Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Zwölftes Kapitel

Daß die sechs Amtsmeister sich einzeln und in Zwischenräumen aus Schnewerdings Haus entfernten, half ihnen wenig; ihre Zusammenkunft blieb nicht unbemerkt.

Auf dem Meer, an der Ecke der Unteren Ohlingerstraße, wohnte der Sattler- und Riemenschneider-Amtsmeister Komrath, und vor der Tür im Beischlag, von wo man Schnewerdings Haus sehen konnte, saßen nach Feierabend Meister und Meisterin mit Daniel Spörken auf den Steinbänken und unterhielten sich über die schlechten Zeiten. Da der Sattler sowohl wie der Schuster in Leder arbeiteten, so hatten sie beide zu klagen, wie teuer jetzt das Rind- und Kalbsleder geworden wäre, weil die Zufuhren aus Holland sehr nachgelassen hätten. Den anderen Gewerken ginge es freilich nicht besser, auch Korn, Holz, Metalle und andere Waren wären knapp zu haben und nur gegen bare Zahlung in gutem, lötigem Silber. Das käme von den traurigen Verhältnissen in Lüneburg, die im ganzen Land bekanntgeworden waren und durch übertriebene Gerüchte noch schlimmer dargestellt würden, als sie in Wirklichkeit wären, und sie wären doch wahrhaftig schon schlimm genug. Der Streit mit den Prälaten, die Verstoßung und Einkerkerung des alten Rates und die himmelhohen Schulden der Stadt machten die Kaufleute und die Händler draußen im Reich mißtrauisch, so daß sie keinem Lüneburger mehr Kredit geben wollten und die Gäste mit ihren Warenladungen ausblieben, weil sie ihr Hab und Gut bei so unsicheren Zuständen hier nicht wagen wollten.

»Da kommt einer, der es bessern könnte, wenn er wollte«, sprach die Meisterin Frau Therese, als sie Gotthard Henneberg die Straße daherkommen sah.

»Der Sülfmeister?« sagte Meister Komrath aufblickend. »Der kann es auch nicht ändern, und früher warst du auch nicht der Meinung, hast mir Tag und Nacht keine Ruhe gelassen, daß ich mich gegen ihn stellen sollte. Ich hab's auch getan; jetzt ärgert's mich.«

»Mich auch, wenn dich das tröstet«, erwiderte die Frau.

Als Meister Gotthard an ihnen vorüberschritt, dankten sie ihm höflich auf seinen Gruß, redeten ihn aber nicht an.

»Was mag er denn hier auf dem Meer zu suchen haben?« sagte Daniel Spörken.

»Er kam von Schnewerding«, bemerkte Frau Theres.

»So, von Schnewerding? Was mag er denn mit Schnewerding haben?«

»Wird sich wohl um ein Gewaffen handeln«, erwiderte Komrath, »er soll ja eine ganze Rüstkammer voll in seinem Hause haben. Da kriegt einer denn schon mit dem Schwertfeger und Harnischmacher zu tun.«

»Da kommt ja noch einer aus Schnewerdings Haus«, sprach die Meisterin. »Schiffer Kerkrink. Was tut denn der hier?«

»Warum soll denn ein Schiffer nicht nach dem Meer kommen?« lachte Komrath.

Auch der Schiffer ging mit stummem Gruß an den dreien vorüber, und ihre Verwunderung stieg, als sie bald darauf und kurz hintereinander den Maurermeister Bartels und dann den Schnitzlermeister Eekholt aus Schnewerdings Haus treten sahen; diese beiden schlugen jedoch die entgegengesetzte Richtung der Straße ein. Daniel Spörken wollte Eekholt nacheilen, um ihn auszuforschen, was sie alle bei dem Harnischmacher zu tun gehabt hätten, aber Frau Therese hielt ihn zurück und sagte: »Wartet noch, Meister Daniel, am Ende kommen noch mehr.«

Und richtig, jetzt kam auch Schuttenhelm, der Schmied.

»Lauter Amtsmeister«, bemerkte der Sattler.

»Da muß was los sein!« sagte Daniel Spörken.

»Wenn Eekholt nicht dabei wäre, könnte man denken, es ginge gegen den Rat«, sprach die Meisterin.

