Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Siebentes Kapitel

Am anderen Morgen sah Lüneburg noch genauso aus wie es vor drei Tagen oder vor drei Monden ausgesehen hatte. Die Türme ragten nach wie vor in die Luft, unbekümmert um die hochedlen Insassen, die sie in ihrem festen Gemäuer bargen; das Rathaus stand noch auf demselben Fleck und ließ sich nichts davon merken, daß es wieder einmal den Herrn gewechselt, wie es in den anderthalb Jahrhunderten, die es auf dem Dache hatte, schon so manchen hatte ein- und ausgehen sehen, und daß es für seinen letzten strengen Gebieter jetzt keinen anderen Platz hatte als ein kleines, finsteres Loch mitten in seinem ungeheuren steinernen Leibe. Das Glockenspiel auf seinem höchsten Turme sang immer noch allstündlich den alten Spruch, wie es gestern hoch über dem Lärm und Tumult gesungen hatte, und die Göttin Luna am Brunnen auf dem Markte lächelte in ihrer unverhüllten bronzenen Schönheit noch ebenso, wie sie gestern gelächelt hatte. Auch die stolzen Giebel mit ihren schwingenden Wetterfahnen verrieten den über sie hinziehenden Wolken nichts davon, ob tief unter ihnen befriedigter Ehrgeiz sich frohlockend die Hände rieb oder Kummer und Leid in allen Winkeln saß.

Im Goldenen Ei ward es immer früh Tag, und Meister und Gesellen gingen wieder an die gestern versäumte Arbeit. Gotthard Henneberg war ziemlich schweigsam; er war über Nacht schlüssig geworden, die Dinge und die Menschen an sich herankommen zu lassen und sein Handeln nach Gestaltung der Verhältnisse zu richten. Über der allgemeinen Sorge um die Stadt vergaß er die ihm nächstliegende im eigenen Hause, den Verdruß, den ihm sein ältester Sohn durch die Teilnahme an dem versuchten Gesellenaufstande bereitet hatte. Arnold hatte seitdem redlich und gewissenhaft seine Pflicht getan und sich auch in seinem Betragen gegen den Vater nicht das geringste zu schulden kommen lassen. Der Meister erblickte darin das Bestreben des Sohnes, seinen Fehltritt gutmachen zu wollen, bahnte ihm daher gern den Weg zu seinem Herzen und gönnte ihm dann und wann wieder ein freundliches Wort zur größten Freude von Johanna, die in ausgleichender Liebe alles tat, ein gutes Einvernehmen zwischen Vater und Sohn zu fördern.

Gilbrecht, obwohl er nicht mit binden durfte, stand doch mit den anderen auf und hatte sich daran gewöhnt, in der Werkstatt allerhand kleine Gelegenheitsdienste zu leisten, die keine eigentliche Gesellenarbeit waren, aber als willkommene Hilfe dankbar angenommen wurden. Er schliff ihnen die Beile, Messer und Schnitzer und die Spundbohrer, hielt Krösen und Nietzeug im Stand und half dem Vater mit dem großen Zirkel beim Rissemachen.

Als er heute morgen nach dem Frühmahl, das regelmäßig erst nach einigen Arbeitsstunden eingenommen wurde, mit Ilsabe allein noch am Tisch saß, stieß er die Schwester an und fragte: »Wann gehen wir hin?«

»Aber Gilbrecht! Was denkst du denn?« lachte Ilsabe, »die sind ja kaum aus den Federn.«

»Die Langschläfer!« brummte er. »Aber du mußt doch nach deinem Kranken sehen.«

»Und du nach der Gesunden, nicht wahr? Nur Geduld! Eine Stunde vor Mittag gehen wir hin.«

»Früher nicht?«

»Nein, früher nicht.«

»Der arme Kranke! Er hat vielleicht Wundfieber.«

»Nein, er hat kein Wundfieber.«

Gilbrecht seufzte und schwieg. Nach einer Weile fing er wieder an: »Weißt du was? Komm mit hinauf in des Vaters Rüstkammer; ich möchte dich mal im Harnisch sehen, und wenn dir keiner paßt, so trage ich einen hin zu Meister Schnewerding, daß er ihn dir ausbiegt und zurecht hämmert nach deinem Maß.«

»Meinetwegen!« lächelte sie verschämt und ging mit ihm hinauf.

