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Die Wassergottheiten des Parkes von Fontainebleau konnten an diesem Sommer des Jahres 1662 ihre Freude haben.
Es war, als hätten bei der Entscheidung über das Wetter gar nicht die Schwalben, Lerchen und Schmetterlinge, sondern einzig und allein die Frösche, Regenwürmer und Schnecken mitzureden gehabt; fast unaufhörlich sprühte den Neptunen, Amphitriten, Najaden und Tritonen der Brunnen und Wasserbecken ein feiner, kalter Regen über die steinernen Schultern. Grüne Moosbüschel wuchsen ihnen unter den Achseln, im Schoß und in den Gewandfalten, überall wo eine Biegung und Höhlung war. Im Wasser wucherten die langfädigen Algen; das Grün des Rasens und der Büsche war so tief, als gebe es keine Sonne, die in Halme und Blätter ein wenig Gold zaubern könnte; wo Zweige nahe dem Boden hingestreckt waren, da ging das Grün ins Schwarze, und unter den großen, breitgewipfelten Buchen roch es nach Moder.
Man fror in Paris. Und man fror um so mehr, als es zu den französischen Glaubensartikeln gehörte, daß man nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Natur unter einem besonders milden Himmel wohne, in dem die Heiligen und sämtliche Engelscharen, die kriegerischen und die friedfertigen, nichts Wichtigeres zu tun hätten, als ihr Augenmerk auf das Wohlergehen Frankreichs zu richten. Man war also gar nicht darauf eingerichtet, einem solchen Frosch- und Regenwurmsommer zu begegnen, man trug Leinenhosen, weil es Juni war, und man dachte nicht daran, einzuheizen, weil die französische Phantasie nicht zugeben wollte, daß man in der französischen Wirklichkeit mit den Zähnen klappere.
An diesem Juniabend hatte die Sonne den Regenmantel der Welt im Westen ein wenig zerschlitzt, gerade so viel, daß sie durch den schmalen Spalt ein paar Handvoll Strahlen gegen die Glaswände des Schlosses Fontainebleau werfen konnte. Das war, als wolle die Sonne eben justament zeigen, wie schön es sein könne, wenn sie die Oberhand habe; wie von einem Wasserfall von Gold, Feuer und glühendem Glas stoben Funken bis weit in den Park hinein, zwischen die Buchsbaumhecken und unter die Buchen.
Selbstverständlich aber hatte es dabei zu regnen keineswegs aufgehört, und die beiden Herren, die, in ihre Mäntel geknöpft, auf einsamen Parkwegen gingen, hielten bedachtsame Schirme über ihren Zylinderhüten.
»Sie sind also mit Ihrer Ernennung zufrieden?« fragte der kleinere der beiden Spaziergänger, der ein nicht unbeträchtliches Bäuchlein auf kurzen Beinen zu tragen hatte.
»Sie wissen, ich liebe Paris, Majestät«, sagte der zweite, dessen Regenschirm den des Mitwandelnden um ein gutes Stück überragte. Hüstelnd zog er das dicke Tuch, mit dem der aufgestellte Kragen seines Mantels umwunden war, enger zu. »Es ist ja nicht immer so unangenehm wie diesen Sommer.«
Louis Napoleon lächelte unter seinem Schirm. »Hinge es von uns Franzosen ab, wir würden auch das Wetter ändern, um es so lieben Gästen wie Sie, mein Herr, recht behaglich zu machen.«
Es war seltsam; wenn man unter seinem Schirm ging, so hatte man das Gefühl, ein wenig mehr von seiner Persönlichkeit behaupten zu können, gegen alle Umwelt besser abgeschlossen zu sein und wie unter eigenem Dach mehr sagen zu können als unter einem fremden. »Die Liebenswürdigkeit der Franzosen hat ihnen die Welt erobert«, sagte Bismarck. »Was aber das Wetter anlangt, so müssen sie sich damit begnügen, Donner und Blitz, Regen und Sonnenschein bloß auf den politischen Gefilden zu machen.«
Der Kaiser blieb stehen und lachte Befriedigung. Er hatte die Gewohnheit, seine Spaziergänge durch kleine Stehpausen zu unterbrechen und dabei seine Hände nach der Art seines Onkels auf den Rücken zu legen. Da der Schirm aber wenigstens von einer Hand getragen sein wollte, konnte er nur den linken Arm nach hinten bringen. Aber auf dem Rücken des Mantels war es naß, und so zog er den Arm wieder vor und grub die Hand in die Tasche. »Das ist wohl die Ansicht Ihres Königs über mich?« fragte er, indem er unter das überragende Schirmdach sah.
