Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Einundzwanzigstes Kapitel

Nun ward aus dem letzten Tage, den Gilbrecht noch in der Stadt verbringen durfte, statt eines Trauertages ein Fest- und Freudentag für ihn und die Seinigen; denn in das Goldene Ei war das Glück eingekehrt, noch über Johannas kühnstes Hoffen hinaus, und das lichte Morgenrot umwob mit seinem Glanze den hohen Giebel des Böttcherhauses als verheißungsvolles Zeichen für das Emporkommen und blühende Gedeihen eines tüchtigen Geschlechts.

Es war nicht Sonntag, und doch gebot Meister Gotthard, daß die Arbeit in der Werkstatt heute ruhen sollte; er wollte seine letzte Morgensprache im Böttcheramte halten und am Abend die Familie und deren Zuwachs, die Viskules und die Dippolds, zu einer fröhlichen Gastlichkeit um sich versammeln. Bis dahin sollte jung und alt den Tag nach Gefallen verleben, aber es sollte nicht der eine hierhin, der andere dorthin laufen, sondern sie sollten sich alle hübsch zusammenhalten in Eintracht und Geselligkeit.

Das geschah denn; aber müßig konnte Hennebergs Volk nicht sein. Sie fingen an, sich und das Haus zu putzen. Diele und die Wohnstube sollten es merken, daß sie heute liebe Gäste zu empfangen hätten. Geschäftige Hände machten sich über alles her, was fest und was lose war, rückten zehnmal Tisch und Stühle, glätteten immer wieder das faltenlose Tischtuch, rieben an den Krügen auf den Schränken und Wandbrettern, und einer wischte immer noch einmal hinter dem anderen Staub, wo gar keiner war. Alles sang und sprang im Hause, und jeder wollte dem anderen ein noch fröhlicheres Gesicht zeigen, als das war, in das er selber hineinblickte. Muntere Scherzworte fielen, und allerlei Schimpf und Kurzweil ward getrieben. Der Ratsherr schaute in heiterer Würde und mit einem ruhigen Lächeln auf das Treiben der Seinigen und sah mit stillem Behagen, daß auch die Vorbereitungen in der Küche dabei nicht zu kurz kamen, für die Lutke manchen Gang zu tun hatte.

Schon früh kam der Grapengießer Hartnacke und brachte einen ziemlich umfangreichen, in ein Tuch gehüllten Gegenstand mit sich.

»Habt Ihr's wirklich geschafft?« fragte Gotthard Henneberg erfreut.

»Ja, er ist fertig«, erwiderte der Amtsmeister, »wir haben Tag und Nacht daran gesessen, weil ich ihn dir gern zur rechten Stunde liefern wollte.«

»Laß sehen!« sagte der Ratsherr.

Hartnacke wickelte aus dem Tuch einen blitzenden, funkelnagelneuen Zinnbecher, den er mit liebäugelndem Wohlgefallen auf den Tisch stellte.

Ein allseitiges Ah! begrüßte das schimmernde Werk. Es war ein großmächtiger Ehrenhumpen, den Gotthard seiner Gilde zum Andenken stiften wollte. Der mehrfach gewölbte und geschweifte Fuß ruhte auf vier sitzenden Löwen. Den Oberteil, das eigentliche Trinkgefäß, trugen drei kräftige Böttchergestalten mit Schurzfell und Handwerkszeug. Auf der breitesten Rundung war das Böttchergildewappen in erhabener Arbeit mit Tonne, Beil und drei Nelken. Auf der entgegengesetzten Seite war die Inschrift mit der Widmung und dem Namen des Gebers, und den in drei schön verzierten Abstufungen sich verengenden Deckel krönte die Figur eines bewehrten Böttchermeisters in Haube und Harnisch, der eine Fahne in der Hand hielt.

Alle hatten ihre Freude an dem Prachtstück und lobten Erfindung und Ausführung daran.

»So einen haben sie doch noch nicht«, sagte Gotthard bewundernd.

» So einen kriegen sie auch nicht wieder!« sprach der Meister und zeigte mit der Hand auf den Ratsherrn.

»Es ist mir lieb«, sagte Gotthard, »daß du Fleiß und Arbeit nicht daran gespart hast.«

»Ich wußte wohl, daß du so dachtest, Henneberg, und wollte, daß du Ehre damit einlegtest«, erwiderte Hartnacke. »Die Gabe soll des Gebers würdig sein.«

Glock acht machte sich der Sülfmeister mit dem Schwerte umgürtet zu seiner letzten Morgensprache auf den Weg. Hartnacke begleitete ihn bis zum Gildehause, und Arnold trug den wieder eingehüllten Pokal.

