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9

Ein roter Teppich lag auf der Koblenzer Landungsbrücke, weißgekleidete Mädchen mit bunten Herbstblumensträußen standen darauf, und als sich der Dampfer nun in die Strömung drehte, verwuchsen die Gestalten mit dem Grund zu einem persischen Muster, das rasch immer kleiner wurde.

Es war kühler über den Wassern als am Ufer; der König fröstelte in einem Soldatenmantel, sein fahles Gesicht war von einem Zucken durchzittert wie eine lockere Gallertmasse, unstet tanzten seine Blicke vor ihm her. Er hatte Hatzfeldt und Bernstorff zur Seite, die gingen im selben Trab neben ihm und sprachen abwechselnd auf ihn ein. Hatzfeldt und Bernstorff litten an demselben Übel, jener in Paris und dieser in London, nur daß es bei jenem Wedell und bei diesem Usedom hieß, die ihnen Manteuffel als außerordentliche Gesandte in die diplomatische Wolle gesetzt hatte. Sie wurden nicht müde, dem König ihre Entrüstung zu bekunden, daß man ihnen solchergestalt einen Text verderbe, wie er bisher gar nicht günstiger für Preußen hätte lauten können. Wenn man Hatzfeldt anhörte, so war es, als ob der Kaiser Napoleon nur seinetwegen es Preußen nicht weiter nachtrage, daß es nicht gegen Rußland die Waffen ergriffen habe.

Und wenn Bernstorff auch nichts Ähnliches aus London berichten konnte, so erzählte er doch die tollsten Schauergeschichten von Usedoms Gattin Olympia, auf die der Spleen sämtlicher Malcolms bis zu den alten schottischen Knierockkönigen hinauf übergegangen zu sein schien, also daß sie sich und ihren Gatten und mit ihm ganz Preußen nahezu unmöglich machte.

»Ja, ja!« sagte der König, »solche Zicken macht er schon immer.« Er, das war Manteuffel, mit dem der König am preußischen Staatsruder in stetem Gezerre lag. Er schwenkte um den Schornstein herum, blieb vor einem großen Menschen im bloßen blauen Rock stehen, packte ihn an einem Knopf. »Bismarck«, sagte er gallig, »daß man Sie auch einmal sieht. Wo stecken Sie?«

»Majestät haben mich erst jetzt befohlen.«

»Wollen sich nicht aufdrängen, was? Haben eine Heidenangst vor dem Aufdrängen. Es ist mir aber lieb, wenn meine Diener trotzdem immer bei der Hand sind, wenn man sie braucht. Braucht! Was wollte ich Ihnen denn sagen …?«

Hatzfeldt und Bernstorff verschwanden lautlos wie der Schatten von der Sonnenuhr. Der Schornstein qualmte schweres Gewölk über das Hinterdeck, Böllerschüsse knallten, der König fuhr ärgerlich nach den Ohren. Dann tanzte der Blick wieder unstet über die Gruppen, die sich in Entfernung hielten. »Wollte ich Ihnen denn sagen …?« sann der König. Das Haar lag ihm dünn und gebleicht an den Schläfen, die Wangen zitterten. »Pourtalès … ja, ja … aber mit seinen dreißigtausend Talern Einkommen, da glaubt er, er kann machen, was er will. Gehorsame Diener brauche ich. Gehorsam!« Er dämpfte die Stimme und wiederholte wie sein eigenes Echo: »Gehorsam!«

Ein Dampfer kam stromaufwärts, dichtgedrängt wuchsen Menschenhecken am Bordrand, dreimal schallte Hurra, die Flagge am Mast ging dreimal auf und nieder. Der König lief dreimal rund um den schwarzen Schornstein, zuckte die Achseln hoch und schlug mit den Händen hinter sich. Plötzlich blieb er vor Bismarck stehen, zog ihn am Rockknopf herab und sagte geheimnisvoll: »Aber ich werde ihm schon eine Bürste ins Bett stecken.« Er kicherte, und seine Blicke flatterten in Bismarcks Gesicht: »Bett stecken.«

Bismarck fand, daß des Königs Nerven durch den steten Ärger mit Manteuffel sehr angegriffen waren, und eine heiße Teilnahme trat aus ihm, inniges Hinströmen von Seelenkraft zu diesem König, der sich in kleinen Kämpfen mit einem Getreuen aufrieb. Und er begann ein paar Worte zu sagen, von Manteuffels richtigem Blick und seiner Geschicklichkeit, Preußen zwischen Österreich und Rußland hinzuleiten, von seiner Konsequenz …

