Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Fünftes Kapitel

In Meister Daniel Spörkens Schuhmacherwerkstatt, genannt die Löwengrube, wurde von allen Insassen fleißig gearbeitet, nur nicht vom Meister selber, der sich an diesem Vormittag wie gewöhnlich nicht zu Hause befand, sondern wieder einmal auf Kundschaft ausgegangen war. Wohl zu verstehen, nicht etwa in seine Kundschaft, um bei seinen Kunden Aufträge in Empfang zu nehmen oder fertige Arbeit abzuliefern, sondern auf Kundschaft desjenigen, was sich gestern in der Stadt begeben hatte oder doch hätte begeben können. Die Meisterin aber, Frau Gesche – der Kosename für Gertrud – saß auf ihrem Platz am Fenster und nähte an dem Tuchbezug für ein Paar Frauenschuhe. Timotheus Schneck, der Gesell, saß auf einem dreibeinigen Schemel vor dem niedrigen Werktisch, auf dem das Gerät wirr durcheinander lag, zog den Draht und stach und hämmerte rüstig darauf los, und der Lehrjunge Hans versuchte seine unmündige Kunst an einem Rüster, den er auf einen derben Arbeiterschuh setzen sollte.

Abgesehen von dem unvermeidlichen Geräusch der Arbeit herrschte in dem von einem kräftigen Leder- und Pechgeruch erfüllten Zimmer tiefes Schweigen, das aber nichts Anheimelndes, sondern seine guten oder vielmehr bösen Gründe hatte. Die Meisterin stand mit ihrem Knechte bereits auf sehr gespanntem Fuß und hatte dabei ihren Mann ausnahmsweise diesmal auf ihrer Seite. An Timmos Arbeit hatten sie nichts auszusetzen, im Gegenteil, er war fleißig, flink und sehr geschickt, aber er log, wie sie meinten, gar zu fürchterlich, und sie glaubten bemerkt zu haben, daß er sie mit seinen Aufschneidereien nur zum besten haben wollte. Der Meister konnte es seinem Gesellen nicht verzeihen, daß dieser ihm eine so handgreifliche Lüge aufgebunden hatte wie die Geschichte mit dem aus Celle mitgebrachten Briefe des zweiten Bürgermeisters. Timmo hatte das wichtige Ereignis mit den genauesten Einzelheiten erzählt und sich für die Richtigkeit seiner Erzählung hoch und teuer vermessen und verbürgt, und nun war an der ganzen Geschichte kein wahres Wort, und Daniel Spörken wurde wieder einmal verspottet und ausgelacht. Diese gleich nach seinem Antritt verübte Niederträchtigkeit des neuen Gesellen gegen seinen Meister brachte das sich so freundlich anlassende Verhältnis sofort wieder aus dem Geleise, um einem erbitterten Mißtrauen Platz zu machen. Hätte der Knecht nicht so fleißig und der Meister nicht so ungern gearbeitet, so hätte der letzte dem ersteren am liebsten gleich wieder Glück auf den Weg gewünscht, aber er wußte wohl, daß es für ihn nicht leicht war, einen tüchtigen Gesellen zu finden wegen seiner Löwin. So behielt er Timmo, sprach wenig mit ihm und glaubte ihm nichts mehr. Die Meisterin machte es ebenso. Heute war sie mal wieder in ihrer unnahbarsten Stimmung; die sonst so Gesprächige schwieg sich in eine wahre Wut hinein und ließ sie an ihrem Nähwerk aus. Die Nadel flog förmlich in ihrer Hand, und sie zog und schnellte den Faden so heftig, daß er öfter zerriß. So oft dies aber mit einem leisen Krach geschah, schlug Timmo, der die Meisterin trotz seiner Arbeit heimlich beobachtete, mit dem Hammer so unnötig laut auf den Klopfstein, daß Frau Gesche diesen herausfordernden Hohn endlich bemerken mußte. Da riß ihr denn außer dem Faden zuletzt auch die Geduld. Sie sprang auf, und den halb fertigen Schuh in der ausholenden Rechten, wetterte sie: »Wenn du dich noch einmal unterstehst, hier so hämisch und dämisch aufzuklopfen, sobald mir der Faden reißt, so fliegt dir dieser und alle anderen Schuhe in deines ehrbaren Meisters Werkstatt an den Kopf, so wahr ich Gesche Spörken, geborene Mushund bin!«

Wie die lange, häßliche und knochige Gestalt mit den wütigen grauen Katzenaugen so dastand, sah sie wahrhaftig aus, als könnte sie wenigstens einen Teil ihrer geschwinden Drohung zur fühlbaren Wahrheit machen.