»Die Ansicht des Königs Wilhelm kenne ich nicht so genau«, antwortete Bismarck, »aber mein verstorbener König mag so ähnlich gedacht haben.«
»Ich weiß, ich weiß«, nickte der Kaiser, »man hat mich allgemein lange Zeit für den leibhaftigen Gottseibeiuns gehalten.« Er schien mit einigem Gefallen bei dieser Vorstellung zu verweilen. »Man hat gemeint, ich habe meine Hände überall, meine Fäden in jedem Gespinst, und ich stehe hinter jeder geheimen Kabinettstür. Man hat in der ganzen Welt die politischen Kinder mit mir geschreckt. Und selbst sehr ausgewachsene Diplomaten scheinen geglaubt zu haben, sie brauchten mich nur um Mitternacht mit den richtigen Worten und Räucherwolken zu beschwören, und ich steige mit Pech- und Schwefelgeruch aus der Erde.« Das runde Bäuchlein schwang sich in Lachen.
Das kurze Sonnenschauspiel im Westen war zu Ende, der Mantelschlitz hatte sich geschlossen, Dunkelheit und Regen bemächtigten sich mit verdoppelter Gewalt des Parkes. Ganz nahe, vor einer fast schwarzen Hecke wand sich eine Nymphe in der Umarmung eines Fauns, und aus alledem, diesem dunkeln Geriesel, diesen sich in Nacht hüllenden Bäumen, diesen erstarrten Sandsteingöttern, stieg ein feiner, trauriger Hauch morscher Schönheit auf.
Der Kaiser nahm die Wanderung wieder auf. »Sie wissen es besser, mein Lieber!« Ja – Bismarck wußte mehr von Napoleon als andere. Es gab etwas, das diesen beiden Männern ganz allein gehörte, etwas, das sie seit Jahren verband, und Bismarck dachte daran, wie es von Vorteil wäre, sich Männer durch Schweigen zu verpflichten, und wie gefährlich es sei, mit Frauen ein Geheimnis zu teilen. Männer vermöchten an Schweigen zu glauben, Frauen fürchteten immer, man könne eines Tages zu sprechen beginnen.
Sie gingen eine Weile stumm um ein großes Brunnenrund. Undeutlich sah man die Gebärden einer ganzen Schar von mitten in einer aufregenden Szene erstarrten Wassergottheiten.
»Ich freue mich, daß ich Sie hier habe, lieber Freund«, begann der Kaiser wieder, »Hatzfeldt war nicht unangenehm, er hatte Beziehungen und versah sein Amt mit Geschick, aber bedeutend war er nicht. Sie sind anders, Sie sind gefährlicher, Sie sind sehr gefährlich, denn Sie sagen die Wahrheit. Aber das liebe ich, dann spiele auch ich mit offenen Karten, und darum freue ich mich auf das Spiel, das wir miteinander mischen können. Aber ich frage mich, lieber Freund, ich frage mich, warum Sie noch immer nicht Ministerpräsident in Preußen sind.«
Die feine Traurigkeit dieses verregneten Parkes lag auf Bismarcks Seele, und die versteinerte Aufregung des Wasservolkes im Brunnenbecken, das mit allem Schwung und aller Leidenschaft regungslos in die Nacht gebannt war, erschien ihm wie ein Sinnbild alles vergeblichen Mühens auf der Welt überhaupt. Er wog die Worte: »Der König hat wohl bessere Männer als mich. Und ich habe nichts dagegen, einige Jahre in Paris zu bleiben, um reifer zu werden. Hier kann man immer noch lernen. Und ich bin nicht mehr so gesund wie früher. Früher hätte ich Bäume ausreißen mögen, meine Frau freute sich über meine Bärengesundheit, jetzt bin ich ein wenig abgespannt und matt, ich bin dem Charon gerade noch so aus dem Kahn geschlüpft. Und um in Berlin auf der Ministerbank zu sitzen, muß man stärkere Nerven haben, als ich zur Verfügung stellen kann.«
Der niedrige Schirm schwankte rascher neben Bismarck her. Plötzlich hielt der Kaiser wieder mit einem Ruck an. »Es ist schmeichelhaft, daß Sie glauben, bei mir noch reifer werden zu können, denn Sie sind der einzige Diplomat in Europa, den ich bewundere. Und Sie sind auch der einzige, den man anderswo – Sie wissen wo – ernstlich fürchtet. Warum soll ich es verhehlen: man ist in Wien über Ihre Ernennung geradezu entsetzt gewesen. Und man bietet mir nicht bloß einen Finger, sondern gleich beide Hände. Aber ich möchte mich lieber an Sie halten als an Wien.«
Nachtvögel flatterten im Gebüsch, weit hinten im Park ging ein klägliches Wimmern an, irgendein Tier, dem der Schrecken an das Leben gefahren war. Sie gingen weiter, näherten sich einem Plätschern, einem Wasserstrahl, der aus dem Schoß der Nacht zu kommen schien, furchtlos und unsichtbar unter dem schwer verhüllten Himmel aufstieg und wieder ins Wesenlose zurücksank.
