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33

Plötzlich sah Bismarck die Spitze eines Bajonettes auf seine Brust gerichtet.

»Halt! Passierschein!«

Er hatte das große Gedränge der An- und Auffahrt vermieden und seinen Weg ins Schloß hinten herum nehmen wollen. Da stand er nun zwischen zwei winterdürren Heckenwänden, ein Musketier spießte ihm äußerst bedrohlich sein Bajonett entgegen, und ein Sandsteinfaun hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Kennst du mich nicht, mein Sohn?« fragte Bismarck väterlich milde.

»Jawohl, Herr General«, sagte der Musketier.

»Na, wer bin ich denn?« Das Hohe-Herren-Abenteuer paßte ganz zu dem freudigen Wintertag und diesem weißen Schneegeflimmer.

Der Musketier hatte gesehen, daß nicht zu befürchten stand, man würde mit Gewalt durchzubrechen versuchen. Er zog das Bajonett zurück und stand stramm: »Der Generalmajor Graf Bismarck«, sagte er hell.

Bismarck hatte sein gewinnendstes Lächeln: »Dann weißt du wohl auch, daß ich drinnen dringend zu tun habe?«

»Jawohl, Herr General. Aber ohne Passierschein is hier nich.«

Da nickte Bismarck dem Posten freundlich zu, wandte sich, und während er zwischen den Heckenwänden dahinging, dachte er, wie gut es wäre, wenn man sämtliche Gelegenheitslöcher und Hintertürchen der großen Welt mit einem deutschen Soldaten besetzen könnte. Der würde niemanden einlassen, nicht einmal die Vernunft in eigener Person, und da müßten dann alle vorn hereinkommen und hinausgehen, und die ganze Weltgeschichte spielte wesentlich vereinfacht im klaren. Er war noch gar nicht weit gekommen, da hörte er ein mörderisches Gezeter, und da er neugierig war, zu sehen, wer der Genosse seines Mißgeschicks geworden sei, kehrte er zu dem tapfer verteidigten Heckenengpaß zurück. Was der Sandsteinfaun jetzt zu sehen bekam, wäre geeignet gewesen, ihn vor Lachen ganz und gar zerspringen zu lassen, wenn das Malheur nicht einen Vertreter der englischen Nation betroffen hätte, deren Humanitätsgesängen Paris eine so lange Schonung zu verdanken hatte.

Mister Whitestone, der Berichterstatter des »Daily Expreß«, hing nämlich in den Fäusten des unerbittlichen Musketiers und zappelte wie ein Hase.

»Na, stell ihn nur mal hin«, sagte Bismarck, nachdem er den Anblick eine Bierminute lang genossen hatte. »Was hat's denn gegeben?«

Ach, Mister Whitestone war der irrigen Meinung gewesen, man könne an einem wegsperrenden preußischen Musketier mit zwei Grobheiten und einem Boxerstoß vorbeikommen. Übrigens war dieser Herr derselbe, dessen Unverschämtheiten auf der Straße und im Gasthaus man schon längst übel vermerkt und ins Rückzahlungsbüchel eingetragen hatte. Und endlich brauchte das zudringliche englische Zeitungsgesindel, das hier wie Unkraut auf allen Straßen wucherte, einmal eine wütende Hand. Die beiden letzteren Gründe fand der Musketier nicht für notwendig, Bismarck zu enthüllen; Grobheiten und Boxerstoß genügten vollkommen, und Recht, Gesetz und Kommandobefehl strahlten zu Häupten des Musketiers.

Bismarck versuchte dem Engländer höflich auseinanderzusetzen, daß man heute nicht so ohne weiteres ins Schloß eindringen dürfe, und daß er eben auch selbst vor dem Nein des Postens habe umkehren müssen. Aber Mister Whitestone schien zu glauben, daß, was einem Minister verboten sei, einem Engländer noch lange nicht verwehrt werden dürfe; er war außer Rand und Band, der Erbbestand des englischen Blutes an Gelassenheit raste zersetzt als Gift durch die Adern, und er ging davon, indem er schwor, er werde sich beschweren und Genugtuung verlangen.