Timmo lachte laut auf, und mit einem Blick durch die Werkstatt, als ob er schnell die ringsherum liegenden Schuhe zählte, die ihm alle an den Kopf fliegen sollten, sagte er: »Alle Hagel, Meisterin! Das müßte ein hübsches Maikäferburren um mich herum werden.«

Bautz! – hatte er den Schuh aus der Meisterin Hand gut getroffen am Kopf, und ihr breiter Mund unter der spitzen Nase zuckte, vergeblich nach Worten der äußersten Entrüstung suchend; sie bebte am ganzen Leibe vor Wut über des Knechtes Lachen.

Das Stück war aber auch dem lustigen Timmo zu stark. Er schnellte vom Schemel empor, und den Hammer in der Rechten, trat er der Meisterin ein paar Schritte entgegen, Hans, der Lehrjunge, wollte schon dazwischenspringen, um einen Mord zu verhüten, aber Timmo sprach ziemlich ruhig: »Meisterin, es ist nicht mehr weit bis Mittag, und mit leerem Magen ist der Mensch am gefährlichsten. Ich muß Euch etwas sagen, was ich Euch ohne diesen Auftritt billig verschwiegen haben würde, aber jetzt muß es heraus, oder es gibt ein Unglück. Habt Ihr schon einmal einen Menschen gekannt, der einen Blutwurm hat?«

Der Meisterin Zorn begann einem starren Schrecken und einem maßlosen Staunen zu weichen. Halb mißtrauisch, halb neugierig fragte sie: »Einen Blutwurm? Wo denn?«

»Hier! Hier drin!« rief Timmo und klopfte sich mit der Faust heftig und rasch hintereinander auf die Brust, als ob es in höchster Erregung geschähe, während er sich kaum das Lachen verbeißen konnte. »Setzt Euch hin«, fuhr er fort, und ich will's Euch erklären, aber – Meisterin! Bei Eurer Seele Seligkeit! Schweigt darüber, oder –! Und du!« wandte er sich drohend zu dem Lehrjungen, »wenn du nur ein einzig Wort darüber verlauten läßt, so frißt dich der Blutwurm zuerst mit Haut und Haaren!«

Hans guckte den Gesellen mit dem pfiffigsten und zugleich unverschämtesten Schusterjungengesicht an, das er fertigbringen konnte; und das wollte etwas sagen. Hans besaß Ehrgeiz; er wollte vor allen Schusterjungen des ganzen Amtes etwas voraus haben. Wenn die anderen nach Feierabend oder auf ihren Botengängen in der Stadt sich im Pfeifen übten, so legte Hans sich außerdem noch auf das Gesichterschneiden und hatte es darin mit geringen Mitteln schon zu einer staunenswerten Fertigkeit und Mannigfaltigkeit gebracht. Der Ausdruck seines Gesichtes war manchmal unübersetzbar tiefsinnig oder drollig, und zuweilen lag eine lange, schweigende Rede oder eine ungesprochene, aber schlagende Antwort darin. Der Hauptinhalt der letzteren, die er mit seinen beweglichen Zügen auf Timmos Drohung jetzt herausschnitt, mochte ungefähr heißen: Hm! Fürchten tu' ich mich gerade nicht vor deinem Blutwurm, aber schieße nur los, ich kenne dich schon!