»Darum!« sagte Komrath. »Da tät' ich auch mit.«

Schuttenhelm mußte an ihnen vorüber, und die Neugier stachelte sie sehr, ihn anzusprechen; aber das war nicht unbedenklich, denn der tapfere Schmied konnte gelegentlich ungeheuer grob werden, wenn es auch nicht böse gemeint war. Daniel Spörken vermochte indessen nicht an sich zu halten, und als Schuttenhelm heran war, versuchte er eine Unterhaltung mit ihm anzuknüpfen, indem er begann: »Schöner Abend dieser Abend heute abend! Nicht wahr, Meister Schuttenhelm?«

Der Angeredete, der die Absicht merkte und schnell fortkommen wollte, antwortete mit seiner lauten Stimme, die er sich bei seiner Schmiedearbeit am Amboß angewöhnt hatte: »Schöner Abend, jawohl! Aber macht, daß Ihr nach Hause kommt, oder Ihr kriegt vom Teufel seiner Großmutter ein Donnerwetter über den Kopf; es stinkt nach Schwefel und Pech.« Damit schritt er weiter.

»Das ging noch gnädig ab«, lachte Komrath, als der Schmied außer Hörweite war, »der Bär muß gutgelaunt sein, sonst hättet Ihr das Donnerwetter noch ganz anders an den Kopf gekriegt.«

»Ich hab' ihm doch mein Lebtag nichts zuleide getan«, erwiderte Daniel.

»Das weiß ich, sonst säßet Ihr nicht hier«, sagte Komrath.

»Daß wir über Nacht ein Gewitter haben werden, brauchte uns der kluge Schmied nicht erst zu sagen«, sprach Frau Therese; »da überm Kalkberge steht es ja schon.«

»Ich glaube, er hat es ganz anders gemeint«, bemerkte Daniel kleinlaut.

Als endlich auch noch Peter Flachs erschien und sich ihnen näherte, hofften die Neugierigen, den Grund der auffälligen Amtsmeisterversammlung bei dem Harnischmacher zu erfahren, denn der Gerber war den beiden Lederarbeitern handwerksverwandt; er lebte ja von dem, was ihm Sattler und Schuster zu verdienen gaben, er mußte ihnen also auch Rede stehen, und sie ließen ihn nicht unangefochten vorbei.

Nach ausgetauschtem Gruß und Gegengruß sagte Komrath: »Komm her, Peter! Es sitzt sich gut hier.«

Peter Flachs konnte die Einladung seines guten Kunden nicht wohl ausschlagen, obgleich er sich schon vor den unausbleiblichen Fragen fürchtete, denn wenn die drei schon länger hier saßen, mußten sie auch die übrigen Amtsmeister gesehen haben. Was sollte er ihnen nun antworten, um die Wahrheit zu verbergen? Wenn nur das Klatschmaul von Schuster nicht dabei wäre, dachte er; Komrath ließe sich wohl für den Aufstand gewinnen, aber in Daniels Gegenwart war Vorsicht geboten. Kaum hatte der Gerber Platz genommen, als Daniel Spörken in seiner Ungeduld das Verhör begann.

»Wart bei Schnewerding, Meister Flachs?« sprach er.

»Jawohl«, sagte Peter, »war bei Schnewerding. Ihr wohnt ja auch hier in der Nähe, Meister Daniel.«

»Ganz nahe«, erwiderte Daniel, »da hinten auf der Techt.«

»Ihr wart ja eurer eine ganze Hetze Amtsmeister bei Schnewerding«, sagte Komrath.

»Ja, zufällig. Sage mal, Komrath, hast du das Rauchhuhn noch auf deinem Hause? Oder hast du es schon abgelöst?«

»Nein, ich habe es noch zu liefern«, erwiderte Komrath, »Schnewerding auch.«

»Ach, Ihr wart wohl wegen des Rauchhuhns bei Schnewerding?« fragte die Meisterin.

