Wetter-Wetterhex',
Klipperklapper klipperklapper sieben, acht, neun!
Laß uns mal im Dunkelmunkel lustig sein.
Klipperklapper klipperklapper eins, zwei, drei!...«

Jetzt erschien der Meister auf den Stufen, setzte die Arme in die Seiten und besah sich den Spaß. Da er gutmütig lächelte, so klapperten die vier munter weiter, bis er herabkam und ihnen zuwinkte. Nun ließen sie von dem Lärm ab, und jeder nahm seine vorige Arbeit wieder auf, aber Gilbrecht fuhr mit dem Binden fort und hielt nun auch den rechten Takt dabei.

Der Meister setzte sich rittlings auf die Schneidebank und bearbeitete mit dem Krummeisen sein Stabholz. Dabei ging ihm das Gespräch mit seiner Frau noch einmal durch den Sinn, und er fragte sich, ob Johanna nicht vielleicht mehr aus ihren Wünschen, als aus ihren Beobachtungen die Schlüsse gezogen hätte, die eine Verbindung der Familien Henneberg und Viskule in Aussicht stellten. Wenn er im Geiste die beiden jungen Paare betrachtete, die so vertraut miteinander umgingen und so gut zueinander paßten, so wurde er den Gedanken an den großen Standesunterschied nicht los, der sich wie ein scharfer Keil in diese Hoffnung hineinschob. Warf er aber einen Blick seitwärts auf Gilbrecht, der eben mit dem Bandhaken einen Reifen auf die Tonne zwängte, so war das gerade in diesem Augenblick ein rechtes Sinnbild der vorliegenden Verhältnisse. Was sich schwer zusammenfügen wollte, die sich sperrenden Faßdauben, das zwang Gilbrecht mit starker Hand zueinander, und die Stellung, die er mit vorgesetztem linken und etwas eingebogenem rechten Fuß eben einnahm, während er den linken Arm ausgestreckt gegen die Tonne stemmte und mit dem rechten den Bandhaken fest und sicher niederbog, brachte seine jugendschöne Gestalt und Kraft vor des Vaters Augen in das vorteilhafteste Licht. Sich selber sah der Meister in seinem Sohne wieder. Geradeso wie Gilbrecht jetzt hatte Meister Gotthard vor siebenundzwanzig Jahren eine Tochter aus vornehmerem Hause geliebt, hatte um sie geworben und nicht von ihr gelassen, allen Weigerungen und Abweisungen ihrer Familie zum Trotz, hatte sie endlich auch errungen und war mit seiner Johanna glücklich geworden. Sein Vater lebte damals schon nicht mehr, und er, der einzige Sohn, führte als Meisterknecht die Werkstatt der Mutter, die ihm zu seinem eigenen Feuer und Rauch ihren Segen gab. Sollte er der Kraft seines Sohnes weniger vertrauen als seiner eigenen? Sollte er den Sohn sein Glück nicht versuchen lassen, wie er seines versucht hatte? Immer tiefer dachte er sich da hinein, und die Erinnerung an jene Zeit des eigenen Kampfes und Sieges stieg immer lebendiger in ihm auf. Wie er mit dem Eisen und den Dauben auf der Bank schnitzelte und schabte, und Span auf Span abfiel, so fiel auch ein Bedenken, ein Hinderungsgrund nach dem anderen in seinen Erwägungen, und wie sich das Holz unter seinen Händen immer mehr rundete und glättete, so glättete sich auch mehr und mehr in seinen Gedanken die Zukunft seiner Kinder. Dem Meister wurde frei und froh ums Herz, und er fing an leise zu pfeifen.


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