Die Meisterin saß wieder steif und steil auf ihrem Stuhl, und in ihrem Blick auf den Gesellen lag halb noch der Ärger und halb der angstvolle Gedanke: Alle vierzehn Nothelfer, steht mir bei! Der Mensch ist verrückt. Aber Timmo begann ernsthaft und geheimnisvoll: »Wie ich eigentlich dazu gekommen bin, weiß ich selber nicht recht, ich glaube, es schreibt sich schon von meinem Großvater her. Hier, Meisterin, hier im Herzen sitzt mir der schreckliche Wurm. Gesehen hat ihn noch keiner, aber ich fühl' ihn. Für gewöhnlich hält er sich ganz ruhig und nährt sich fromm und friedlich von meinem warmen Herzblut; nur manchmal spüre ich einen leisen Kitzel, wenn er sich bewegt, und dann muß ich mich in acht nehmen, ihn nicht zu stören und zu reizen. Gerate ich aber in Ärger, so daß mir das Herz anfängt zu klopfen, so ärgert er sich auch und wird wild. Ich fühle es, wie er mit dem Schwanze um sich schlägt, und wenn mein Herz dann nicht sehr bald wieder ganz ruhig wird, so geht's los. Dann rast er mir wie besessen durch alle Adern und bringt mein Blut ins Wallen und Kochen, und dann, dann kenn' ich mich selber nicht mehr, dann hat der Blutwurm Gewalt über mich, und dann hilft nichts mehr im Himmel und auf Erden, dann muß Blut fließen, oder der Wurm stößt mir das Herz ab, und ich bin verloren.«

»Lügen! Lügen! Nichts als Lügen, verdammte Lügen!« eiferte die Meisterin.

»So? Meint Ihr?« sprach Timmo. »Nun, ich will Euch und mir wünschen, daß wir's nicht beide mal erleben. Für diesmal ist mir's noch gelungen, ihn zu beschwichtigen, weil ich mich zusammennahm und mein Herz am allzu lauten Klopfen hinderte, aber er fing schon an, sich zu krümmen und zu winden. Ich könnte Euch eine Geschichte von meinem Großvater erzählen – aber davon will ich lieber schweigen.«

Frau Gesche schlug die Hände zusammen und rief: »Und solche Teufelsbrut muß ich in meinem Hause haben!«

»Teufelsbrut?« sprach Timmo. »O nein, so gefährlich das Tierlein sein kann, so wohltätig ist es auch für mich und diejenigen, für die ich arbeite. Denn der Wurm nährt sich meist von den bösen Säften, die im Blute sind, befreit mich davon und macht mir dadurch einen klaren Kopf, der leicht begreift, und eine ruhige Hand, die geschickt ist in allem, was sie anfaßt. Mancher Meister hat den Segen meines Blutwurms schon an meiner Arbeit empfunden, ohne daß er wußte, wie und woher das kam, denn ich spreche nicht gern davon. Das eine nur will ich Euch noch sagen: man kann etwas dazu tun, daß der Wurm ruhig bleibt und mich durch das Reinhalten meiner Lebenssäfte immer klüger und geschickter macht.«

»So?« fragte die Meisterin neugierig. »Und was wäre denn das?«

»Er ist fast schleckerhaftig«, erwiderte Timmo, »und hat es gerne, wenn ich recht viel gutes Fleisch esse und möglichst viel starkes Getränk zu mir nehme, das gibt Blut, und davon lebt er ja.«

»Aber wird er davon nicht zu stark«, versetzte Gesche, »so daß du ihn gar nicht mehr bändigen kannst?«

»Hat nichts zu sagen, Meisterin«, sprach Timmo; »aber damit er ja nicht einmal wieder gegen Euch, meine ehrbare Frau Meisterin, in Wut gerät, will ich Euch jedesmal ein heimliches Zeichen geben, wenn ich merke, daß er unbändig wird oder es ihm an etwas fehlt. Seht! Wenn ich hier an der Stelle meines Herzens mit dem Finger einen Ring beschreibe, so tut's not.«

»Ich will mir's merken«, sprach die Meisterin, »wenn ich dir nur alles glauben dürfte.«

