Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Einundzwanzigstes Kapitel

Das Pfingstfest fand die Bürgerschaft Lüneburgs in ziemlicher Eintracht und einigermaßen wiederhergestelltem Frieden zwischen Meistern und Gesellen, und doch ward es in diesem Jahre nicht mit so ungetrübter Maienluft gefeiert wie sonst. Verschiedene Umstände gaben ihm ein ernsteres und stilleres Gepräge. Ein kleiner Stachel des Unmutes über den Aufstandsversuch der Handwerksknechte war doch in den Gemütern der Meister und Meisterinnen steckengeblieben, und auch die Einkerkerung Dalenborgs und Sengstakes fand nicht überall den gleichen Beifall. Zwar die Handwerksmeister, die in jenen die Verführer der Gesellen erblickten, gönnten ihnen die Strafe als wohlverdient und noch viel zu gelinde. Die beiden Aufwiegler hatten sich indessen, namentlich unter den grundsätzlichen Gegnern des Rates, schon eine erkleckliche Zahl von Anhängern zu verschaffen gewußt, die den eigentlichen Zweck des Gesellenaufstandes als mit seiner Spitze gegen den Rat gekehrt erkannten oder wenigstens vermuteten, und diese bedauerten die ihrer Freiheit Beraubten. Die Freudigkeit aber, die eine warme, lachende Pfingstsonne in die Menschenherzen hineinstrahlt, ließ diese mißvergnügten Stimmungen nicht zum offen störenden Ausdruck kommen, und man hätte sich vielleicht den althergebrachten Belustigungen gern hingegeben, wenn nicht noch ein dritter Grund gewesen wäre, weshalb man sie unterließ oder doch sehr einschränkte. Dieser dritte Grund war die Aussicht auf ein unmittelbar nach den Pfingsttagen anberaumtes Fest, das für die Stadt Lüneburg von großer, volkstümlicher Bedeutung war – das geräuschvolle Fest des Kopefahrens.

Das merkwürdige Fest verdankte seinen Ursprung dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg Johann dem Friedfertigen, der wegen seiner Leutseligkeit und Freigebigkeit so beliebt war, daß, als er im Dezember 1277 zu Dalenburg starb, die trauernden Ritter seinen Leichnam auf ihren Schultern nach dem drei Stunden entfernten Lüneburg zu Grabe trugen. Dieser edelmütige Fürst stiftete, um Lust und Liebe zur Förderung des Salzwerkes zu erregen, im Jahre 1273 ein seltsames Ritterspiel, welches darin bestand, daß der neugewählte Sodmeister, gefolgt von berittenen Sülfmeistern, Ratsherren und wohlhabenden Bürgern, ein großes, mit Steinen gefülltes Weinfaß, durch das eine Achse gelegt war, mit zwei davor gespannten Hengsten im Trabe durch die Stadt schleifen mußte. Dieses Faß, das man die Kope oder Kufe nannte und das dem Feste den Namen gab, wurde dann auf dem Platz an der Sülze unter Trompetenschall verbrannt, und das Fest endete mit Gelagen in den Trinkstuben und mit Schmaus und Tanz auf dem Rathause. Der eigentliche Tag des Festes war der Donnerstag nach Septuagesimä, aber während der Rechtsstreit des Rates mit den Prälaten am Kaiserlichen Hofgericht zu Wien schwebte, hatte man es verschoben, und nun sollte es endlich am Mittwoch nach Pfingsten begangen werden.

