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30

Welcher Art die Geister eigentlich waren, die Herrn David Home bei seinen magischen Künsten halfen, das verriet er nicht.

Ob es wirklich die Geister der Verstorbenen über sich brachten, Herrn David Home oder seinem Medium zuliebe in Tischen und Schränken herumzuklopfen, an die Wand gehängte Gegenstände mit Gepolter herunterzuschmeißen, oder Stühle plötzlich aufzuheben und über die Köpfe aller Anwesenden hinweg bis zur Decke des Zimmers zu tragen?

Herr David Home hätte diese Annahme sicher am liebsten gelten lassen, denn so hätte er dann den lebenden allerhöchsten Herrschaften, die seinen Vorführungen so großes Interesse entgegenbrachten, mit bescheidenem Anstand versichern können, daß sich auch die abgeschiedenen allerhöchsten Herrschaften zu seinen Sitzungen nur so drängten; daß drüben im Schrank der König Artaxerxes rumore, daß Julius Cäsar das Sieb von der Wand geworfen habe und daß Heinrich der Achte von England eben mit dem Tisch unter der Decke herumtanze.

Herr David Home hätte es vielleicht noch angehen lassen, wenn jemand auf den Gedanken gekommen wäre, seine Wunder durch eine Art Fluidum oder magnetische Kräfte zu erklären, die, dem Menschen selbst unbewußt, in ihm spielten und aus ihm heraus in einer Weise wirkten, für die man zur Zeit noch keine Gesetze gefunden habe.

Sicher aber hätte er sich dagegen gewehrt, wenn etwa jemand hätte behaupten wollen, er habe seine Wunder nur der Taschenspielergeschicklichkeit seiner Finger, etlichen gut angebrachten Schnappsäcken im Rockfutter und der Leichtgläubigkeit seiner Zuschauer zu verdanken.

Dadurch, daß der Geisterbeschwörer es der Phantasie seines Publikums überließ, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wem die unsichtbaren Hände eigentlich zugehörten, steigerte er nur den verwirrenden Reiz seiner Vorführungen, und es gab viele, die sich der ersten oder zweiten Möglichkeit, aber nur wenige, die sich mit Bismarck der dritten zuneigten.

Bismarck aber hatte ja schon so viel mit Geistern, bösen und guten, zu tun gehabt und sich allzuoft von ihrem Weben umschlungen gefühlt, um nicht zu wissen, daß sie sich auf so armselige Weise nicht herbeizaubern ließen und, wenn sie kamen, sich anders auswirkten als durch bunt herausgeputzte Kinkerlitzchen. Es verdroß ihn nur, daß der Kronprinz dieser englischen Schnurrpfeiferei in seinem Quartier eine Freistatt gewährte und daß so viele ernste Männer im Bürgerrock und im Soldatenrock mit Schauern einem umgekehrten Humoristen auf den Leim gingen, während vor Paris die Weltgeschichte wuchs.

»Warum nennen Sie ihn einen umgekehrten Humoristen?« fragte Gustav Freytag.

»Warum? Der Humorist lehrt uns, das Ernsthafte mit Lachen anzusehen; dieser Professor aus Nekromantien aber will uns beibringen, das Lachhafte ernst zu betrachten.« Und das sagte Bismarck nicht einmal leise, sondern so, daß es der Kronprinz, der unweit saß, ganz gut hätte hören können. Er war durchaus der Ansicht, dieser karierte Magier gehöre nicht in die Villa » Les Ombrages«.