»Das könnt Ihr, Meisterin!« sagte Timmo. »So was kann sich der Mensch nicht ausdenken, und ich lüge gewiß und wahrhaftig nicht. Aber eins bitt' ich noch: sagt's keinem Menschen, auch dem Meister nicht, denn Ihr wißt wohl, der schwatzt es aus, und dann werde ich nicht mehr lange bei Euch bleiben, dann wollen alle Schuster in Lüneburg den klugen Gesellen mit dem Blutwurm haben, der aus seinem Sitz im Herzen heraus so feine Arbeit spinnt. Ihr könnt mir's glauben!«

Da tat sich die Tür auf, und herein platzte Meister Daniel Spörken und rief jubelnd: »Er hat recht, Gesche! Er hat recht! Timmo hat nicht gelogen, es ist alles wahr, was er gesagt hat.«

»Hast du gehorcht?« fragte die Meisterin bissig.

»Gehorcht! Gehorcht!« rief der Meister und sprang im Zimmer herum. »Was ist da groß zu horchen? Die ganze Stadt spricht ja davon und von ihm und von mir.«

»Was? Von dem –« Blutwurm, wollte sie sagen, aber Timmo fiel ihr rechtzeitig ins Wort: »Von dem Briefe, Meister, nicht wahr?«

»Freilich, von dem Briefe, wovon denn sonst?« rief Daniel. »Herr Albrecht von der Mölen ist gestern abend heimgekehrt, aber vorher schon, gestern vormittags ist Sitzung gewesen auf dem Rathause, und da ist der Brief zur Sprache gekommen, der Bürgermeister hat ihn selber vorgelesen, sie machen gar kein Hehl daraus. Es steht alles vorzüglich für die Stadt, der Rat gewinnt und ist obenauf, und in seiner Siegesfreude will er uns Handwerkern nun auch brav was zu verdienen geben. Er will bauen lassen und noch mehr Silberzeug bestellen und neue Schränke und Bänke im Rathause machen lassen und was weiß ich! Und ich hab's gleich gesagt, ich hab's zu erst gewußt und überall erzählt von dem Briefe, sie haben's mir bloß nicht glauben wollen. Aber Timmo hat recht gehabt und hat nicht gelogen, und von jetzt an glaube ich alles, was Timmo sagt. Gesche, gib dem Timmo einen Krug Bier zu Mittag!«

Wie groß stand nun Timmo da, Timmo und sein Blutwurm! Die Meisterin blickte beinahe mit Stolz auf den Gesellen und hatte sogar ein gütiges Lächeln für ihn, das sich aber in ihrem eckigen Gesicht nicht recht zu Hause fühlte und sich darum schleunigst wieder aus dem Staube machte. Sie ging in den Keller und holte Bier.

Hans schaute Timmo mit einem unnachahmlichen Gesicht an, und dieser sagte gönnerhaft: »Hans, du kriegst einen Schluck von!«

Meister Daniel Spörken hatte sich gesetzt und trocknete sich die Stirn. Er war von kleinem, ziemlich schmächtigem Körper mit hastigen, zappligen Bewegungen. Die Ohren standen ihm weit ab von seinem dicken, geröteten Kopfe, der auf diese hohen Schultern nicht recht zu passen schien und den er wie ein Vogel beständig hin und her wandte, als wenn er immer beobachten, immer horchen und etwas fragen wollte. Sein Haus auf der Techt, einer schmalen, krummen Gasse in der Nähe des Michaelis-Klosters, war nur klein, bot aber für das kinderlose Ehepaar und die beiden Gehilfen hinreichend Raum und hatte, wie die meisten Häuser in Lüneburg, im Erdgeschoß einen viereckigen, erkerartigen Ausbau, der im Innern das Zimmer um einen Sitzplatz am Fenster vergrößerte und die Utlucht hieß. Übrigens litten sie in dem kleinen Hause keinen Mangel, denn sie wirtschafteten sparsam, und Meister Daniel war von Natur ein mäßiger Mann, und wenn er es nicht schon gewesen wäre, so hätte ihn Frau Gesche, geborene Mushund, wohl dazu gemacht. Sie hielt den Daumen auf dem Beutel und gab ihrem Manne, der acht Jahre jünger war als sie, nur wenig Biergeld und das wenige auch nur darum, weil er aus der Trinkstube und auch sonst von seinen vielen Gelegenheitsgängen stets eine Menge Neuigkeiten mit nach Hause brachte, die sie sehr liebte, und auf deren Einsammlung er sich besser verstand als auf seine Schusterei. Nur schade, daß seine Neuigkeiten oft mehr Löcher hatten als das ausbesserungsbedürftigste Schuhwerk, das er zum Flicken bekam.