»Potztausend!« sagte Gilbrecht, als sie in die Kammer traten. »Will sich der Vater eine Burg kaufen, daß er sich so viel Gewaffen hält? Das ist viel mehr geworden in den vier Jahren.«

»Alles Rüstzeug macht ihm Freude«, sprach Ilsabe; »es ist seine einzige Liebhaberei.«

»Ich gönn' es ihm von Herzen«, erwiderte Gilbrecht, »mir macht es auch Freude. Sieh mal, fünf Harnische! Das stimmt gerade, für den Vater und seine vier Kinder, also für dich ist auch schon gesorgt. Komm her! Ich denke, dieser wird beinahe passen.«

Er schnallte der Schwester einen Harnisch an, und sie ließ es sich fröhlich gefallen.

»Nicht so fest!« rief sie. »Ich kann ja kaum atmen.«

»Glaub' ich wohl!« lachte er. »Werden ihn etwas ausbuchten müssen, stolze Schildmaid! Aber siehst gut aus, Donner und Hagel! Mit den blonden Flechten darüber. Na, brauchst nicht rot zu werden, bin ja dein Bruder.«

Sie besah sich, bog sich und reckte die Schultern und Arme.

»Ist doch etwas unbequem, so ein eisernes Mieder«, sprach sie.

»Das wird man gewohnt«, meinte er; »jetzt paß einmal auf, jetzt werde ich dir einen Stoß versetzen, ob du den aushältst.«

»Aber, bitte, gemach, mit deiner Bärenkraft!«

»Ja, ja, nur nicht ängstlich!«

Er nahm eine Hellebarde und stieß ihr damit etwas unsanft auf den Panzer.

»Au!« schrie sie. »Das dröhnt.«

»Wenn du kämpfen willst, mußt du auch einen Puff vertragen können. Paß auf«, sprach er, »noch einen!«

Den hielt sie schon besser aus, weil sie sich spannte im Harnisch.

»So!« sagte er. »Nun setze mal diese Eisenhaube auf und nimm dieses leichte Schwert; jetzt werden wir zusammen fechten. Kannst dreist zuschlagen, triffst mich doch nicht.« Nun war die Schlachtenjungfrau fertig. »Mädchen, wie schön bist du so!« rief Gilbrecht begeistert aus. »Hast du kein Spieglein? Halt! Hier! Blick in den Harnisch! Der Vater hält sie wunderbar blank, ich werde mich als Waffenmeister bei ihm melden, das gibt wieder Arbeit für mich.«

Sie traten dicht ans Fenster, und er hielt ihr einen glänzenden Harnisch vor, in dem sie ihr anmutig kriegerisches Bild lächelnd betrachtete.

»Was treibt ihr denn für Mummenschanz?« rief plötzlich die Stimme der Mutter. Die Rüstkammer lag gerade über der Küche; dort hatte Frau Johanna die Schritte ihr zu Häupten gehört und geglaubt, Gotthard wollte sich zum Streite rüsten. Darum war sie hinaufgekommen, um ihn zurückzuhalten und sah nun statt seiner die Tochter in Wehr und Waffen.

»Mutter«, sprach Ilsabe, »Gilbrecht lehrt mich fechten, damit ich ihm beistehen kann, wenn es zum Schlagen kommt.«

»Ihr seid nicht recht gescheit alle beide«, erwiderte lachend die Mutter.

»Sieh sie nur an, Mutter!« sagte Gilbrecht. »Sieht sie nicht herrlich aus?«

»O ja«, erwiderte Johanna, »aber nun kommt nur; Balduin hat nach euch geschickt.«

»Balduin?« fragten sie beide wie aus einem Munde.

»Ja; ich wußte gar nicht, wo ihr stecktet und dachte, ihr wäret schon drüben. Denkt euch! Gestern abend spät ist Fräulein Barbara ins Kloster Lüne gegangen und hat Hildegund mitgenommen.«

»Das ist doch gar nicht möglich!« rief Gilbrecht bestürzt. »Hildegund ins Kloster!« und er eilte die Treppe hinunter.

Ilsabe wollte schnurstracks hinter ihm her, aber die Mutter rief: »Ilsabe! Wohin? Im Harnisch!«

»Ja so!« sagte sie ärgerlich. »Mutter, schnell! Hilf mir aus dem Dinge heraus!«

Die Mutter hatte ihre liebe Not, der Ungeduldigen schnell genug alle die Schnallen zu lösen, deren nicht sehr geschmeidige Riemen wohl Gilbrechts kräftige Finger leicht bewältigten, die sich aber Frauenhänden nicht so willig zeigten.