Kaum waren sie aus dem Hause, als Ilsabe fortsprang, um Hildegund herbeizuholen. Die beiden Mädchen brachten zwei schon bereitgehaltene Körbe voll Laub und Blumen mit, um den großen Zirkel zu bekränzen, der heute seinen Hundertjahrtag hatte. Der Ratsherr hatte das über allen den wichtigen Vorgängen wieder vergessen, aber Arnold hatte es gestern abend seiner Schwester verraten, und diese hatte mit Hildegund flüsternd beschlossen, das ehrwürdige Gerät heimlich zu bekränzen. Gar lieblich nahm sich der altersbraune Zirkel im Schmuck der Blätter und Blumen aus, als sie ihn auseinandergespreizt an des Vaters Sessel banden, so daß er die Rücklehne in spitzem Winkel turmartig erhöhte.

Bald stand Gotthard Henneberg vor den versammelten Werkbrüdern an der Morgensprachtafel und hielt das Regiment der Böttcher in der Hand, einen starken, über zwei Schuh langen, eichenen Stab, an dessen oberem Ende wie auch über dem Handgriff eine Tonne gebildet war. Damit aufklopfend gebot er Stillschweigen und sprach: »Brüder, ich frage euch, ist es wohl so fern am Tage, daß ich mag hegen und halten eine hohe Morgensprache?«

Altermann Ditmar Elvers antwortete ihm: »Dieweil die Sonne scheint über Bäume, Berg und Tal, Blumen und Gras, so ist es wohl so fern am Tage, daß du magst hegen und halten eine hohe Morgensprache.«

Der Amtsmeister fragte: »Was soll ich denn verbieten in dieser hohen Morgensprache?«

Der Altermann antwortete: »Hader und Zank, Scheltwort und Unlust.«

Der Amtsmeister sprach: »So verbiete ich denn Hader und Zank, Scheltwort und Unlust zum ersten, zum anderen und zum dritten Male. Wer zu reden hat, der rede mit Bescheidenheit und halte Frieden mit Hand und Mund, damit er schone seines Geldes.«

Er öffnete die vor ihm stehende Lade, eine sauber gearbeitete Eichentruhe mit krausen Eisenbeschlägen, welche die Urkunden enthielt, entgürtete sich seines Schwertes und legte es, die Klinge eine Spanne lang aus der Scheide gezogen, vor sich auf den Tisch. Dann hub er an: »Hochachtbare, fürsichtige Meister! Günstige und liebe Werkbrüder! Ich stehe als Amtsmeister unserer ehrbaren Sankt Goderdesgilde heute zum letzten Male hier, wo ich so manches Mal gestanden habe, wenn Rat, Recht, Amt und Gilde gehalten wurde, und ich will wünschen und hoffen, daß ich euch mit aller Billigkeit und Ehrbarkeit zu Dank gedient habe und zu guter Nachrede. Ich übergebe euch Rollen und Briefe, Regiment und Büchse, Kerzen, Gezierde und Kleinodien mit reinen Händen, und unsere Rechnung stimmt. Da ich nun von euch scheide, werdet ihr mir wohl ein paar inständlische Bitten nicht verübeln und versagen. Erstlich ist es meine Bitte und Meinung, daß wir aus sonderlicher Gunst und Gnade unseren ehemaligen Werkbruder Alhard Dippold, obwohl er von drei Jahren, die er des Amtes quitt und verfallen sein sollte, erst zwei verbüßt hat, weil er sich aber brav gehalten, mir auch aus meiner Not im blauen Turme geholfen hat, und aus anderen beweglichen Ursachen wieder in Amt und Ehren unter uns aufnehmen. Seid ihr damit einverstanden, Brüder?«

»Jawohl!« riefen sie. »Wir vergönnen's!«

»Dann, Bruder Amtsbote«, wandte sich Gotthard an den jüngsten Meister, »sei so gut und rufe Dippold herein; er wartet draußen.«

