Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel

Des Sülfmeisters Brief hatte gewirkt, der Herzog war im Anzuge. Daß Herr Friedrich indessen in der kurzen Zeit genügende Streitkräfte sollte aufgeboten haben können, um die volkreiche, wehrhafte, mit Türmen, Wällen und Gräben wohlgeschirmte Stadt zu bezwingen und zu demütigen, lag fast außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Er kam also wohl nur zu friedlicher Verhandlung, wenn er auch seinen Forderungen gewiß soviel Strenge und Nachdruck geben würde, wie seine geringe Macht ihm irgend erlaubte, und seine hauptsächlichste Forderung würde ohne Zweifel die sein, daß er von der Stadt die Abtretung des Rechtes über Hals und Hand an ihn verlangte.

So sagte sich Gotthard Henneberg, wollte jedoch für alle Fälle gesichert und vorbereitet sein und sich von nichts überraschen lassen. Danach traf er seine Anstalten. Er berief sämtliche Amtsmeister und die Vorsteher der Sülfmeistergilde auf das Rathaus, machte ihnen von dem zu erwartenden Besuch des Herzogs Mitteilung und wies sie an, sich mit ihren Kumpanen zu seinem würdigen Empfang oder aber zu seiner kräftigen Abwehr und Verteidigung der Stadt bereitzuhalten; jedenfalls wünschte er bei der Verhandlung mit ihm die Gegenwart der Amtsmeister; die fünf eingelagerten sollte je ein Altermann vertreten.

Die Wache am Sülztor wurde verstärkt und ihr sowohl wie allen übrigen eine doppelte Aufmerksamkeit eingeschärft. Der Türmer auf Sankt Johannis erhielt Befehl, vom Nahen des Herzogs sofort Meldung zu erstatten.

Dann ging Meister Gotthard zu Heinrich Viskule, teilte auch ihm die Neuigkeit mit und fragte ihn, ob sich der Rat nicht bis übermorgen vollzählig machen könnte, um seiner Einsetzung durch die Gegenwart und Mitwirkung des Herzogs eine größere Feierlichkeit zu geben.

»Gewiß!« erwiderte Heinrich Viskule. »Wir sind fertig und bereit. Wenn der Herzog naht, laß nur die Ratsglocke läuten; dann wollen wir uns zu seinem Empfang in der großen Audienz versammeln. Die Verhandlung mit ihm führst im Namen der Stadt du, und das Ende davon muß sein, daß er selber den Rat in Würden und Ehren wieder einsetzt.«

Damit war Meister Gotthard einverstanden; aber auf seiner Stirn lagerten Wolken, sein Gemüt war von Sorgen bedrückt. Gegen Abend begab er sich zum Stadtschultheißen, Herrn Georgius von Elebek, um ihn zur baldigen Abhaltung des Gerichts zu veranlassen, und wählte mit ihm neun schöffenbar freie Männer, die das Urteil finden sollten.

Mit der sofortigen Erhebung der peinlichen Klage wider die Gefangenen hatte Gotthard Henneberg seine besondere Absicht. Er wollte es dem Herzog gegenüber nicht bloß mit Worten behaupten, sondern ihm auch gleich durch die Tat beweisen, daß die Stadt Lüneburg das Richten über das Blut als ihr unveräußerliches Recht festhalte und nach wie vor ausübe, selbst unter seinen sehenden Augen, wenn er es nicht vorzöge, die Stadt sehr bald wieder zu verlassen, was Meister Gotthard damit gleichfalls zu erreichen hoffte.

Von des Schultheißen Wohnung ging er nicht nach Hause, sondern zum Altenbrücker Tor und machte einen einsamen Gang in die Heide.

Als ihn Meister und Gesellen, die die Wache am Tor hatten, kommen sahen und ihm öffneten, erwiesen sie ihm besondere Ehre, wie solche ihrer guten Meinung nach dem Gebieter der Stadt zukam, und als sie ihm nachschauten, wie seine hohe Gestalt mit gesenktem Haupt langsam über die Brücke wandelte, sprach ein Färberknecht: »Der Besuch des Herzogs scheint dem Sülfmeister schwer wie Heidenebel auf der Brust zu liegen.«

»Wundert dich das noch?« fragte ein zweiter. »Auf seinen Schultern ruht jetzt das ganze Regiment.«

»Ich wollte, er behielte es auch«, sprach der Färbermeister, »dann brauchten wir keinen Rat, denn der Sülfmeister regiert selber wie ein Herzog.«

»Streng und gerecht, das laß ich mir gefallen!« sagte wieder ein Geselle, und die anderen stimmten ihm zu.

An den Herzog dachte Meister Gotthard nicht; ihm lag anderes im Sinn. Der Gang zum Schultheißen hatte es ihm angetan, und ihn kümmerte, nicht was er diesem gesagt, sondern was er ihm noch verschwiegen hatte.