»Hast du mir nicht vor ein paar Wochen einen Herbstblumenstrauß gebracht?« fragte Bismarck, indem er dem Posten fest ins Gesicht sah. »Du bist der Musketier Lehrke! Ihr habt den Strauß im französischen Feuer für mich gepflückt!«

»Jawoll, Herr General!« sagte der Musketier, und die Freude lief ihm nur so übers ganze Gesicht.

»Woher bist du?«

»Aus Jüterbog!«

»So so … aus Jüterbog! Das ist ja die Stadt, wo der Schmied den Teufel verhauen hat.«

»Jawoll, Herr General!«

»Na – denn ist jut.« Und Bismarck ging nun mit schnellen Schritten, um Versäumtes nachzuholen, über den knirschenden Schnee, und obzwar als sicher anzunehmen war, daß französische Glocken sich nicht würden bewegen lassen, an diesem Tag zu klingen, hörte er doch ein tiefes und volles Läuten, das aus Fernen herandrang.

Im Spiegelsaal waren Federbüsche, Helme und Tschakos bereits zu kleinen Gruppen zusammengetan, die bayrischen Raupen krochen dazwischen, und keinem der Versammelten fehlte auf der linken Brustseite das leuchtende Ordenssternbild des belohnten Verdienstes. Noch eine leise Unruhe war in Bismarck, noch eine bis zu diesem Augenblick unentschiedene Frage spannte ihn und ließ ihn hastig nach dem Kronprinzen suchen.

Während er sich durch die Gruppen schob, fühlte er plötzlich eine Hand auf seinem Arm. Ein bayrischer General hielt ihn zurück, und Bismarck sah dem Erbprinzen Friedrich von Augustenburg in das ernste und kluge Gesicht. »Ich sehe, Sie haben Eile«, sagte der Prinz, »nur ein Wort –«, er holte tief Atem, daß die Worte voll und gewichtig wurden: »Ich möchte Ihnen Glück wünschen zu Ihrem Werk.«

Das war die Vergangenheit, die da an Bismarck herangetreten war; in dem aus Schleswig-Holstein Hinausgewundenen hatte sie Worte gefunden, und was sie sprach, war Versöhnung und Glückwunsch.

»Hoheit …«, sagte Bismarck mit einem leichten Schwindelgefühl, als würde er plötzlich emporgerissen.

»Ja … ja … gehen Sie nur«, lachte der Prinz, »aber ich hätte in diesen ganzen letzten Jahren nicht in Ihrer Haut stecken mögen.«

In der Kapelle traf Bismarck den Kronprinzen, der hier seine Anordnungen noch einmal überprüfte: »Ja, schauen Sie nur«, sagte er heiter, »ich habe die Sache etwas herausgeputzt. Wäre es nach dem König und nach Ihnen gegangen, so hätte dieser Tag nicht mehr Ansehen gehabt als der Gründungstag einer Aktiengesellschaft. Man muß doch ein wenig fürs Festliche sorgen; ein so kunstvolles Chaos wie Ihre deutsche Reichsverfassung kommt nicht so bald wieder.«

»Und der Schlußstein, Königliche Hoheit«, fragte Bismarck, »hat sich der König besonnen …?«

»Ja, damit müssen Sie sich abfinden«, der Kronprinz sah ein wenig verlegen nach den Emporen, über deren Brüstungen Teppiche hingen. »Sie wissen ja, daß ich mit Ihnen in diesem Punkte nicht übereinstimme; dennoch habe ich dem König zugeredet. Er bleibt dabei, daß er Kaiser von Deutschland heißen will und nicht Deutscher Kaiser.«

Vergebens hatte Bismarck also auf Einsicht und Nachgiebigkeit gehofft, vor diesem geringfügigsten aller Hindernisse staute sich noch einmal der machtvolle Fluß der Ereignisse. »Dann ist wieder alles auf die Spitze getrieben!« rief er in heller Verzweiflung.

