Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Sechstes Kapitel

Als Gotthard Henneberg auf seinem Heimweg vom Kaland in die Rote-Hahn-Straße kam, sah er seine Frau und Tochter vor der Haustür stehen, wie sie die Gasse entlang spähten und in Angst um ihn auf seine Rückkehr warteten. Als er eintrat, umschlangen sie ihn voll Freude, daß er aus Kampf und Gefahr, worin sie ihn verwickelt glaubten, errettet und ihnen heil und gesund wiedergegeben war. Er mußte ihnen den Hergang der Versammlung erzählen und ihnen die Gilden nennen, die mit ihm dem Rat treu geblieben waren. Es waren außer den Böttchern die Goldschmiede, Schmiede, Schiffer, Gerber, Wandschneider, Grapengießer, Harnischmacher, Maurer und Barbiere. Alles weitere war ihm noch unbekannt, aber er riet den Frauen, sich auf das Widersinnigste und Verwerflichste gefaßt zu machen, was Torheit und Eitelkeit der einen im Bunde mit Haß und Habgier der anderen bei einer auf das höchste erregten Menge nur fertigbringen könnten. »Ich fürchte«, schloß er, »es übermannt mich, und ich schlage in der Wut mit Faust und Ferse dazwischen, sonst ginge ich hin und sähe mir alle die Dummheiten, die Schmach und Schande mit an, die sie dort begehen werden.«

»Geh nicht hin, Gotthard! Bleib bei uns!« bat Johanna. »Wenn Gilbrecht wiederkommt und die anderen, so wirst du alles erfahren.«

»Nein, nein, ich will auch nicht fort«, erwiderte er und ging eine geraume Weile in der Stube auf und ab, ohne zu sprechen. Dabei sah er immer nach seinem Schwert, das er dort neben die Tür gestellt hatte; ihm war, als zöge es seine Blicke mit unwiderstehlicher Macht an, als winkte es ihm, als bewegte es sich und käme ihm entgegen.

»Johanna!« sprach er endlich. »Laß mich hinaus! Mich faßt eine Unruhe sondergleichen, mir ist, als hört' ich vom Markte her meinen Namen rufen, und dann klingt es mir wieder wie Glockenläuten in den Ohren; die Verräter stürmen das Rathaus, und ich nicht dabei! Ich glaube, wir können's aufnehmen mit ihnen, sie sind nicht einig unter sich –«, und er griff nach dem Schwert.

Aber Johanna fiel ihm in den Arm. »Gotthard, nur heute nicht! Nur jetzt nicht!« flehte sie. »Sie sind in Wut, du selber hast deine ruhige Überlegung nicht und würdest tun, was dich später gereut.«

»Vater, ich will hingehen«, sprach Ilsabe, »will hören und sehen, wie es steht, und dir Bescheid bringen, aber du bleib hier bei der Mutter, geh nicht im Zorn hin!«

»Denkt an die Ratsherren«, erwiderte der Meister, »ich kann sie nicht im Stich lassen; ihr Leben ist vielleicht in Gefahr; das wenigstens will ich schützen.« Damit nahm er das Schwert.

»Gotthard!« sprach Johanna und legte ihre Hand auf seine Schulter, »ich habe geschwiegen in meiner namenlosen Angst, als es hieß, wir sollten gebannt werden; du hast keinen Laut der Klage, nicht die leiseste Bitte von mir gehört, ich habe im stillen geweint und im stillen gebetet um unserer Seelen Seligkeit, aber ich habe dich in deinem Tun und Lassen mit keinem Wort hindern und irren wollen, obwohl ich in meinem Gewissen schier verzweifelte. Nun ist es vorüber, der Bann ist – Gott sei gepriesen und gelobt! – von uns abgewandt; aber jetzt höre meine Bitte: laß es nicht zum Kampfe kommen! Wenn du jetzt hingehst und das Schwert ziehst, so fließt Blut auf beiden Seiten, und es ist kein Ende abzusehen von Schrecken und Tod.«

»Johanna«, antwortete Gotthard, »wenn ich jetzt im Rate säße, im alten Rate, wie es Viskule wollte, und wie du es auch wünschtest, und ich wäre nun mit den anderen in Not, und meine Freunde ließen mich im Stich –«

»Du hast den Feinden Frieden gelobt, Vater!« sprach Ilsabe laut und entschieden.