»Alhard Dippold«, redete er dann den etwas befangen Eintretenden an, »kraft des ganzen Handwerks verkündige ich dir, daß wir in den Rest der Buße, die wir über dich verhängen mußten, auf daß ein anderer sich daran stoße, erlassen und uns wieder mit dir vergleichen und vertragen wollen. Es ist dir kümmerlich ergangen, und wen der allmächtige Gott mit Kreuz und Beschwerung heimgesucht hat, dem soll eine milde Hand geliehen werden, und weil du den Schaden willig gelitten hast, bist du uns nun wieder ein so guter Amtsbruder nachher wie vorher, sollst dein eigen Werk bauen und dein Salz in Frieden essen. Sollst auch keine Auflage zahlen und nicht die geziemende Kollation ausrichten, sondern nur Gott zu Lobe in die Kerzen ein Pfund Wachs geben, daß man die Seelen damit begehen möge. Nimm deinen Platz ein in der Reihe, wo er dir zukommt.«

»Ich tue mich ganz freundlich bedanken, Amtsmeister und liebe Werkbrüder!« sagte Dippold, und die nächsten schüttelten ihm die Hand.

»Nun, Brüder, die andere Bitte!« sprach Meister Gotthard. »Draußen steht ein Böttcherknecht, der das Amt eschen und seiner selbst werden will. Er ist echt, recht und deutsch und als eines Meisters Sohn zum Handwerk geboren, denn es ist mein eigener, eheleiblicher Sohn Arnold Henneberg.«

»Er ist uns willkommen!« riefen ihm die Brüder zu.

»Er befreit sich mit einer aus dem Amte«, fuhr der Meister fort, »Dippolds Tochter ist seine Braut. Er will nachtun, was jeder andere fromme und ehrliche Amtsbruder vor ihm getan hat, wenn ihr ihm vergönnen wollt, daß er sein Meisterstück macht.«

»Wir vergönnen's!« antworteten die Meister.

Einer bat um das Wort und sagte: »Brüder, wer bei Gotthard Henneberg das Handwerk gelernt hat, der versteht seine Sache; darum, wenn es euch recht ist, vermeine ich, daß wir unserem Amtsmeister zu Dank und Ehre seinen Sohn des Meisterstücks entledigen.«

»Ja, das wollen wir!« erwiderten viele, aber nicht alle.

»Halt, Brüder!« sprach Meister Gotthard. »Das leide ich nicht. Wer ein Handwerk treiben will, muß es mit der Hand wirken können und muß es dem Amt beweisen, daß er es kann. Das soll auch mein Sohn Arnold und soll sein Werkstück nicht zierlich und künstlich herausstreichen, sondern gute, aufrichtige Arbeit machen nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit, sonder Arglist und Gefährde. Ist es euch recht, so laß ich ihn rufen.«

»Wir vergönnen's!« antworteten die Meister wieder.

»Ich habe dir zu melden, mein Sohn«, sprach der Amtsmeister zu Arnold, als dieser erschienen war, »daß die ehrbaren Meister dir auf deine fleißige Bitte das Amt auflassen wollen, wenn du mit deinem Meisterstück unsträfliche Arbeit lieferst, deine Auflage gebührendermaßen in die Meisterbüchse zahlen und ihnen eine redliche Kost ausrichten willst nach deiner Vermögenheit.«

»Ich tue mich ganz freundlich bedanken«, erwiderte Arnold, »und will alles tun nach der ehrbaren Meister Begehr und nach Handwerks Gebrauch und Gewohnheit.«

»Gut, mein Sohn!« sagte der Amtsmeister. »So kannst du wieder deinen Austritt nehmen.« Und nachdem Arnold hinausgegangen war, fuhr er fort: »Jetzt, Brüder, ist es an der Zeit, daß ihr euch einen anderen Amtsmeister kürt an meiner Stelle. Ihr habt es wohl schon getan, also nennet mir seinen Namen.«

»Altermann Ditmar Elvers!« riefen die Meister.

»Ditmar Elvers! Da habt ihr eine gute Wahl getroffen, Brüder!« sprach Gotthard Henneberg. »Ist einer oder anderer, der etwas auf ihn zu sagen hat, der rede jetzt und schweige nachmals.«

Die Meister schwiegen, und Gotthard Henneberg fuhr fort: »Sie schweigen; keiner hat etwas auf dich zu sagen, Ditmar Elvers; sie wissen nichts als Liebes und Gutes von dir. Gelobst du mir handgebender Treue, des Amtes Gerechtigkeit zu richten, zu verkünden und zu handhaben nach deiner höchsten Redlichkeit?«

Ditmar Elvers reichte Gotthard Henneberg seine rechte Hand, umfaßte mit der linken dessen Schwert da, wo es aus der Scheide heraussah, und sprach: »Ja, ich gelobe es im Namen Gottes und der heiligen Dreifaltigkeit!«

»So stehe von der nächsten Morgensprache an du hier, Ditmar Elvers«, sagte Gotthard, »und walte deines Amtes nach Pflicht und Gewissen, nach der Herren Wort und der Meister Eid, auf daß die Brüder mit dir zufrieden sind und dermaleinst deinen Namen segnen!«

»Es soll geschehen, Bruder Amtsmeister!« erwiderte der Gekorene.

