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Wie Angliana am folgenden Tag in ihrem innersten Gemach Leufried einen Brief schrieb und ihm denselben mit vielen Kleinodien überreichte.

Angliana hatte jetzt kein ander Sinnen und Denken mehr als allein Leufried, den Jüngling. Stets lag ihr der große Schmerz im Sinn, den er um ihretwillen gelitten, und immer hatte sie ihn vor Augen, wie er seine Brust eröffnete und den Goldfaden aus der blutenden Wunde nahm. In solchen Betrachtungen brachte sie den größten Teil des Tages zu.

Ihre Jungfrauen, welche diese Veränderung in ihrem Gemüt bemerkten, sorgten, sie möge mit großer Krankheit behaftet sein und getraue nicht, es zu sagen, was ihr fehle. Darum gingen sie miteinander zu Rat, und eine Ritterstochter unter ihnen, mit Namen Kordula, sprach also zu den übrigen:

»Liebe Jungfrauen und Gespielen, es ist gewiß keine unter uns, welche nicht mit Kummer bemerkt, wie sich unsere Jungfrau Angliana seither an Fröhlichkeit des Herzens und munterer Gesichtsfarbe verändert hat. Gewiß muß sie an gar schwerer Krankheit leiden und will uns solches verbergen, um uns den Kummer zu ersparen. Sie stellt sich darum stets fröhlich gegen uns, aber es geschieht solches gewiß mit ängstlichem und bekümmertem Herzen. Darum rate ich, daß wir sie insgesamt bitten, uns ihr Leid nicht länger zu verhehlen; denn sollte die Sache traurig werden, so könnten wir vor unserem Herrn Grafen in schwere Verantwortung gezogen werden.«

Alle Jungfrauen lobten diesen Vorschlag und begaben sich sogleich miteinander zu Angliana, und Kordula, die besonders ein großes Herz zu ihrer Jungfrau trug, sprach im Namen aller anderen:

»Gnädigste Jungfrau, unser aller große Liebe und Treue zu Euch führt uns mit der Bitte hierher, uns die Ursache Eurer Schwermut zu eröffnen; denn Euer Stillschweigen scheint uns ein unverdientes Mißtrauen und schmerzt uns gar sehr. Darum seht auf unsere Liebe und sagt uns die Ursache Eurer schweren Gedanken, vielleicht, daß wir einen Rat erdenken können, Euch zu helfen.«

Angliana aber antwortete:

»Meine getreuen Jungfrauen, ich danke euch herzlich für die Sorge, die ihr meinetwegen getragen, aber tröstet euch gänzlich, in kurzem wird mein Anliegen zu gutem Ende gelangen. Darum bitte ich von euch, daß ihr mich heute in meinem inneren Gemach der Ruhe allein genießen laßt.«

Also beurlaubte sie die Jungfrauen. Leufried, der emsige Türhüter, stand vor dem äußeren Gemach, und sooft er die Tür aufgehen hörte, wartete er in banger Freude, ob ihn seine Jungfrau zu sich rufen würde. Sie aber saß in ihrem innersten Gemach und schrieb einen Brief, der also lautete:

»Viel Glück und Wohlfahrt wünsche ich Dir aus Grund meines Herzens, Du mein allerliebster Jüngling. Länger ist es mir nicht möglich, Dir die große und inbrünstige Liebe zu verbergen, die ich in aller Zucht und Ehre zu Dir trage; denn Du hast mit Deinem Herzen auch das meine eröffnet, und mit dem darin verborgenen Goldfaden hast Du mich gebunden und gefangen. Ganz zu eigen will ich mich Dir geben, und sollte ich darum alles Gut meines Vaters verlieren; denn ich weiß wohl, daß eine Liebe gleich der Deinigen zu mir um meines Vaters Gut nicht zu erkaufen wäre.

Willst Du mir aber folgen, so will ich Dir wohl Wege anzeigen, wie wir beide mit Gunst und Willen meines Vaters noch lange beieinander leben können; denn ich kenne Dich eines so herrlichen Verstandes, daß Du in aller Geschicklichkeit Dich bei meinem Vater beliebt machen und Dir einen gnädigen Herrn an ihm gewinnen wirst. Doch sollst Du, mein Jüngling, unsere Liebe ganz verborgen treiben und Dir niemanden so vertraut sein lassen, ihm unsere Liebe zu eröffnen. So will ich auch gegen Dich handeln, und damit diese unsere Liebe stet und fest sei, so nimm von mir zu einem Zeichen diesen Ring, welcher mir sehr wert und teuer ist; denn meine liebe selige Mutter hat ihn mir als ein Gedenken auf ihrem Todbette gegeben, und Du sollst ihn Dir auch um ihretwegen lieb sein lassen, wenn ich Dir anders auch lieb bin; doch daran zweifle ich nicht. Die anderen Kleinodien und Gaben, die Du in diesem Päcklein finden wirst, die nehme anstatt des Goldfadens zu einem glückseligen Jahr. Ich bitte, verschmähe ihren geringen Wert nicht; denn Du sollst noch viel mehr von mir erwarten. Mein lieber Leufried, hast Du irgendein Anliegen zu mir, das Du mir mitteilen möchtest, so tue es allezeit schriftlich. Hiermit sei Gott befohlen, der pflege Dein in steter Gesundheit.«

Da Angliana diesen Brief mit ihrem eigenen Siegelring geschlossen hatte, band sie ihn in ein Päcklein nebst dem Ring, einem schönen Hemd und einem sehr köstlichen Barett. Am Abend nun kamen ihre Jungfrauen wieder, um ihr Wohlsein zu erfahren, sie fanden sie aber ganz wohlgemut und guter Farbe, wodurch sie große Freude empfingen. Da nun das Nachtmahl vollbracht war und das Gestirn durch den tiefen blauen Himmel schaute, gingen alle zu Bette und brachten die Nacht mit gar süßem Schlafe zu.


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