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Wie Walter, des Kaufmanns ehelicher Sohn, seinen Vater gar sehr bat, ihm zu erlauben, seinen liebsten Bruder Leufried zu suchen, was ihm der Vater kaum erlauben wollte und ihm doch zuletzt bewilligte.

Ihr werdet euch noch wohl erinnern, wie Leufried von Herrmann nebst seinem eigenen Sohne Walter gar ehrlich und wohl auferzogen wurde. Walter lebte nun seit Leufrieds Abscheiden in steter Traurigkeit um seinen liebsten Gesellen und Bruder und hatte sich fest vorgenommen, so ihm Gott sein Leben bis zu den mannbaren Jahren verlängerte, wolle er nicht unterlassen, seinen liebsten Bruder und Gesellen aufzusuchen, er sei auch in welchem Land er immer wolle. Ebenso hatte Leufried ein großes Verlangen nach ihm und faßte den Entschluß, seinen Jugendbruder einmal unbekannterweise heimzusuchen und ihn, wenn es ihm möglich würde, heimlich aus dem Lande zu führen. Walter war jetzt schon erwachsen, ein sehr schöner und gerader, dabei wohlgelehrter Jüngling.

Eines Tages drang er mit freundlichen Worten in seinen Vater.

»Mein Vater«, sagte er, »willst du mir wohl eine kleine Bitte gewähren; denn ich kann nun weder Tag noch Nacht mehr ruhen, wenn ich nicht erfahre und ergründe, wo mein liebster Bruder und erster Gesell hingekommen sei; ich meine Leufried, den du in gleicher Liebe mit mir auferzogen hast. Darum gelangt meine herzlichste Bitte an dich, du wollest mir ein kleines Zehrgeld mitteilen und ein Pferd schenken, so will ich meinen lieben Bruder und Freund aufsuchen. Dabei kann ich auch das Land ein wenig erkundigen und erfahren. Du darfst, mein liebster Vater, dich keines Übeln an mir besorgen noch daß ich das Meinige unnütz vertun oder mich böser Gesellschaft anhängig machen sollte; denn ich habe gottlob von meinem Schulmeister und Präzeptor genug erfahren, was böse Gesellschaft tun mag, derhalb ich mich all mein Tage ihrer enthalten will. Allein erlaube mir, bester Vater, diese Reise zu vollbringen.«

Herrmann, der Kaufmann, empfing durch die Worte seines Sohnes nicht wenig Unmut; denn er schlug ihm nicht gern eine Bitte ab und willigte doch auch nicht gern in diese Reise. Deswegen begann er gar freundlich also zu seinem Sohne zu sprechen:

»O Walter, mein einziger und liebster Sohn, wolle mich, deinen Vater, und auch deine liebe Mutter nicht in solche Betrübnis setzen. Welche große Trauer würdest du über uns bringen, wenn du uns also in unserem Alter verlassen wolltest! Was gedenkst du, Leufried zu suchen, ich sorge, er sei schon längst zugrunde gegangen; denn ich zweifle nicht, er hätte, wenn er noch lebte, uns schon längst grüßen lassen; denn ihm ist unsere große Liebe und Freundschaft zu ihm gar wohl bekannt. Ist er nun nicht mehr in diesem Leben, so würde alle deine Mühe und Not, ihn zu suchen, verloren sein. Sollte er aber noch nicht umgekommen sein und hat uns gar vergessen, was solltest du dich dann bemühen, ihn in fremden, unerkannten Landen zu suchen. Bleibe du bei uns, suche dir andere Freunde und Gesellen zu Lust und Kurzweil; denn fürwahr, ich sorge, Leufried ist nicht mehr am Leben.«

Als Walter seines Vaters Worte hörte, wiewohl er ihm immer von Jugend an gehorsam gewesen war, mochte er ihm diesmal doch nicht gehorchen und bat ihn darum von neuem, er möchte ihn ziehen lassen, und versprach ihm, nirgends zu säumen und so bald als möglich wiederzukommen. Als nun der Vater sah, daß es alles nicht abzuwenden war, willigte er endlich ein, und Walter rüstete sich schnell zur Reise. Die Mutter erhob noch ein großes Klagen, aber Herrmann redete es ihr aus, gab seinem Sohn eine gute Zehrung Reisegeld. und mietete ihm einen frommen und getreuen Knecht, der ihn begleiten und ihn bedienen sollte. Also ritt der gute junge Walter von Vater und Mutter mit seinem Knecht hinweg und begehrte jetzt nichts anderes, als seinen Leufried zu erfahren. zu erkunden, auszukundschaften.


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