»Verdammt! Das hab' ich getan!« rief der Meister und stieß das Schwert in die Ecke, das er noch immer in der Hand gehalten hatte. »Das ist es, was mich am ersten reut!« Er warf sich in seinen Lehnstuhl und starrte finster brütend vor sich hin. Johanna setzte sich ihm gegenüber und faßte seine Hand, während sich Ilsabe neben ihn stellte und ihm sanft über das graublonde Haar strich, das an der Stirn in gerader Linie kurz abgeschnitten war, aber an den Seiten und am Nacken lang herabhing.

»Laß dich's nicht gereuen, Gotthard, daß du Frieden gelobt hast«, sprach Johanna, als sie sah, wie es in der Brust ihres Mannes wogte und wühlte, »es war vorsichtig und weise. Viele von deinen Gegnern sind nur von der Neuheit des Geschehenen verwirrt und von falschen Hoffnungen betört; aber sie werden sich besinnen, werden wie nach einem verschlafenen Rausch eines Tages nüchtern erwachen, und wenn sie dann die Stadt in Gefahr sehen, von Bösewichtern verraten und verkauft zu werden, so werden sie sich alle um dich wie um ihren Retter scharen, und dann, Gotthard, dann will ich dich nicht halten, wenn du für Recht und Freiheit in den Kampf gehst, aber heute wäre es nur ein Raufen und Würgen in blinder Wut, um Haß und Rache zu stillen, weiter nichts.«

Gotthard blickte seine Frau groß an und sagte: »Willst du für Recht und Freiheit unserer Stadt dann auch den Bann ertragen?«

»Dann fürcht' ich ihn nicht«, erwiderte sie. »Wenn die Gilden alle einig sind und sich gegen Mißbrauch der Gewalt auflehnen, so werden sie mit den Weisesten und Würdigsten der Geschlechter einen Rat bilden, der nach Wunsch und Willen des Heiligen Vaters ein gütliches Abkommen mit den Prälaten trifft ohne Verfängnis von der Stadt Ehre, Recht und Freiheit. Sie werden dich rufen, Gotthard, und dann wirst du es sein, der uns wieder Ruh und Frieden schafft.«

»Woher kommt dir solche Eingebung, Johanna?« fragte erstaunt der Meister.

»Seit deinem Gespräch mit Viskule hier an dieser Stelle, als er dich aufforderte, in den Rat zu kommen, und du von einer Arbeit sprachst, die deiner noch hier wartete, seitdem habe ich oft darüber nachgedacht und es mir in schlaflosen Nächten der letzten Wochen so ausgesponnen. Hab' ich denn nicht recht, Gotthard?«

»Hast recht, hast recht, liebes Weib!« sprach der Meister und drückte ihr die Hand.

Er schien ruhiger geworden zu sein und nickte mit dem mächtigen Haupte still in Gedanken vor sich hin. Plötzlich schrie Ilsabe, am Fenster stehend, laut auf:

»Gilbrecht! Er blutet!« und eilte dem Bruder entgegen. Gilbrecht trat ein mit blutigem Gesicht. »Es ist nichts«, sagte er, »gebt mir Tuch und Wasser.«

Der Meister war aufgesprungen. »Blut!?« rief er. »Gilbrecht, geht es los? Den Harnisch her!« Das Schwert hatte er schon wieder gefaßt.

»Es ist nichts, Vater«, sagte Gilbrecht, »es ist alles vorüber.«

»Was ist vorüber?« fragte der Meister.