Der König hatte sich stramm gemacht, sah den Sprecher klaren Blickes an, schien wirklich wie unter dem Einfluß eines Arztes sich selbst wiedergegeben. Aber er widersprach dennoch. »Konsequenz? Das sagen Sie? Wissen Sie nicht, daß Konsequenz die elendeste aller politischen Tugenden ist?« Sein Blick verschärfte sich, ging tiefer: »Sie sind auch so ein Frondeur. Haben damals auch nicht nach Wien gehen wollen. Wenn Sie wollten, Bismarck? Aber Sie haben keine dreißigtausend Taler Einkommen und können doch nicht gehorchen. Und dann … auf einmal bekommt Ihre Frau irgendwo in Hinterpommern Husten oder Zahnweh, und Sie reißen mir aus, mitten aus einer Sitzung oder Verhandlung, und wenn Preußen darüber ins Wackeln kommt und der Deutsche Bund zusammenfällt.«

So hatte der König immer noch nicht vergessen, daß man einmal das diplomatische Gedrechsel einer Depesche minder wichtig gefunden hatte als die Gesundheit Johannas und daß man königliche Gnade aufs Spiel setzen konnte, um eine fieberheiße Hand zu umfassen. Aber der große Zorn von damals war gutmütig verbrämt, die königliche Laune glich sich diesem Tag an, der auch immer mehr und mehr ins Sonnige geriet. »Wie viele Kinder haben Sie, Bismarck?« fragte Friedrich Wilhelm. »Drei? … Brav! Na – Sie werden Ihre Frau der Königin und der Prinzessin vorstellen wollen. Die Damen kommen dort aus der Kajüte …« Er winkte ab und wandte sich, und sogleich tauchten Hatzfeld und Bernstorff links und rechts aus dem Hintertreffen hervor und schoben sich dem König an die Seite.

Bismarck holte seine Frau aus der Obhut der Frau von Hatzfeldt, an der Johanna wieder ihr neu aufpoliertes Französisch hatte üben müssen. Die kleine, blankzähnige Französin hatte sie beim Louvre und dem Pantheon und der Notre-Dame-Kirche und allen neunundneunzig Weltwundern von Paris beschworen, doch auch endlich einmal dem Beispiel zu folgen, das der Besuch ihres Gatten in diesem Sommer gegeben hatte. Und Frau Johanna, die mit der leichten und lustigen Pariserin viel in die liebe Sonne hineingelacht hatte, mußte nun rasch die Frankfurter Würde umtun und ernsthaft neben ihrem Mann den königlichen Damen entgegengehen. »Mut!« sagte Bismarck und schloß die plötzlich kalt gewordenen Finger der aufgeregten Novizin in einen zärtlichen Druck.

Die Königin hatte ein leichtes Unwohlsein unter Deck bekämpft; nun kam sie, ein wenig schwerfällig auf ihren gichtischen Beinen, die Treppe hinauf und ließ sich von der Prinzessin stützen und führen. Hofdamen trugen Kissen und Decken nach. Mit enggezogenen Lidern blinzelte die Königin in die Sonne, nieste und sagte klagend: »Es wird ein Schnupfen daraus.«

Und dann hob sie das Augenglas an seinem perlmutternen Stiel und besah die junge Frau im schwarzseidenen Kleide, die da einen so hingebungsvollen Hofknicks vollführte, als stehe man nicht auf den Planken eines Rheindampfers, sondern auf dem spiegelblanken Fußboden eines Ballsaales in Potsdam. »Ach ja!« sagte Elisabeth, »Sie sind Frau von Bismarck, nicht wahr? Die Gattin unseres braven Bismarck in Frankfurt? Ja, ja! Ich freue mich, meine Liebe. Nun, wie gefällt es Ihnen in Frankfurt?«

Ein abermaliges heftiges Niesen erschütterte die Königin und rückte den Schnupfen in so bedrohliche Nähe, daß sie sich, ohne erst die Antwort abzuwarten, an die Hofdamen wandte, um sich mit Kissen und Decken zweckmäßig gegen die Wasserkühle zu verschanzen. Sie fand solche Wasserfahrten wenig erfreulich; unter Deck bekam man Kopfschmerzen von Kohlendunst und Speisengeruch, und oben schickte einem der liebe Gott kalte Winde und Widerwärtigkeiten anderer Art.