Der nächste Tag verging ohne Zwischenfall. Der Meister teilte Arnold mit, daß er nächstens eine hohe Morgensprache in der Böttchergilde halten wolle, um sowohl für Arnold das Amt zu eschen, als auch Dippold wieder in die Gilde aufzunehmen. Arnold sollte sich also darauf gefaßt machen, bald sein Meisterstück in Angriff nehmen zu können und seiner Ursula den Brautschleier zu bestellen.

Auch seinem Morgensprachsherrn Heinrich Viskule kündigte er diese Absicht an. Der aber lächelte geheimnisvoll und sagte: »Die Böttcher werden wohl bald einen anderen Morgensprachsherrn bekommen; ich trete von dieser Ehre zurück.« Meister Gotthard bedauerte das, ohne den verborgenen Sinn der Worte zu verstehen.

Gilbrecht hatte die Äußerung des Vaters zu Arnold mit angehört und gönnte dem Bruder sein nahes Glück ebenso aufrichtig, wie er sich über die herzliche Aufnahme Ursulas in die Familie gefreut hatte. Ihm selber gestaltete sich die Zukunft dadurch deutlicher. Wenn Arnold Meister wurde, so konnte Gilbrecht bei seinem Vater als Knecht in Lohn und Brot treten, konnte seine Mutzeit abdienen, dann auch das Amt eschen, und dann, dann endlich Hildegund die große Frage seines Lebens vorlegen, ob sie sein Weib, ob sie die Frau eines ehrbaren Böttchermeisters werden wolle. Ach, wie bangte ihm heute schon vor dem Augenblick, wo er der reichen Viskulentochter mit dieser Frage kommen wollte.

Das Herzenseinverständnis der beiden blühte im geheimen fort, ohne daß es jemals zu einer Aussprache oder zu einer Erwähnung jener köstlichen Morgenstunden in der Heide unter ihnen kam. Sie waren glücklich, wenn sie sich sahen, aber Hildegund wartete vergeblich auf ein entscheidendes Wort aus dem Munde des Geliebten. Selbst als sie einmal in überströmendem Gefühl unter vier Augen die Arme um ihn schlang und ihn küßte, drückte er sie an seine Brust, küßte sie heiß und innig wieder, sprach aber kein Wort als: »O Hildegund! O liebe, liebe Hildegund!« Und ehe sie etwas sagen konnte, kam Balduin dazu und scheuchte, ohne es zu wollen, die Liebenden auseinander.

Frau Johanna hatte in dieser ganzen Zeit nur Augen für ihren Mann. Wenn er vom Rathaus heimkam, so suchte sie in seinem Angesicht zu lesen, wie er mit seinem Tagewerk zufrieden war. Sie hätte ihm so gern mit ihren fleißigen Händen die Wege geebnet, denn sie war jetzt seine treue Beraterin, gegen die er sich, das Herz erleichternd und befreiend, über alles aussprach, was ihn erfüllte und bedrückte, wobei er stets einen klugen Rat, einen liebevollen Trost und unverhohlene Billigung seiner Schritte bei ihr fand. Sie war ihm wie ein zweites Gewissen, und vor ihrem feinfühligen Urteil gerechtfertigt, schritt er erhobenen Hauptes fest und gerade die sich selbst vorgezeichnete Bahn seiner unerläßlichen Pflichten.

Am Tage der erwarteten Ankunft des Herzogs begab er sich früher als sonst und im Feiertagskleide aufs Rathaus.

Bald kam auch der Türmer und meldete ihm das Nahen des fürstliches Zuges.

»Wieviel sind es ihrer?« fragte der Meister.

»Bei dreißig Pferde stark«, lautete die Antwort.

»Dreißig Pferde!« wiederholte Meister Gotthard. »Etwas viel! Und wir müssen Reiter und Roß füttern und tränken. Sind sie schon nahe?«

»Jetzt mögen sie wohl noch drei Armbrustschüsse von der Stadt entfernt sein«, meinte der Türmer, »aber sie reiten Schritt.«

Sofort ließ Meister Gotthard die Ratsglocke läuten, das verabredete Zeichen, daß der Herzog nicht mit einem Heerhaufen anrückte.

Zwölf Stadtherren und die Meister von drei Gilden, die Brauer, die Goldschmiede und die Knochenhauer, hatten sich am Sülztor bereits aufgestellt, empfingen den Herzog dort und geleiteten ihn in sein fürstliches Losament, das Herzogenhaus auf dem Ochsenmarkt, während die Meister der übrigen Gilden in den Straßen, durch die er mit seinem Gefolge unter dem Geläute der Glocken einritt, Spalier bildeten. Vor dem Herzogenhause warteten die Amtsmeister sämtlicher Gilden, um den hohen Herren zum Rathause zu führen, an dessen Pforte ihn Gotthard Henneberg empfangen wollte. Er hatte sich der Stadt nicht ansagen lassen, und doch mußte man, dem Empfange nach zu schließen, von seinem Kommen vorher unterrichtet gewesen sein; man paßte ihm also auf, man belauerte seine Schritte. Diese Wahrnehmung beruhte zwar auf einen Irrtum; da der Herzog jedoch nicht fragte, woher man seine bevorstehende Ankunft erfahren hätte, so blieb er in diesem Glauben, und statt sich des ehrenden Empfanges zu freuen, stimmte ihn der Verdacht, an seinem Hoflager in Celle von Spähern beobachtet zu werden, noch feindlicher gegen seine gute Stadt Lüneburg, als er ihr ohnedies schon gesinnt war. Mürrisch ritt er durch die Menge dahin, ihre Grüße kaum bemerkend, und äußerte, noch im Sattel, sehr ungnädig, daß er sich sofort mit den Machthabern der Stadt zu bereden wünsche, worauf man ihm erwiderte, es sei alles dazu bereit.