»Nein, nein, bewahre!« sagte Peter Flachs. »Frau Meisterin, schickt Ihr Eure Kinder in die Klosterschule von Sankt Michaelis oder zu den Benediktinern von Heiligental?«

»In die Michaelisschule«, erwiderte Frau Therese, »da haben sie es von hier am nächsten. Schnewerdings schicken ihren Ältesten auch dahin.«

Der Gerber hoffte die anderen mit Ausfragen seinerseits mundtot zu machen oder wenigstens abzulenken; aber das gelang ihm nicht; bei jeder Antwort kamen sie wie die Katze auf ihre vier Beine immer wieder auf Schnewerding zurück.

»Der Sülfmeister war ja auch bei Schnewerding«, sagte Daniel.

»Ja, der war auch da«, erwiderte der Gerber. »Habt ihr ihn gesprochen?«

»Nein, er ging still und steif vorüber«, sprach die Meisterin. »Habt ihr euch denn bei Meister Schnewerding gezankt, Meister Flachs, daß ihr alle einzeln fortgingt, oder hattet ihr eure besondere Absicht dabei?«

»Durchaus nicht, Frau Meisterin; das kam so nach Gelegenheit«, entgegnete Peter Flachs, dem es in diesem Kreuzfeuer von Fragen immer schwüler ward; »aber ich muß nun auch fort, meine Frau wartet auf mich.«

Er wollte aufbrechen, aber Komrath ließ ihn noch nicht los und fragte nun geradezu: »Peter, was habt ihr sechs Amtsmeister denn eigentlich bei Schnewerding gemacht?«

»Wir? Bei Schnewerding? Was wir da gemacht haben?« wiederholte Peter Flachs in größter Verlegenheit. »Oh, das will ich dir sagen, Komrath; dem Schnewerding sein Jüngstes ist heut ein Jahr alt geworden, und da haben wir, die Paten, ihm Glück gewünscht.«

»Aber der Sülfmeister ist doch meines Wissens nicht Pate zu dem jüngsten Kinde«, wandte der Sattler ein.

»Und Kerkrink ebensowenig«, fügte der Schuster hinzu, »der ist ja mit Schnewerding gar nicht verwandt und bekannt; von den anderen weiß ich es nicht genau.«

»Nein, da habt ihr recht, die beiden kamen nur zufällig dazu«, erwiderte Peter Flachs in seiner Angst.

»Schnewerdings Jüngstes soll sich erst heute gejahret haben? Das ist doch nicht möglich!« bemerkte Frau Therese.

»Doch, Frau Meisterin, doch!«

»Nein, nein! Ich war ja mit in der Kirche, als es getauft wurde, und das war im Frühjahr, es lag noch Schnee, ich weiß es wie heute«, behauptete die Meisterin hartnäckig. »Gott! Wie heißt es doch gleich?«

»Wie es heißt? Wartet mal! Ich glaube, Bernt heißt der Junge.«

»Der Junge? Der Junge? Aber Meister Flachs, es ist ja gar kein Junge, es ist ja ein Mädchen!« lachte die Meisterin.

»Ah, Frau Meisterin! Ein Mädchen? Sollte ich mich wirklich so irren?«

»Ja, Meister Flachs, da irrt Ihr Euch sehr! Das weiß ich nun ganz genau. Darum wundere ich mich ja so, daß ihr Männer zum Glückwünschen hingegangen seid, was doch bei einem Mädchen Sache der Frauen ist.«

»Peter, da sitzt du in einer schönen Klemme und die anderen ›Paten‹ samt und sonders alldazu«, lachte Komrath mit doppelsinnigem Spott.

»Ja«, sagte Daniel, »mit dem Patenkinde habt Ihr Euch ein Paar Sohlen schief gelaufen, Meister Flachs.«

»I, das ist ja doch um die Schwerenot zu kriegen!« rief Peter Flachs, der nun nicht mehr aus und ein wußte, und sprang auf. »Da muß ich doch gleich noch einmal hin und mich überzeugen.«

»Wartet doch, ich gehe mit!« rief ihm Daniel nach. »Wollte Schnewerding schon vor einer guten Stunde besuchen.«