Tiefes Glück königlicher Gegenwart und Aufmerksamkeit hatte Johanna durchronnen. Langsam richtete sie sich auf, um eine kleine, vor Seligkeit zitternde Antwort zu geben, da hatte ihr die Königin schon den Rücken gekehrt und wirtschaftete in der Nähe des Maschinenraumes, wo es warm aus dem Bauch des Schiffes aufstieg, an einem Liegestuhl herum. Und Johanna war in einen anderen, kalten Blick eingeschlossen, aus dem ein ganzer Winter von Mißvergnügen herüberwehte. Die Prinzessin von Preußen musterte sie langsam und gründlich, von oben bis unten, und wie dieser Blick über die junge Frau hinschnitt, war ihr, als erfriere ihr Glied um Glied. Wie die Fliege von Bernstein war sie von diesem unverhehlten Mißfallen umgeben, und wenn sich auch an ihr nichts verrückte und verdrückte, alles Bewegen und Flügelschlagen war unmöglich geworden. Und die Prinzessin empfand grausame Genugtuung, daß ihr alter Widersacher, dieser Juchtenlederfanatiker und Wutkianbeter, dieser verkappte Moskowiter und Tatar, dabeistehen und die Folterung mit ansehen mußte. Knüpfte er nicht immer die bösen Knoten in ihre Gespinste, hatte Herr von Schleinitz nicht recht, wenn er vor ihm als dem gefährlichsten Gegner warnte? Und daß man mit diesem Menschen seit jenem gewissen Frühlingstag im Potsdamer Schloß ein Geheimnis gemein hatte, war unerträglich, so unerträglich, daß man diese Großmut zum Bruch fordern mußte.

Die Prinzessin verstärkte den kalten Hohn ihrer Mundwinkel, nickte der Schuldlosen aus entlegener Höhe einen verwischten Gruß zu und ging an ihr vorüber auf Frau von Hatzfeldt und Frau von Bernstorff zu. Heiterste und wortesprudelnde Liebenswürdigkeit umstrickte die Damen, als habe die Prinzessin nicht zwei königlich preußische Gesandtenfrauen, sondern die Stadtgöttinnen von London und Paris in eigener Person angetroffen.

Bismarck sah, wie sich Johannas Hand unbewußt an den unmütterlich jungen Busen hob, wie sie hilflos um sich schaute. Er stand schwer atmend, unter den dichten Brauen lohten die beiden blauen Sankt-Georgs-Flammen, die geballte Faust sehnte sich nach Lindwürmern oder doch mindestens nach Stuhllehnen, die Planken schienen sich unter ihm zu biegen, daß sich die Schiffsenden in die Höhe krümmten. Wie war das mit der alten Unbill, die dem Geschlecht Bismarck angetan worden war, als man ihm wider Recht und Gesetz die Herrschaft Burgstall genommen hatte …? Ausreißen! Ausreißen! Wie oft hatte man auf der Mensur gestanden? Ein Spruch ging quer durch alles: das Wegkraut sollst du stehen lan, hüte dich, sind Stacheln dran …

Eine Glocke schellte im Bauch des Schiffes.

Ein Schatten schob sich zwischen Bismarck und Johanna, der Prinz von Preußen beugte die hohe Offiziersgestalt vor der geknickten Novizin. »Man läutet zur Tafel«, sagte er, »darf ich um die Ehre bitten, Exzellenz zu Tisch führen zu dürfen?« Angstvoll sah Johanna auf, rasch ging ein Blick zu Bismarck, zaghaftes Lächeln dankte dem ritterlichen Prinzen. Dann legte sie den Arm in den seinen und schritt an seiner Seite leicht und anmutig und schmiegsam der Kajüte zu, während das schöne Antlitz Augustas hinter ihnen in maßlosem Erstaunen versteinte. –

An dieser Mittagstafel war Bismarck, der sonst bei Tisch wie Öl und Wein zu sein vermochte, eitel Essig und Pfeffer. Er würzte das Tischgespräch so scharf, daß es den Anwesenden manchmal den Atem verschlug, und es machte Bismarck gar nichts, auch allerhöchste Ansichten so anzurichten, daß sie ganz und gar ungenießbar wurden. Wenn es die Prinzessin darauf abgesehen hatte, Biegen oder Brechen zur Entscheidung zu bringen, so schien Bismarck darin mit ihr eines Sinnes, und es war, als sei ihm gar nichts daran gelegen, wenn es nicht mit dem Biegen ausginge.