Im Hinblick darauf versagten sich die Lüneburger diesmal alle Lustbarkeiten in den Pfingsttagen, ließen nur die Arbeit ruhen, gingen fleißig in die Kirche und machten Spaziergänge in den Gärten und in die nächste Umgebung der Stadt. Auch jenem Platz in der Heide hinter dem Mönchsgarten statteten viele Bürgersleute einen neugierigen Besuch ab, besahen sich mit leisem Schaudern die Stätte, an der so aufrührerische Worte gefallen waren, betrachteten die Aschenhaufen der erloschenen Feuer und suchten den Kiefernbusch, hinter welchem der Sülfmeister als unbemerkter Zeuge der schandbaren Verhandlungen sich verborgen gehalten haben mochte. Dabei machten sie ihren Gefühlen in mehr oder minder mißbilligenden Bemerkungen Luft, kehrten dann wieder um mit dem tröstlichen Bewußtsein, doch wenigstens die Stelle gesehen zu haben, von der leichtlich Mord und Totschlag hätte ausgehen können, und lobten den lieben Gott und den braven Sülfmeister, die beide, der eine in seiner Weisheit und Gnade, der andere mit seinem Mut und seiner Tatkraft, das Unglück von ihrer guten Stadt Lüneburg noch einmal abgewendet hatten.

So vergingen die zwei Pfingsttage still und ruhig. Am dritten Tage, dem Dienstag, wurde der neue Sodmeister, Herr Wigand Kruse, in dem großen Sodmeisterkörgemach des Rathauses vor versammeltem Rat und in Gegenwart vieler Sülfmeister und der obersten Sülzbeamten vom Bürgermeister Springintgut vereidigt. Erst war feierlicher Kirchgang und Gottesdienst in Sankt Michaelis gewesen, dann hatte der Bürgermeister im Körgemach dem Sodmeister den Eid gestabt und ihm aus dem großen silbernen Sodmeisterpokal die Schlüssel zugetrunken.

Die Handwerksarbeit ruhte auch an diesem Tage, denn eine andere, fröhlichere Beschäftigung füllte die Stunden. Die Knechte und Knaben holten aus der Heide und den Gärten große Mengen von grünen Zweigen und Blumen, die Frauen und Mädchen flochten daraus Kränze und wanden Laubgehänge, und die Männer reichten ihnen die zurechtgeschnittenen Reiser, die Blätter und Blumen zu, wobei es heiteres Geplauder, viel Scherz und Kurzweil gab.

Gegen Abend fing man mit dem Ausschmücken der Häuser an, und als die Sonne am anderen Morgen die steilen Dächer, die zahllosen zackigen Giebelspitzen und hochaufstrebenden Türme der alten, lustigen Hansestadt bestrahlte, spielten in ihrem Schein an allen Ecken und Enden blinkende Farben. Fahnen, bunte Decken und Teppiche hingen überall aus Fenstern und Luken; Türen und Außenwände bis hoch hinauf waren mit Laubgewinden behangen, von denen viele quer über die Gasse von einem Hause zum anderen gespannt waren, mit Sinnsprüchen und flatternden Bändern geziert. Die reichen Geschlechter hatten ihre schön gemalten Wappenschilder, die Handwerker ihre Handwerkszeichen außen an den Häusern befestigt, und die Wahrzeichen der Gildehäuser und Trinkstuben, die an eisernen Armen in die Straße hineinreichten, waren lieblich mit Blumen bekränzt. Der frische, lebendige Schmuck vereinigte sich mit dem Starren und Eckigen der ragenden Giebel zu einem herrlichen Bilde, das der ganzen Stadt ein heiteres und hochfestliches Gepräge verlieh.

Überaus stolz und prächtig machte sich das Rathaus. Die dicken Pfeiler der unteren Bogen waren grün umwunden; über die Brüstung des offenen Laubenganges darüber hingen in seiner ganzen Breite Purpurdecken mit Goldfransen; aus dem mittelsten Fenster des oberen Geschosses schwebte ein mächtiges Banner hernieder mit dem großen Lüneburger Wappen, ein dreitürmiges Stadttor, in dem auf schräg gestelltem Schilde der springende blaue Löwe im goldenen Felde war. Von jedem der sechs Rathaustürme wehte ein Kranz von Fahnen, und sämtliche Fenster waren blumenumrankt. Auch auf den Zinnen aller anderen Türme der Stadt waren Wimpel aufgehißt und Stangen mit Kränzen und lang herabwallenden Tüchern ausgesteckt; die Straßen waren mit weißlichem Sand, mit Zweigen und Blättern und Blumen bestreut.