Während des einfachen Mittagsmahles, bei dem die Meisterin ihrem plötzlich wieder in Gunst gekommenen Gesellen ein ungewöhnlich großes Stück Hammelfleisch vorlegte, war Meister Daniel sehr aufgeräumt und erzählte unter anderem, der Ratsherr Marquard Mildehövet habe ihn, als er zufällig vorbeigekommen, zu sich herein rufen lassen und ihm seine Not geklagt über das leidige Podagel, das ihm im linken großen Zeh arge Schmerzen verursache; er habe es nun schon fast bei allen Schuhmachern in Lüneburg versucht – und es gibt doch vierzig Schuster in Lüneburg, Gott sei gelobt! –, aber keiner hätte ihm das Schuhzeug recht zu Danke machen können; ob er, Daniel, ihm nicht Hilfe schaffen könne.

»Freilich können wir ihm Hilfe schaffen«, sagte Timmo, »habt Ihr ihm denn Maß genommen, Meister?«

»Maß hab' ich ihm genommen«, sagte Daniel, »aber auf das Podagel verstehe ich mich auch nicht.«

»Wir müssen ihm ein Paar Pelzstiefel machen aus weichem Kalbleder und inwendig mit Rauchwerk gefüttert, sprach Timmo.

»Rauchwerk!« wiederholte der Meister, »wir können doch den Pelzern nicht ins Handwerk pfuschen, das würde eine schöne Buße kosten.«

»I was werden wir denn da die Pelzer groß drum fragen!« sprach Timmo. »Das machen wir alles selbst, hab' ich schon öfter getan, und ein paar Karnickelfelle werden sich ja wohl noch auftreiben lassen.«

»Bönhase!« drohte der Meister. »Wenn es herauskommt, machen sie Jagd auf uns, und was der Gesell gesündigt hat, muß der Meister ausbaden.«

»Hat sich was auszubaden!« lachte Timmo, »der Ratsherr wird froh sein, wenn er sein Podagel aus dem großen Zeh los wird, und Euch nicht ans Pelzeramt verraten. Schneidet nur die Stiefel recht weit und bequem zu und laßt mich machen, und die Karnickelfelle – Hans, für die sorgst du!«

»Kleinigkeit!« sagte Hans mit einem Gesicht, wie ein Fuchs, der auf der Lauer liegt und eben zuspringen will.

Er war doch wirklich ein vortrefflicher Mensch, der Timmo! Einen so geschickten und erfahrenen Gesellen hatte Daniel Spörken noch nicht gehabt! der wußte für alles Rat, war in allen Sätteln gerecht oder auch, wie man's nun nehmen will, mit allen Hunden gehetzt. Wenn der Meister dem Ratsherrn die Pelzstiefel brachte, so gab es gewiß ein gut Stück Geld dafür, aber ein Bönhase war er dann doch, und das war gefährlich.

»Ist das Paar Stiefel für Mildehövets Podagel alles, was du von den vielen Aufträgen abkriegst, die der Rat den Ämtern geben will?« fragte Gesche.

»Vorläufig ja«, sagte Daniel etwas kleinlaut, »wird aber schon noch mehr kommen.«

»Die Goldschmiede werden wohl wieder das Fett abschöpfen, die können ja nie den Hals voll kriegen mit Arbeit für den Schatz des Rates. Sie wissen schon gar nicht mehr, wo sie mit allem Gelde hin sollen, und ihre Weiber können sich vor Hochmut nicht lassen und spreizen sich wie die Pfauen mit ihren Ketten und Klunkern, womit sie sich behängen.«

»Dafür sind sie auch Goldschmiedsfrauen«, bemerkte der Meister.

