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Wie Leufried eines Tages von dem Grafen in dem Garten bei einem Rosenstock gefunden ward, als er nach seiner Gewohnheit gar lieblich sang; wie ihn der Graf aus der Küche nahm.

Da nun der Winter vergangen, auch der liebliche und süße Mai alle Felder erfrischte und mit zierlichen Blümlein bekleidete, fing Leufried seinen alten Brauch zu müßigen Zeiten wieder an; denn er hatte das Feuer der Liebe zum Teil abgekühlt, indem er alle Orte vermied, wo er Angliana begegnen konnte. Eines Tages nun saß er im Garten unter einem Rosenstock, und da er gar nicht glaubte, daß noch irgend jemand zu dieser Zeit in den Garten kommen werde, sang er mit heller Stimme so lieblich, daß ihm die Vögel mit ihrer Stimme Antwort geben mußten.

Von ungefähr nun begab es sich, daß der Graf mit etlichen fremden Herren in den Garten spazierenging. Dem Grafen war Leufried nie bekannt geworden. Die Fremden wunderten sich des angenehmen Kurzweils, den ihnen der Graf nach ihrer Meinung hatte zubereiten wollen. Als aber der Graf gleich ihnen von dem angenehmen Gesang überrascht schien, waren sie sehr erstaunt. Ganz in sich versunken stehend und lauschend, ließ der Herr Leufried eine Strophe aussingen und sprach alsdann:

»Fürwahr, das ist mir ein seltsamer Sommervogel in meinem Garten, dergleichen ich noch nie darin gespürt habe.«

Mit diesen Worten näherte er sich dem Rosenstrauch und sah den Jüngling Leufried, wie er fröhlich singend darinnen saß. Da standen die Herren still, bis er sein Lied geendet, und traten dann zu ihm in das Rosenzelt hinein. Als Leufried den Grafen erblickte, erschrak er so sehr, daß er vor großem Schrecken nicht aufstehen konnte, und da dies die Herren wahrnahmen, redete der Graf ihn freundlich an: »Jüngling, sei guten Muts, unser Zusammentreffen soll dir noch zu großem Glück gereichen. Wie ich an deiner Kleidung sehe, bist du von meinen Leuten, was aber für ein Amt du bekleidest, ist mir unbekannt, und darum sage mir's aufrichtig, ist es zu geringe, so will ich dir es bessern.« Da sagte ihm Leufried all seine Sache, und der Graf sprach weiter:

»Du sollst deiner guten Stimme und deines Wohlsingens genießen, ich will dich in meiner Tochter Angliana Zimmer zu einem Kammerbuben machen, da magst du bessere Tage haben dann in der Küche.«

Da nahm ihn der Graf von Stund an und führte ihn zu seiner Tochter.

Wie Leufried Angliana erblickte, da ward die Flamme seiner Liebe von neuem entzündet, und er fühlte sie heftiger brennen als jemals; aber er hielt sie sehr heimlich im Herzen verborgen und war voll Freude, ein Diener seiner Jungfrau zu werden. Der Graf sprach:

»Angliana, liebe Tochter, ich weiß wohl, daß du in deinem Zimmer eines züchtigen Knaben als Diener und Boten bedarfst, darum habe ich dir diesen Jungen jetzt hergebracht, den magst du nach deinem Gefallen in deinem Dienst gebrauchen; denn sonst soll er mit keinen anderen Geschäften beladen werden.« Also redete der Graf mit seiner Tochter.

Leufried war ein überaus schöner Jüngling, dabei ganz züchtiger Gebärden. Das hatte die Jungfrau bereits gar fleißig wahrgenommen und dankte deswegen ihrem Vater sehr freundlich, daß er sie in allen Dingen so väterlich versorge.

Nun nahm der Graf Abschied von seiner Tochter und Leufried auch. Schnell lief er voller Freude zu seinem guten Meister Koch und erzählte ihm den ganzen Verlauf seines Glücks. Dieser, wiewohl er Leufried sehr ungern in der Küche entbehrte, gönnte ihm doch von Herzen, daß er einen also gnädigen Herrn an dem Grafen gewonnen hatte, ermahnte ihn auch, seines Dienstes recht fleißig zu warten, damit er einst ein noch besseres Amt erreichen möge. Das versprach ihm Leufried, dankte ihm auch ganz herzlich für alles Gute, was der Meister Koch ihm erwiesen, und nahm einen freudigen Abschied aus der Küche. Sein neues Amt aber wußte er so trefflich und mit solcher Geschicklichkeit zu verrichten, als wäre er sein ganzes Leben lang in Frauenzimmern und an fürstlichen Höfen gewesen. Angliana, welche inzwischen erfahren, daß Leufried ebender Knabe wäre, der ihr im Sommer mit seinem Wohlsingen im Garten so manche Freude gemacht hatte, war auch sehr vergnügt, daß er ihr Diener geworden. Nicht weniger freuten sich ihre Jungfrauen darüber; denn sie hofften, Leufried werde ihnen mit seinem Gesang manchen Kurzweil machen, wie dann auch öfters geschehen. Dies blieb also.


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