Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sobald sie die ersten Trachten Portionen. gegessen hatten, sagte der Graf:
»Lieber Leufried, du hast mir heute gesagt, dieser Jüngling sei dein Bruder, nun sage mir auch, was ihn hierhertreibt und wie du ihn gefunden.«
Der Graf aber fragte allein, weil er fürchtete, Walter sei gekommen, um Leufried mit sich hinwegzuführen. Da sprach Leufried:
»Mein lieber Bruder ist auf Abenteuer ausgeritten und hat deren genug gefunden«, und also erzählte er alles von den Räubern nach der Reihe, wie es sich zugetragen, und dann von der Freundlichkeit des guten Leuen Lotzmann gegen ihn und wie er von diesem Leuen seinen Namen habe wie auch von seinem Vater und seinen Pflegeeltern. Also erzählte Leufried seinem Herrn Grafen alles, der sich nicht genug darob verwundern konnte und bei sich selbst gedachte: Gewiß wird dieser Junge noch ein vornehmer Mann werden und hoch hinankommen. Angliana merkte stillschweigend und mit großem Fleiß auf alle Reden Leufrieds und besonders auf seine Tapferkeit gegen die drei Mörder und seine große Vertraulichkeit mit dem Leuen. So ward die Mahlzeit fröhlich vollbracht, und als jeder sich nach seinem Gemach begab, nahm Leufried Urlaub von dem Grafen und sagte ihm, er habe einige zierliche Arbeiten von Lissabon mitgebracht, die er den Jungfrauen verehren wollte. Das ward ihm von dem Grafen gütlich erlaubt.
Also begab er sich mit seinem Gesellen in sein Gemach und nahm seine Kleinodien hervor. Er hatte keine Ruhe, bis er seine Geschenke ausgeteilt hatte. Er legte sie in eine schöne Lade und gab sie Walters Diener. Dann gingen sie alle drei vor das Gemach der Frauen und ließen sich anmelden. Da wurden sie gar bald eingelassen. Angliana empfing sie freundlich, und Leufried sprach:
»Gnädige Jungfrau, damit Ihr erkennen mögt, daß ich Euer gedacht und auch Euer Gnaden Jungfrauen, so habe ich nicht unterlassen können, einer jeden etwas Besonderes zu kaufen, nach meinem guten Willen und geringen Vermögen, damit, so Euer Gnad oder die Jungfrauen über kurz oder lang auch einmal verreisten, sie meiner auch gedenken möchten.«
Mit diesen Worten schloß er seine Lade auf und gab zuerst der Jungfrau Angliana ihren Kauf. Das war eine gar schöne und köstlich gewirkte Haube, von Gold und Perlen geziert auf das schönste. Die Jungfrau Florina, welche Angliana am liebsten hatte, hatte er besonders wohl bedacht. Er gab ihr eine köstliche Schleppe und ein Paar Handschuhe mit einem silbernen Mahlschlößlein; Vorhängeschloß den übrigen Jungfrauen aber gab er nur Handschuhe. Dies machte sie zum Teil argwöhnisch, und glaubten sie nicht anders, als Leufried sei in Florina entzündet; denn daß er Angliana und diese ihm Holdschaft trug, das gedachten sie gar nicht.
