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Wie der Schildbube und Walter des Morgens zu Leufried in den Wald kamen und was sie miteinander geredet haben.

Sobald nun der Schildbube von Walter verstanden, daß ihm Angliana alle Sachen eröffnet habe, ist er sehr zufrieden gewesen und hat von Stund an Speis und Trank genugsam zugebracht für Reichard und Leufried, damit sie morgens ungehindert in den Wald reiten möchten und desto früher aufsein. Als sie nun ihren Bescheid gemacht, sind sie zu Bett gegangen und haben die Nacht ohne alle Sorgen geschlafen. Des Morgens, alsbald der Tag anbrach und die Pforten geöffnet wurden, ritten sie dem Wald zu. Sie fanden Reichard in seiner Zelle am Gebet, Leufried aber schlafend auf einem Haufen Laub und Gras, so er sich selbst zusammengeraspelt. Alsbald ging Walter zu ihm, stieß ihn mit einem Fuß in die Seite und sagte:

»Einem Waldbruder geziemt nicht, also lange zu schlafen, er sollte vor langem an seinem Gebet sein.«

Leufried erkannte zur Stund die Stimme seines Gesellen und sprang auf in gar großer Scham und Angst, dieweil er nicht meinte, daß Walter seines heimlichen Anschlags Wissen trüge. Er sagte mit ganz demütiger Stimme:

»Oh, Walter, mein allerliebster Bruder, ich bitte dich, du wollest mir nicht verargen, daß ich mich also vor dir verborgen und heimlich gehalten habe. Wahrlich ist das in keiner Untreue geschehen; denn ich habe alle Freundschaft und brüderliche Treue an dir verspürt. Dies ist aber allein darum geschehen, daß ich gesorgt, wo du um mein Fürhaben wüßtest, du würdest mir nicht gestattet haben, ihm nachzukommen. Ich weiß auch, so du mich erkannt hättest, als du vergangenen Sonntag mit dem Hofgesinde bei mir vorbeizogst, du wärst in den allergrößten Sorgen und Ängsten gewesen; derhalben ich dich gar nicht habe bekümmern wollen. Ich bitte dich aber freundlich, sage mir doch, von wem ich dir bin verkundschaftet worden?«

Da antwortete Walter:

»Mich hat wahrlich, Leufried, nicht wenig bekümmert, daß du dich also von mir verstohlen hast. Wie ich aber solches um dich verschuldet habe, ist mir unbekannt. Mir wäre auch deine Zukunft noch verborgen, so ich das nicht von Angliana erfahren hätte, die mir das auf den gestrigen Tag eröffnet hat. Hast du nicht gesorgt, dich möchte jemand gegen den Grafen verkundschaftet haben? Was meinst du, daß er anderes daraus gedacht oder genommen haben würde, als daß du ihm heimlich nachstellst? So mußte ich Unschuldiger gewiß auch darob gelitten haben, dieweil ich andere Briefe von dir gebracht hatte, die dann deinem jetzigen Wesen gar ungleich lauten, ja gewiß keinem Ding so ungleich sehen, als wenn wir Verräterstücke hätten treiben wollen. Derhalben ich mich billig über dich zu beklagen habe, wirst mich auch nimmermehr zufriedensetzen, es sei dann, daß du dich dem Grafen zu erkennen gebest. Bist du mir noch in deiner alten Treue und Freundschaft verwandt, so gewähre mir dies einzige, so ich dich bitten will, das ist nämlich das erste. Sodann begehrt auch Angliana von dir, daß du in deinem Einsiedelskleid gen Hof kommst, selbst mit dem Grafen Sprache haltest und dich ihm zu erkennen gebest, alsdann wird aller Argwohn bei ihm erlöschen.«

»Das will mir nicht gebühren«, sagte Leufried, »und ob mich gleich mein Herr gar nicht mehr haßt und mir laut seinem Schreiben gar verziehen hat, so muß ich dennoch meinen Briefen nach, so ich ihm zugeschickt habe, handeln.«