»Metternich hat von Wien Instruktionen bekommen, die ihm Vollmacht geben, auf alles einzugehen, einfach auf alles. Ihnen kann ich es sagen, Sie wissen zu schweigen. Aber ich halte mich an Sie, ich hätte nichts dagegen, Sie in Preußen an Hohenlohes Stelle zu sehen.«
»Majestät werden wohl vergebens darauf warten.«
»Sie können sich denken, daß ich über alles in Berlin gut unterrichtet bin«, sagte der Kaiser, und sein Ton war scharf und stramm, als presse er seine Gedanken eng ins Wort. »Ihr Kriegsminister Roon tut alles, um Sie ans Ruder zu bringen, und man ist an Allerhöchster Stelle nicht abgeneigt, aber kann sich doch nicht entschließen, weil mancherlei Einflüsse und Bedenken entgegenwirken. Hohenlohe ist kein Ministerpräsident für Preußen, dort fehlt eine starke Hand wie die Ihre, gerade jetzt, wo es um die Heeresorganisation geht.«
»Ja, ich weiß, ich habe daheim bei den Liberalen den Ruf, so etwas wie ein politischer Attila zu sein. Wo ich hintrete, wächst kein liberales Gras mehr. Aber ich glaube, die Konservativen trauen mir auch nicht so ganz.«
Massig ins Dunkel gepfropft, aus einer dichteren Finsternis gebacken als der der Nacht, dehnte sich vor ihnen die Gartenseite des Schlosses. Sie gingen zwischen Blumenbeeten hin, auf weiß schimmernden Wegen, die um struppige Klumpen einer süß duftenden Schwärze gewunden waren wie breite Bänder, die sie zusammenhielten. Was da an Farben ins Licht brennen mochte, war nicht zu sehen, nur zu ahnen nach der Schönheit der zitternden Seelen, die sich da unter dem leisen Geriesel des Regens ans Unbekannte restlos hingaben. Der Kaiser blieb bei einer Marmorbank stehen, die in eine Taxusnische gebannt war, daß man an den bleichen Leib der Prinzessin in der Drachenhöhle denken mochte.
»Ich frage Sie, mein Herr, muß der Preuße immer ein Gegner Frankreichs sein?«
Bismarck sah den kleinen Mann unter dem Schirmdach neben sich, diesen behäbigen Bürger, der den zerbrochenen Kronreifen Frankreichs neu geschmiedet hatte. Welch glückliches Land das war, dessen Größe darin bestand, daß es alle Französisch sprechenden und fühlenden Menschen in sich vereinigte, und daß es immer, wie auch der Streit der Parteien gehen mochte, nach außen einen Willen hatte, den es der Welt aufzwang. Das war seine Spannkraft, das war seine Jugend, trotz der Runzeln in seinem Gesicht, trotz der welken Haut und der Mattigkeit seines Lächelns. Es gab in Deutschland keine Schlösser, die so wehmütig und traurig hätten sein können wie etwa dieses verwunschene Fontainebleau in seinem dunkeln Park. Und voll warmer Achtung sah er auf diesen kleinen, ruhigen Mann, der einem Kaufmann oder Bankdirektor glich und der, obzwar er nichts von einem Helden an sich trug, alle langsamer schleichenden Säfte neu belebt und Eisen in die Adern seines Landes gegossen hatte. Wer vermochte Deutschland so zu beleben? Wo waren die alten Studententräume und Ideale mit den Erzengelflügeln, die Wartburgfeste? Da ging der königlich preußische Gesandte neben dem Kaiser der Franzosen und fraß leisen Neid in sich hinein, nicht Neid auf die Krone und deren Glanz, aber Neid auf die Tat der Verjüngung. Und zu tief verwandt fühlte er sich ihm, brüderlich verwandt, ausersehen zu gleichen Taten, nur daß jenem die Freiheit des Schaffens gegeben war und ihm die Hände gebunden blieben.