Oben im Saal war der Rat, der sich in den letzten Tagen ergänzt hatte und nun seiner Wiedereinsetzung entgegensah, bereits versammelt. Außer dem verstorbenen Bürgermeister Springintgut waren auch der Zweite Bürgermeister Albrecht von der Mölen und die Ratsherren Garlop, Stöterogge und Düsterhop ausgeschieden, und an ihrer Stelle waren. Herren aus den Geschlechtern von Sankenstede, Tzarstede, von Odeme und Vintlo gewählt. In der Mitte des Saales stand ein großer Tisch, auf dem Urkunden und Pergamente mit großen, anhängenden Siegeln lagen.

Innerhalb des neuen Rates hatte man gestern geschwankt, ob eine Einführung desselben durch den Herzog gerechtfertigt und klug sei, und ob man dem letzteren damit nicht das stillschweigende Zugeständnis mache, daß nur ein von ihm bestätigter Rat Kraft und Gültigkeit hätte. Diese Bedenken wurden indessen durch die Erwägung beschwichtigt, daß das feierliche Gelöbnis des Herzogs, die alten städtischen Privilegien zu achten, schirmen und schützen zu wollen, das man auf irgendeine Weise von ihm erlangen müßte, eine solche Annahme vollständig ausschlösse. Unter dieser Voraussetzung aber wäre die Einführung des Rates durch den Landesherrn das beste Mittel, die Machtvollkommenheit des ersteren öffentlich zu bekunden und besonders dem letzteren selber gegenüber ausdrücklich zu erhärten.

Unter den Ratsherren waren auch heute noch einige der Meinung, daß, bei aller Anerkennung seiner Verdienste, nicht der Sülfmeister, sondern der noch zu wählende Erste Bürgermeister oder der älteste Ratsherr die Verhandlung mit dem Herzog führen müsse. Dem widersetzte sich aber Heinrich Viskule sehr entschieden, indem er hervorhob, daß bis zur Einsetzung des neuen Rates der Sülfmeister allein das Regiment habe und daher auch ihm allein die Vertretung der Stadt und gemeiner Bürgerschaft zukomme. Ludolf Töbing stimmte ihm lebhaft zu und sagte: »Der Böttcher wird das besser machen als der vornehmste Stadtherr, und was dem Herzog gesagt werden muß, das sagt ihm keiner von uns so klar und bestimmt, so fest und derb wie der Sülfmeister, höchstens ich könnte es noch, aber nicht so geschickt.«

Da ließen es die Herren bei dem, wie es verabredet war, sahen aber dem Kampf zwischen dem Handwerker und dem Herzog, von dessen übler Laune sie bereits benachrichtigt waren, nicht ohne Besorgnis über Verlauf und Ausgang entgegen. Sie standen aber schon wieder auf dem alten ratsüblichen Grundsatz: Nicht nachgeben!

Der Herzog kam. Am Eingang des Rathauses wartete ihm der Ratskellermeister mit einem hohen, weingefüllten Silberpokal auf, den Gotthard Henneberg mit einem kurzen, ehrerbietigen Willkommensgruß dem Landesherrn bei seinem Eintritt zu einem Ehrentrunk darreichte. Dann schritt der Herzog an der Seite Gotthards, gefolgt von Rittern und Höflingen sowie den zwölf Geschlechterherren und sämtlichen Amtsmeistern die Treppen hinan, ging im Saale an den sich verbeugenden Ratsherren knapp grüßend vorüber und nahm auf dem für ihn errichteten thronartigen Sitz Platz, während sich Gotthard Henneberg mit den Amtsmeistern neben die Ratsherren auf die andere Seite des Saales ihm gegenüber stellte. Weiter zurück, an der Tür, stand der Stadtschreiber mit dem Ratskellermeister nebst Beamten und Dienern des Rates.

Herzog Friedrich, ein ritterlicher Herr mit ernsten Zügen und grauen Haaren, warf einen strengen Blick über die Versammlung und fragte dann in gebieterischem Ton: »Wer von euch ist es, der mir im Namen der Stadt hier Rede und Antwort stehen wird?«

Gotthard Henneberg trat langsam zwei Schritte vor und sagte ruhig: »Das bin ich, durchlauchtigster Herzog! Der Böttchermeister Gotthard Henneberg.«

»Ah, Ihr seid Gotthard Henneberg! Ich kannte Euch noch nicht, Herr Sülfmeister!« sprach der Herzog spöttisch. »Ihr seid ja jetzt der regierende Herr in Lüneburg; mit Eurer Wohlweisheit also habe ich es zu tun.«

»Ganz recht, gnädiger Herr, mit mir!« entgegnete Gotthard kurz und scharf.