»Wenden Sie sich an den Großherzog«, sagte der Kronprinz rasch, »da kommt er eben. Vielleicht gelingt es ihm, den König noch umzustimmen, er hat das Hoch auf den Kaiser auszubringen, aus seinem Mund wird die Welt den Titel zum erstenmal hören.«

Und damit entzog sich der Kronprinz dem letzten Getümmel, während der Großherzog von Baden eintrat und in seiner behutsamen und gründlichen Art die Ausschmückung der Kapelle zu betrachten begann. Bismarck erbat sich einen Augenblick Gehör und brachte seine Frage vor, wie der Großherzog das Kaiserhoch zu fassen gedenke.

Bedachtsam zwinkerte der Fürst mit den Augen, wie es in schwierigen Angelegenheiten seine Art war: »Seine Majestät hat befohlen, ihn als Kaiser von Deutschland zu begrüßen.«

»Das geht nicht … das geht doch nicht«, und Bismarck fühlte, wie ihn der Schmerz ansprang, der ihm bei heftiger Erregung den Magen zerfraß.

»Ich finde«, sagte der Großherzog bestimmt, »der Titel Deutscher Kaiser klingt etwas mager. Vergessen Sie nicht, daß Seine Majestät ein Opfer bringt. Er hat ein Recht, zu fordern, daß auf seine Wünsche Bedacht genommen werde.«

»Aber da gibt's nichts mehr zu wünschen und zu wählen. Der Text der Reichsverfassung ist doch bereits durch Beschluß des Reichstages festgelegt. Und in diesem Text lautet der Titel Deutscher Kaiser. Sollen wir das neue Reich gleich mit einem Verfassungsbruch einleiten?«

»Nein«, sagte der Großherzog betreten, denn seinem redlichen Sinn, der zur Treue gegen Verträge und Verfassungen erzogen war, schien nichts verhängnisvoller als ein Verbiegen des Wortes. »Wenn es nun schon einmal festgelegt ist!« Er wiegte den Kopf hin und her und zwinkerte in strengem Nachdenken. »Warten Sie, ich will noch mit dem König sprechen.«

Und dann war es so, daß alles in eine weite Entfernung rückte, als stünde Bismarck auf einem Punkt, der durch einen kahlen Zwischenraum von den Ereignissen getrennt war. Viel Glanz begann drüben zu gleißen, Fürsten und Heerführer, Moltkes faltiges Gesicht stand lange gelb vor einem tiefblauen Teppich, die Orgel wühlte Vergangenheit und Zukunft in schwere Tonwellen durcheinander; dann verließ man die Kapelle, Bismarck ging zwischen Moltke und Roon. Eine dürre Greisenhand drückte die seine, von der anderen Seite aber flüsterte Roon: »Heute stirbt das alte Preußen«, und er hörte sich erwidern: »Nein, es nimmt nur einen weiteren Mantel um.«

Weiß und golden prunkte der Saal, von den Scheiteln der hohen Bogenfenster grinsten Maskenfratzen mit Blumenschnüren zwischen den Zähnen, die Spiegel fingen alle die Uniformen in Blau, Weiß, Rot und Grün und kochten sie in einem Farbengebrodel, Goldschnüre hingen hinein, und ein Sterngewölke von Orden zog auf. Über der dreistufigen Tribüne waren Fahnen entfaltet, ganze Büschel von Fahnen, alte, zerschlissene, mürbe Regimentsfahnen, morsches Tuch mit Kugelwunden, solche Fahnen, von denen kaum mehr etwas übrig war als ein paar Fetzen an der Stange, und die man deshalb mit Bändern behängt hatte, damit sie das Wehen nicht ganz verlernten. Und unter diesem Strauß von kriegerischem Ruhm und Unsterblichkeit stand der König im weißen Bart mit einem ernsten Gesicht, in dem die Ergebung ins Unvermeidliche feierlich ins Unergründliche versenkt war. Einen halben Schritt rechts hinter ihm, in straffer Männlichkeit, die Reitergestalt des Kronprinzen, schon jetzt denkmalsfertig, durchdrungen von allen Mächten dieser Stunde, und dann die deutschen Fürsten mit allen Mienen der Anteilnahme von Neugierde bis zur gläubigen Hingabe.