»Mehr wie ich sind sie darum auch noch nicht«, muckte Gesche. »Den Tischlern und Schnitzlern fliegt die Arbeit auch immer wie gebratene Tauben ins Maul. Wozu braucht denn der Rat neue Schränke und Bänke auf dem Rathause? So oft sitzt er doch nicht zu Rate, daß er die alten schon durchgesessen hätte.«

»Er läßt sich auch neue Kissen darauf machen«, sagte Daniel.

»Natürlich! Damit nur die armen Beutler nicht verhungern«, sagte Gesche, »und mit den Plattenschlägern und Harnischmachern ist es ebenso, die können auch bald von Silber essen, so viel gibt ihnen der Rat Jahr bei Jahr zu verdienen. Da geht denn das schöne Geld alles hin, und unsereins kann zusehen, wie er satt wird, wenn andere sich mästen und im eigenen Fett ersticken.«

»Meisterin, seid froh, daß Ihr mit diesem Schaden nicht behaftet seid«, sagte Timmo zu der Dürren, »allzu fett taugt nicht, das gibt kurzen Atem und einen schweren Gang.«

»Brauchst ja nicht mit mir zu tanzen«, schnob ihn die Meisterin an.

Timmo schüttelte sich unwillkürlich bei dem bloßen Gedanken. Die Meisterin sah es nicht und fing noch einmal von dem berühmten Briefe an. Es wäre doch eine Sünde und eine Schande, daß die Hennebergs die Botschaft abgestritten hätten. Was sie sich eigentlich dabei dächten.

»Das will ich Euch sagen, Meisterin«, sprach Timmo. »Ein paar Tage nachher erzählte mir Gilbrecht, der Bürgermeister hätte ihm Schweigen geboten; aber da war's zu spät, da wußtet Ihr's schon.«

»So! Du bist bei Hennebergs gewesen! Nun? Wie haben dir denn die vornehmen Leute gefallen?«

»Gut, Meisterin, recht gut, besonders –«

»Die Jungfer Tochter, natürlich!« sagte die Meisterin mit dünner, spöttischer Miene. »Guck ihr nur nicht zu tief in die blauen Vergißmeinnichtaugen.«

»Warum denn nicht, Meisterin? Ist schon der Mühe wert!« schmunzelte Timmo.

»Warum nicht? Weil sie dich ablaufen läßt, wenn du ihr zu nahe kommst, die hochnäsige Kreatur. Mit einem Schusterknecht nimmt die nicht fürlieb.«

»Ist doch eine Handwerkertochter«, entgegnete Timmo.

»Oho! Da kommst du schön an! Eine Sülfmeistertochter ist sie, wenn du's wissen willst; die schaut höher hinaus«, sagte Gesche. »Haben sie dich denn eingeladen wiederzukommen?«

»Ja, die beiden ältesten Söhne haben es getan«, sagte Timmo nicht ohne ein gewisses Selbstbewußtsein. »Der älteste, Arnold, will gewiß bald das Amt eschen, denn er fragte mich kreuz und quer aus, wie es anderwärts mit den Meistersöhnen gehalten würde.«

»Der Arnold will seiner selbst werden?« forschte die Meisterin, »ach ja, er zieht sich ja schon lange mit der Ursula Dippold herum, der Tochter des Freiböttchers, aber die wird wohl der Frau Sülfmeisterin nicht als Schwiegertochter anstehen. Übrigens sind sich auch die beiden Alten spinnefeind und sehen sich beim Wege nicht an. Der Sülfmeister hat Dippold aus dem Amte gestoßen, und das vergißt ihm der sein Lebtag nicht.«

»Der Sülfmeister war in seinem Rechte«, bemerkte Daniel, »Dippold hatte sich schwer vergangen gegen das Amt, hatte zu kleine Tonnen gemacht und verkauft, also mit unrichtig Maß gehandelt. Da haben ihn die Brüder an Gewerk und Nahrung gestraft und ihn auf drei Jahre ausgeschlossen, bis er den Frevel abgesöhnt hat; Henneberg konnte ihn nicht retten und halten.«