Darauf sagte Walter:

»Du hast ihm wahrlich fein Wort gehalten, dieweil du am Sonntag zu Hof gewesen bist und mit deiner Jungfrau in eigener Person geredet hast. Wie willst du das, wo es der Graf erfährt, verantworten? Nun darfst du dich doch gar nicht vor ihm besorgen. Ich bin von dem Tag an, als ich ihm deine Schriften überantwortet habe, täglich um ihn gewesen, habe allezeit an seiner Tafel sitzen müssen. Da wird kein Imbiß hingebracht, daß er dein nicht zum freundlichsten gedenkt, ist auch noch im Willen, mich nach dir gen Lissabon zu senden. So du aber deinem Versprechen Folge leisten willst, magst du dich in deiner Kappe und verstellten Kleidung zu dem Grafen begeben, ihn erstlich um Verzeihung bitten, darnach ihm dein Fürnehmen mündlich zu verstehen geben. Dabei wird er wohl abnehmen, daß du ihm nicht mehr mißtraust, sondern seinem Schreiben Glauben gegeben hast. Alsdann zeige ihm an, du habest diese fremde Kleidung allein darum angezogen, damit du von dem Hofgesinde nicht erkannt würdest und dennoch mit ihm in eigener Person reden könntest. Dies wird dir gewißlich große Gunst bei ihm erlangen, und magst auch desto sicherer und mit mehr Fried und Freuden an des Königs Hof wohnen.«

Dieser Rat gefiel Leufried nicht übel, er nahm sich auch gänzlich vor, dem also nachzukommen, jedoch sagte er:

»Walter, auf dein Vertrauen will ich deinem Rate folgen, doch mit dem Beding, daß du zuvor dem Grafen meine Ankunft ansagst, dabei ganz fleißig wahrnehmest, was er hierzu antworten wolle, was er für eine Farbe, in seinem Angesicht bekömmt, wie ihm seine Augen im Haupt scheinen, ob er seine Zähne nicht zusammendrückt und einen unsteten Gang annimmt. Gibt er dir Antwort aus großem zornigem Herzen, wird sein Angesicht ganz feuerrot und bald darauf wieder bleich, so ist es ein Zeichen verborgenen Zorns. Oder so er seine Augen im Haupt hin und wider wendet, mit seinen Füßen stolpert und mit den Händen zittert, sollst du gewiß sein, daß er seinen Zorn noch härter dann je gegen mich trägt. Wo du dann diese Zeichen an ihm wahrnimmst, sollst du dich nicht lange zu Hof säumen, sondern bald samt deinem Diener zu mir herreiten, wo wir uns denn gleich bei Nacht aufmachen und von hinnen reisen. Der Mond ist jetzund im Vollschein, auch weiß ich Wege und Straßen, damit uns niemand nachspüren mag, und werden wir aus dem Land kommen ohne jemandes Anfechten."

Also ward dieser Anschlag von beiden Jünglingen beschlossen. Walter ritt wieder gen Hof, und sobald er mochte, fügte er sich zu dem Grafen, erzählte ihm alles, so ihm Leufried befohlen hatte, und nahm mit Fleiß aller Dinge wahr, ob er ein Zeichen des Zorns an ihm spüren möchte. Da war aber kein Zorn mehr, sondern alle Freude; denn sobald der Graf vernahm, daß Leufried des morgenden Tages gen Hof kommen sollte, befahl er, eine herrliche Mahlzeit zu bereiten, und kündete das auch seiner Tochter Angliana; denn ihm war noch nicht bewußt, daß Leufried zu Hof gewesen war. Als nun Walter solchen guten Willen an dem Grafen spürte, schickte er von Stund an Leufried Botschaft durch den Schildbuben, daß er nicht säume, sondern des Morgens gen Hof käme; denn alle Sachen stünden ganz wohl und recht. Als Leufried dies vernahm, ward er wohlzumut und erwartete mit Freuden des künftigen Tages, an dem er seine liebste Angliana wiedersehen sollte.


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