»Ihr habt mir einen Brief geschrieben«, fuhr der Herzog geringschätzig fort, »worin Ihr mir die Abtretung des Blutbannes verweigert. Wie könnt Ihr Euch das unterstehen? Glaubt Ihr, daß ich mich daran kehren werde?«

»Allerdings glauben wir das, gnädiger Herr!« gab Meister Gotthard zur Antwort. »Die Verhandlungen darüber sind null und nichtig, denn, die sie mit Euch gepflogen haben, hatten kein Recht dazu und werden ihren Verrat zu büßen haben.«

»Kein Recht dazu? Weil es in Euer Böttcherhirn nicht hinein wollte? Es waren der Stadt erwählte Bürgermeister.«

»Nein«, widersprach Meister Gotthard, ärgerlich über die wegwerfende Behandlung, die ihm von seiten des Herzogs zuteil wurde. »Empörer waren es, die den rechtsmäßigen Rat mit Gewalt vertrieben und die Stadt betrogen und bestohlen haben.«

»Ihr waret gezwungen, wohl oder übel den Rat abzusetzen und einen neuen zu wählen, sonst hätte euch der Domdechant im Namen des Heiligen Vaters in den Bann getan. Habt Ihr das schon vergessen?«

»Gezwungen, durchlauchtiger Herzog?« fragte Meister Gotthard zurück. »Wir können mit Fug und Recht zu nichts gezwungen werden, was gegen unsere Freiheit geht. Kein Papst, kein Domdechant und kein Reichsfürst hat sich in das Regiment unserer Stadt zu mischen.«

»Und das sagt Ihr mir, Eurem Landesherrn, keck ins Gesicht?«

»Ja, hochgeborener Fürst! Und wenn an Eurer Stelle dort der Kaiser säße, so würde ich dasselbe sagen. Mit Unrecht und Gewalt sind wir damals von unseren Gegnern unterdrückt, denn sie hatten Rückhalt an wohlbekannten Fürsten und Rittern, von denen unsere Stadt allezeit mit so viel Drangsal verfolgt wird wie das Rebhuhn von dem Habicht.«

Ein scharfer Blick des Meisters und eine sehr vernehmliche Zustimmung aus den Reihen der Ratsherren und Amtsmeister begleiteten diese Worte, während sich unter den Rittern und Höflingen, die den Herzog umstanden, Unwille und Entrüstung über die Dreistigkeit des Böttchers kundgab.

»Ihr wollt die zwischen mir und Eurem Bürgermeister geschlossenen Verträge nicht gelten lassen?« fragte der Herzog erbittert und ohne auf die deutliche und ihm sehr ungelegene Anspielung des Sülfmeisters zu erwidern.

»Nein!« rief Meister Gotthard. »Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind.«

»Euer unverschämter Brief an mich ist mir noch weniger wert!«

»Mir desto mehr!« erwiderte Gotthard, immer gereizter durch den beleidigenden Ton des Herzogs.

»Hört«, sprach drohend der Fürst, »glaubt nicht, daß Ihr mit mir spielen könnt! Ich verlange von der Stadt Lüneburg das Recht über Hals und Hand, das ist ein abgemachter Handel, von dem ihr nicht zurückkönnt.«

»Wir treiben keinen Handel mit unseren Rechten.«

»Ihr habt es nur mit Dank anzunehmen, wenn ich euch alles übrige lasse.«

»Was man schon besitzt, durchlauchtiger Herr, braucht man nicht erst geschenkt zu nehmen.«

Der Herzog knirschte in verhaltener Wut. Gotthard Henneberg aber trat an den Tisch heran und sagte: »Wir haben es alles schwarz auf weiß, was uns verliehen, vergünstiget und geteidinget ist, damit nicht durch Mißverstand und Gebrechlichkeit menschlichen Gedächtnisses oder durch Absterben der Alten und Unachtsamkeit etlicher Jungen gute Gewohnheiten Gebrauch und Gerechtigkeit in Vergessenheit gestellt, verloren und gar zu nichte werden. Hier, gnädiger Herr«, fuhr er, seine Hand schwer auf die vor ihm ruhenden Pergamente legend und den Herzog steif in die Augen blickend, mit lauter Stimme fort: »Hier liegen unsere verbrieften und besiegelten Freiheiten und Privilegien, hier der Satebrief unserer Landesherren, der Herzöge Bernhard und Heinrich seligen Andenkens vom Jahre dreizehnhundertzweiundneunzig, aus dem Ordnung und Satzungen unseres vollmächtigen Regimentes klärlich hervorgehen. Keinen Finger breit wollen wir darüber hinaus, aber auch keinen Finger breit davon zurück, und den Blutbann, Herr Herzog, bekommt Ihr nicht!«

»Was euch der Landesherr in Gunst und Gnaden verliehen hat, kann er euch auch wieder nehmen«, erwiderte der Herzog, sich kaum noch bezähmend.

