Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sie gingen weiter durch die Schlägertwiete, aber an der nächsten Ecke sprach Gilbrecht: »So, dies ist die Grapengießerstraße, und die nächste ist die Altstadt, die gehst du hinab an zwei, drei Querstraßen vorbei, dann kommst du zur Herberge der Schusterknechte; das Herbergsschild hängt groß genug in die Straße hinein, kannst gar nicht fehlen, wenn du die Augen aufsperrst.«

»Ein Hesse bin ich zwar, aber kein blinder«, sagte Timmo, »will's also schon finden.«

»Nun denn viel Glück ins Feld!« sprach Gilbrecht, »und wenn du Arbeit gefunden hast und eingeehrt wirst, so komm' ich und trinke mit, und zu meiner Einfahrt kommst du auch.«

»Soll ein Wort sein!« sagte der Schuster und schritt in die Gasse hinein. Gilbrecht wandte sich rechts und eilte dem Vaterhause zu. –

›Ob der Alte nicht doch am Ende ein Sülfmeister ist, wie der Torwart herausplatzte‹, überlegte Timmo beim Weitergehen, ›der Junge hat auch schon so was Salzjunkermäßiges an sich. Wie er mir hier die Wege wies! Es klang ungefähr so, wie such, Pudel, such! Konnte doch mitgehen und mich hinbringen, aber Meistersöhnchen Muttersöhnchen. – Patsch dich! Hier hat's geregnet; hundert Türme haben sie, aber kein Dreckmeisteramt, das seine Schuldigkeit tut; aber es hat alles sein Gutes, desto mehr Schuhzeug brauchen sie hier. Timmo Schneck, halt die Ohren steif, Lüneburg ist ein sauberes Städtchen, hundert Türme und dreißigtausend Klafter Holz jährlich. Und wie hier die Luft schmeckt! Ich glaube salzig, ja wahrhaftig, ganz salzig, darum auch der Durst. Herbergsschild, wo hängst du?‹ Plötzlich blieb er an einer Straßenecke stehen: ›Da! Nun hab' ich die Querstraßen nicht gezählt und weiß nicht, ob dies die zweite oder die dritte ist; dunkel ist's auch und kein Hund auf der Gasse, den man fragen könnte.‹ Da öffnete sich eine Haustür, und ein heller Lichtschein fiel auf die Straße; in der Tür erschien ein Mann, auf den Timmo nun zuschritt mit der Frage, ob er hier nach der Altstadt käme.

»Schon wieder ein Schuster mehr in Lüneburg!« war die Antwort.

»Ein Korduaner, mit Verlaub!«

»Natürlich, das sagt ihr alle und bleibt das Buntleder so lange schuldig wie das Schwarzleder. Und was so ein Drahtklemmer für eine Nase haben muß, daß er sich immer, wo es nichts kostet, an einen Lohgerber wendet.«

»Ach so!« lachte Timmo. »Darum! Nun ein Wunder ist's just nicht, wenn der Schuhmacher den Lohgerber riecht. Aber diesmal war's Zufall oder Himmelsfügung, die ich mir zum guten Zeichen nehmen will.«

»Das tu nur, Korduaner! Hast wohl auch schon manchen Meister reich gemacht?« neckte der Lohgerber.

»Das will ich meinen!« rief Timmo. »Übrigens, Meister, Ihr wißt ja: Wenn der Schuster stirbt, kriegt der Gerber das Fell.«

»Da hat er was rechts!« lachte der Meister.

»Aber nun sagt mir doch, wo die Herberge ist«, mahnte Timmo etwas ungeduldig.

»Ja so! Richtig! Die Gasse hier ist die Altstadt und rechter Hand die Schusterschenke«, sagte der Gerber, »und wenn du kein Eimbecker bezahlen kannst, so trink Blaffertbier, ist gerade gut jetzt.«

»Vielen Dank, Meister! Wo Schuster und Fuhrleut' trinken, ist's Bier am besten.« Damit ging Timmo ab und dachte ›Lustige Leute, diese Lüneburger!‹

Bald klopfte er in der Herberge an die Stubentür, trat ein und sagte: »Schönen guten Abend, Frau Mutter! Ist der Herr Vater nicht da!«