Nur zwei Häuser standen, jeglichen Schmuckes bar, trotzig und traurig inmitten ihrer bekränzten Nachbarn. Sie hatten freilich wenig Anlaß, sich schmücken zu lassen, denn es waren Dalenborgs Haus in der Großen Bäckerstraße und Sengstakes am Sande.

Auch die Menschen in Lüneburg legten schon früh ihre besten Gewänder an, und ein hochedler Rat drückte gnädig ein Auge zu, wenn die Frauen die strengen Gebote der Kleiderordnung mit köstlicherem Pelzbesatz, mit breiteren Borten und Spitzen, mit schweren Goldketten und Geschmeide, als den verschiedenen Ständen zu tragen erlaubt war, zu erhöhtem Glanze des Festes heut überschritten.

Bald war es lebendig auf den Straßen. Handwerker und Sülzarbeiter begaben sich zu ihren Sammelplätzen, Werkzeuge oder Sinnbilder, mit Bändern und Blumen geschmückt, in den Händen. Prächtig geschirrte Rosse wurden vorgeführt, reitende Diener des Rates, Trompeter, auch schon einzelne Sülfmeister ritten dahin, und mit jeder Minute stieg die freudige Stimmung. In allen Fenstern und Luken zeigten sich lachende Gesichter, auf aller Treppen und in allen Türen drängten sich Schaulustige, und in den Straßen wogte es von Neugierigen aus Gassen, welche der Zug nicht berührte. Wo sie nur konnten, nestelten sie sich bei begünstigteren Hausbesitzern an, auch bisher Unbeachteten mit einschmeichelnder Gunst begegnend, um die Gastfreundschaft eines guten Platzes zu genießen. Die Jugend, Schüler und Lehrjungen, lärmte und tobte umher, und die Ratsdiener hatten Mühe, Ordnung zu halten und freien Raum für den Zug zu schaffen. Was heute nicht bettlägerig, krank oder nicht riegelfest eingesperrt war, das war auch auf den Beinen oder an den Fenstern.

In der Rothen-Hahn-Straße schallte Hufschlag. Ilsabe sprang mit Lutke aus der Haustür und klopfte dem kräftigen Braunen den glatten Hals und strich ihm die lange, mit roten Bändern durchflochtene Mähne, den Herr Heinrich Viskule seinem Freunde Gotthard Henneberg gesattelt und gezäumt sandte. Der Meister saß auf, schwertumgürtet, mit federgeschmücktem Barett, und wie der stattlichste Ratsherr sah er aus, als er grüßend von dannen ritt. Seine Frau und Tochter begaben sich zu Hans Laffert, um auf dessen freundliche Einladung den Zug von seinem Hause aus mit anzusehen. Seine Söhne und Jakob waren bei ihren Handwerksgenossen.

Endlich erklangen die Glocken, und das Kopefahren nahm seinen Anfang. Auf dem freien Platz an der Sülze hielten die berittenen Herren und ihr Gefolge. Als der Sodmeister einen der vor die Kope gespannten Hengste bestiegen hatte, trat eine hübsche, junge Sülzarbeiterin mit einem weingefüllten Becher an ihn heran und sagte den Spruch:

    »Aus Erdenschoße quillt im Sod
Für reich und arm das Salz zum Brot,
Ist ein Gewürze, rein und gut,
Macht frohes Herz, gibt Bein und Blut.
Wollt Ihr des Sodes Meister sein,
So nehmet, Herr, und trinkt den Wein
Und sprechet: Lüneburger Salz,
Gott hat's gegeben, Gott erhalt's!«

Herr Wigand Kruse nahm den ihm von der Sprecherin kredenzten Pokal, und sich in den Bügeln hebend, schwang er ihn den Versammelten zu mit dem Rufe:

»Heil allweg Lüneburger Salz!
Gott hat's gegeben, Gott erhalt's!«

Nachdem er getrunken, gab er den Becher an den Barmeister weiter und verehrte der jungen Schönen ein silbernes Halskettlein mit einer Schaumünze daran, zum freundlichen Gedächtnis. Dann sprengte der Reiterzug mit lautem Getöse in die Stadt hinein. Zwei Vorreiter eröffneten ihn; Trompeter folgten; dann kam der Sodmeister mit der Kope dahergerasselt, und ein großes Vergnügen schien die Erfüllung der sonderbaren Amtspflicht Herrn Wigand Kruse nicht zu machen; er trieb die Hengste, um so schnell wie möglich das abenteuerliche Fuhrwerk zu Ende zu bringen. Ihm folgten zwei Nachreiter; sodann die beiden Bürgermeister und sämtliche Ratsherren, alle prächtig gekleidet und vortrefflich beritten; darauf im stolzesten Aufzuge die den Glanz und die Ehre des Festes ganz besonders in Anspruch nehmenden Sülfmeister, unter denen alle reichen Geschlechter der Stadt vertreten waren, aber auch einfache, wohlhabende Bürger nicht fehlten; hinter ihnen der Barmeister mit den Beamten der Sülze, und an diese schlossen sich andere Bürger, wer nur ein Roß zu besteigen hatte oder auftreiben konnte; endlich die Söhne der vornehmen Geschlechter, die allzeit übermütigen Stadtjunker. Reitende Ratsdiener machten den Schluß.

Von weitem schon verkündete das Jauchzen der Menge, das fürchterliche Gepolter der schweren, mit Steinen gefüllten Kope und Pferdegetrappel das Nahen der Kopefahrer, wie sie durch die Hauptstraßen der Stadt und längs der dort aufgestellten Gewerke angebraust kamen. Da trabte schlank und leicht manch edles Pferd, trottete plump und schwer manch derber Gaul, der in seinem gewohnten Siedelzeug vor dem Lastwagen nicht auf den Gedanken gekommen war, heut als bunt aufgeputztes Reitpferd in einem so festlichen Zuge glänzen und gleißen zu sollen. Da schwankte auch mancher behäbige Bürger im Sattel, dem man es ansah, daß er sich in den Bügeln nicht mehr recht zu Hause fühlte und lieber zu Fuß ginge, wenn er nicht heute den Sülfmeister zeigen müßte.

Der Sodmeister und ebenso Bürgermeister und Rat wurden überall mit freudigen Zurufen begrüßt, was sich die Herren mit großer Befriedigung als ein Zeichen treuer Anhänglichkeit an ihr Stadtregiment deuteten. Wo aber mit den zahlreichen Sülfmeistern auch Gotthard Henneberg gar herrlich zu Roß auf dem stattlichen Braunen erschien, da ward er mit endlosem Jubel empfangen und mehr gefeiert als der Rat. Und als auf den feurigsten Hengsten und in den prunkendsten Gewändern die Junker angeritten kamen, da wehten und winkten ihnen Tüchlein und Schleier aus den Fenstern zu, Blumensträußchen regneten auf sie herab.

Nun zogen in geschlossenen Reihen mit Bläsern an der Spitze die Handwerker, Meister und Gesellen, mit ihren Fahnen, Zeichen und Geräten durch die Stadt, nickten den Frauen und Schätzen an den Haustüren zu und freuten sich schon auf Trunk und Tanz am Abend. Zuletzt kam die große Schar der Sülzarbeiter, Männer, Frauen und Mädchen, alles was auf oder von der Sülze Nahrung hatte. Sie wurden heut auf Kosten der Sülfmeistergilde festlich bewirtet.