»Du hättest uns gerade gefehlt!« versetzte der Gerber schon in einiger Entfernung, so daß es die anderen nicht hörten und lief spornstreichs zu dem Harnischmacher zurück, um Schnewerding von seinen Ausreden auf alle die Fragen der neugierigen Nachbarsleute zu unterrichten und ihnen einzuschärfen, daß das Mädchen ein Junge und heute ein Jahr alt geworden sein müßte. Auch den anderen Meistern wollte er das hier Vorgefallene schnell mitteilen, damit sie auf Erkundigung ebenso aussagten und keinen Verdacht über den wahren Zweck ihrer Versammlung aufkommen ließen, die bei Daniel Spörkens Wissenschaft davon in großer Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung schwebte. Dabei mußte er sich eingestehen, daß er sich nicht gerade sehr geschickt aus der Schlinge gezogen hatte, die ihm von drei Seiten zugleich über den Kopf geworfen war. Aber wie hätte er sich auch aus der heiklen Lage retten sollen! Warum hatte sie der Sülfmeister nicht draußen in die Heide bestellt statt hier in der Stadt nach dem Meere, wo doch noch mehr Leute wohnten, als bloß der Harnischmacher, und wo die Häuser auch Fenster hatten. Das war sehr unvorsichtig und konnte die übelsten Folgen haben; aber nun war es zu spät, darüber noch nachzugrübeln, jetzt galt es, jedem Argwohn mit Kaltblütigkeit und Klugheit zu begegnen.

Meister Komrath mochte wohl etwas von dem ahnen, was die sechs Amtsmeister bei dem siebenten zusammengeführt hatte, denn die Vermutung, daß es sich um ein Unternehmen gegen den Rat handle, lag bei der steigenden Unzufriedenheit nicht weit ab. Es verdroß ihn zwar, daß man ihm weniger Vertrauen schenkte, wie dem Schnitzlermeister Eekholt, der ebensogut wie er den alten Rat mit gestürzt und den neuen mit gewählt hatte; da er jedoch den Verschwörern, für die er jene sieben schon hielt, im Herzensgrunde zustimmte, so beschloß er, den seltsamen Vorfall geheim zu halten, und suchte auch Daniel Spörken von der rechten Fährte abzubringen und ihm jede Spur eines Verdachtes auszureden. Bereitete man wirklich einen Aufstand vor, so war er sicher, daß man ihn, den Amtsmeister der Sattler und Riemenschneider, dabei nicht umgehen würde, denn seine Meinung über den gegenwärtigen Zustand der Dinge war den übrigen Handwerkern nicht unbekannt.

Er gab seiner Frau einen heimlichen Wink, den sie gleich verstand und auch befolgte, und es gelang den beiden, den geschwätzigen Schuster zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen. Einen besonderen Eindruck machte dabei die dringende Warnung, sich nur ja vor Klatschereien über den harmlosen Zufall zu hüten, denn wenn Schuttenhelm dergleichen erführe, so schlüge ihm der alle Knochen im Leibe entzwei. Das wirkte mehr als alles andere bei Daniel, und er ging nicht mehr zu Schnewerding, sondern trollte sich bald nach Hause, ohne dem Gerber, der seinen Heimweg anders herum genommen hatte, noch einmal zu begegnen.

Ein solches Vorlegeschloß aber, das Daniel Spörken auch bei sich zu Hause den Mund hätte verschließen können, hatte kein Kleinschmied zustande gebracht, vor seinem ›lieben Frauchen‹, seiner Gesche, mußte ihm alles von der Seele herunter, was er wußte und was er nicht wußte. Er fand sie nahe der offenen Haustür in der Diele sitzen, setzte sich zu ihr und berichtete ihr alles ganz ausführlich. Sie lachte ihn natürlich aus, daß er überhaupt noch zweifeln konnte, was die sieben da bei Schnewerding zusammen ausgeheckt hatten, und daß er sich von Komrath, der an so manchem kostbaren Sattel und Geschirr sein schönes Geld von den reichen Geschlechtern verdiente, so nasführen ließ. »Ja, wenn du auch der Meinung bist, liebes Frauchen, daß sie einen Aufstand machen wollen«, sagte er, »so muß ich es doch wohl dem Herrn Ratsherrn Sengstake, meinem großgünstigen Freunde, pflichtschuldigst anzeigen, was ich gesehen habe.«