Die er so begrüßte, war eine ältere, aber noch rührige Frau mit rundem rotem Kopf und gluhen Augen darin; ihr vorderes Kinn – sie hatte deren nämlich zwei – war etwas stoppelig. Von ihrem Haar war nichts zu sehen, denn sie hatte ein gelbes Tuch um den Kopf geschlungen, daß der Knoten gerade auf dem Scheitel saß und die zwei langen Zipfel wie ein paar Hörner steif zu beiden Seiten standen. »Der Herr Vater ist nicht zu sprechen«, sagte sie, »er hat sich zuschanden gemacht, hat einen Hexenschuß im Kreuz und liegt zu Bette; aber die Herbergsmutter hat auch noch keinem ehrlichen Schusterknecht ein Bein ausgerissen. Kannst fragen wen du willst in der Stadt, ob die alte Hombroksche nicht überall einen Stein im Brette hat.«

»So wollt' ich Euch ganz freundlich angesprochen haben, Frau Mutter«, sagte Timmo, indem er sich mit geschlossenen Hacken vor sie hinstellte, den Hut in der Hand und den Ranzen unter dem linken Arm, »von wegen des Handwerks, ob Ihr mich und mein Bündel heute wollet beherbergen, mich auf der Bank und mein Bündel unter der Bank; ich will mich halten nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit, wie es einem ehrlichen Schusterknecht zukommt, mit keuschem Mund und reiner Hand.«

»Sei willkommen wegen des Handwerks!« sagte die Alte. »Lege dein Bündel unter die Bank und deinen Filz auf dem Herrn Vater seinen Tisch; ich will den Altschaffer rufen lassen, daß er dich umschaut.«

Timmo tat, wie ihm geheißen war, und ruhte sich. Als aber der Altgesell kam, erhob er sich wieder, setzte den Hut auf, ging dem Eintretenden entgegen und legte seine linke Hand auf dessen rechte Schulter. Der Altgesell machte es ebenso und fing an:

»Hilf Gott, Fremder! – Schuster?«

»Stück davon«, antwortete Timmo.

»Wo streichst du her bei dem staubigen Wetter?«

»Immer aus dem Land, das nicht mein ist.«

»Kommst du geschritten oder geritten?«

»Ich komme geritten auf zwei Rappen aus eines guten Meisters Stall. Die Meisterin hat sie mir gesattelt, die Jungfer hat sie mir gezäumt, und beschlagen hab' ich sie mir selber.«

»Worauf bist du ausgesandt?«

»Auf ehrbare Beförderung, Zucht und Ehrbarkeit.«

»Was ist Zucht und Ehrbarkeit?«

»Handwerks Gebrauch und Gewohnheit.«

»Wann fängt selbige an?«

»Sobald ich meine Lehrjahre ehrlich und treu ausgestanden.«

»Wann endigt sich selbige?«

»Wenn mir der Tod das Herz abbricht.«

»Was trägst du unter deinem Hut?«

»Eine hochlöbliche Weisheit.«

»Was trägst du unter deiner Zunge?«

»Eine hochlöbliche Wahrheit.«

»Was frommt unserem Handwerk?«

»Alles, was Gott weiß und ein Schustergeselle.«

Nun nahmen sie beide den Hut ab, der Altschaffer reichte dem Fremden die Hand und sprach: »Sei willkommen wegen des Handwerks! Wie heißt du? Und was ist dein Begehr?«

»Ich heiße Timotheus Schneck, bin aus Darmstadt gebürtig und wollte dich gebeten haben, du wolltest mir Handwerksgewohnheit widerfahren lassen und mich umschauen, es steht heute oder morgen wieder zu verschulden, ist es nicht hier, so ist es anderswo.«

»Ich hab's mein Tag noch keinem ehrlichen Gesellen abgeschlagen«, sprach der Altschaffer, »will auch an dir nicht anfangen noch aufhören. Wie steht's mit der Kundschaft?«

»Geburtsbrief und Dankelbrief, alles in Ordnung.«

»Wo hast du deinen Lehrbraten verschenkt?«

»In der guten Stadt Darmstadt. Da habe ich gesehen eine Stube mit vier Winkeln, einen Tisch mit vier Ecken und darauf eine offene Lade. Ich habe auch gesehen hochlöblichen Willkomm und Schenkkännel mit Bier, daraus habe ich getrunken einmal oder vier, hätte ich mehr getrunken, so würde es mein Schade nicht gewesen sein.«

»Du hast vielleicht mehr vergessen, als ich gelernt habe; aber wir wollen die Meistertafel ansehen, welcher Meister darauf geschrieben steht.«

»Von mir wird er nicht viel lernen; das Land auf und nieder laufen, Kleider und Schuhe zerreißen, dem Herrn Vater Bier oder Wein austrinken, einmal viel, ein andermal wenig, je nachdem es der Beutel vermag.« Timmo sprach die althergebrachten bescheidenen Worte durchaus nicht in bescheidenem Ton und mit demütigem Gesicht, sondern sein Auftreten und seine Haltung ließen deutlich genug durchblicken, wie fest er von seiner eigenen Vortrefflichkeit überzeugt war.