In diesem Sommer war Paris wieder einmal als Mittelpunkt der Welt in Flammen gestanden. Die große Industrieausstellung hatte alles angezogen, was Geld besaß und neugierig war, zu sehen, wie man es auf pariserisch loswerden könne. Augusta pries zu Frau von Hatzfeldt in hohen Tönen diese Lebendigkeit Frankreichs und seine Kraft, während eines Krieges ein solches Unternehmen auszubauen und so vollkommen durchzuführen. An ganz Frankreich sei nur eines zu beklagen, und das sei die Unverschämtheit dieses Emporkömmlings Louis Napoleon, dessen Kaisermaskerade einen Fleck auf das glänzende Schild Frankreichs geworfen habe.

Bismarck mischte sich ein, er habe den Kaiser während seines Pariser Aufenthalts kennengelernt, und er müsse sagen, daß er ihn für einen der klügsten und denkfähigsten Souveräne Europas halten müsse.

Ja, es sei viel bemerkt worden, sagte die Prinzessin rasch, daß Herr von Bismarck sich in lange und offenbar gewichtige Unterredungen mit diesem absonderlichen Potentaten eingelassen habe. Daran könne er nun nichts finden, entgegnete der Gesandte, wenn er um des Vorteils seines Landes willen mit einem von Preußen doch seines Wissens anerkannten Souverän in nähere Verbindung getreten sei.

Die Königin machte sich ganz steif: Souverän? Souverän? Woher denn dieser Souverän seine Legitimität bezogen habe? Es gebe ihrer Meinung nach nur Könige und Kaiser von Gottes Gnaden. Alles andere sei schwindelhaft und gegen die Weltordnung.

Aber Bismarck war keineswegs geneigt, die Schärfe seiner Würzen zu lindern. »Irgendwann und irgendwo wurzelt jede Legitimität in der Revolution. In irgendeiner Art von Revolution, das ist in einer Empörung gegen Bestehendes. Das kann eine Empörung im Erdgeschoß oder eine solche in einem oberen Stockwerk des Staatsgebäudes sein. Es gibt keine Regierung, die nicht in der Revolution ihren Anfang genommen hätte. Und Königliche Hoheit dürfen nicht daran zweifeln, daß, wenn es den Demokraten vor einigen Jahren gelungen wäre, etliche Throne hinwegzufegen, die neuen Regierungen von den übriggebliebenen heute durchaus anerkannt wären.«

Immer mehr Lippen an der königlichen Tafel wurden dünn und stumm, immer mehr Augen hoben sich nicht mehr von den Tellern, immer angstvoller flog Johannas Herz, und als die Königin nach einem dreimaligen Niesen mit der Tafel zugleich auch das streitbare Tischgespräch beendete, war allen erheblich wohler zumute.

In Remagen erbat Bismarck vom König die Erlaubnis, nach Frankfurt zurückkehren zu dürfen, da dringende Bundesgeschäfte seine Anwesenheit erforderlich machten. –

Die Kopfpolster des Gasthofbettes, in dem Johanna zur Ruhe gegangen war, wurden in dieser Nacht sehr tränennaß, und Bismarck hatte bis in den jungen Tag hinein zu trösten, daß doch alles nur auf höfische Art zugegangen sei und daß man dieses natürliche Auf und Ab allerhöchster Gunst als ein Naturereignis nicht schwer nehmen dürfe und nicht anders anzusehen habe als den Wechsel von Regen und Sonnenschein unter Gottes Himmel. Durch diesen Hinweis auf das Kapitel der unerforschlichen Ratschlüsse fand Johanna ihr enttäuschtes, königstreues Herz beruhigt und schlief ein wie ein verweintes Kind. Bismarck aber wachte noch länger und überließ sich dem Dunkel des Unbewußtseins erst, als er gewiß war, daß dort, wo er des Prinzen Für und Wider in sich aufzeichnete, mit Gold und Feuer ein unvergeßlicher Dank eingetragen sei.


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