Vergebens hatte der Kaiser auf Bismarcks Antwort gewartet. »Wo besteht ein naturnotwendiger Gegensatz zwischen uns und Preußen?« fuhr er drängender fort. »Warum sollen wir uns nicht vereinigen können? Warum wollen Sie Ihre Interessen Ihren Gefühlen opfern, wo doch diese Gefühle ausgebeutet werden; darüber brauche ich Ihnen nichts zu sagen. Wenn Sie die Heeresorganisation durchgeführt haben werden – und Sie werden sie durchführen, da wird den Liberalen kein Sträuben nützen –, so wird Preußen eine der stärksten Armeen Europas haben. Sehen Sie, ich trage es Preußen nicht nach, daß es im Krimkrieg nicht an meine Seite getreten ist. Ich mache Ihnen nicht einmal einen Vorwurf daraus, daß Sie vor drei Jahren Ihre Armee Österreich zu Gefallen gegen mich mobil gemacht haben und daß wir wohl die Waffen hätten kreuzen müssen, wenn Österreich nicht rasch mit mir Frieden gemacht hätte, weil es den für sein eigenes Heil aufgepflanzten preußischen Bajonetten nicht recht getraut hat.« Die kaiserliche Beredsamkeit floß wie ein Sturzbach; Bismarck verstand, daß es Leute gab, die sich von ihr betäubt und hinweggespült fühlten. »Aber muß das in alle Zukunft so sein? Warum sollen wir nicht Vertrauen zueinander fassen. Sie erinnern sich an das, was ich Ihnen schon vor fünf Jahren sagte. Ich habe Ihnen Anerbietungen gemacht, wenn Preußen neutral bleiben wollte, falls es zwischen uns und Österreich wegen Italiens zu einem Krieg käme. Sie haben mir damals abgewinkt und mir zu verstehen gegeben, ich hätte mich zu weit vorgewagt, und da Sie aus einer Unvorsichtigkeit keinen Nutzen ziehen wollten, haben Sie gegen jedermann geschwiegen, auch gegen Ihren König. Das vergesse ich Ihnen nicht, und Sie haben recht gehabt; es war damals zu früh; die Kriegsgefahr mit Österreich stand zu unmittelbar vor uns, als daß Sie hätten Ihrem Freund untreu werden dürfen. Jetzt liegen die Dinge anders. Ich sehe keine Kriegsnotwendigkeit mit Österreich. Warum sollen wir keine Allianz schließen, ohne Spitze gegen Österreich, als Grundlage freundschaftlichen Verhaltens in allen Angelegenheiten Europas?«
Der Kaiser atmete tief und laut; es war zu merken, daß ihn die neuen Bilder erregt hatten, die ihm vielleicht erst während des Sprechens aufgegangen waren.
»Majestät«, sagte Bismarck langsam, »es ist wahr, daß wir in Preußen viele Vorurteile von uns getan haben, die unseren Blick bezüglich Frankreichs getrübt haben. Wir sehen in Frankreich nicht mehr den Feind schlechthin …«
Bismarck fühlte seinen Arm erfaßt und wurde einen Schritt zurückgerissen.
»Da …, da …«, stieß der Kaiser hervor. Angst saß in seiner Stimme, Bismarck wurde von ihr wie von einem dunkeln Wirbel ergriffen.
»Was denn? Was denn?«
»Er schreibt wieder in seinem Zimmer!«
In der finster gepreßten Fensterreihe des Schlosses war ein einsames Licht entbrannt.