Rasch ging es damit nicht; Ilsabe kam eine geraume Weile später auf dem Viskulenhof an als Gilbrecht, und Balduin mußte die Geschichte, die jener schon zur Hälfte von ihm gehört hatte, wieder von vorn anfangen.

Gestern abend war der Propst von Lüne mit einem Wagen gekommen und hatte Barbara und Hildegund gebeten und um ihrer Sicherheit willen beschworen, vorläufig eine Zuflucht in seinem Kloster anzunehmen. Die Familien der abgesetzten Ratsherren wären keineswegs sicher in ihren Häusern vor Angriffen und tätlichen Beleidigungen der aufgeregten Volksmassen. Davor wollte der Propst seine Freundin Barbara und ihre Nichte gern bewahren, und in dem geheiligten Frieden des Klosters wären sie vor allen Unbilden geschützt; sie brauchten ja nur so lange dort zu bleiben, bis sich die Aufregung in der Stadt gelegt hätte. Barbara war sofort bereit gewesen, dem Propst zu folgen, aber Hildegund hatte sich mißtrauisch dagegen gesträubt, jedoch endlich, von den Schilderungen des Propstes geängstigt und von den Bitten der Base erweicht, widerwillig nachgegeben, und so hätten sie Abschied genommen.

»Und das hast du gelitten?« fragte Gilbrecht vorwurfsvoll.

»Was sollte ich machen?« entgegnete Balduin. »Ich lag im Bett und war sehr matt, und gut aufgehoben sind sie ja dort für alle Fälle.«

»Gut aufgehoben!« wiederholte Gilbrecht verzweifelnd.

»Aber Balduin«, sprach Ilsabe, »willst du denn, daß Hildegund Nonne wird?«

»Hildegund – eine Nonne!« lachte er. »Wer denkt daran! Die Barbara, ja, die mag meinetwegen eine Heilige werden, wenn sie das Zeug dazu hat, aber Hildegund wird sich hüten, den Schleier zu nehmen; das weiß ich besser, und ich denke, ihr wißt es ebensogut.«

»Ja, weißt du denn nicht, daß Barbara und der Propst ihr schon seit Wochen damit in den Ohren liegen und sie aufs äußerste gequält haben, den Schleier zu nehmen mit der Base zusammen?«

»Davon weiß ich kein Wort«, erwiderte Balduin.

»Aber es ist so«, bestätigte Ilsabe; »sie hat es uns selber unter bitteren Tränen erzählt.«

»Balduin, hättest du uns doch gestern rufen lassen!« sagte Gilbrecht.

»Das hilft nun nichts«, erwiderte Balduin. »Laßt nur meinen Vater erst wieder frei sein, dann wollen wir sie schon wiederkriegen, ihm dürfen sie die Tochter nicht verweigern.«

»Eine Entführung, eine geplante, nichtswürdige Entführung!« murmelte Gilbrecht.

.Wie geht's mit deinem Arm?« fragte Ilsabe.

»Vortrefflich«, erwiderte Balduin, »in ein paar Tagen ist es überstanden.«

»Wer wird nun für dich sorgen, daß du deine Wartung und Pflege hast und es dir an nichts fehlt?«

»Du, Ilsabe, du!« lächelte Balduin.

»Ich?« erwiderte sie verlegen und war doch glücklich, daß er ihre Hilfe verlangte.

»Warum denn nicht? Versuch es doch einmal, wie es sich auf dem Viskulenhof wirtschaftet; ich übergebe dir die Schlüssel, du sorgst für Küche und Keller als Herrin über das Gesinde, wir tafeln zusammen fröhlich und wohlgemut und laden uns Gilbrecht zu Gast. Was sagst du dazu?«

»Ich glaube, die Mutter würde es nicht leiden«, sagte sie schüchtern mit niedergeschlagenen Augen. »Sonst tät' ich's, Balduin.«

»So laß mir wenigstens den Gilbrecht hier«, sprach er, »daß er mir Einsamen Gesellschaft leistet und hier ein wenig nach dem Rechten sieht, solange ich siech bin, und mir hilft, bis der Vater wieder hier ist, und du, du kommst redet oft und besuchst deinen Bruder hier, ja?«

Sie schlug in seine dargebotene Hand.