David Homes feistes Spitzbubengesicht war von einem Beschwörerlämpchen fahl beleuchtet. Jetzt war er am Gedankenlesen, und das wurde so ausgeführt, daß der, dessen Hirn umgekrempelt werden sollte, von dem Medium, einer mageren, durchscheinenden Miß in einem Hemd von Milchstraßenzuschnitt, an der Hand gefaßt wurde; die andere Hand legte die Miß auf ein Papierblatt, das vor aller Augen auf dem Tisch gebreitet war, und wenn sie nach einigen Minuten Stirnrunzelns und Verstörtseins die Hand aufhob, fand sich auf der Unterseite des Blattes in Spiegelschrift die Antwort auf die Gedankenfrage des Versuchstellers. Freilich war die Antwort meist etwas dunstig und schillernd gehalten, in einem Orakelstil aus ja und nein zusammengekocht und mannigfach nach links und rechts drehbar.

David Home verneigte sich, strich Beifall ein. »Wünscht noch jemand der Herren?« fragte er.

»Jawohl«, sagte Bismarck, indem er aufstand, »ich würde bitten.«

»Es nützt nichts, mit seinem Ärger dahinten zu bleiben«, dachte er, »man muß all Ding auf der Welt selbst versuchen.«

Er stand groß aufgereckt vor dem Zaubertisch, die Miß in der Milchstraßentoilette umklammerte sein Handgelenk; das war unangenehm, wie Berührung von Spinnweben. Die dünnen Finger sogen sich an seinen Puls fest, er hörte den gepreßten Atem des Mediums, sah beinahe erschreckt in die Pupillen, die wie fressende, schwarze Flammen waren; sie leckten verzehrend in die Stirn zurück. Wie kann ein Mensch glücklich sein, schoß es ihm flüchtig quer durch seine Frage, der alle Gedanken der anderen kennt?

Jetzt aber war das Aushorchen seines Gehirns zu Ende, sein Handgelenk wurde frei. Der Magier hob das Blatt vor den großen Spiegel, daß Bismarck und alle anderen es sehen konnten.

»Die ehernen Löwen werden nicht gegen die Königin brüllen«, las Bismarck auf dem blanken Glas.

»Ist das eine Antwort auf Ihre Frage?« buckelte Herr Home.

»Ja«, sagte Bismarck; denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben, war das ein nicht mißzuverstehendes Nein auf die Anfrage, ob man denn endlich Paris mit Kanonen zu Leibe gehen werde.

Der Geisterbeschwörer verneigte sich lächelnd, Bismarck ging, während der Großherzog von Baden an den Schicksalstisch herantrat, auf seinen Platz.

»Es hat also gestimmt«, sagte Gustav Freytag; »sehen Sie … es gibt doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …«

»Ach, nun bin ich erst recht nicht zufrieden. Denken Sie nur, wenn dieser Magier da unsere Gedanken auspumpt: feine Gedanken, politische Gedanken, strategische Gedanken, und sie dann an die Franzosen verkauft. Er nimmt sie uns einfach aus den Köpfen und bringt sie nach Paris. Welch ein Unfug! Man sollte ihm das Handwerk legen.«

Gustav Freytag machte seine klugen, schmalen Grenzboten-Augen. »Es ist doch nicht ganz so leicht, nach Paris zu kommen, wenn Moltke seinen Zauberstrich darum gezogen hat.«

»Oh, den Franzosen und ihren Freunden steht doch die Luft offen. Haben sie nicht ihre Ballons? Ist nicht Gambetta auf einem Ballon aus Paris geflogen, um die neuen Armeen aus dem Boden zu stampfen? Ganz bewunderungswürdig, das muß man sagen. Aber Herr Home braucht nicht einmal die französischen Ballons, er pfeift einfach seinem König Richard Löwenherz oder dem Hamilkar, und der trägt ihn durch die Luft nach Paris hinein, und da kann der ganze Generalstab nichts machen.«

Sesselrücken und Begrüßungsgeflüster hinter Bismarck störte die mystische Stille, eine Hand senkte sich auf Bismarcks Schulter; der Kanzler wußte, wer gekommen war, der Genosse im Kampf und im Leid. Roons Stimme flüsterte über die hohe Stuhllehne: »Nein, nein und wiederum nein! Keine Aussicht! Ich habe es satt.«