»Wenn's ihm auf einen Eidbruch nicht ankommt, und wir's uns nehmen lassen!« entgegnete Meister Gotthard trotzig.

Der Herzog sprang vom Stuhl auf und stieß mit dem Schwert klirrend auf den Boden. Seine Ritter und Höflinge gerieten in heftige Bewegung. Aber der Meister fuhr unerschrocken fort: »Hier vor Euch, hochgeborener Fürst, stehen die Häupter gemeiner Bürgerschaft unserer Stadt, und sie denken alle so wie ich, wir sind alle einig. Sind wir's oder sind wir' nicht?« wandte er sich umblickend zu den Seinigen.

»Alle, alle!« riefen sie begeistert. »Nichts lassen wir uns nehmen! Wir regieren uns selbst!« Und Töbings tiefe Stimme schallte noch nach: »Recht so, Sülfmeister!«

Der Herzog brauste zornfunkelnd auf: »Wer spricht hier ungefragt in des Herzogs Gegenwart?«

Ein widersetzliches Murmeln antwortete ihm. Er machte erregt einige Schritte auf und ab, blieb, den Tisch zwischen sich und Meister Gotthard lassend, diesem gegenüber mit über der Brust verschränkten Armen stehen und sprach: »Und wenn ich euch um eure Weigerung bei Kaiser und Reich verklage?«

Über Meister Gotthards Gesicht flog ein Lächeln, und mit leise spöttelnder Höflichkeit erwiderte er: »Durchlauchtiger Herzog! Kaiserliche Majestät in Wien ist unserer guten Stadt weit freundlicher gesinnt als Ihr. Sie hat uns sogar mit der angedrohten Reichsacht verschont, als uns alles im Stich ließ. Wollt Ihr wissen, gnädiger Herr, warum?«

Der Herzog warf den Kopf hoch und hörte sehr aufmerksam.

Meister Gotthard fuhr, die Worte langsam betonend, fort: »Weil Kaiser Friedrich wünscht und hofft, daß Lüneburg freie Reichsstadt wird.«

Da zuckte der Herzog zusammen, riß die verschränkten Arme auseinander und blickte erst den Sprecher und dann die Ratsherren drohend an.

Aber er sah keine ängstlichen, sondern überall frohlockende, schadenfrohe Gesichter, und ein beifälliges Flüstern und Raunen klang aus den Reihen der Lüneburger.

»Und ihr?« fragte der Herzog nach einer Weile finsteren Nachsinnens.

»Wir, gnädiger Herr?« sprach Meister Gotthard. »O wir sind zufrieden mit dem, was wir sind und was wir haben, und bleiben gern die getreue Stadt unserer durchlauchtigen Landesherren, der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, wenn unsere Wünsche ein gnädiges Gehör fänden.«

»Was verlangt ihr?«

»Die feierliche Bestätigung unserer alten Privilegien, weiter nichts; und wollt Ihr noch ein übriges tun, so ist es die Einsetzung des neuen Rates in seine Würden und Rechte, weil Ihr gerade hier seid.«

Der Herzog winkte seinem Kanzler, den er mitgebracht hatte, und ging zu leiser Unterredung mit ihm ans Fenster. Man sah, wie der Rechtskundige dringend einsprach auf seinen Gebieter, dessen anfangs heftige Entgegnungen immer seltener wurden, bis er mit verrissenem Ärger dem Kanzler schweigend zuhörte.

Dann wandte er sich wieder zu den Versammelten und sagte: »Wenn ich euch das gnädig gewähre, worum ihr mich bittet, wollt ihr mir dann auch fürderhin Treue geloben?«

Meister Gotthard blickte sich nach seinen Mitbürgern um. »Ja, das wollen wir!« antworteten sie einstimmig.

»So kommt her, Bürgermeister und Rat von Lüneburg, und schwört mir den Treueid!«

Da trat Heinrich Viskule vor und sprach: »Erlaubt, durchlauchtiger Fürst und Herr! Der Rat ist noch nicht vollzählig. Vierzehn Ratsherren müssen wir sein, von denen wir zwei zu Bürgermeistern wählen; wir sind aber hier erst dreizehn, ein Ratmann fehlt noch.«

»Wo ist er denn?« fragte der Herzog.

Heinrich Viskule schritt auf Gotthard Henneberg zu, legte seine Hand auf dessen Schultern und sagte: »Hier steht er!«

Der Herzog war sehr überrascht: »Ha! Der! Salzjunkerpack!« brummte er zwischen den Zähnen.