»Du bist nicht recht gescheit!« erwiderte sie ›in der Bescheidenheit ihres guten Herzens‹, wie es Daniel nannte, »Was hast du denn gesehen? Den Sülfmeister und noch fünf andere aus Schnewerdings Hause kommen, das ist recht was? Was geht es dich denn an, wenn sie sich blutrünstig und braun und blau schlagen wollen? Du wirst dein Teil schon davon abkriegen, falls ich dich nicht vorher in den Keller sperre. Dir kann es doch einerlei sein, wer da oben auf den gepolsterten Bänken sitzt, ob der neue oder der alte Rat; ist etwa unter dem neuen Rate irgend etwas besser geworden als unter dem alten? Nichts, gar nichts, nicht das geringste nicht. Weißt du was Neues? Sie wollen die Goldene Tafel verkaufen, um sich Geld zu machen.«

»Was, Gesche, die Goldene Tafel? Das wäre ja schändlich!«

»Das sag' ich auch. Sie stehen mit dem Kloster Walkenried heimlich in Unterhandlung darüber, denn die Walkenrieder sind die einzigen im Reich, die das Kleinod allenfalls bezahlen können, der Kaiser kann's nicht.«

»Gesche, wenn sie das vorhaben, dann sage ich Sengstake nichts«, sprach Daniel, »dann mache ich den Aufstand mit und stehe meinen Mann.«

»Du deinen Mann! Den möcht' ich mal sehen!« höhnte sie.

Daniel schwieg, schüttelte den großohrigen Kopf und stieß seinen tiefsten Tränenweltseufzer aus.

Die Goldene Tafel war ein über sieben Fuß breiter und über drei Fuß hoher Altarschrein von unermeßlichem Wert in der Michaeliskirche. Er war Eigentum der Stadt, aber niemand kannte seine wahre Herkunft, ob er vom Sachsenherzog Hermann Billung oder von Kaiser Otto II. oder von Heinrich dem Löwen herrührte. Er bestand aus einzelnen Geschossen und Fächern, in denen sich zahllose, sehr kunstvoll gearbeitete und gestaltenreiche Bildwerke, Darstellungen aus dem Leben Christi und der Heiligen, Reliquienkästchen, Kreuze, Kelche, Schalen und andere Gefäße mit Elfenbein- und Bernsteinschnitzereien befanden. Und alles, Inhalt wie Umfassung des Schreins war aus purem Golde und mit Tausenden der allerkostbarsten Edelsteine, Diamanten, Smaragden, Rubinen und den wundervollsten Perlen geschmückt, ein Schatz, auf den Lüneburg stolz war und stolz zu sein ein Recht hatte.

Und dieses Prachtstück ohnegleichen wollte nach einem eben auftretenden, die größte Aufregung herrufenden Gerüchte der Rat, das heißt die beiden Bürgermeister und Sengstake, verkaufen, um aus dem Erlös die Schulden der Stadt auf einem Brett zu bezahlen und den noch verbleibenden Überschuß spitzbübisch zum eigenen Nutzen um ein Erkleckliches zu schmälern. Denn an eine Rechnungslegung der Bürgerschaft gegenüber hatte weder ein früherer Rat in Lüneburg jemals gedacht, noch ging der gegenwärtige mit der Absicht um, eine so unbequeme Neuerung einzuführen.

Als auf diese betäubende Nachricht Daniel Spörken sprachlos geworden war und auch Gesche nichts mehr sagte, kam Timmo aus dem Winkel, wo er im Halbdunkel still und unbemerkt gesessen hatte, hervor und sagte: »Meisterin, das ist doch gar nicht so dumm. Was tut ihr denn mit dem alten Kasten voll Gold und Steinen da in toter Hand? Gebt's doch hin, und ihr seid die Schulden mit einem Male los, habt weniger Ungeld und Beden zu bezahlen und lebt mit der Pfaffheit in Frieden.«

»Wenn du ein Lüneburger wärst, würdest du nicht so sprechen«, gab sie zur Antwort.

»Einen Aufstand würde ich darum nicht machen, wenn ich auch ein Lüneburger wäre«, erwiderte er.

Daniel erschrak und sagte schnell: »Wie kannst du von Aufstand sprechen? Davon ist ja gar nicht die Rede.«

»Kümmere dich doch nicht um umgelegte Eier!« fügte Gesche etwas nachdrücklicher hinzu.