»Ich weiß es bereits«, flüsterte Bismarck schief hinauf, »Herr Home war gerade so freundlich, es mir mitzuteilen.«

Aber da war die Sitzung eben zu Ende, die durchscheinende Miß entwich hinter einen grünen Vorhang, denn eine Pythia muß etwas auf ihre rechtzeitige Entfernung halten. Die Diener kamen, um die Lichter wieder zu entzünden, und um Herrn David Home schwoll ein Schwarm von Bewunderern und Neugierigen. Eben, da sich Bismarck mit Roon zurückziehen wollte, trat der Kronprinz auf ihn zu, mit breitem, offenem Lachen: »Nun, Bismarck, sind Sie bekehrt?«

»Nein, Königliche Hoheit, ich sage mir, Home macht das nach Art der Kartenaufschlägerinnen und Wahrsagerinnen, die ihre Weisheit aus dem Dienstbotenklatsch beziehen.«

Sie waren in ein Nebenzimmer getreten, wo Wein und Zigarren auf Glastischchen warteten. »Ich habe erraten, welche Frage Sie gestellt haben. Es ist nicht schwer, wenn man weiß, was Ihnen am Herzen liegt.«

Einen Augenblick lang dachte Bismarck daran, nun noch einmal mit der ganzen Streitmacht seiner Gründe auf den Kronprinzen einzudringen; aber er sah, daß dieser inzwischen von der Schießerei weit fortgewichen und einem anderen zugewandt war. Ein Franzosenkopf saß auf einem der Weinflaschenhälse, der war aus einem weichen Holz geschnitten und bunt bemalt und verschloß mit seinem korkigen Unterteil die Mündung. Bauern mit geschwollenen Zahnwehgesichtern, Jäger mit grünen Hüten, Soldaten mit Pickelhauben waren in die anderen Flaschen gespundet. Der Kronprinz liebte solch harmlos lustigen Aufputz seines Weines.

Nun schraubte er den Franzosenkopf los und goß Wein in zwei Gläser. Er klang mit Bismarck an und sprach noch ins Schwirren der geschliffenen Kelche: »Haben Sie etwas Gutes aus Süddeutschland?«

Ach, da war man über Für und Wider noch nicht hinaus, Württemberg und Bayern wollten und wollten nicht, schlügen vor und zögen zurück, hätten gern ein einiges Deutschland und doch auch wieder ihre Selbständigkeit, und darüber komme man nicht vorwärts.

In Friedrich Wilhelm wirkte der Schlachtengeist, seine Faust hatte den Feind niedergeschlagen, und seither war in seine Seele ein neuer Glaube an den Segen der Gewalt eingezogen.

»Man wird sie eben zu zwingen wissen«, sagte er zornmütig. Bismarck wehrte heftig ab. »Mein Gott«, rief er ungeduldiger, als eigentlich nach dem Hofkomment zulässig war, »reden wir nicht von Zwang. Wenn wir hier in Versailles das Deutsche Reich nicht unter Dach bekommen, dann kriegen es alle Maurermeister der Zukunft nicht fertig. Aber das muß mit dem Mörtel der Überlegung und mit den Ziegeln der Einsicht und des Vertrauens gemauert werden, nicht mit Gewalt.«

»Baden will«, sagte der Prinz, »und Oldenburg und Koburg und Weimar. Wenn die Mehrzahl der Fürsten hier in Versailles sich zu einem Bund vereinigt und dem Ding eine Verfassung und ein Oberhaupt gibt, so möchte ich sehen, ob Bayern und Württemberg im Schmollwinkel bleiben.«

»Der König will aber nicht durch eine Mehrheit der Fürsten an die Spitze des Bundes gestellt werden, sondern nur durch einen einstimmigen Beschluß. Es war überhaupt nicht gerade vorsichtig, die Frage nach dem Oberhaupt schon jetzt anzuschneiden. Der bloße Name Kaiser hat mir Bayern und Württemberg zuerst recht schwierig gemacht.«