»Wir wollten den Ratsherren befreien, Herrn Viskule.«

»Befreien? Ist er gefangen?«

»Ja, sie sitzen alle in den Türmen.«

»Die Ratsherren?«

»Ja, alle.«

»Den Harnisch! Mord und Tod! Den Harnisch, Ilsabe! Das ist Friedensbruch! Ich lasse läuten. Das kann gemeine Bürgerschaft nicht wollen« rief der Meister wütend und gürtete sich mit bebenden Händen das Schwert um.

»Bleib hier, Vater!« sagte Gilbrecht, »sie haben es geschehen lassen, alle, alle ohne Widerspruch. Du richtest nichts aus, es ist ganz unmöglich, verlaß dich darauf! Sonst wäre ich nicht hier. Die kleine Schramme ist nicht der Rede wert.«

Jetzt kamen auch Arnold und Jakob mit Lutke und bestätigten, daß die Ratsherren unter Beifall und Hohn des gesamten Volkes auf Markt und Gassen eingesperrt, aber alles ruhig in der Stadt wäre und die Menge sich allmählich zerstreute.

»O die Verräter! Die Feiglinge!« brauste der Meister. »Und ich muß hier stehen wie mit gebundenen Händen, das Herz voll Scham und Grimm über die Bosheit und Niedertracht! Wenn ich nur Schuttenhelm hätte und Schnewerding und noch ein Dutzend andere mit ihren Gesellen. Laßt mich hinaus! Ich bringe sie zusammen, und wir sprengen die Türme.«

Aber Johanna hing sich an seinen Hals und rief: »Wir lassen dich nicht fort, du rennst in dein Verderben, und wir sehen dich nicht wieder.« Ilsabe umwand seinen Arm, und selbst Gilbrecht stemmte sich gegen den Vater und drängte ihn zurück, Arnold stellte sich breit vor die Tür, und Jakob und Lutke suchten dem Meister das Schwert zu entwinden.

So rangen die Seinigen alle in treuer Liebe mit dem hochherzigen Manne und konnten ihn nur mit äußerster Mühe zurückhalten; er war in einer furchtbaren Verfassung.

Gilbrecht hatte eine leichte Hiebwunde auf der linken Wange. Während die Mutter ihn wusch, erzählten er und die anderen, was sie gesehen und gehört hatten. Als man Herrn Heinrich Viskule in das Gefängnis führte, hätte Gilbrecht den nächststehenden Böttcher- und Schifferknechten schnell einen Wink gegeben, und sie wären dem Zuge, der den Ratsherren wegbrachte, gefolgt, um einen Befreiungsversuch zu machen. Auch Balduin hatte von Brömbsens Eckhause am Markt und an der Münze seinen Vater gehen sehen und wäre ihnen nachgekommen. Auf dem Platze vor dem blauen Turm wären sie handgemein mit den anderen geworden, und es wären Blutschläge gefallen. Herr Viskule hätte alles aufgeboten, die Kämpfenden auseinanderzuhalten, aber es wäre doch eine Weile heiß hergegangen, und Herr Viskule hätte vielleicht entschlüpfen können, wenn er gewollt hätte. Da hätten seine Wächter Beistand erhalten, und nun hätten sie, die Befreier, sich zurückziehen müssen, während der Ratsherr in den Turm gesperrt wäre. Blutige Köpfe hätte es hüben und drüben gegeben, und Balduin –; Gilbrecht stockte, denn er sah Ilsabes angsterfülltes Gesicht.

»Balduin?« fragte sie, mit brennenden Augen.

»Er ist schlimmer daran als ich«, sagte Gilbrecht, »er hat einen Stich in den Arm, aber Gefahr hat es wohl nicht.«

Einen Stich in den Arm! Das hörte Ilsabe noch, dann lief sie hinaus ohne Schwanken und Bedenken.

»Ilsabe!« rief die Mutter ihr nach, aber sie war schon fort, die Haustür fiel donnernd ins Schloß.

