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21

Im Morgengrauen kam Bismarck zurück, stieg die Hintertreppe der Diener und Geheimagenten hinan.

Lauschend stand er im dunkeln Zwischenzimmerchen, das seinen Arbeitstempel vom Wohnraum trennte. Licht zog um den unteren Teil der Wohnraumtür einen feinen Goldsaum, Blätter knisterten.

Da las sie drüben und wartete noch immer auf ihn.

»Ich bin nicht rücksichtslos genug in politischen Dingen«, dachte er, »manchmal packt mich eine Angst, ob ich das Richtige tue. Um wieviel besser haben es die Männer ohne Gewissen. Was zwingt mich, alles hin und her zu überlegen? Man sollte zugreifen, ohne lange zu bedenken. Nur gegen eine bin ich rücksichtslos.«

Er hob die Hand zur Türklinke, ließ sie wieder sinken; noch immer war das heitere Gesicht nicht fertig, das Johanna zu sehen bekommen mußte, wenn ihre Besorgnis um ihn nicht rückwirkend an seiner Kraft zehren sollte. Geräuschlos ging er ins Arbeitszimmer, wo die Moderateurlampe erbärmlich schmauchte.

Er blies sie aus, sah dem schwarzen Rußwölkchen nach, das aus dem Zylinder stieg.

In einem großen Kastanienbaum waren etliche hundert Spatzen erwacht und begannen den Tag mit einem heftigen Morgengezänk. Das hörte sich an, als sei das Parlament plötzlich ins Vogelreich geraten, und als säße dort drüben eine Eule zum Spatzengespött, genau so wie Bismarck oft genug auf der Ministerbank zu sitzen hatte. Ein armer Teufel von Halbnarr hatte auf ihn schießen müssen, um ihm ein paar Herzen zu gewinnen. Aber es gab genug andere, die Gottes Finger nicht erkannt hatten und auch an dieses Begebnis ihren blutigen Hohn anschmierten. In vielen Läden der Stadt konnte man das Blatt eines giftigen Witzbolds sehen, der es darzustellen unternommen hatte, wie der Student Cohen-Blind auf den Grafen Bismarck schießt. Aus eigener infernalischer Phantasie aber war der Teufel hinzugefügt, ein richtiger Höllenabgrundsteufel mit Hörnern und Schweif, wie er die Revolverhand des Attentäters wegschlägt mit den Worten: »Halt, der gehört mir!«

So war also das Gotteswunder in ein Satanswunder verkehrt, und wenn dies nicht die Meinung vieler gewesen wäre – trotz aller brausenden Huldigungen großer Volksmengen –, so hätte man nicht diesem lästerlichen Bildchen überall begegnen können. Bismarck hatte sonst alle Feindseligkeiten des Stiftes und der Feder mit ziemlichem Gleichmut zu nehmen gewußt, diesmal aber war nicht er verunglimpft, sondern Gottes sichtbarliche Hilfe.

Die Spatzen entflogen dem Kastanienbaum mit schrillem Gezeter, schwirrten über Wipfel hin ins Morgenrot. Es war nun nach all dem Lärm so still, daß Bismarck zu hören glaubte, wie die Gedanken sich regten, zueinander neigten und sich leise umschlangen.

Und auf einmal trat, wie aus einem Tor, ein ganz strahlender und lichter Gedanke hervor und sprach deutlich an Bismarcks Lebenswurzel: Gottes Werkzeug … Gottes auserwähltes Rüstzeug! Und da war es klar, daß sich alle Gedanken nur deshalb versammelt hatten, um diesen einen anzustaunen und ihm zu huldigen, und auch die dunkelsten und mißtrauischsten konnten sich davon nicht ausnehmen und mußten den anderen nachflüstern: Gottes auserwähltes Rüstzeug … bis sich eine linde und goldbeflügelte Melodie daraus zu bilden begann.

Denn, so sang diese Melodie, hat Gottes Finger nicht auf dich gewiesen, hat seine Hand dich nicht bewahrt? Warum willst du kleinmütig sein, da er dich erhoben hat und erwählt zu seinem Rüstzeug? Wie kannst du in die Irre gehen, wenn du gezeichnet bist als sein Schwertträger und Vollzieher seines Willens? Freue dich, alle Zweifel sind gelöst, du weißt deine Wege, du gehst durch Tod und Wüstenei zum Segen deinem Volke, denn Er ist mit dir.

Ein leises Klingen ließ Bismarck ins Zimmer zurückschauen.

Da hatte sich, ganz von selbst, der Schläger von der Wand gelöst und ließ, während der rot-blau-goldene Korb noch auf dem Haken ruhte, die Klinge mit leisem Scharren pendeln. Er mußte im nächsten Augenblick ganz zu Boden klirren; Bismarck sprang an, und da fiel ihm auch schon die Waffe in die Hand, mit dem Griff eben in die zufassende Faust.

Lächelnd sann er auf den hochgewölbten Korb herab, ließ die Klinge pfeifen: »Ja, ja … so ist es«, flüsterte er, »so ist es.«

Plötzlich stand Johanna auf der Schwelle des Arbeitszimmers, mit ihren traurigsten Augen und Kummerfalten um den müden Mund. Sie hatte es gewagt, den Gatten von der Arbeit endlich ins Bett zu holen; nun stand er da, wog das greuliche Schlachtschwert in der Hand und war anzusehen, als wäre er vom Major wieder zum Fuchsmajor geworden.

»Was machst du da?« staunte sie ihm entgegen.

»Ja, mein Liebes …«, sagte er lustig lehrhaft, »siehst du, es gibt zwei Arten von Mensuren. Bei der einen, da haßt man einander, es steckt irgendeine Mädelgeschichte dahinter, oder persönliche Abneigung oder ein wüstes Wort, und da hackt man aufeinander los, als wolle man Menschheit und Weltall entzweispalten, und es ist ein großer Zorn dabei bis zum letzten Gang. Bei der anderen aber, die nennt man Bestimmungsmensur, und die heißt so, weil … man sie sich nicht selbst bestimmt hat, sondern … weil sie einem bestimmt … worden ist. Und es ist auch nicht etwa wegen eines großen Zornes und einer erbitterten Feindschaft, sondern es handelt sich etwa darum, daß zwei gleich starke und gleich angesehene Verbindungen um den Vorrang kämpfen, und weil man endlich wissen möchte, wer unter den Studenten Führung und Oberhand haben soll. Man schlägt sich … aber ohne Groll … und es kommt aufs bessere Fechten an.«

Sie verstand den Gatten nicht ganz, den eine durchwachte Nacht auf Gott weiß welchen Umwegen nach Göttingen geführt hatte, um ihr im Morgengrauen von blutigem Unwesen zu erzählen. »Du mußt jetzt schlafen gehen«, sagte sie mit ruhigem Nachdruck, »deine Kraft muß ausreichen …«

»Ja! ja!« sagte er gefügig, stellte den Schläger neben den Bücherschrank und lachte Johanna ins Gesicht: »Guten Morgen.«

Sein Glück war ihr Glück, seine Lustigkeit rann belebend in sie, machte sie selbst lustig und morgenfrisch: »Du hast gute Nachrichten?« fragte sie.

»Ja! Von allerhöchster Stelle! Wir werden siegen! Mit Hilfe Gottes – und mit dem Zündnadelgewehr.«


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