Während des Zuges klangen die Glocken von allen Kirchtürmen, und in ganz Lüneburg war Friede, Freude und Einigkeit, und von Groll und Zwietracht keine Spur. Das fröhliche Kopefahren brachte alle Herzen zusammen, legte alle Hände ineinander, und der reiche Segen, der draußen am Sülztor aus der Erde quoll, schuf der Stadt eine freudvolle Gegenwart und verhieß ihr eine glückliche Zukunft.

Der Nachmittag war wieder anderen Vergnügungen gewidmet. Die Junker und einige ältere Geschlechterherren hielten ein glänzendes Reiterspiel und fröhliches Lanzenstechen ab, von Zuschauern umlagert. Zu einer späteren Stunde ward auf dem freien Platz an der Sülze die Kope verbrannt. Sie ward ihrer Steine entledigt, auf einen Scheiterhaufen gestellt, mit Holz und Teer gefüllt und dann angezündet. Sülzarbeiter, Handwerksknechte und Jungen, viele in närrischen Vermummungen, umtanzten und umsprangen sie singend und lärmend, während ein dicker Qualm sich über die Sülze hinwegwälzte und weit in die Heide hinauszog. Dazu ließ der Stückmeister auf dem Walle wiederholt einige Donnerbüchsen lösen. Gegen Abend begab sich alles Volk in die Trinkstuben, wo keine Bank und kein Stuhl unbesetzt blieb, und wer es nicht selber getan hatte, der ahnte wohl nicht, daß mancher entschlossene Bürger heimlich Schwert, Spieß und Harnisch sich zu Hause griffbereit hingestellt hatte, um für den Fall eines ausbrechenden Kampfes schnell gerüstet zu sein. Die Waffen blieben jedoch unberührt, nur friedliche Tänze verlangten Raum, und so viel auch heute getrunken wurde, nach Blut dürstete niemand.

Am Abend strahlte das Rathaus in hellem Lichterglanz. Die Familien der Ratsherren, der Sülfmeister und des gesamten Stadtadels waren in dem großen, reichgeschmückten Saale und seinen Nebenräumen zu rauschender Lustbarkeit versammelt. Was sich an Macht und Ansehen, an Schönheit und Kostbarkeit in Lüneburg aufbringen ließ, das war heute, an diesem höchsten Festtage der Stadt, hier beisammen, selbstbewußte, stolze Männer, schöne Frauen und schöne Gewänder, blitzende Augen und blitzende Geschmeide, erfahrenes Alter und mutwillige Jugend. Auf Prunkschreinen und Kredenztischen stand das Silberzeug des Rates, weit über hundert Schüsseln und Schalen von kunstvoller Arbeit und in den oft seltsamsten Formen. Meister Ambrosius von dem Rhyne machte den Obermundschenk und ließ von den festlich gekleideten Ratsdienern die besten Weine seines Kellers herumreichen. Und die Weine taten ihre Schuldigkeit, sie hoben die Stimmung, öffneten die Herzen, lösten die Zungen der fleißigen Trinker, und des Rates Spielleute bliesen dazu manch tapferes, anmutiges Stücklein. Die Gäste saßen an größeren oder kleineren Tischen zusammen oder bewegten sich frei durcheinander, tauschten höfliche Grüße und ergötzten sich mit Plaudern und Lachen, mit schmiegsamen Geflüster und beredtem Augenspiel, lebenslustig, genußfroh, sorglos.

Meister Gotthard Henneberg war der einzige Handwerker in der Gesellschaft, und viele machten sich gerade heute den Spaß und nannten ihn, den einen unter so vielen, kurzweg Sülfmeister oder auch Herr Sülfmeister, und er ließ es sich lächelnd gefallen, denn er wußte, daß sie es nur gut meinten und ihn damit auszeichnen und ehren wollten. Arnold fehlte, und Lutke, obschon ein Sülfmeistersohn, war als Lehrjunge noch nicht hoffähig zu Rathause; aber Frau Johanna, Ilsabe und Gilbrecht waren natürlich zugegen und wurden von allen Seiten mit großer Freundlichkeit behandelt, was Meister Gotthard wohlgefällig bemerkte.