»Laß sie nur, Mutter«, sprach Gilbrecht, »sie kann dort von Nutzen sein zu Hildegunds Beistand; auf Barbara ist kein Verlaß.«

Auf Barbara war kein Verlaß; nein, wahrlich nicht. Sie hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und ließ sich nicht sehen; man hörte sie kramen und packen, als wollte sie auf und davon. Sie hatten fast alle den Kopf verloren auf dem Viskulenhof. Der Ratsherr gefangen, der Junker verwundet; was sollte nun werden?

Balduin war viel später nach Hause gekommen als Gilbrecht, denn er hatte einen Umweg an den Wällen entlang machen müssen, um nicht durch die belebten Straßen zu gehen, wo man den verwundeten Junker leicht als einen Friedensbrecher aufgegriffen hätte.

Ilsabe flog im Viskulenhof die Treppe hinauf und stürmte in das Wohnzimmer. Dort fand sie Hildegund mit Martin, dem alten Diener des Ratsherrn, dem die Tränen über die gefurchten Wangen liefen, eben beschäftigt, Balduin den Ärmel aufzutrennen. Er war etwas bleich; aber bei Ilsabes Eintritt glänzte sein Antlitz in Freude, und mit einem leuchtenden Blick sprach er: »O Ilsabe! Du kommst! Nun schmerzt es schon nicht mehr.«

Als Ilsabe den wiedersah, der ihr bei ihrem letzten Zusammensein auf dem Kopefahrtfeste so viel Herzeleid bereitet hatte, stutzte sie einen Augenblick, als wollte sie in der Tür wieder umkehren; aber schnell siegte die Liebe über diese Wallung des Zornes; sie blieb und näherte sich dem Verwundeten, um nach seinem Schaden zu sehen. Auch Hildegund war es ein Trost, die Freundin zur Seite zu haben.

»Nur Wasser! Wasser, Martin!« gebot Ilsabe. »Einen Schwamm und Leinenzeug! Das andere besorgen wir.«

Martin eilte, soviel er konnte, und die beiden Mädchen befreiten nun behutsam und ohne Scheu Balduins Arm von allem Gewand. Am rechten Oberarm, nicht weit von der Schulter, hatte er einen Stich von einer Partisane, der aber nicht tief, sondern seitlich gegangen war und das volle Fleisch aufgerissen hatte. Ilsabe hielt Balduins Arm in ihrer linken Hand und wusch und kühlte die Wunde mit dem Schwamm in der rechten, während Hildegund das Leinenzeug in schmale Streifen schnitt.

»Habt ihr kein Wundpflaster im Hause?« fragte Ilsabe.

»Doch, doch, Ich habe noch welches«, erwiderte Martin und ging es zu holen. Balduin war es unendlich wohl unter Ilsabes sanfter Berührung. Zurückgelehnt in einem bequemen Sessel, wandte er kein Auge von ihr, und seine Wunde war ihm willkommen um ihrer Pflegerin willen. Mit Umsicht und Sicherheit leitete und vollbrachte sie alles Nötige zur Heilung des geliebten Freundes, man sah es ihr an, wie glücklich sie war, helfen zu können.

»Ihr holden Bönhasen«, lächelte Balduin, »pfuscht dem Barbierer ins Handwerk, aber macht es tausendmal besser. Ilsabe, ich glaube, unter deinen Händen würden alle Wunden heilen; von keiner anderen ließ ich mich lieber pflegen.«

Sie blickte ihn innig an; seine Worte und der Ton, mit dem er sprach, waren Balsam auch für ihre Wunde, die er selber ihr geschlagen hatte.

»Willst du mein Arzt sein, Ilsabe?« fuhr er fort. »Ich will mich in alles fügen, was du mir verordnest. Aber du mußt recht oft wiederkommen und nach deinem Kranken sehen, deine Gegenwart macht alles wieder gesund an mir, alles Ilsabe! – auch –«

Auch das Herz, wollte er sagen, sprach das Wort aber nicht aus. Ilsabe verstand ihn und neigte sich tief herab, daß er ihr Erröten und das Schimmern ihrer Augen nicht sehen sollte. Sie suchte sich zu fassen, konnte aber weiter nichts sagen als: »Ja, Balduin, ich will dein Arzt sein.«

Nun war er verbunden, und abgesehen von einem mäßigen Brennen der Wunde, war ihm ganz behaglich zumute.