Heinrich Viskule aber sprach zu dem hoch erstaunten Sülfmeister: »Gotthard, wir haben dich einstimmig zu bleibender Ehre lebenslang zum Ratsherrn gekoren, denn keiner hat es um die Stadt so verdient wie du! Ich weiß, du hast keinen Grund mehr, dich zu weigern, und hier in Gegenwart und Beisein unseres gnädigen Herzogs und der Vollmächtigen gemeiner Bürgerschaft sage ich noch einmal zu dir: Gotthard, komm in den Rat!«

Gotthard Henneberg schaute auf die Ratsherren und auf die Amtsmeister im Kreise herum. Die einen winkten, die anderen nickten ihm freudig aufmunternd zu, und er antwortete entschlossen: »In Gottes Namen, weil ihr's denn wollt – ja! Mag's mich gereuen oder nicht! Wie der zu sagen pflegte, der vor uns die Stadt regierte.«

Da erhob sich eine lebhafte, laute Bewegung unter den Bürgern. Ratsherren und Amtsmeister, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Fürsten, umringten Gotthard Henneberg, lobten seinen Entschluß, dankten ihm und begrüßten ihn als Ratsherren mit manchem kräftigen Händedruck. Kaum konnte er sich ihrer herzlichen und stürmischen Freudenbezeugungen erwehren.

Der Herzog hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt, schaute den Glückwünschen verdrossen zu und rief dann ungeduldig: »Seid ihr bald fertig? Euer vierzehnter scheint mir ein Mann mit einem Kopf, so hart wie Eichenholz, und einer Zunge, so scharf wie Lüneburger Salz; nehmt euch in acht vor ihm!«

»Der Lüneburger Löwe, der unsere Freiheit schützt, durchlauchtiger Herzog!« rief Töbing lachend zurück.

»Eichenholz macht den Böttcher stolz, Herr Herzog! So lautet ein alter Spruch meines ehrbaren Handwerks«, sagte der neue Ratsherr.

Heinrich Viskule sprach: »Verstattet uns, gnädiger Herr, daß wir eine kleine Weile abtreten, um nach altem Brauch und Herkommen die Bürgermeister zu küren.«

Der Herzog nickte, und die vierzehn Ratsherren gingen hinaus.

Sie gingen in die Bürgermeisterkürkammer, wohl das merkwürdigste Gemach in dem alten, großmächtigen Rathausbau, das so recht im Herzen desselben tief versteckt lag; nur eine schmale, dunkle Treppe führte zu ihm hinan. Es war ein ziemlich beschränkter Raum, von unten bis oben prächtig getäfelt, mit reich gemalter Decke und einem breiten Backsteinkamin. An der Wand der anderen Langseite war eine mit schön gestickten Lederkissen belegte Bank, und vor ihr stand ein schwerer Eichentisch mit einigen Lehnstühlen darum. Die schmale Seite, der Tür gegenüber, füllte ein einziges großes Bogenfenster mit steinernem Laub- und Stabwerk, zwischen dem sich herrliche Glasmalereien befanden, so daß der ganze Raum von einem farbigen Dämmerlicht nur mäßig erhellt war. In diesem lauschig verborgenen Gemach hielt der Rat still und heimlich seine Bürgermeisterwahl.

Nikolaus Stoketo holte unterdessen das Bürgereidkristall herbei, ein kostbares, von Hans Laffert sehr kunstreich gefertigtes silbernes und stark vergoldetes Reliquienkästchen, das in einer von zwei knienden Engeln gehaltenen Kristallkapsel wertvolle Reliquien barg; auf diese wurde mit aufgelegten Fingern die Bürgertreue geschworen.

Ambrosius von dem Rhyne aber nahm mit einigen Ratsdienern vier hohe Silberhumpen aus den Wandschränken der Gerichtslaube und stieg damit in den Keller hinab, um sie mit dem edelsten Weine zu füllen.

Die Amtsmeister zogen sich, während sich der Herzog mit seinem Gefolge unterhielt, in den Hintergrund des Saales zurück, steckten in einzelnen Gruppen die Köpfe zusammen und besprachen eifrig den guten Ausgang der Verhandlung. Dabei rühmten sie alle Gotthard Hennebergs Klugheit und Festigkeit und lachten ihren gnädigen Landesherrn aus, daß er gar nichts erreicht hatte, ihre Privilegien aufs neue bestätigen und den Rat wieder einführen mußte, bei dessen Absetzung oder Wiedereinsetzung er von Rechts wegen auch nicht ein Wörtlein mitzureden hatte. Und das Richten über das Blut hatte er ihnen auch lassen müssen aus Furcht, daß Lüneburg sonst freie Reichsstadt würde, obwohl seine Lehnshoheit über die Stadt auch jetzt schon nur noch wenig zu bedeuten hatte. Über alles dies frohlockten sie auf Kosten des Herzogs, und Schnewerding sagte: Und was das beste ist, Brüder, jetzt haben wir einen Handwerksmeister im Rate!«

»Ja!« sagte Schuttenhelm. »Ich möchte auf den Turm steigen und in die Stadt hinunterschreien: der Sülfmeister ist Ratsherr geworden«

»Wenn ich nur hier fort dürfte«, meinte Peter Flachs, »ich liefe zu seiner Frau und sagte es ihr.«

»Nein«, versetzte Hans Laffert, »die Botschaft muß er ihr selber bringen, aber ich möchte wohl dabei sein.«

»Es sollte mich gar nicht wundern«, bemerkte Ryssupp, der Reepschläger, »wenn sie ihn zum Bürgermeister machten.«

»Das geht nicht«, entgegnete Komrath der Riemenschneider und Edenrop der Zaumschläger, diesmal einer Meinung, »dazu muß er erst drei Jahre im Eide gesessen haben.«

»Jedes Wort, das er dem Herzog antwortete, saß wie ein guter Hieb«, sagte Hartnacke, der Grapengießer.