Angliana vor allem dankte dem Jüngling gar freundlich für seine reiche Schenkung, desgleichen auch die anderen Jungfrauen. Keine aber unter ihnen allen wußte oder konnte gedenken, was Leufried mit dem Mahlschloß meinen mochte, doch ließen sie es hingehen, nur Angliana und Florina dachten der Sache sehr nach. Da er nun seine Gaben verteilt hatte, wollte er hinweggehen, Angliana aber, welche wohl wußte, daß ihm der Vater dazusein erlaubt hatte, bat ihn dazubleiben und sprach:
»Leufried, mein lieber Jüngling, ich bitte Euch, wollet nicht so eilends von uns scheiden, sondern mit uns ein wenig Sprache halten. Sagt uns doch, wie gefallen Euch die schönen Jungfrauen von Lissabon, Ihr habt sie gewiß wohl beschaut, da Ihr gute Zeit dazu gehabt habt.«
Leufried antwortete:
»Ihr fragt mich, wie mir die schönen Fräulein von Lissabon gefallen, so sage ich dann aus rechtem, ernstem Herzen, wo ich meine Tage hingeritten und gewandert bin, habe ich allewege schöne und züchtige Jungfrauen und Frauen gefunden, jedoch haben sie mir an einem Orte mehr als an dem anderen gefallen, bin auch einer mehr als allen anderen günstig. Gott wolle, daß ihr mein Dienst angenehm sein möchte, das wäre die größte Freude, die mir zukommen könnte in diesem zergänglichen Leben.«
Nun standen Florina und Angliana mit Leufried allein beieinander an dem oberen Ende des Saals. Florina hatte ihr Mahlschloß noch in den Händen und spiegelte es in der Sonne, nur immer denkend, was doch mit diesem Schloß gemeint sei. Angliana, als eine kluge Jungfrau, sagte:
»Florina, wie gefällt dir das Mahlschloß, was glaubst du, das Leufried damit gemeint habe, weil er dir es vor allen anderen gegeben?«
Florina antwortete:
»Das befremdet mich nicht wenig, gnädige Jungfrau, fürwahr, es macht mir ganz weitschweifende Gedanken.«
Da sprach Leufried mit lachendem Munde:
»Mit Eurer Erlaubnis, gnädige Jungfrau, will ich diesen Zweifel lösen, damit Florina ihr Gemüt nicht weiter beschweren darf. braucht. Dieses Mahlschloß, edle Jungfrau, habe ich Euch in aller guten Meinung verehrt, weil ich wohl an meiner gnädigen Jungfrau bemerke, daß sie Euch vor allen anderen vertraut, und ich gab Euch dieses Schloß, daß Ihr alle ihre vertrauten Reden in Euer Herz gar wohl verschließen sollt.«
Dieser Worte lachte Angliana züchtiglich und sprach:
»Fürwahr, Florina, bewahre den Schlüssel des Schlosses gar wohl, damit dir nicht etwa ein falscher Schwätzer darüber komme und dir die Geheimnisse entwende.«
Florina verstand Leufrieds und Anglianas Meinung gar wohl und faßte sich ihre Worte recht zu Herzen, nahm sich auch recht fest vor, alles, was ihre gnädige Jungfrau ihr vertraue, recht geheimzuhalten.
Hier reitet der Graf mit seinem Hofgesinde gen Lissabon auf die Hochzeit; was für Wunder sich mit Lotzmann, dem Leuen, zugetragen.
Der Graf dachte oft allem nach, was ihm Leufried von dem Leuen erzählt hatte, und fand ein solches Vergnügen daran, daß er sich fest vornahm, bei erster Gelegenheit den Leuen in Gesellschaft Leufrieds zu besuchen.
Kurz hernach begab es sich, daß der Graf auf eine Hochzeit geladen ward, die sehr groß war und in Lissabon gehalten wurde; doch äußerte er sich gegen Leufried gar nicht, daß er eine sonderliche Begierde hätte, den Leuen zu sehen, damit er nicht denken möge, als glaube er ihm seine Erzählung nicht.
Da nun die Zeit kam, daß jedermann auf der Hochzeit sollte erscheinen, ließ der Graf all sein Volk in gleiche Farbe kleiden und ritt mit großem Pomp gegen Lissabon, aber unter allen war ihm Leufried immer der nächste. Sie kamen auch durch den Wald und sahen den Mörder mit der einen Hand noch da hängen, wobei der Graf wohl erkannte, daß ihm Leufried die Wahrheit angezeigt habe.