Der Altgeselle beachtete das aber nicht; er schloß einen Schrein auf und brachte die Meistertafel.

»Es hat sich nur einer darauf einschreiben lassen, daß er einen Knecht braucht«, sagte er, »Daniel Spörken, ein ehrbarer Meister, aber es hält keiner lange bei ihm aus.«

»Warum nicht?« fragte Timmo.

»Mit der Meisterin ist schwer auszukommen, sie ist manchmal wie vom Satan besessen.«

»Wenn's weiter nichts ist«, lachte Timmo, »den treib' ich ihr aus.«

»Sieh dich vor, Bruder Darmstädter!« warnte der Altschaffer, »ich habe dir's gesagt; aber wenn du mit wohlbedachtem Mute, freiem Willen und guter Vernunft darauf bestehst, so will ich hingehen und dich bei ihm umschauen. Laß dir unterdes die Zeit nicht lang werden bei einer Kanne Bier, und wenn ich wiederkomme, so sei bedeckt mit dem Hut und nicht mit dem Tischblatt.«

»Ich bedanke mich freundlichst«, sagte Timmo.

Nun öffnete der Altschaffer die Tür und rief ins Nebengemach: »Frau Mutter, der Fremde hat das Handwerk bewiesen, nun wollen wir ihm auch Handwerksgerechtigkeit erweisen. Gebt ihm die Vorschenke, ich gehe ihn umschauen und komme bald wieder.« Er nahm aus Timmos Hand die Kundschaft, warf einen Blick in die Briefe und sprach dann: »Also mit Verlaub, der Filz ist mein, verzieh einen Streich.« Damit setzte er den Hut auf und ging.

Die Herbergsmutter stellte eine Kanne Bier und einen zinnernen Becher auf den Tisch, und Timmo fragte: »Eimbecker oder Blaffertbier?«

Die Alte sah ihn verwundert an und sagte: »Blaffertbier.«

»Aha!« machte Timmo, schenkte sich ein und trank. »Nicht übel, Mutter Hombroksche!«

Die Herbergsmutter sah ihn wieder mit einem Blicke an, der besagen mochte: ich wollte dir's auch nicht geraten haben, es anders zu finden; aber sie sagte bloß: »Wohl bekomm's!«

Timmo bedankte sich, und nun begannen sie einen kleinen Schnack, wobei sich Timmo nach allerlei Lüneburger Verhältnissen erkundigte. Er dachte: mußt doch mal auf den Busch klopfen von wegen des Böttchers, und sagte. »Hab' auch einen mitgebracht aus der Fremde, einen Lüneburger.«

»Einen Lüneburger? So? Wen denn?«

»Einen Böttcherknecht, Gilbrecht Henneberg mit Namen,«

»Den Sohn des Sülfmeisters?« fragte schnell die Alte.

Hast du nicht gesehen! kicherte Timmo in sich hinein, da ist er schon wieder, der Sülfmeister. »Jawohl, ganz recht!« sagte er laut. »Sind wohl haushäbige Leute?«

»Ei ja«, meinte Mutter Hombrok, »es rührt von der Frau her, die hat von ihrem Vater selig eine halbe Pfanne geerbt. Da mußte sich ihr Mann in der Sülfmeistergilde einschreiben lassen, aber sein Böttcherhandwerk treibt er nach wie vor mit redlichem Fleiße, obwohl sie's gar nicht nötig hätten. Weil er aber der einzige ist in der Gilde, der das tut und das in Lüneburg noch niemals vorgekommen ist, so heißt er in der ganzen Stadt kurzweg der Sülfmeister. Amtsmeister bei den Böttchern ist er auch.«

»Amtsmeister ist er auch?«

»Versteht sich, und was für einer! Der hält Zucht und Ordnung am Hause und im Amte, in der Werkstatt und bei der Morgensprache.«

»Hat er noch mehr Kinder?«

»Viere, drei Jungen und ein Mädchen, und die Ilsabe, seine Tochter, das ist ein Prachtmädel, mit der wird mal keiner betrogen«, sagte die Alte mit einem Nachdruck, als wäre sie dieses Prachtmädels leibliche Mutter, und schlug dabei mit ihrer Hand auf den Tisch, daß der Zinnbecher wackelte.