»Dieses Ei scheint mir doch schon gelegt zu sein, Meisterin«, widersprach Timmo, »und zwar von einer Sülfmeisterhenne in ein eisernes Nest Auf dem Meere, und die Hähne, die dazu gekräht haben, sind auch nicht zu verachten.«

Er hatte also alles gehört, was Daniel erzählt hatte, und das war dem Ehepaar durchaus nicht recht. Wenn Timmo schwatzte und es ruchbar ward, daß das Gerede von der Löwengrube ausging, so war Daniel wieder den größten Ungelegenheiten bei den Handwerkern ausgesetzt, und er dachte an Schuttenhelms fürchterliche Fäuste.

»Du hast wohl geträumt da hinten in deiner dunklen Ecke«, sagte er zu Timmo.

»Wohl möglich, Meister« erwiderte der Gesell, »ich habe manchmal ganz wundersame Träume.«

»Die beichte nur deinem Feinsliebchen, die den Leuten grüne Kragen an gelbe Wämser näht«, schnarrte Gesche.

»Habt Ihr noch einen, Meisterin? Dann gebt ihn her! Sie tut es gerne.«

»Du Tutaffe!« schalt Gesche. »Du hast mir schon manchen Tort angetan, aber diesen vergeß' ich dir in meinem ganzen Leben nicht.«

»Nun, Meisterin, darum braucht Ihr doch nicht grün und gelb vor Ärger zu werden«, sprach Timmo. »Wir haben's ja gut gemeint.«

»Gut gemeint?« wiederholte sie erbost. »Zum Schabernack habt ihr's mir getan, du und dein leichtfüßiges Ding von Kammerjungfer, weil ihr wußtet, daß es mich ärgern würde.«

»Der Meister hatte es mich geheißen«, erwiderte Timmo.

»Timmo«, sagte Daniel, »du hast mich erst darauf gebracht. ›Die wird sich mal wundern!‹ sagtest du.«

»Da hörst du's, du nichtsnutziger Bengel!« rief Gesche.

»Meister«, sagte Timmo, »wenn Ihr mich gegen Eure Frau im Stiche laßt, so mache ich es ebenso, wenn Ihr mal in der Patsche sitzt, und bei Euch kommt's öfter vor.«

»Du brauchst mich nicht herauszureißen«, erwiderte Daniel, »deine Hilfe verlange ich nicht.«

»Wollen wir uns sehr verbeten haben«, bestätigte Gesche.

»Ist doch schon manchmal sehr vonnöten gewesen«, sprach Timmo.

»Was Mann und Frau unter sich abzumachen haben, geht dich gar nichts an!« sprach Gesche immer heftiger werdend.

»Und wir leben so glücklich miteinander, nicht wahr, Gesche? Hm!«

»Ja, wie Hund und Katze«, lachte Timmo.

»Was? Wen meinst du mit der Katze?« fauchte Gesche.

»Wen meinst du mit dem Hund?« fiel ihn Daniel an, dem unter dem Schutz und Beistand seiner Frau der Kamm schwoll.

»Wenn hier ein Hund im Hause ist, so bist du es«, sprach Gesche giftig.

»Bliebe immer noch die Katze übrig in der Löwengrube, Frau Meisterin!«

»Was, du Lump?« rief Daniel. »Willst du deines ehrbaren Meisters Werkstatt, wo du besser gehalten wirst als du verdienst, eine Löwengrube nennen?«

»Ich habe den Namen nicht aufgebracht, Meister. Sie mögen Euch wohl in der Stadt für einen Löwen halten, und manchmal seht Ihr dem blauen Löwen im Lüneburger Wappen sehr ähnlich, brüllen könnt Ihr auch, wie es scheint.«

»Halt dein großes Maul, du unverschämter Geselle!« schnob Gesche wütend.

»Macht es mir mit Eurem kleinen Mündchen erst mal vor, Meisterin!«

»Gleich kriegst du eins drauf !« brauste Daniel tollkühn.