Der Prinz bäumte sich auf: »Wollen Sie mir vielleicht Vorwürfe machen, Graf Bismarck? Ich lasse mir nicht den Mund verbieten, ich halte es für meine Pflicht, niemanden darüber im Zweifel zu lassen, wie ich denke. Mit Ihnen weiß man nie, woran man ist! Wer hat mich denn davon überzeugt, daß der Kaisertitel das einzig Mögliche sei, als mir Gustav Freytag bewiesen hatte, daß alles Unglück der deutschen Nation aus dem vertrackten Gedanken des römischen Kaisertums komme? Nun wollen Sie auf einmal wieder nichts davon wissen, und es soll nichts davon geredet werden.«

Bockig wuchs Bismarck gegen den Prinzen: »Alles zu seiner Zeit, Königliche Hoheit. Politik ist die Kunst, das Richtige zu seiner Zeit zu tun.«

»Ich bin vierzig Jahre alt, und niemand hat mir Weisungen zu geben, worüber ich sprechen darf und worüber ich schweigen muß, als der König allein.«

»Wenn es Königliche Hoheit befehlen«, donnerte Bismarck, »so werde ich es mir gesagt sein lassen und keine, Ratschläge mehr zu erteilen wagen.«

Daß Bismarck dem Prinzen das Befehlen allein und sich das Gehorchen allein zumaß, berührte diesen wie der Flügelschlag der Göttin Vernunft. »Sie sind sehr reizbar, Bismarck«, sagte er gelassener, »und ich – ich habe Ihnen nichts zu befehlen.«

»Ich muß darauf aufmerksam machen«, sagte Bismarck noch immer aufgebracht, »daß ich gern zurücktrete, sobald Königliche Hoheit darüber zu entscheiden haben werden, wen Sie zur Führung der Geschäfte für tauglicher halten. Bis dahin aber muß ich bitten, bei meinen Ratschlägen darauf bedacht zu sein, daß sie dem Bewußtsein meiner Verantwortung für das Gelingen der großen Sache und meiner Kenntnis der Dinge und Menschen entspringen.«

Sie standen aber doch schon wesentlich abgekühlter einander gegenüber, als Herr Home, der nun ganz gewöhnlich aussah, mit den übrigen Gästen, der Weinwitterung folgend, eintrat.

Russel, der Kriegsberichterstatter der »Times«, machte sich an den Kronprinzen heran und fragte ihn zwischen zwei Lachsbrötchen mit der kaltblütigen Zudringlichkeit, die er für ein Vorrecht seiner Nation hielt, es scheine, daß der Kanzler übler Laune sei; die Antwort des Mediums habe sich wohl aufs Schießen bezogen, und im allgemeinen mache es den Eindruck, als ob Bismarck es nur schwer ertragen könne, hier im Hauptquartier hinter den Generalen erst an zweiter Stelle zu kommen. Und dabei maß er im Geiste die Länge eines kleinen gewürzten Artikelchens in der »Times«, in dem er Bismarcks Entthronung geschmackvoll anrichten wollte.

»Lassen Sie das gut sein«, sagte der Kronprinz ungewöhnlich grob, »wohin Bismarck tritt, da steht er an erster Stelle.« –

Spät in der Oktobernacht noch knirschte der Sand der Parkwege unter den Schritten zweier Männer. Der Himmel war eine Weile sternenklar gewesen, jetzt hörte man schon wieder aus der Ferne die Regenfrau Wolken zusammenheulen. Die Bäume klatschten mit den Ästen, der Wind trieb schwarzes Dunstgetümmel in die Sternenfelder.

»Unsere Leute in den Gräben …!« sagte Bismarck.