Timmo faßte rasch nach dem Becher, um den Trunk zu retten, und fragte: »Hat sie denn schon einen?«

»Weiß nicht«, sagte die Alte, »aber schön ist sie, und Geld hat sie auch, denn ich glaube, der Sülfmeister hat sein Mehl gemahlen und hat gewiß schon einen hübschen Batzen vergraben. Die Mutter, die Meisterin, ist eine vom Stande, und sie haben sie dem Meister erst nicht geben wollen, aber«, fuhr sie mit blinzelnden Augen fort und fuchtelte dabei mit der gespreizten Hand in der Luft herum, »wenn eine erst einmal so bis über die Ohren rechtschaffen in einen verliebt ist, da hilft dann nichts, das kenn' ich!«

»Ja, ja, Mutter Hombroksche!« lächelte pfiffig der Schuster, »traut's Euch zu! Auch mal jung gewesen! He?«

Sie lachten beide, und die Alte schmunzelte: »Na ja, freilich, Schusterchen! Warum denn nicht? Die Hombroksche konnte sich sehen lassen, sag' ich dir vor – ja, 's ist schon eine Weile her.«

So plauderten sie, bis der Altgeselle wiederkam und sprach:

Ich bin gegangen
Nach deinem Verlangen,
Nach meinem Vermögen,
Soweit das Handwerk redlich gewesen.

Meister Spörken läßt dir auf vierzehn Tage Arbeit zusagen. Nimm mit einem armen Meister vorlieb, weil ein reicher nicht da ist. Ich wünsche viel Glück in die Werkstatt! Laß dir den Tisch nicht zu schmal, die Stube nicht zu eng und der Fenster nicht zu wenige sein.«

»Schönen Dank, Bruder Altschaffer! Was hast du denn dem Meister gesagt?«

»Ich habe gesagt: Meister, ich habe einen fremden Gesellen, er schläft gern lange, ißt gern früh Suppe, macht gern klein Tagewerk, nimmt gern groß Wochenlohn; ich wünsche viel Glück zum fleißigen Gesellen.«

»Das hast du gut gemacht«, lachte Timmo.

»Übrigens ist es hier Handwerksgebrauch«, fuhr der Altgeselle fort, »wenn ein Fremder umschauen läßt und erhält Arbeit, so bezahlt er zwei Kannen Bier; erhält er keine Arbeit, so bekommt er ebensoviel zum Tore hinaus.«

»Frau Mutter!« rief Timmo schnell, »zwei Kannen Eimbecker!«

Da saßen nun die beiden Schuhmachergesellen und tranken in Frieden das gute Bier. Der Altschaffer nannte nun auch seinen Namen, der Asmus Troffehn lautete, und sagte, daß er aus Hamburg gebürtig sei. ›Also nicht weit her‹, dachte Timmo, sagte es aber nicht. Sie erzählten sich mancherlei und beredeten miteinander, wie sie es mit der Einfahrt halten wollten, und der Altschaffer belehrte den Zugewanderten, wieviel Schilling er als Auflage, wieviel Harnischgeld und wieviel Wachs er zu den Kerzen auf dem Altar der Brüderschaft in der Sankt-Cyriaks-Kirche geben müßte. Auch ihre Erfahrungen von der Wanderschaft tauschten sie aus, und Timotheus Schneck wußte die lustigsten Geschichten und die abenteuerlichsten Dinge zu erzählen, daß der Altschaffer manchmal ungläubig den Kopf schüttelte. Aber Timmo kam nicht in Verlegenheit, sein Mundwerk ging wie ein Mühlrad, und die braunen Augen funkelten vor Vergnügen, wenn er wieder eine neue Schnurre vorbrachte, immer noch toller als die vorige. Denn er hatte schon an vielen Orten und für die vornehmsten Leute Stiefel und Schuhe genagelt und genäht, hatte schon einen Aufstand mitgemacht und mehr als eine Bönhasenjagd, er war sogar schon einmal mit auf grüne Heide gegangen und wußte wohl Bescheid mit solchen widerspenstigen Heimlichkeiten. Und zur Fastnacht war er überall der größte Lustigmacher und der keckste Spaßvogel und vollends bei den Mädchen, ach! Bei den Mädchen, da war er immer und überall Hahn im Korbe gewesen. »Wieviel gute Montage habt ihr denn hier?« fragte er mit einer herausfordernden Gönnermiene.

»In jedem Quartal einen«, sagte Asmus Troffehn.