»Wie steht es mit Gilbrecht?« fragte er.

»Gilbrecht? Ist Gilbrecht auch verwundet?« fragte Hildegund erschrocken.

»Es ist nicht schlimm«, beruhigte sie Ilsabe, »er hat einen leichten Hieb im Gesicht, der nicht viel zu bedeuten hat; die Mutter legt ihm ein Pflaster auf.«

Jetzt wäre am liebsten Hildegund davongelaufen, um Gilbrecht zu pflegen. Sie stand schon auf dem Sprunge, bedachte sich aber noch, daß ja im Böttcherhause eine Mutter war, der sie ihre überflüssige Hilfe nicht aufdringen konnte, ohne ihre Gefühle für den Sohn zu verraten. »Hat es wirklich nichts zu sagen?« fragte sie noch einmal.

»Gewiß nicht«, versicherte Ilsabe, »ich denke mir, Gilbrecht wird bald herkommen.«

Das beruhigte Hildegund, aber mit um so stärkerer Gewalt erwachten nun Schmerz und Sorge um den eingekerkerten Vater.

»Wenn ich nur zu ihm könnte«, sprach sie, »um für ihn zu sorgen, daß er nicht Mangel leidet am Nötigsten.«

»Im blauen Turm wird man ihn nicht auf Rosen betten und auch niemand zu ihm lassen«, erwiderte Balduin bekümmert. »Aber zu ängstigen brauchst du dich nicht, sie werden ihm nichts Böses zufügen, denn der Vater ist beliebt bei der Bürgerschaft wie kein zweiter im Rat außer etwa Marquard Mildehövet. Die beiden werden sicher am ersten wieder frei kommen, vielleicht morgen schon, aber wir können nichts dazu tun.«

Ilsabe erzählte, in welche Wut ihr Vater bei der Nachricht geraten wäre. Da kam Gilbrecht mit bepflasterter Wange. Balduin lachte, als er des Freundes schiefes Gesicht sah.

»Lache nicht!« sprach Gilbrecht. »Sonst muß ich mitlachen, und das kann ich nicht.«

»Tut es weh?« fragte ihn Hildegund teilnehmend.

»Nein«, erwiderte er, »es strammt nur ein wenig.«

»Es soll mich nur wundern«, sagte Balduin, »ob sie uns nicht zuleibe gehen werden, Gilbrecht, wegen unseres Befreiungsversuches.«

Die beiden Mädchen erschraken, und Ilsabe blickte mit der gleichen zärtlichen Angst auf Balduin wie Hildegund auf Gilbrecht.

»Ich glaub' es nicht«, sagte Gilbrecht, »sie haben größere Sorgen.«

»Wenn ihr uns Mädchen noch zu etwas anderem brauchen könnt, als eure Blutrünste zu verbinden, so sagt es nur, wir sind zu allem bereit«, sprach Ilsabe; »ich kann mit der Armbrust schießen.«

»Ich kann schnell reiten«, fiel Hildegund ein, »wenn es gilt, eine rasche Botschaft zu tragen.«

»Und wenn es sein muß, schnall' ich mir einen Harnisch um«, rief Ilsabe; »mit ein paar Schneidern nehm' ich's allenfalls auf.« Sie breitete die Arme aus und ballte die Fäuste, ihre Augen strahlten voll Mut in dem erglühenden Antlitz. Wie eine Heldin stand das schöne Mädchen da, daß ihre Freunde ihre Lust daran hatten.

Gilbrecht sprang auf und umschlang die Schwester, die den Bruder küßte. Sie spürten beide in aufwallenden Gefühlen den unwillkürlichen Drang, etwas Liebes in die Arme zu schließen. Hildegund und Balduin sahen die Herzeinigkeit der Geschwister, und jeder von ihnen wünschte sich heimlich an die Stelle eines der beiden anderen, die vielleicht ähnliches dachten.