»Sie dürfen mir glauben, daß ich mich nicht geschont habe, um das Schießen durchzusetzen. Aber man rennt gegen Wände an. Blumenthal macht höhnische Gesichter, als wolle er sagen, du bist ja doch nur Kriegsminister, kümmere du dich um Ersatzmannschaften und Material, aber nicht um Operationen. Moltke beharrt auf seinem Standpunkt; manchmal ist es beinahe wie der kindischste Greiseneigensinn.«

»Und der König?« fragte Bismarck, »was hat er zu Ihren Gründen gesagt?«

»Man weiß nicht recht, wohin er innerlich neigt, aber vor den anderen gibt er Moltke recht. Ach – ich sage es Ihnen, Bismarck, ich habe es satt. Ich bin ein schwerkranker Mensch, der Ärger hier frißt mich auf. Anstatt mich zu schonen, zerreibe ich meine letzten Kräfte an diesen harten Steinen. Jetzt aber ist es genug, ich lasse mich nicht länger als den Überflüssigen behandeln. Um als fünftes Rad mitzulaufen, bin ich mir zu gut. Ich nehme meinen Abschied.«

Es war sehr wahr, daß Roons ganzes Wesen seinen Halt verloren hatte, seit sein Bernhard bei Sedan durch den Leib geschossen worden war, und daß er in Schwung und Stoß nicht mehr als der alte gelten konnte. Aber dies war nicht die Zeit, sich oder andere zu schonen. »Wollen Sie mich allein lassen?« sagte Bismarck, indem er nach der Hand des Freundes tastete, »ich habe hier niemanden als Sie. Wir tragen eine Farbe. Wir dürfen nicht verzweifeln, wir müssen weiter Sturm laufen.«

Roons Stimme rann trübe in der Dunkelheit: »Was wollen Sie gegen Moltke beginnen? Moltke hinten und Moltke vorn, Moltke ist das ganze Um und Auf. Ich bin abgetan, ich habe die Waffen schärfen dürfen, jetzt in die Führung habe ich nichts dreinzureden.«

»Wir wollen nicht an Moltke herumzausen«, sagte Bismarck bedächtig, »er hat alle strategischen Teufel von Ramses bis Napoleon in sich, und wir können es vielleicht noch gar nicht einmal so genau übersehen, wie gescheit alles war, was er gemacht hat. Aber es sind auch Nachtwächter schon bei Tage gestorben und Genies über ihre eigenen Füße gestolpert. Diesmal hat er den unrechten Zipfel erwischt. Was soll dann ich sagen? Mich behandelt der König überhaupt als Luft, und wenn ich vom Schießen anfange, so fragt er, was ich für Nachrichten von meiner Frau aus Nauheim habe.« Bismarck blieb stehen, ballte die Fäuste in der Dunkelheit vor sich hin: »Roon …, lieber Alter … wenn man nicht so ein Stockpreuße wäre, so ein gottverdammter, strohschädeliger, siebenmal waschecht königsblau gefärbter Stockpreuße mit einem noch ganz besonderen Notabene für den alten Herrn, einer Ehrenschuld von Jahren her … weiß der Himmel, man könnte wahrhaftig einen Blödsinn begehen.«

»Na, wenn Sie so reden«, sagte Roon verblüfft.

»Ganz ungerupft kommt man jedenfalls nicht davon«, murmelte Bismarck.

Die Regenfrau hatte sich näher herangemacht und schlug mit den Windgeißeln in die ächzenden Bäume; der Sturm riß die Wolkensäume ab und fegte sie als ein dünnes, spitz beißendes Sprühen in den Park und über die Gesichter hin.