»Mehr nicht?« rief Timmo und warf den Kopf hoch, »und das laßt ihr euch gefallen?«

»Es ist so von alters her«, erwiderte Asmus; »habt ihr denn mehr gehabt in Darmstadt oder in Frankfurt?«

»In Frankfurt machten wir jeden vierten Montag blau und waren damit noch nicht zufrieden, wollten jeden zweiten haben, kamen aber nicht durch damit, das heißt«, fügte er selbstbewußt hinzu, »wir wollten's nicht auf die Spitze treiben, weil wir im übrigen ein gutes Leben hatten, besonders das Getränk, das schmeckte.«

»So? Gutes Bier in Frankfurt?«

»Wein, Wein!« rief Timmo und schnalzte mit der Zunge, »ich sage dir, Bruder Hamburger, in Frankfurt ist mehr Wein in den Kellern, als in Lüneburg Wasser in den Brunnen. Habt ihr denn auch eine Weinglocke hier?«

»Wirst sie gleich hören«, sagte Asmus, »wenn wir sie auch hier nicht Weinglocke nennen. Um neun Uhr müssen die Trinkstuben leer werden, sommers um zehn.«

»I, das wäre ja noch schöner! Fällt mir nicht ein!« prahlte Timmo. »Höre, Bruder Hamburger, das muß anders werden, wenn ich in Lüneburg bleiben soll, und wenn ihr mir folgt, so will ich's euch schon zeigen, wie man sich Freiheit schafft.«

»Nur fein gemach, Bruder Darmstädter! Meister Spörken ist zwar ein Sanftmütiger, aber Bürgermeister und Rat halten strenges Regiment und fackeln nicht.«

»Ich merke schon, ihr scheint hier gut unter der Fuchtel zu stehen«, höhnte Timmo, »da tut es not, daß mal einer kommt, der ein wenig aufmuckt, und sollst mal sehen, Bruder, ich bin der Mann dazu!«

»Kannst ja mal mit deiner Frau Meisterin den Anfang machen«, lächelte der Altgesell, »aber nimm dich in acht, daß du nicht den kürzeren ziehst.«

»Ich den kürzeren ziehen?« rief Timmo. »Das wäre das erstemal in meinem Leben.«

»Weißt du«, sagte Asmus, »wie sie den Meister Daniel spottweis in der Stadt nennen: Daniel in der Löwengrube, und seine Frau ist die Löwin darin, eine rechte wilde Katze.«

Timmo lachte laut auf.

»Horch!« machte Asmus, »die Bürgerglocke! Nun muß ich fort.«

»Das ist doch nicht dein Ernst«, sagte Timmo, »wir trinken noch eine Kanne, ich bezahle sie.«

»Nein, nein«, sprach der Altschaffer fest, »du hältst mich nicht. Komm, stoß an mit dem Rest! Hilf Gott von Hamburg! Und noch einmal viel Glück in die Werkstatt!«

Sie stießen an, und Timmo bedankte sich.

»So!« sprach Asmus und erhob sich, »nun lege dich aufs Ohr, wirst wohl ungewiegt schlafen nach dem Marsch von Uelzen her. Morgen, Glocke sechs, komm' ich und bringe dich ein in – in die Löwengrube. Gute Nacht, Bruder Darmstädter!«

»Gute Nacht, Bruder Altschaffer!« brummte Timmo, ging dann auch hinaus und sagte zur Herbergsmutter:. »Frau Mutter, ich wollte Euch gebeten haben, daß Ihr mir hinaufleuchtet, wo dem Herrn Vater seine Betten stehen.«

»Komm, mein Söhnchen!« sagte die Alte und ging ihm die Treppen vorauf. »Hier!« sprach sie oben und öffnete die Kammertür, »schlupf unter, mein Häschen, und laß dir was Liebliches träumen von Bier oder von Wein oder von schönen Jungfräulein.«

»Vielen Dank, Frau Mutter! Aber das Eimbecker war doch besser als das Blaffertbier.«

»Hast 'ne feine Zunge«, lächelt die Alte. »Morgen früh wecke ich dich, denn Zeit und Stunde warten nicht auf uns«, sagte sie mit einem freundlichen Ernste.

»Grüßt den Herrn Vater von mir mit seinem Hexenschuß«, sprach Timmo.

»Will's ausrichten, mein Junggesell!« sagte die Mutter Hombroksche und stieg langsam die Treppe hinab, die in der nächtlichen Stille des Hauses leise stöhnte unter ihren Tritten und ächzte.


 << zurück weiter >>