Gilbrecht hatte nichts von alledem gehört. Er saß, den Kopf in die Hand gestützt, und brütete dumpf vor sich hin. Wie hatte er sich voll Sehnsucht darauf gefreut, Hildegund heute wiederzusehen! Und nun war sie entführt, war unnahbar für ihn im Kloster, wo sie schlimmeren Gefahren ausgesetzt war als hier in der Stadt, denn die Nonnenklöster waren nichts weniger als Heimstätten der Tugend und Unschuld. Ihn überkam eine unsägliche Angst, daß man sie dort durch irgendwelche lügenhafte Vorspiegelungen zum Schleier überreden oder durch Gott weiß was für schändliche Mittel zwingen würde. Er glaubte jetzt an ihre Liebe und konnte sich von der Hoffnung nicht trennen, sie einst zu besitzen; nun aber im Kloster war sie vielleicht für ewig für ihn verloren.

Ilsabe weckte ihn aus seinen düsteren Träumen. »Gehst du mit, Gilbrecht, oder bleibst du hier?« fragte sie.

»Ich gehe mit«, antwortete er.

»Aber du kommst wieder, Gilbrecht, und hilfst mir hier, solange der Vater mir fehlt«, sprach Balduin. »Willst du?«

»Natürlich komm' ich wieder«, gab er zerstreut zur Antwort.

»Ilsabe, du auch?« fragte Balduin.

Sie nickte freundlich und ging mit dem Bruder nach Hause. –

Tag auf Tag entschwand, ohne daß Herr Heinrich Viskule aus dem Gefängnis wiederkam; aber Gilbrecht erfüllte ganz, was er halb versprochen hatte. Von früh bis spät war er bei Balduin auf dem Viskulenhof, ließ sich von ihm in die wichtigsten Dinge des Geschäftsbetriebes einweihen und war mit seiner Rührigkeit und Anstelligkeit dem Freunde bald ein sehr brauchbarer Gehilfe.

In den Familien der abgesetzten Ratsherren herrschte tiefe Trauer und Besorgnis, weil die rachsüchtigen Häupter des neuen Rates die Eingekerkerten noch immer nicht der Freiheit zurückgaben und ihren Angehörigen nicht die geringste Verbindung mit ihnen gestatteten; ob sie überhaupt noch am Leben waren, wußte niemand außer ihren verschwiegenen Kerkermeistern.

Unterdessen fanden zwischen den drei Machthabern im Rat und den päpstlichen Legaten geheime Verhandlungen statt, die sich um eine bedeutende Ermäßigung der den sülzbegüterten Prälaten auferlegten Abgaben, Befreiung der Kirchen, Klöster und Geistlichen von jeglichem Schoß und um die Tilgung der Stadtschulden drehten. Dabei wusch immer eine Hand die andere, und als beide Teile durch gegenseitige Forderungen und Zugeständnisse soviel voneinander erreicht hatten, wie sie für möglich hielten, suchte man die Verhandlungen zu einem schnellen Abschluß zu bringen, denn die Bürgermeister wünschten den Legaten nun redet bald wieder aus der Stadt loszuwerden, um von seiner lästigen Aufsicht befreit zu sein und dann nach Belieben schalten und walten zu können. Zudem lag der Legat im Verdener Hof »auf der Stadt bescheidentliche Kost« und ließ es sich dabei sehr wohl sein. Auf dem breiten Kochherd der großen Ratsküche unter der Sodmeisterkörkammer im Rathaus dampften täglich die leckersten Gerichte für die Tafel des Feinschmeckers aus Halberstadt, und an den Spießen des mächtigen Kamins schmorten die saftigsten Braten. Der alte Kellermeister Ambrosius von dem Rhyne brummte immer lauter, wenn er ein Fäßchen Wein nach dem anderen in den Verdener Hof schicken mußte, denn dem Domdechanten und seinen Kaplänen half bei Schüssel und Becher nicht bloß der Ritter Ernst von Boltessen, ein sehr trinkfester Mann, sondern auch Abt und Prior, Guardian und Pröpste der Klöster und Kirchen in Lüneburg, die des Legaten häufige Gäste waren; und die sechs reisigen Knechte des Ritters, die auf der Hasenburg nicht verwöhnt wurden, fraßen wie ausgehungerte Wölfe und gossen unglaubliche Mengen Bier in die ewig durstigen, unersättlichen Kehlen. Ihren Gäulen schütteten sie den Hafer aus des Rates Marstall bis über die Naslöcher in die Krippen und gaben ihnen Tag und Nacht frische Garben, daß sie bis an den Bauch im Stroh standen.