»Und wenn mir statt Eurer der Kaiser gegenübersäße! Wie stolz das herauskam!« sprach Mockeling, der Pelzer.

»Und wie der Herzog zusammenfuhr, als Henneberg mit der Reichsstadt drohte! Habt ihr's gesehen?« fragte Siedentopf, der Wandfärber.

»Freilich haben wir's gesehen«, lachte Sachtleben, der Hutfilter.

»Still!« machte Timpe, der Kerzengießer. »Sie kommen!«

Der Rat mit Heinrich Viskule als Erstem und Dietrich Dalles als Zweitem erwählten Bürgermeister an der Spitze trat wieder ein, und Heinrich Viskule verkündete dem Herzog und allen Versammelten den Ausfall der Wahl.

Der neue Bürgermeister Viskule schritt nun an den Tisch heran, legte die Schwurfinger auf das Kristall des Reliquienschreines und gelobte dem Herzog namens der Stadt Huld und Treue. Alle Anwesenden sprachen den Schwur mit aufgereckten Fingern nach.

Darauf bestätigte Herzog Friedrich mit feierlichem Eidschwur in derselben Weise, die Stadt Lüneburg gegenwärtig und zukünftig für sich und seine Nachkommen samt und sonders bei allen ihren Ehren, Privilegien, Briefen, Gerechtsamen, Freiheiten, Gnaden und Gewohnheiten, bei allem ihrem Gut, Lehen, Erbe und Eigen, beweglich oder unbeweglich, welcherlei und wie es auch benamset sei, gänzlich und treulich zu lassen, zu verteidigen und zu schirmen mit aller seiner Macht nach Ausweis aller ihrer Briefe und Wißlichkeit. Dann reichte er dem Bürgermeister die Hand und sprach: »Und somit setze ich euch, Bürgermeister und Rat von Lüneburg, wieder ein in alle eure Würden, Ehren, Rechte und Gnaden, zu Wohlfahrt und gemeinem Besten dieser guten Stadt!«

»Und Gott der Allmächtige gebe uns Frieden in unseren Tagen!« fügte Heinrich Viskule mit lauter Stimme hinzu.

Nun bot Ambrosius von dem Rhyne dem Herzog den ersten vollen Becher dar, und der Herzog reichte ihn, nachdem er getrunken, dem Bürgermeister, der ihn unter den Ratsherren wandern ließ. Die anderen Humpen kreisten unter des Herzogs Gefolge, den Stadtherren und den Amtsmeistern. Alle tranken zur Befestigung des neuen Bandes in Frieden und Freundschaft, und die Stadt Lüneburg hatte wieder ein vollmächtiges Regiment von Bürgermeister und Rat.

In der großen Ratsküche unter der Sodmeisterkürkammer bereiteten die Garbrater auf Kosten der Stadt das Mittagsmahl für die herzogliche Tafel, denn in dem Herzogshause war keine Küche. Man hatte nämlich einem Vorfahren des Herzogs wohl gestattet, sich ein fürstliches Wohnhaus in der Stadt zu erbauen, aber er durfte keine Küche darin anlegen, sondern wurde von der Stadt mit täglich acht Schüsseln und vier Stübchen Bier bewirtet. Man wollte dem geliebten Landesherrn den Aufenthalt in Lüneburg nicht zu angenehm machen, damit er ihn nicht zu lange ausdehnte.

Herzog Friedrich versuchte noch, die Begnadigung Dalenborgs und Schuppers beim Rate zu erwirken; sie wurde ihm jedoch in aller Höflichkeit rundweg abgeschlagen mit der Anzeige, daß das Gericht schon in den allernächsten Tagen stattfinden würde. Darauf erklärte er, wie Gotthard Henneberg richtig vermutet hatte, daß er nicht Zeuge ihrer Verurteilung sein wollte, sondern die Stadt morgen wieder verlassen würde.

