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Wie Leufried mit seinem Gesellen an einem Sonntag unter dem Amt heimkam, da der Graf und Angliana in der Kirche waren, und wie das Hündlein, als Leufried mit Walter auch in die Kirche kam, ihn eher als alle anderen wahrnahm.

An einem Sonntagmorgen, ehe man aus der Predigt kam, ritt Leufried auf das Schloß mit seinem Gesellen. Sie stellten ihre Pferde in den Stall und gingen miteinander zur Kirche. Sobald Leufried in die Kirche trat, ist das Hündlein seiner gewahr worden und hat gar unruhig in dem Gestühle, worin Angliana mit den Jungfrauen war, an der Tür zu kratzen angefangen, so daß sie ihn haben aus dem Gestühl herauslassen müssen. Da kam dann der Hund mit schnellem Lauf zu Leufried, sprang an ihm hinauf und erfreute sich seiner Ankunft größlich. Angliana aber hatte sehr auf das Hündlein achtgegeben und war darum die erste unter allen ihren Jungfrauen, die Leufried ersah, worüber sie herzlich erfreut ward.

Nun hatte der Graf die Gewohnheit an seinem Hofe, daß alle Sonntage seine Tochter mit ihren Jungfrauen an seiner Tafel essen mußte, worauf Angliana sich heute gar sehr freute. Sie winkte Florina, ihrer Jungfrau, und sagte ihr heimlich in ein Ohr, daß es die anderen Jungfrauen nicht hören konnten:

»O Florina, du magst mir jetzt kein Botenbrot abgewinnen; denn ich habe Leufried schon mit meinen Augen gesehen.«

Da zeigte sie der Jungfrau, wo der Jüngling stand, und Florina erwiderte ihr mit Freuden:

»Gnädige Jungfrau, ich freue mich von Euretwegen der Ankunft des Jünglings, damit Ihr auch wieder fröhliche Gebärden zeigt; denn seit der Jüngling weg gewesen ist, seid Ihr so traurigen Angesichts erschienen, als hätte Euch eine schwere Krankheit niedergeschlagen.«

Als nun der Gottesdienst vollendet war, hat man zu Hof geblasen, wie denn alle Feiertage die Gewohnheit war; sonst pflegte man nur mit der Tischglocke zu läuten. Der Graf mit seinem Hofgesinde ging aus der Kirche. Da sah er Leufried. Der verbeugte sich vor ihm und überreichte ihm die Schriften, die er für ihn aus des Königs Hauptstadt gebracht hatte. Da der Herr die Briefe gelesen, lobte er Leufried seines Fleißes und sagte zu ihm:

»Leufried, du sollst diese Mahlzeit mit an meiner Tafel essen, damit ich neue Zeitung, wie dir's gegangen und was dir auf der Reise begegnet ist, von dir erfahren könne.«

Nun bemerkte der Graf Walter und fragte Leufried, wer dieser schöne Jüngling sei.

»Gnädiger Herr«, sagte Leufried, »dieser ist mein lieber Bruder, und ist er allein mit seinem Knecht ausgeritten, mich aufzusuchen; denn meine Eltern haben, seit ich sie verlassen, gar nichts mehr von mir erfahren können.«

»So denke daran«, sprach der Graf, »deinen Bruder mit zur Tafel zu bringen; denn ich möchte ihn gar gern kennenlernen.«

Als sie nun zu Hof gekommen, hat man das Wasser auf die Hände genommen und sich ein jeder, wie es ihm angewiesen worden, gesetzt.

Angliana trat, nachdem sich jedermann gesetzt, gar köstlich gekleidet, mit allen ihren Jungfrauen in den Saal. Alle, die sie erblickten, verglichen sie eher mit einem Engel als mit einem Menschen. Ich aber will sie ein wenig abmalen, damit der Leser ihre Gestalt vor sich gespiegelt sehe.

Sie war von einer ziemlichen angemessenen. Länge, im wohlgeschickten Verhältnis, ihr Haupt aufrichtig, ihr Haar gelb und etwas gekräuselt, ihr Stirnlein rund und breit, mit lichtbraunen, wenig gebogenen Augenbräulein geziert, ihre Äuglein nach Falkenart klar und geschwind, das Näslein ein wenig gebogen in ziemlicher Schärfe, die Wänglein mit schönen Grüblein und mit Rosenfarbe geziert. Das Mündlein, einem Rubin gleich an Farbe, allezeit sich ein wenig lächelnd erzeigte. Dem Elfenbein gleich weiß waren ihre Zähnlein, schmal und klein nach rechter Ordnung gesetzt, das Kinn doppelt obeinander, an dem oberen Kinn ein wohlgeschicktes Grüblein, ihr Hälslein rund und länglich, weiß wie der Schnee. Ihre Brust war stark und breit, ihre Arme und Händlein ganz wohl formiert, die Hüften voll und geschwungen, in summa: ihr ganzer Leib hätte von Apelles nicht zierlicher gemalt werden mögen. Sie war auch mit Herz und Gemüt ihrer Schönheit ganz gleichförmig, züchtig, gebärdsittig, sittsam in den Gebärden. freundlich gegen jedermann, getreu und gerecht. Nicht weniger Schönes hatte Leufried, der Jüngling, an sich, dabei eines Leuen Mut, doch gegen jeden mild; die Gerechtigkeit förderte er allezeit, so haßte er auch die Schalkheit, hatte große Lust zu Pferden, zu aller Zeit war er geneigt zum Dienst der Frauen und Jungfrauen. Zuvörderst aber fürchtete er Gott und half den Armen nach seinem besten Vermögen; denn er vergaß nie sein Herkommen. Dies lassen wir nun bleiben und sagen fürbaß, wie es bei dem Imbiß gegangen ist.


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