So war man denn heilfroh, als der Legat zum Abzug rüstete. Er bekam, wie das bei Fürsten und fürstlichen Gesandten, welche die Stadt besuchten, üblich war, einen großen silbernen Becher, mit Rosenobeln gefüllt, als Geschenk zum freundlichen Gedächtnis, der Ritter erhielt ein Faß Wein, und die Kapläne sowohl wie die Knechte gingen auch nicht leer aus. Geleitet von dem Rat und der Geistlichkeit ritten sie eines Morgens zum Tor hinaus, und Sengstake machte drei Kreuze hinter ihnen her.

Der neue Rat hatte in der ersten Zeit seiner Amtsführung nur sehr wenig vollzählige Sitzungen abgehalten; die drei Gewaltigen, Dalenborg, Schupper und Sengstake, beschlossen und verfügten selbständig und allein. Die übrigen Mitglieder waren Schatten und Strohmänner, unkundig der Geschäfte, unkundig auch der Ränke ihrer Führer, und der neu eingesetzte Ausschuß der Sechziger kam gar nicht in Betracht. Aber schon fing man in einigen Gilden an, ungeduldig zu werden. Die Ämter allein hatten den Rat gewählt, jetzt verlangten sie auch, daß er etwas für sie tue. Die fünf Amtsmeister, die Ratsherren geworden waren, wurden angegangen, ob nicht bald etwas zum Vorteil der Gilden geschehe, wobei man sie an ihre mutigen Reden am Sonntag Rogate im Ratsbierkeller erinnerte. Die also Bedrängten gerieten in Verlegenheit, was sie ihren Werkbrüdern antworten sollten, denn daß sie in dem neuen Regiment bis jetzt herzlich wenig zu sagen gehabt hatten, mochten sie doch nicht gern eingestehen. Sie suchten sich mit der Amtspflicht zu decken, daß niemand von des Rates Heimlichkeit etwas verlautbaren dürfe, und gaben vor, noch mit dringenderen Angelegenheiten vollauf beschäftigt zu sein. Die Handwerker schüttelten die eigensinnigen Köpfe und waren unzufrieden mit ihren Ratsherren, die sie ohnehin um ihre Stellung beneideten, und die Ratsherren waren unwillig über ihre Bürgermeister, von denen sie einfach beiseitegeschoben und nicht um Willen und Meinung befragt wurden. Dessenungeachtet ließen sie sich die Zurücksetzung gefallen und glaubten den Versicherungen der geschäftskundigen Leiter, daß diese sie nur mit den schwierigen, mühevollen und zeitraubenden Vorverhandlungen und Ausarbeitungen verschonen und seinerzeit alles Fertige und Reife dem gesamten Rat zur Beschlußfassung vorlegen wollten. Wenn aber die Mißvergnügten in den Trinkstuben schimpften, so freuten sich die von ihnen Überstimmten der schon so schnell eintretenden Zwietracht und hofften davon Verwicklungen, die nur eine ihren Wünschen entsprechende Lösung finden konnten.

»Das habt ihr davon«, hieß es, »daß ihr fremde Einmischung in das Regiment unserer Stadt duldet. Jetzt seid ihr aus dem Regen in die Traufe gekommen; nun sehet zu, wie ihr eure Sache mit dem Rat austragt.«

Als Daniel Spörken einst mit Timmo und Hans allein in der Werkstatt war, fing er an: »Nun, was sagst du denn zu dem neuen Rat? Schöne Gesellschaft! Um alles in der Welt möchte ich nicht dazwischen sitzen.«

»Ich wollt's Euch sehr verdenken, Meister!« erwiderte Timmo. »Da seid Ihr mal wieder der Klügste gewesen, daß Ihr alles aufgeboten habt, Eure Wahl zu verhindern; sonst hätten sie Euch doch hineingedrängt.«

Daniel blickte Timmo zweifelhaft an, ob das wohl sein Ernst wäre oder ob er ihn nur damit aufziehen wollte. Timmo hielt den Blick seines Meisters ruhig aus, wie sehr ihn auch hinter dessen Rücken Hans mit fratzenhaften Gesichtern zum Lachen reizte. Er bog sich auf die Brandsohle nieder, die er eben in Arbeit hatte, und sprach weiter: »Sagt nicht, Meister, Ihr hättet es abgelehnt! Einmal gewählt, hättet Ihr auch Eure Zeit und Kraft dem gemeinen Besten geopfert, da kenn' ich Euch.«

Daniel war weit entfernt, das sagen zu wollen. Er erwiderte: »Das meinte Gesche auch, daß es mich zuviel Zeit von der Arbeit kosten und zu sehr anstrengen würde, und wünschte schon darum nicht, daß ich Ratsherr würde. Ist ein braves Weib, die Gesche, und klug, hat immer recht.«

»Ha! Das will ich meinen! Immer!« sprach Timmo mit Nachdruck.