Unerschrockener, tapferer Bürgersinn hatte sich durch keine Drohung und Gefahr einschüchtern, sich keinen Eingriff in wohlbegründete Rechte gefallen lassen, sondern hatte der Stadt ihre Freiheit und Unabhängigkeit kräftig gewahrt und für die Zukunft aufs neue befestigt. –

Wenn es auch Meister Schuttenhelm nicht vom Rathausturm heruntergeschrien hatte, ward es doch in der ganzen Stadt fast ebenso schnell bekannt: der Sülfmeister ist Ratsherr geworden. Die Freude darüber war so allgemein, daß die wenigen Neider, die ihm diese Ehre nicht gönnten, verstummen mußten, denn sie wurden für ihre hämischen Bemerkungen sofort gründlich geduckt. In den vornehmen Familien sah man dieses Ereignis nicht überall mit gleich günstigen Augen an, und es fehlte nicht an Unzufriedenen, die meinten, das wäre nur der Anfang vom Ende des alten Geschlechterruhmes, und es würde nicht lange dauern, so säßen mehr Schneider und Schuster denn Geschlechterherren auf den Ratsstühlen. Die meisten aber erkannten den vollen Wert des Mannes, dessen Gattin ja auch aus einem, wenn auch nicht reichen, Stadtgeschlechte stammte, und glaubten, daß sein Einfluß auf die Ämter und Gilden dem Rat sehr zustatten kommen und ihm viele Anhänger werben würde. Die Handwerker bauten auf die Wahl eines der Ihrigen übertriebene Hoffnungen und waren überzeugt, daß nun eine neue Zeit anbrechen und durch seine Fürsorge eine ungeahnte Blüte des Handwerks sich entfalten würde.

Nach der erfolgreichen Verhandlung mit dem Herzog gingen der neue Bürgermeister und der neue Ratsherr zusammen ihres Weges, und Heinrich Viskule brachte den Freund in seine Behausung. In der Wohnstube fanden sie Frau Johanna und Ilsabe, und zufällig war auch Balduin da. Die in der Diele arbeitenden Söhne wurden herbeigerufen, und Heinrich Viskule sprach: »Gebt mal acht, Kinder, was ich euch zu sagen habe. Ich bin jetzt euer Erster worthabender Bürgermeister, und euer Mann und Vater hier ist Ratsherr in Lüneburg! Habt ihr's verstanden?«

Da jubelten sie alle hell auf und überschütteten die beiden Erhöhten mit so viel Liebkosungen und Glückwünschen, daß sie eine gewisse besondere Aufregung an Johanna, Ilsabe und Balduin nicht bemerkten.

Heinrich Viskule sagte: »Heut abend kommt ihr alle miteinander zu mir, deine Ursula auch, Arnold! Da wollen wir den Tag und was er uns gebracht hat, zusammen feiern.«

Johanna schaute Balduin mit einem ganz eigen lächelnden Blick an und sprach: »Jetzt, Balduin, ist es Zeit! Soll ich es sagen, oder willst du es selber tun?«

Die anderen stutzten; sie nannte Balduin du, was sie seit seiner Heimkehr nicht mehr getan hatte. Ilsabe wollte, rot bis ans Stirnhaar, hinauslaufen, aber die Mutter rief: »Halt! Du bleibst hier! Ohne dich geht es diesmal nicht ab!«

Da schritt Balduin auf Ilsabe zu, trat Hand in Hand mit ihr vor Meister Gotthard hin und sprach: »Herr Ratsherr, gebt uns Euren Segen! Wir haben uns lieb, ich bitte Euch, gebt mir Ilsabe zur Frau!«

»Hm!« brummte Gotthard vergnügt. »Steht es so mit euch?« Dann schlang er seine mächtigen Arme um die beiden, drückte sie an sich und dann gegeneinander und sagte: »Da! Habt ihr euch! Und Gott gebe euch seinen Segen, wie ich es tue!«

»Vater!« sprach Balduin dann zum Bürgermeister. »Ist dir Ilsabe recht als Tochter?«

»Junge! Mensch!« erwiderte Heinrich Viskule halb gerührt, halb lachend. »Das ist die dümmste Frage, die ich seit langer Zeit aus deinem Munde gehört habe; ich hätte dich enterbt, wenn du mir mit einer anderen gekommen wärst.« Und er zog Ilsabe an seine Brust und wollte sie gar nicht wieder loslassen,

In der Böttcherstube hauste ein überschwengliches Glück, es klopfte in allen Herzen, es leuchtete aus allen Augen.

»Aber«, sagte Gotthard, »seit wann ist es denn Brauch und Herkommen, daß man bei der Mutter eher um die Tochter wirbt als beim Vater?«

»So ist's nicht gewesen«, antwortete Johanna; »wie ich vorher in die Stube komme, finde ich die beiden allein hier, und das Mädchen hängt an seinem Halse. Erschrocken will sie sich losreißen, er aber hält sie fest und ruft mir zu: ›Mutter, ich habe der Ilsabe Treue gelobt, und sie ist's zufrieden, meine Frau zu werden; ich bitt' Euch, seid Ihr's auch!‹ Was sollte ich denn da machen?«

»Nein sagen!« rief lachend der Meister. »Eine ganze Stadt habe ich allein nach meinem Wissen und Willen regiert, und hier im eigenen Hause machen sie hinter meinem Rücken, was sie Lust haben?«

Gilbrecht dachte an Hildegund und wünschte der Zeit zehnmal schnellere Flügel.

An Balduins Finger aber glänzte nun der schöne Ring des guten alten Hans Laffert.


 << zurück weiter >>