Der König verlas etwas, von einem Papier; da klangen bekannte Worte, ach ja, man hatte sie ja selbst gezählt, gewogen, gerichtet und gesetzt. Und nun war es so weit, daß Bismarck die Urkunde verlesen mußte, die der Begründung des Reiches und der Wahl eines Kaisers galt. Es waren trockene Sätze, in denen die Worte nichts von dem zu besagen schienen, was hinter ihnen lebte, ein ledernes Aktendeutsch, ausgebeutelte Puppen; Bismarck hatte die Beine gespreizt, er hörte sich mit hölzerner und kahler Stimme einen Satz nach dem anderen hervorrattern, und er hatte die Empfindung, daß das ungemein langweilig sein müsse, und wünschte, je weiter er las, um so dringender, es wäre zu Ende.

Nach einer kleinen Ewigkeit konnte er die Stimme zum letzten Punkt herabsenken. Und da schwand auch die Zweiteilung seines Wesens, der horchende und zuschauende Bismarck ging wieder in den handelnden und sprechenden Bismarck ein, denn er sah den Großherzog von Baden neben den König treten, sah ihn die Hand erheben.

Und dann war es auf einmal, als hätten die alten Fahnen, die alten, mürben, zerschossenen Regimentsfahnen zu Häupten des Königs, eine Stimme bekommen. Sie sagten deutlich, alle zusammen und zugleich

»Seine Majestät, der Kaiser Wilhelm, lebe hoch!«

Und während das Hoch in drei Salven donnerte und aus dem Weltengrund eine schwere Musik losbrach, trat Bismarck in die Sicherheit seines Lächelns. »Oh«, sagte er sich, »weder Kaiser von Deutschland, noch Deutscher Kaiser … Kaiser schlechthin. Da glaubt man, man wäre Gott weiß wie gewitzt … und man kann immer noch von anderen lernen.«

Und das Lächeln blieb ihm auch, als der neue Kaiser aus dem Händeschütteln der Fürsten fort auf seine Generale zutrat, sehr eilig, als wäre es das Allerwichtigste, ihnen zu danken, und als er Bismarck achtlos, ohne Blick und ohne Wort, an seinem Wege stehenließ.

»Ich nehme es auf mich«, dachte er, »du magst nun tun, was du willst. Kaiser bist du doch!«

Der Wintertag funkelte blank über Ludwigs Park.

Bismarck ging die Heckenpfade, stand lange an den überdeckten Brunnenterrassen; weiße Wolken kamen von Osten, die hatten den Rhein gesehen, vielleicht kamen sie sogar von weiter her, waren aus den Elbniederungen aufgestiegen. Er legte die Hand an einen Baum, fühlte, wie es darinnen auf und nieder ging, winterlich langsam, wie der Puls eines Schlafenden, aber dennoch warm-lebendig und gar nicht feindlich, wie in der Sternennacht, in der die Regenfrau die Bäume aufgehetzt hatte. Nun war man wieder mit allem Geschaffenen in Eintracht und Brüderlichkeit gebracht.

Plötzlich tat es einen Klang wie emporschnellender und zerspringender Stahl.

Es gibt ein altes deutsches Märchen vom Froschkönig. Der war verzaubert, als häßlicher Frosch in einem tiefen Brunnen zu leben; aber er wurde durch die Prinzessin, der ihr goldener Ball ins Wasser gefallen war, erlöst. Und als er, wieder in seiner schönen Jünglingsgestalt, mit der Prinzessin in der Glaskutsche zum Königsschloß fuhr, da hörte er solchen Klang von zerberstendem Stahl hinter sich. Es war aber der treue Heinrich, der hinten auf dem Kutschertritt stand, und der hatte sich aus Kummer um den geliebten Herrn stählerne Reifen um das Herz gelegt, denn es war ihm zu schwer geworden, als daß er es sonst hätte in der Brust tragen können. Nun aber war das Herz wieder leicht und fröhlich, da sein Herr in Glanz und Herrlichkeit dahinfuhr, und nun sprangen ihm die Reifen klingend wie Glocken von der Brust.

So klang es von Bismarcks Herz.

 


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