Der zweite Bürgermeister, Herr Albrecht von der Mölen, schüttelte Gilbrecht die Hand und erinnerte ihn an ihre Begegnung in Celle; er nannte ihn hier nicht du, obwohl Gilbrecht als Handwerksknecht eine höflichere Anrede nicht beanspruchen konnte und dies in seiner Bescheidenheit auch nicht tat. »Ihr habt mit meinem Briefe unserer guten Stadt vor sechs Wochen eine üble Nachricht heimgebracht, Gilbrecht«, sprach Herr von der Mölen. »Aber es war glücklicherweise nur ein blinder Schreck; es ist alles gut abgelaufen, und sie getrauen sich nicht, uns an den Kragen zu kommen«, fügte er lachend hinzu.

»Es ist mir ein doppelter Trost, Herr Bürgermeister«, antwortete Gilbrecht, »daß alle Sorge vorüber ist und ich nicht zum Unglücksraben an meiner lieben Vaterstadt geworden bin.«

»Euch hätte man es gewiß weniger entgelten lassen als mich«, sagte der zweite Bürgermeister und schritt weiter im Saale.

Gilbrecht und Hildegund Viskule hatten schon viel freundliche Worte miteinander gewechselt, aber er konnte sich ihr heute nicht oft nähern, so bequem sie ihm das auch zu machen suchte. Sie war stets von anderen, ihr befreundeten Geschlechterfräulein und von vornehmen Junkern umgeben. Ähnlich erging es Ilsabe mit Balduin, nur daß dieser nicht von vielen, sondern nur von einer gefesselt ward, und diese eine war Frau Walpurg Grönhagen. Die junge Witwe hatte, wie immer, so auch heute wieder verstanden, ihre eigentümliche Schönheit durch ein Gewand, das ihre reizenden Formen in schicklicher Weise zur vollen Geltung brachte, noch zu heben. Schwellende Rosen gereichten ihrem dunklen, zierlich und üppig geordneten Haar zum bestgewählten Schmuck. Eine prächtige Kette von funkelnden Edelsteinen zog die Blicke auf sich und damit auch auf den schimmernden Hals, den das Kleinod umschloß. Ein knappes Mieder, an Brust und Rücken tief ausgeschnitten, umfing die tadellos geformte Büste, und die lang herabfallenden Ärmel waren vorn bis hoch hinauf offen, um blendende Arme zu zeigen. Ein kostbarer Gürtel glitzerte auf dem tiefroten Samtkleide, das vorn keilförmig geteilt, schweren, reichgemusterten Silberstoff sehen ließ.

So verschwenderisch war Ilsabe nicht gekleidet. In ihrem blonden Haar, das aufgelöst in langen, mächtigen Wellen über den Rücken herabfloß, trug sie einen Efeukranz, und ein lichtblaues, mit Goldstickereien umsäumtes Gewand umhüllte ihre schlanke, volle Gestalt. Um die Hüften hatte sie die silberne Kette geschlungen mit der schönen Ledertasche daran, die Gilbrecht ihr aus Mainz mitgebracht hatte. Statt Perlen und Smaragden waren blühende Jugend und entzückende Anmut die Juwelen ihrer holden Erscheinung. »Blond und blau, ein großes Vergißmeinnicht!« hatte Walpurg sie spöttelnd genannt, als sie von Frau Alheid Schomaker auf die Böttchertochter aufmerksam gemacht wurde. »Aber hübsch ist sie doch, sehr hübsch!« hatte Leonhard Düsterhop dazu bemerkt. »Ich glaube, die hat Kraft in den Armen, und wen sie festhalten will, der kommt gewiß so leicht nicht los.«

»Ei, Junker, versucht es doch einmal!« hatte Walpurg erwidert.

Aber Leonhard hatte den Kopf geschüttelt und lächelnd Alheid angeblickt.


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