»Und nun, liebe Brüder, komme ich endlich zu meiner letzten Bitte«, sprach Gotthard, nahm den hinter ihm auf einem Stuhl liegenden hohen Zinnbecher aus seiner Hülle heraus und stellte ihn vor sich auf den Tisch. »Ich bitte euch, dieses handliche Trinkgeschirr mit Dank anzunehmen zum freundlichen Gedächtnis an euren langjährigen Amtsmeister.«

Da äußerten sie laut ihre Freude über die blinkende Gabe. Ditmar Elvers trat vor und hielt eine Ansprache, worin er namens des versammelten Handwerks dem Sülfmeister Dank sagte nicht nur für das schöne Geschenk, sondern mehr noch für die treue Führung seines Amtes, aus dem sie ihn ungern scheiden sähen.

Gotthard Henneberg erwiderte: »Als Amtsmeister muß ich meinen Urlaub von euch nehmen, aber es soll kein Abschied sein, denn wir bleiben zusammen; ich bin aus Gunst und gutem Willen eines hochedlen Rates euer Morgensprachsherr geworden an Stelle des Herrn Heinrich Viskule, der ja nun unser Erster Bürgermeister ist.«

Darüber jubelten die Werkbrüder und wünschten ihrem neuen Morgenherrn und sich selber Glück dazu.

Hierauf schloß Gotthard Henneberg nach den üblichen Fragen und Antworten die Lade und so auch seine letzte Morgensprache.

Als Amtsmeister legte er den Regimentsstab nieder, Böttchermeister war er gewesen, Ratsherr war er geworden, aber nach wie vor bis an sein selig Ende hieß er in der ganzen Stadt nur »der Sülfmeister«.

Zwei Stunden nach Schluß der Morgensprache kam er sehr vergnügt zu Mittag nach Hause und sagte zu seiner Frau: »Johanna, ich war bei Viskule auf dem Rathause und habe mit ihm unten im Keller den Wein geprobt, den uns Ambrosius schicken soll. Marquard Mildehövets feine Zunge hat uns dabei geholfen; der kommt heut abend auch, ich hab' ihn eingeladen.«

»Er ist mir willkommen«, erwiderte Johanna.

»Was soll denn das?« fragte er nun, als er seinen grüngegiebelten Lehnstuhl erblickte. »Ach, der Zirkel! Ja, ja, hundert Jahre! Halt ihn in Ehren, Arnold! Und sorge, daß ihn heut über hundert Jahre wieder einmal ein Böttchermeister Henneberg bekränzen kann.«

»Wollen's hoffen, Vater!« erwiderte Arnold. Und was ich dazu tun –«

»Arnold«, sagte die Mutter schnell, »zunächst brauchst du ihn zu deinem Meisterstück.«

»Was du dazu tun kannst, meinst du«, lachte der Ratsherr, »das soll geschehen –«

»Habt wohl fleißig geprobt?« unterbrach ihn Johanna mit einem bedeutsamen Blick.

»– daß der Zirkel nicht einmal unversehens zerbricht«, vollendete Gotthard schelmisch: »Laß einen doch ausreden! – Ja, haben fleißig geprobt! Warum? Wieso? Kommt auch alle hundert Jahr nur einmal vor.«

»Ich freue mich ja darüber«, lächelte Johanna; »hoffentlich habt ihr etwas Gutes ausgesucht.«

»Will's meinen!« sagte der Sülfmeister. –

Der Abend vereinigte eine sehr heitere Gesellschaft im Böttcherhause. Die Viskules und die Dippolds kamen und Marquard Mildehövet, und allen war es in der einfachen Wohnstube, in der kein Überfluß, aber doch eine gewisse Behäbigkeit herrschte, gar traulich und heimlich. Aus der Diele nebenan drang ein kräftiger Holzgeruch deutlich herein und mahnte an die Werkstatt, an die rüstige Arbeit, der dieses Haus seinen bescheidenen Wohlstand verdankte.