»Von Euch doch nicht, Herr Ratsherr auf dem Schusterschemel!«

»Du nichtswürdiger, verlogener Landläufer und Aufhetzer !«

»Du elender, gefräßiger Blutwurm!«

»Du Galgenstrick! Du Friedensbrecher!«

»Du Teufel! Du – du«

»Kiß kiß kiß kiß!« machte Timmo.

»Ich will dem Buben das Fell gerben!« schrie Gesche jetzt außer sich.

»Und ich will ihn über den Leisten zwicken!« rief Daniel höchst verwegen.

»Kommt mir nicht zu nah, rat' ich euch!« drohte Timmo.

Die Streitenden hatten sich erhoben und schrien nun alle drei gleichzeitig in wüstem Gezänk aufeinander los. Gesche warf die Haustür zu, und Daniel verschloß sie. In der Diele war es nun stockfinster. Immer noch keifend und scheltend tappte sich das Ehepaar nach der Wohnstube und Timmo nach der Treppe im Hintergrunde, um sich in seine Kammer hinauf zu begeben. Auf der untersten Stufe stehend, sprach er: »Meister, wenn ich Euch nicht mehr bequem bin, kann ich ja mein Bündel schnüren und fremd werden!«

»Kannst du!« erwiderte Daniel. »Mache, daß du fortkommst!«

»Jawohl! Immer lauf, lauf, lauf!« schrie Gesche, während Timmo die Treppe langsam hinanstieg.

Schon ziemlich oben rief er noch einmal höhnisch: »Wohlschlafende Nacht, ehrbarer Meister! Angenehme Ruh, liebe, holde, schöne Frau Meisterin!«

Bautz! krachte etwas auf der Treppe und polterte dann geräuschvoll die Stufen herunter; Timmo lachte oben wie ein Kobold.

Gesche, in ihrer Wut nach irgendeinem Wurfgeschoß tastend, hatte an der Stubentür einen Klotz gefunden, aus dem ein Paar Leisten geschnitten werden sollten, und ihn Timmo aufs Geratewohl ins Dunkel hinein nachgeschleudert. –

In der Löwengrube war das Gewitter mit Donner und Hagel niedergegangen, aber das über dem Kalkberge hatte sich wieder verzogen, obwohl es seit Wochen nicht geregnet hatte.

Timmo schlief mit rachsüchtigen Gedanken ein und brachte sie am anderen Morgen zur Ausführung. Ohne um Erlaubnis zu fragen, ging er aus und begab sich zu Sengstake, dem er alles hinterbrachte, was er aus Daniels Munde erlauscht hatte, es so darstellend, als wenn Daniel Spörken selber an der Verschwörung der Amtsmeister in Schnewerdings Hause teilgenommen hätte.

Sengstake ward über diese Mitteilung sehr nachdenklich. Dann sprach er: »Gib acht, lieber Freund, was ich dir sage! Vertraue keinem Menschen, hörst du? Keinem Menschen, was du mir verraten hast. Wenn es zum Aufstand kommt, so ist meines Bleibens nicht in Lüneburg, aber deines auch nicht, so ich dir raten soll. Dann wollen wir uns beide zusammen aus dem Staube machen; an Gold soll es dir und mir nicht fehlen. Hier hast du vorläufig eine Handvoll; damit verschaffst du dir einen Zweimannskahn, und beim ersten Zeichen zum Aufstand eilst du augenblickst ans Ufer der Ilmenau am Bardowieker Wall und erwartest mich, zum Abfahren bereit, mit dem Kahn auf dem Wasser. Schweig fein still und besorge alles gut; es soll dein Schade nicht sein!«

Timmo versprach alles und ging vergnügt von dannen.

»Daß es kommen würde«, sagte sich Sengstake, als er allein war, »dachte ich wohl, aber es kommt mir zu früh, habe noch nicht genug in Sicherheit. Dalenborg und Schupper dürfen nichts wissen, nichts ahnen; sonst heimsen sie ein, laufen davon und nehmen mit, was ich selber gebrauchen kann. Was zögert nur Dalenborg noch, den Sülfmeister zu fangen? Säße der fest, so gäbe es wenigstens einen Aufschub, und ich muß Zeit haben. Ich will ihn treiben, daß das vor sich geht, aber sie dürfen nichts merken, denn ich traue ihnen nicht, wie sie mir nicht trauen.«


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