»Sehen Sie, ich habe wahrhaftig mehr Grund, mich beschwert zu erachten als Sie«, fuhr Bismarck fort. »Es fällt dem Generalstab nicht ein, mich von den militärischen Maßnahmen zu unterrichten, und doch kann jeder Befehl in dieser gespannten Lage von äußerster politischer Wichtigkeit sein. Aber wenn ich etwas erfahren will, so muß ich Umwege machen, zu Hintertüren und Lakaien. Die englischen Kriegsberichterstatter wissen mehr als ich; manchmal reicht mir der König irgendeine Nachricht, aber das ist ein Almosen aus Mitleid. Ich habe darüber dienstlich Klage geführt, aber das hat nichts geändert.«

»Man hat darüber gesprochen, Bismarck«, sagte Roon, »aber man hat darauf hingewiesen, daß es Ihre Tageseinteilung nicht gestattet, Sie zu den Beratungen zuzuziehen. Der Generalstab tritt vormittags zusammen, und Sie schlafen bis gegen Mittag –«

»Ich wünsche niemandem meine Nächte«, sagte Bismarck heftig.

»Jedenfalls hält man sich an dieses Hindernis.«

»Man könnte mich ja nachher von den Entschließungen verständigen. Aber ich sage Ihnen, es ist ein System. Ich komme mir vor wie ein Reiter im Sumpf, ich möchte mich herausarbeiten, aber alles Herumschlagen bringt mich noch tiefer hinein … und was da unter mir brodelt und quatscht und Blasen wirft, ist nichts als Mißgunst und Neid. Warum haben meine Söhne so lange auf Beförderung warten müssen, länger als andere? Haben sie sich etwa schlechter geführt? Und warum hat keiner von ihnen bisher das Eiserne Kreuz? Waren sie nicht etwa bei dem Todesritt am 16. August dabei, von dem wenige sagen können, sie hätten ihn mitgemacht? Jeder einzelne von den braven Dragonern hat sein Kreuz verdient … wie viele haben es bekommen? Und wir … von uns hat man jedem das Kreuz auf die Brust gepflanzt, uns, den Kartenflohsuchern und Operationseierlegern, die wir höchstens auf dem Aktenschimmel Attacken reiten. Und wir laufen damit herum und schämen uns nicht.« Bismarck hatte sein Eisernes Kreuz gepackt und zerrte daran, als wolle er es von der Brust reißen.

Nun war es an Roon, das Beschwichtigungsöl auszugießen. »Nein, Bismarck«, sagte er, »das dürfen Sie nicht glauben. Es muß alles seinen Amtsweg gehen. Jedem Regiment ist doch nur eine bestimmte kleine Zahl von Kreuzen zugemessen … die kann man nicht beliebig vermehren … Ich gebe ja zu, daß uns noch immer hinten ein Zöpfchen baumelt.«

Er schwieg, denn die Regenfrau war jetzt mit aller Wucht hervorgebrochen und warf Wassergarben in die Baumkronen und auf die Parkwege; man mußte sich gegen einen Wirbelsturm stemmen. »Die Hauptsache ist doch«, sagte Roon, während sie sich dem Ausgang des Parkes zuarbeiteten, »daß wir in diesem Garten des Sonnenkönigs sind und überhaupt in die Lage kommen, darüber zu sprechen, ob wir Paris beschießen werden oder nicht.«

Der Sturm wehte ihm die Worte in Fetzen vom Mund, so daß sie Bismarck nur gerade im Vorüberflattern noch halb verstand. Aber der Park Ludwigs des Vierzehnten schien sie wohl verstanden zu haben, denn plötzlich krachte es ihnen zu Häupten, als habe der Sturm eine Planke vom Himmelszaun abgerissen und die komme nun herab. Es brach in der Baumkrone über ihnen, und da stürzte auch schon ein ungeheurer Ast aus dem dürren Geprassel, ein schwerer, regennasser Hieb der Finsternis. Aber er vermochte nur mehr mit den letzten Zweigspitzen ihre Rücken zu erreichen und fuhr grollend fruchtlos in den Boden.

»Na«, lachte Bismarck, als sie einander vor dem hochgerankten Eisengekletter des Tores die Hände reichten, »jetzt hätte uns der Sonnenkönig mitten in der Nacht beinahe erschlagen. Das hätte ihm so passen mögen, damit Paris nur ja verschont bleibt.«


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