Der reichste Kaufherr der Stadt und der ärmste Handwerker trafen unter Gotthard Hennebergs Dach wie in alter Freundschaft zusammen, und es war, als ob seine vermittelnde Hand, sein liebevoller, froh waltender Sinn alle, jung und alt, wie die Dauben eines Fasses in einen Reifen, in den fest geschlossenen Ring einer glücklichen Familie vereinte.

Gotthard saß obenan, zwischen Mildehövet und Viskule, in seinem von dem bekränzten Zirkel überragten Lehnstuhl, und statt der üblichen Zinnbecher standen heute grünliche Gläser auf dem Tisch und wurden ebenso fleißig gefüllt wie geleert.

»Ah, der labt Zunge und Herz!« sagte Heinrich Viskule, den Wein bedächtig kostend.

»Ja«, wandte sich Gotthard zu Marquard Mildehövet, das ist der Hochheimer, für den Ihr heute morgen stimmtet, Herr Ratsherr!«

»Also nun gebt Ihr mir recht?« lächelte Herr Marquard. »Nun, so laßt mich gleich beim ersten Glas einen freundlichen Vorschlag machen. Gotthard, wir haben schon genug Lüneburger Salz miteinander verzehrt, daß wir uns nachgerade kennen müssen. Herr Ratsherr hier und Herr Ratsherr da! Wollen wir es noch auf unsere alten Tage mal mit du und du versuchen, Gotthard?«

»Ja, das wollen wir, Marquard Mildehövet!« erwiderte Gotthard und schlug herzlich in seines Gastes dargebotene Hand.

Den Schüsseln der Frau Johanna ward alle Ehre angetan, was sie ebenso fröhlich machte wie ihren Gotthard, wenn er über den Tisch hinüberrief: »Jakob, du schenkst ja nicht ein!« Wirte wie Gäste wußten bald selbst nicht recht, ob die Gasterei ein Abschiedsmahl für Gilbrecht oder ein Hochzeitsschmaus für die Brautpaare oder ein Ehrengelage für den neuen Bürgermeister und den neuen Ratsherrn war.

»Das ist nun das lustigste Ende vom traurigen Lied«, sagte Heinrich Viskule, »daß wir hier so freundlich versammelt und beieinandersitzen. Wer weiß, ob das so oder wenigstens so schnell gekommen wäre, wenn ich nicht in den blauen Turm und Hildegund nicht ins Kloster Lüne gesperrt wäre. Denn dann hättet ihr Hennebergs mich nicht mit Meister Dippolds Hilfe aus dem Turm und Gilbrecht hätte Hildegund nicht aus dem Kloster befreien können. Dabei hat jeder, soweit das noch nötig war, einen Blick in des anderen Herz getan und Liebe und Treue gefunden, wo er sie vielleicht kaum vermutete. So hat uns das Schicksal in bösen Tagen zusammengeführt und alles zum Guten gewendet.«

»So ist es geschehen«, sprach Gotthard Henneberg, »und wir sind wohl gar den Herren Prälaten noch Dank schuldig, daß sie alle die Angst und Not über uns gebracht haben, die uns zum Segen ausgeschlagen ist.«

»Ihr Wille war es nicht«, sagte Meister Dippold, »und unser Streit mit ihnen bleibt stehen ohne Ende.«

»Ich hoffe, auch mit den Prälaten werden wir bald unseren Frieden machen«, bemerkte der Bürgermeister. »Herzog Adolf von Holstein, der unserer Stadt von jeher wohlgesinnt war, hat sich uns auf Befehl des Kaisers zum Vermittler angeboten, und bei nur einiger Nachgiebigkeit auf beiden Seiten wird der alte Zwist in Güte beigelegt werden.«

»Das kann noch Jahre dauern«, meinte Mildehövet. »Vielleicht werden eure Söhne, wenn sie einst Ratsherren sind, erst das letzte Wort in diesem Streite sprechen.«

»Redet heute nicht von so fernen Zeiten«, sagte Johanna. »Meine Mutter hat mich ein weises Sprüchlein gelehrt, das lautet:

Wer mit allem Tun und Sinnen
Immer in die Zukunft starrt,
Wird die Zukunft nicht gewinnen
Und verliert die Gegenwart.«

Wir wollen uns der Gegenwart freuen –«

»Und auf die Zukunft trinken!« fiel Balduin ein und leerte das Glas, welchem Beispiel die anderen folgten.