»Wenn er nur gewollt hätte!« sagte Gesche. »Seitdem ist Dippold Freiböttcher und hat so wenig Arbeit, daß er sich keinen Knecht in seinem Brote halten kann. Sie sind sehr zurückgekommen, und es geht ihnen schlecht. Die Frau sitzt als Hökerin auf dem Mittwochsmarkt, aber der Pfennigkram wirft ja leider wenig ab.«

»Ja, ja«, seufzte Meister Daniel, »man hat seine liebe Not, sich ehrlich durchzuschlagen, es ist 'ne Tränenwelt.« Bald darauf erhob er sich satt und befriedigt vom Tisch, sagte: »Gottlob! Wieder einmal gegessen und nicht gezankt!« und setzte sich in eine Ecke, um ein wenig zu nicken.

Timmo hatte nun wieder Oberwasser bei seinen Meistersleuten, und als er die Arbeit jetzt wieder aufnahm, war er sehr zufrieden mit sich. Er hing seinen Gedanken nach, wie er auf dem Schemel saß und Stich bei Stich in den Schuh machte, den er unter dem Knieriemen hatte. Er wußte nicht, wem der Fuß gehörte, für den er sich hier mühte, aber ebenso wie den Schuh wollte er sich selber Stich für Stich, Schritt für Schritt weiter bringen in bezug auf sein Wünschen und Streben. An seiner selbst werden und heiraten dachte er nicht und hatte sparen nicht gelernt. Wenn er etwas hatte, so ließ er auch was draufgehen, weniger zu seinem Vergnügen, als um sich groß zu tun und sich Anhang zu schaffen. Bei Meister und Meisterin war er ja auf dem besten Wege, für etwas Besonderes zu gelten, hatte das eigentlich schon erreicht. Er hatte eine höchst wichtige Nachricht mit nach Lüneburg gebracht und seinen Meister in den Stand gesetzt, sie zuerst zu verbreiten und damit schließlich recht zu behalten. Ein helles Streiflicht dieses Ruhmes fiel auf ihn, denn wenn Daniel gefragt wurde: woher weißt du das? so mußte ja die Antwort lauten: Von meinem ehrbaren, biderben Knecht Timotheus Schneck aus Darmstadt. Sein Name ging durch die Stadt von Mund zu Mund; bald würde ihn jedermann sehen wollen. Bei seiner Meisterin hatte er noch mehr erlangt, hatte die böse Sieben im rechten Augenblick mit einem übermütigen, abenteuerlichen Einfall gezähmt und sich in ein so geheimnisvolles, überlegenes Ansehen bei ihr gesetzt, daß er sich vor ihrer Angst wie vor ihrer Habgier in Hinsicht auf die Gefährlichkeit wie auf die Wunderkraft seines Blutwurmes fortan gute Tage bei Frau Gesche versprach. Von seinen Kumpanen, den Schusterknechten, kannte er noch wenige, aber das sollte nicht mehr lange dauern, dann wollte er ihnen zeigen, was für ein Mordskerl er war; er hatte schon seine Pläne, wie er sich ihnen gegenüber aufspielen, wie er bessere Arbeitsbedingungen in Kost und Lohn bei den Meistern, mehr freie Zeit, mehr lustige Montage durchsetzen wollte und so weiter. Und die Mädchen, oh, das war das wenigste! Er hatte ein Paar Augen im Kopf, in die noch keine ganz ungestraft geblickt hatte. Hauptsache war: mehr Freiheit, mit den Gesellen trinken und mit den Mädchen karessieren zu können; mehr brauchte es nicht für ihn. Als nächstes dünkte ihn gut, bei den Hennebergs festen Fuß zu fassen, denn die waren die angesehensten unter allen Handwerksleuten hier. Es galt also, erst die Söhne zu Freunden zu gewinnen, dann den Alten zu gefallen und zuletzt – Ilsabe, das Prachtmädel, wie die Mutter Hombroksche sagte, und so fort, immer Stich für Stich, bis die Schuhe fertig waren, in denen er in Lüneburg einherzustolzieren gedachte.

Und er stach und nähte wohlgemut weiter, in Leder und in Gedanken.


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