Wieder vergaß die leichtgesinnte Jugend über Liebesglück und Liebeshoffen selbst die nächsten Sorgen, die doch nun unmittelbar an sie herangetreten waren.

Die beiden Hennebergs wollten nach Hause gehen, und Ilsabe sagte zu Balduin: »Nun verhältst du dich ganz ruhig, Balduin! Hast Geduld und bewegst den wunden Arm so wenig wie möglich. Versprichst du, das zu befolgen?«

»Ja! Aber komm morgen wieder!« bat er. »Komm recht oft, Ilsabe!«

Gilbrecht sagte: »Hildegund, sollte hier etwas Ungewöhnliches vorfallen, so läßt du mich rufen.«

»Versteht sich!« erwiderte sie. »Brauchst aber auf das Gerufenwerden nicht zu warten, kannst auch ungerufen kommen. Auf Wiedersehen morgen, Gilbrecht!«

»Wünschest du es, Hildegund?«

»Ob ich es wünsche, Gilbrecht!«

»Gilbrecht, wenn du nun nicht kommst«, lachte Balduin –

»Dann sitz' ich im Turm«, erwiderte er glücklich.

Die Hennebergs gingen. Balduin blickte Hildegund, als er mit ihr allein war, bedeutungsvoll lächelnd an; sie errötete darüber. »Komm mal her!« sagte er. Sie beugte sich zu ihm nieder und drückte einen Kuß auf des Bruders Lippen. »Der ist von Ilsabe«, sprach sie schelmisch, denn die hatte sie beim Abschied geküßt. »Schön Dank!« lachte Balduin.

»Ach! Wäre der Vater nur bei uns!« seufzte sie und verließ das Zimmer.

Gilbrecht und Ilsabe fanden zu Hause ihren Vater immer noch in übler Stimmung. Mürrisch verschloß er sich gegen allen Zuspruch und sann nur auf Mittel und Wege, das Geschehene ungeschehen zu machen und noch Schlimmeres abzuwenden, das er von den nächstkommenden Tagen sorgenvoll erwartete. Da ließen ihn die Seinigen in Ruhe, denn sie wußten, daß er mit sich allein am besten fertig wurde, und es war sehr still im Böttcherhause.

Gegen Abend kam ein Ratsdiener zu Meister Gotthard und brachte ihm den schriftlichen, vom Bürgermeister Dalenborg unterzeichneten Ratsbefehl zum Einlager; das hieß mit anderen Worten Gefängnis im eigenen Hause, welches der damit Bestrafte bis zur ausdrücklichen Aufhebung dieser Sperre mit keinem Schritt verlassen durfte. Meister Gotthard besah sich das Ding und den Mann, der es gebracht hatte. »Was Ihr Euch wohl denkt!« lachte er. »Einlager! Das sollte mir fehlen! Ich werde gehen, wann und wohin es mir beliebt, und wer mir in den Weg tritt, der tut es auf seine Gefahr.« Damit zerriß er den Befehl und gab die Stücke dem Boten zurück, »Da! Das bringt Herrn Dalenborg wieder und bestellt ihm Wort zu Wort, was ich Euch gesagt habe.«

»Tragt's mir nicht nach, Herr Amtsmeister! » sagte der Ratsdiener. Ich kann nichts dafür, ich muß gehorchen.«

»Müßt Ihr?« sprach der Meister. »Nun, ich muß nicht.«

So endete dieser merkwürdige Tag in Lüneburg. Wie vieles hatte er den Bewohnern der stolzen Hansestadt gebracht! Er hatte ihnen die Macht des Papstes gezeigt, der aus weiter Ferne in ihre Geschicke lenkend eingriff, hatte den Prälaten schwere Genugtuung verschafft und einigen böswilligen Menschen zu einem schmählichen Siege über althergebrachte Ordnung und Gerechtigkeit und zur teilweisen Verwirklichung ihrer arglistigen Pläne verholfen.


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