»Eins bedaure ich«, sprach Gilbrecht, »daß ich nicht bei eurem Brautlauf sein kann, Arnold und Balduin!«

»Wir wollen auf dem deinigen um so lustiger sein«, sagte Ilsabe. »Nicht wahr, Ursula? Wir mit unseren Männern!«

»Und wenn ich dann noch mit Frau Walpurg Grönhagen Brautlauf halte«, lächelte Marquard Mildehövet.

»Da kommt Ihr zu spät, Herr Ratsherr!« rief Ursula. »Frau Grönhagen zieht auf die Hasenburg; der Ritter von Boltessen hat um sie geworben.«

»Dem gönn' ich sie!« lachte Gilbrecht. »Die beiden passen zusammen.«

»Träufelt Wein auf die Wunde, Herr Ratsherr!« lachte Ilsabe. »Ihr trinkt heut abend so wenig.«

»Ich, wenig trinken?« sprach Marquard Mildehövet. »Ich habe schon mehr getrunken, als einer hier am Tische; das kann ich mit meinen beiden Nachbarn beweisen; nicht, Frau Druda?«

»Die ersten zehn Gläser hab' ich gezählt, Herr Ratsherr«, erwiderte Frau Dippold, »aber nach dem zehnten hab' ich's aufgegeben.«

»Und das ist gewiß schon lange her«, lachte Heinrich Viskule. »Alterchen, denk an dein Podagel!«

»Die magere Kost im Turme hat es mir für lange Zeit vertrieben, hoff' ich«, sprach Mildehövet.

»Und nun hältst du dich schadlos, Marquard, für die schlechte Behandlung. Das tät ich an deiner Stelle auch«, sagte Gotthard.

»Jawohl!« erwiderte der Ratsherr. »Und dieses Glas trink' ich auf das Wohlergehen deines Sohnes. Daß Gott dir Glück verleihe, Gilbrecht! Ein Jahr und einen Tag sollst du fern sein von uns und dem, was dir auf Erden das liebste ist. Ziehe hin in Frieden und Hoffnung, lerne fleißig, und lebe fröhlich, kehre wieder klug und gesund. Die Sehnsucht der Liebe und das Gedenken der Freunde wird dich umschweben, und wenn die Zeit vergangen ist, so brauchst du kein Kloster in Brand zu stecken, um die Braut zu gewinnen, sondern holst dir deine Hildegund am hohen Tag mit Sang und Klang aus dem Viskulenhof, den Gott segnen möge zu Wasser und zu Lande!«

Dem stimmten sie alle freudig zu und tranken gründlich mit. Bis zu später Abendstunde blieb der fröhliche Kreis zusammen und ward immer munterer und lauter. Der Wein löste selbst dem schweigsamen Dippold und sogar dem schüchternen Jakob die Zunge. Die Liebenden blickten sich immer feuriger in die Augen. Heinrich Viskule und Marquard Mildehövet sprachen von ihrer Jugend und schienen dabei voll Lust und Leben selber wieder jung zu werden. Der Sülfmeister thronte leuchtenden Angesichts mit einer schier göttlichen Ruhe und Heiterkeit unter seinem hundertjährigen Zirkel, und sein treues, festes Herz schlug ihm in Freuden über sein und der Seinigen selbstgeschaffenes Glück.

Endlich erhob man sich von der seßhaften Runde. Marquard Mildehövet und die drei Dippolds nahmen Abschied von Gilbrecht und wünschten ihm noch einmal viel Glück ins Feld. Auch die Viskules gingen, und in dem ernsten, von einträchtiger Liebe und emsiger Arbeit erfüllten Böttcherhause war nie ein froheres Fest gefeiert worden als heute.

Auf dem Tische stand noch ein Rest Wein; den verteilte Gilbrecht in sein und seines Vaters Glas, hob seines empor und sagte: »Vater, tu mir Bescheid, ob du mir auch nicht zürnst, daß ich unserem ehrbaren Handwerk untreu werde.«

»Nein, mein Sohn!« erwiderte der Sülfmeister und stieß mit ihm an. »Der rechte Mann füllt überall seinen Platz aus in der Welt, wenn er nur seine Pflicht tut und etwas schafft, was ihm selber zur Ehre und seinem Mitmenschen zum Segen gereicht.«


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