»Immer!« klang ein schüchternes Echo hinter dem Meister. Daniel sah sich um, als wollte er sagen: »Ist da auch noch einer?«

Hans lächelte ihm freudig zu.

»Meister«, fing Timmo wieder an, »was wollt Ihr denn nun mit dem grünen Samtkragen machen? Es wäre doch schade, wenn das kostbare Zeug nicht benutzt werden sollte; eine so schöne grüne Farbe habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.«

»Ja«, sagte Daniel und kratzte sich am Kopf, »ich wollte ihn mir ja auf mein gelbes Sonntagswams setzen lassen, aber –«

»Herrjeh, freilich! Auf das gelbe!« rief Timmo. »Da muß er sich prächtig darauf ausnehmen, und wenn Ihr nun damit nicht zum Rathaus gehen könnt, so geht Ihr damit in die Predigt; sollt mal sehen, das muntert die ganze Kirche auf.«

»Ja, ja, aber Gesche meinte –«

»Ach! – Wird ihr schon gefallen; wenn sie's nur erst einmal sähe! Wißt Ihr was, Meister? Gebt mir das Wams und den Kragen, ich lasse ihn Euch von Florentine aufnähen, heimlich, und dann überrascht Ihr Eure Frau damit; was meint Ihr? Die wird sich mal wundern!«

»Oh ja, das wird sie«, sprach Daniel nachdenklich; »können's ja mal versuchen, was sie dazu sagt. Ich will dir die beiden Dinger mitgeben, und wenn Jungfer Florentine so freundlich sein will –«

»Aber ich bitt' Euch, Meister, keine Umstände! Wir haben ihr erst so 'n Paar feine Schuhe gemacht.«

»Ist sie denn zufrieden damit?«

»Sehr! Sie sitzen wie angegossen; ich habe sie ihr selber angezogen.«

»So! Sieh mal an!« sagte Daniel.

»Hm, Meister, was denkt Ihr denn? Das Mädel versteht Spaß, sag' ich Euch, viel Spaß!«

»So? Ihre Herrin wohl auch?«

»Frau Grönhagen, meint Ihr? Das weiß ich nicht. Aber vielleicht weiß es der Ritter von Boltessen; der hat ihr den Hof gemacht und sie besucht, sagte Florentine.«

»Na na!«

»Er ist ja noch ledig, und Geld kann er auch brauchen.«

»Wer kann Geld brauchen?« fragte Gesche, die in diesem Augenblick eintrat.

»Timmo und ich und du, liebes Frauchen«, antwortete Daniel, »alle können wir Geld brauchen.«

»Als ob das was Neues wäre!« höhnte Gesche. »Aber ich weiß was Neues.«

»Was denn?« fragten die anderen zugleich, selbst Hans stimmte mit ein, riß die Augen auf und spitzte Maul und Ohren.

»Hä! Was denn?« machte Gesche. »Der Freiböttcher Dippold ist Schlupfwächter geworden und Schließer im blauen Turm.«

»Weiter nichts?« fragte Timmo.

»Da hat sein ehemaliger Morgensprachsherr Heinrich Viskule keinen guten Freund zum Wächter«, sagte Daniel, »denn der hat mit Henneberg zusammen den Böttcher damals aus dem Amt gestoßen.«

»Das ist es ja eben«, rief Gesche, »da liegt der Hase im Pfeffer. Aber ich weiß noch mehr. Der Rat hat bei Springintguts und Töbings alles Silberzeug und Schmuck und Geschmeide und alles Geld wegnehmen lassen. Was sagt ihr dazu?«

»Pfui! Das wäre nicht geschehen, wenn ich Ratsherr geworden wäre«, sprach Daniel groß und würdevoll.

»Gewiß nicht, Meister;« sagte Timmo. »Mir tut es beinahe leid, daß ich Euch davon abgeredet habe.«


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