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Wie Angliana Leufried das Bündlein gibt in der Gegenwart aller ihrer Jungfrauen.

Aurora, die edele Morgenröte, brachte jetzt mit Freude den neuen Tag daher. Die Nachtigall und andere Vöglein begrüßten ihn mit Freuden, und Angliana stand auf, legte gar zierliche Gewand an und saß an einem Fenster, den Gesang der Vöglein zu hören, durch welchen sie eines gar frischen und fröhlichen Gemüts ward. Nun hatte Leufried aber die Nacht ganz ohne Schlaf hingebracht; denn er konnte den Tag gar nicht erwarten, um zu erfahren, mit was für Kleinodien ihn die Jungfrau beschenken wollte. Er stund auf, legte seine schönsten Kleider an, ging mit großen Freuden in den Garten. Ohne zu wissen, daß Angliana, seine liebste Jungfrau, schon aufgestanden sei und jetzo an dem Fenster sitze, nahm er seinen gewöhnlichen Platz unter der Rosenlaube und begann mit gar fröhlicher Stimme zu singen. Das nahm Angliana gar bald wahr und spitzte ihre Öhrlein und lauschte freudig auf den Gesang ihres lieben Jünglings. Leufried blickte von ungefähr durch den Hag und sah seine liebste Jungfrau an dem Fenster, die mit einem schönen Hündlein und einem Papagei Kurzweil trieb, doch aber gar fleißig auf seinen Gesang lauschte. Oh, da war es Leufried gar wohl zumute, als er seine Liebe zugegen wußte. Er sparte keinen Fleiß in seinem Gesang und sang, so schön er immer konnte, bis ihm die Zeit schien, auf seinen Dienst zu warten; da ging er vor der Jungfrau Gemach.

Nun kamen auch Anglianas Jungfrauen und wünschten ihr einen seligen Tag; sie fragte sie, ob Leufried, der Jüngling, nicht vor dem Zimmer stehe. Die Jungfrauen sprachen: »Ja.«

»So ruft mir ihn«, sagte Angliana, »er soll meinem Herrn und Vater etwas Nötiges bringen.«

Der Jüngling trat in großer Freude herein, gleich einem, der aus einem finsteren Gewölbe kömmt und urplötzlich den klaren Schein der Sonne erblickt. Also war auch dem Jüngling, da er seine Jungfrau Angliana anblickte. Er wünschte Angliana zuvor, dann allen ihren Gespielen einen fröhlichen und glückseligen Tag. Die Jungfrau war nicht weniger erfreut durch seinen Anblick und begann mit ihm zu scherzen:

»Mein lieber Leufried, sage mir doch, was dich heute nur so früh aus deinem Bett getrieben und zu solchem fröhlichen und guten Gesange verursacht; denn die Nachtigall, die Drossel und die anderen Waldvöglein sind dir heute nicht viel vorangegangen, du bist ihnen mit deiner süßen Stimme bald gefolgt und hast mich auch wahrlich gezwungen, daß ich dir mit aller Lust und Fleiß habe zuhören müssen, und wenn ich gleich weiß, daß du nicht mir zu Dienst gesungen hast, so lass' ich mich das doch gar nicht kümmern. Die Jungfrau aber, welcher du also freundlich dienst, muß dir gewiß sehr angenehm dafür zu danken wissen, sonst wollte ich sie sehr unverständig und hartherzig nennen. Nun gestehe mir, lieber Leufried, welche unter diesen meinen Jungfrauen dich so ganz früh ermuntert und erweckt, sie soll mir wahrlich die liebste in meiner Gesellschaft sein.«

Die Jungfrauen konnten sich der scherzhaften Worte Anglianas nicht genug verwundern, und eine sah immer ganz schamrot die andere an; denn jede meinte, Angliana habe auf sie geredet. Auch Leufried ward nicht weniger schamrot, was ihm dann seine Schönheit noch verdoppelte; denn er war von Natur eines weißen Angesichts, eines langen, geraden, wohlgebauten Leibes und einer aufrichtigen, tapferen Stirn, sein Haar gesponnenem Golde zu vergleichen, schön und zierlich gekraust. Er hatte eine starke und vollkommene Brust, überhaupt war er nicht allein der schönste Jüngling des Hofes, sondern er übertraf auch alle Jünglinge des Landes an Gestalt, Schönheit und Tugend. Da ihn Angliana nun lange mit ihren Scherzreden geneckt hatte, gab er ihr folgende Antwort:

»Gnädigste Jungfrau, ich nehme Euren Scherz zugut, da Ihr mich aber fragt, wem ich zu Dienst gesungen, so sage ich Euch, daß nur eine lebt und leben wird, der ich mein Herz so ganz geöffnet, und daß sie es weiß, daß ich ihr einziger, fleißiger und steter Diener bin und bleiben will, bis an mein letztes Ende. Ich erkenne aber wohl, daß mir nicht gebührt, zu so edlen Jungfrauen, als sie Eures Hofes sind, Liebe zu tragen; denn ich armer Jüngling bin ihnen zu gering. Doch soll mich meine niedere Geburt nimmer von Jungfrauen und Frauendienst abwenden, und so hoffe ich dann auf die Wahrheit eines alten Sprichwortes: Frauendienst war nie umsonst, was eine nicht erkennt, dankbar anerkennt das vergilt die andere.«

So endete er seine Rede an die Jungfrauen, welche seine große Schönheit noch nie so wohl betrachtet hatten als eben heute; denn der Jüngling hatte sich heute besonders zierlich angekleidet und war in der Unruhe seines freudigen Herzens sehr bewegt. Angliana nahm das Päcklein, das sie für ihn zusammengebunden, gab es ihm vor allen ihren Jungfrauen mit den Worten:

»Leufried, mein lieber Jüngling, nimm dieses Päcklein und bringe es meinem Herrn und Vater, sage ihm, es enthalte das Begehrte. Sodann komme wieder in unsere Gesellschaft, damit wir kurzweilige Gespräche mit dir haben können; das soll dich nicht verdrießen, wer weiß, wie ich oder meine Jungfrauen dir unsere Neckereien in Zucht und Ehren vergelten können.«

»Gnädige Jungfrau«, sprach Leufried, »Euer Scherz mit mir wird stets mein fröhlichster Kurzweil sein.«

Also ging Leufried von seiner Jungfrau in großen Freuden. Er konnte kaum erwarten, bis er in seine Kammer kam, damit er die Gaben sehen möge, die in dem Päcklein verborgen waren. Als er in seinem Gemach das Päcklein geöffnet, las er, ohne nach den Kleinodien zu sehen, vor allem den Brief seiner Jungfrau, und da er ihn gelesen und gar oft und zärtlich geküßt hatte, besah er die Kleinodien und den Ring; in den war eingesetzt ein schöner blauer Saphir. Mit dieser Farbe hatte die Jungfrau die Stetigkeit ihrer Liebe zu dem Jüngling anzeigen wollen. Er nahm den Ring, hing ihn an seinen Hals und sprach:

»Nun freue dich, Leufried, denn zu dieser Stunde hat dich das Glück hoch erhoben. Ach, wer möchte wohl glücklicher sein auf der ganzen Erde als ich, der glückselige Leufried! O du mein liebster Vater, meine liebe Mutter und ihr allerliebsten meine Pflegeeltern, Herr und Frau, wollte Gott, meine Wohlfahrt wäre euch bekannt, damit ihr euch auch mit mir ergötzen und erfreuen könntet. Ach, sollten meine Schulgesellen, die mich für ihren König erwählt hatten, nun mein Glück wissen, sicher würden sie meine jetzige Seligkeit über aller Könige Lust hochhalten, aber dies soll und kann nicht geschehen, weil mir meine liebste Jungfrau die höchste Heimlichkeit anbefohlen hat. Wenn mir aber einst Gott und das Glück Gnade leihen, so will ich alle die Meinigen meines Glückes teilhaftig machen.«

Da Leufried sich nun genugsam an den Gaben Anglianas erfreut hatte, zog er sich aus, legte das schöne geschenkte Hemd an und kehrte zu den Jungfrauen zurück, mit welchen er noch mancherlei Scherz und Kurzweil hatte. Auch ward er in kurzer Zeit von allen gar hoch geehrt, und mochten sie keine rechte Freude haben, wo Leufried nicht zugegen war. Dies währte so lange, bis er gar groß und stark heranwuchs und der Graf ihn aus der Jungfrauen Zimmer zu seinem eigenen Kämmerling annahm. Hierüber waren Leufried und Angliana sehr betrübt; denn nun konnten sie sich nicht mehr mit so gutem Fug nahe und vertraut sein, wenn er gleich mehr als andere Hofdiener in ihre Nähe kam; denn der Graf ließ alles, was er bei seiner Tochter zu bestellen hatte, durch Leufried ausrichten. Ihrer beider große Liebe zueinander war dem Herrn aber noch gänzlich verborgen.


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