Da nun die Hochzeit vorüber war, ging der Graf einst mit seinem Hofgesinde in dem Garten des Königs spazieren, in welchem allerhand Tierlein herumliefen. Er gedachte wohl an den Leuen, und auf sein Begehren ward er bald in einen besonderen Hof gebracht, wo Lotzmann sich gewöhnlich aufhielt. Da aber der Leu seinen lieben Leufried sah, ergriff er ihn sogleich mit seiner rechten Tatze und wollte ihn zu sich heranziehen. Leufried begann mit ihm zu scherzen, und der Leu erzeigte sich so ganz freundlich gegen ihn, daß alle Umstehenden darüber erstaunten. Des Königs Hofmeister, der zugegen war, fragte den Grafen, wer dieser Jüngling wäre. Da erzählte ihm der Graf alle Umstände von dem Leuen und dem Jüngling. Da ward auch der König bald davon unterrichtet und verlangte den Jüngling zu sehen. Leufried ward ihm vorgestellt, und hörte der König die ganze Geschichte Leufrieds und des treuen Lotzmann mit großer Freude und Verwunderung und befahl, daß Lotzmann, der Leu, vor ihn gebracht werde.
Alsbald ging Leufried in den Tiergarten und lockte den Leuen, der lief mit ihm gleich einem zahmen Hund bis vor den König, da scherzte Lotzmann gar tugendlich mit dem Jüngling. Des erstaunte der König mit allen Gegenwärtigen gar sehr, und gefiel ihm auch Leufried mit Weise und Gebärde fast wohl. Derhalben redete er mit dem Grafen, ob er ihm denselben nicht als einen Diener überlassen wollte. Da sprach der Graf zu dem König:
»Allergnädigster Herr, Euer Königliche Majestät soll wissen, daß dieser mein allerliebster Diener ist. Durch ihn allein verrichte ich alle meine Geschäfte; ohne ihn weiß ich nichts auszurichten. Alles, was ihm von mir befohlen wird, endet er gar fleißig. Darum gelangt meine untertänigste Bitte an Eure Majestät, Ihr mögt mich dieses meines liebsten Dieners nicht berauben.«
Der König liebte den Grafen gar sehr und ließ daher die Sache beruhen, begehrte Leufrieds nicht mehr.
Also blieben sie bei zehn Tagen zu Lissabon und hatten viel Freude, Kurzweil und Wollust. Leufried konnte aber des Leuen gar nicht mehr ledig werden, er mochte gehen, wohin er wollte, der Leu folgte ihm allezeit auf dem Fuß nach, und wenn man ihn nachts in den Garten sperren wollte, hob er so traurig an zu brüllen, daß weder der König noch sonst jemand schlafen konnte. Da man dem König die Ursache von des Leuen Gebrüll angesagt hatte, befahl er, ihn nicht mehr einzusperren, sondern ihn mit Leufried laufen zu lassen, wohin er wolle. Also lag Lotzmann jede Nacht bei Leufried und seinem Herrn in der Kammer.
Als aber jetzt der Hof ein Ende nahm und jedermann wieder nach Hause kehren wollte, befahl der Graf dem Tiergartenmeister, den Leuen zu verwahren, daß er ihnen nicht nachlaufe. Dies geschah, aber Lotzmann erhob ein grausames Geschrei, wollte weder trinken noch essen, so daß der Tiermeister besorgte, er möchte umkommen, und den König fragen ließ, wie er sich verhalten solle. Der König erkannte nun genugsam des treuen Lotzmann Gemüt und befahl, ihn loszulassen und nicht aufzuhalten, wenn er auch mit Leufried von dannen ziehe. Kaum war der Leu losgelassen, so suchte er seinen Jüngling und blieb ganz beharrlich bei ihm, und wenn ihn der Tiermeister hernach anrühren wollte, unterstand er, sich zu wehren.
Nun nahm der Graf Urlaub von dem König und saß auf zu Roß mit seinem Gesinde. Lotzmann sprang fröhlich vor ihnen allen her, und als der König dies sah, sagte er zu dem Grafen, er solle Lotzmann, den Leuen, mit ihm laufen lassen; denn er fürchtete, daß er, eingesperrt, vor Trauer sterben oder vor großem Zorn ganz wütend werden möge. Also lief Lotzmann mit ihnen davon, und Leufried war gar voll hoher Freude.