»Wer schreibt?«
»Es ist das Zimmer«, flüsterte Napoleon, »es ist das Zimmer, in dem der Kaiser damals seine Abdankung unterschrieben hat.«
»Und was bedeutet das?«
»Ich weiß nicht«, zögerte Napoleon, »ich weiß nicht … die Leute im Schloß reden allerlei.«
Der lange Preußenjunker nahm den Franzosenkaiser ganz gegen alle höfisch zulässigen Formen unter dem Arm. »Wir wollen ihm doch dabei zusehen!« sagte er. Und er zog den kleinen Mann mit sich fort, über Wege zuerst und dann, als man auf diesen nicht ganz an das Schloß herankam, mitten durch Beete, die ihnen mit nassen Blumenbüscheln an die Beine schlugen. »Wir haben in Deutschland eine Menge Schloßgespenster«, sagte Bismarck, »ich habe in vielen gotischen Zimmern geschlafen, in denen sonst nur die weißen Frauen wohnen. Aber ich habe noch keine persönlichen Bekanntschaften schließen können. Sie weichen einem ehemaligen Deichmeister aus.«
Er schlich mit Jägervorsicht weiter, ließ den schwer an seinen Arm Gehängten nicht aus. Bisweilen schwand der Lichtschimmer vor ihnen, dann blinkte er wieder auf. Jetzt schlugen sie nasse Jasminranken zurück, traten hinaus – leer und dunkel lag die Front des Schlosses nach links und rechts in die Finsternis gedehnt.
»Dort drüben!« sagte Bismarck und wies auf ein Häuschen, das mit zwei erleuchteten Fenstern unter einer Wand schwarzen Gebüsches unweit stand.
»Mein Gott, es ist wahr«, seufzte der Kaiser erleichtert, »es war der Widerschein aus der Wohnung der Gärtnergehilfen.«
Bismarck hatte dem Geführten den Arm zurückgegeben; der Abstand, den diese Regennacht für eine kurze Zeit hinweggewischt hatte, lag wieder zwischen dem Kaiser und dem Gesandten.
»Kommen Sie, die Kaiserin wartet auf uns!« sagte Napoleon. Sie gingen einen gepflasterten Pfad um das Gärtnerhäuschen herum, lenkten in den Hauptweg, durchschritten die hallenden Bogen eines hohen Tores, in dem Herkules dastand, auf seine Keule gestützt, und Diana mit einer Meute von Hunden. Da war der Innenhof, Licht rann von allen Fenstern in ihn herab, Diener sprangen vor, die Wache trat rasselnd unters Gewehr.
Sie schritten die breite Treppe empor, von der ihnen ein roter Teppich entgegenfloß.
»Denken Sie über das nach«, sagte der Kaiser, »was ich Ihnen gesagt habe. Es lohnt vielleicht der Mühe.« Hohe Flügeltüren wichen vor ihnen, von den Decken hingen Tropfsteingebilde aus Licht, eine Frau trat lächelnd auf sie zu.
Bismarck neigte sich vor der schönsten Frau Europas. –
Ein paar Stunden danach stieg Bismarck die steile Treppe der Pariser Gesandtenwohnung empor, diese Treppe, die gewunden und unbequem war wie ein Aufstieg zu besonderer Seligkeit. Aber es erwartete den glücklichen Überwinder gar keine Seligkeit irgendwelcher Art, sondern Einsamkeit, Kälte und übler Geruch. In den Wänden saß der Schwamm, und die französische Kultur, die sonst allerlei Kleinigkeiten des täglichen Lebens mit großem Eifer nachzusinnen pflegte, hatte gerade jene Bequemlichkeiten nicht sehr liebevoll bedacht, die das Unvermeidliche durch den Reiz der Sauberkeit erträglich machen können.
Bismarck durchschritt einige kleine Räume und trat ins Schlafzimmer, ohne die unsichtbare Dienerschaft herbeizurufen. Auf dem Nachttisch lag ein Brief, Roons frauenhaft zierliche Züge versprachen Nachrichten aus Berlin. Der Umschlag flog zerfetzt unter das Bett, Bismarcks Augen rissen die Zeilen an sich. Nichts! Nichts! Versprechungen, Vertröstungen, Umschweife, Wollen und Nichtkönnen, Hohenlohe und Bernstorff und Schleinitz, und Tod und Teufel und sechstausend Manichäer …!
Bismarck sank ins Himmelbett. Das war das einzige Geräumige im ganzen Haus und hätte für sechs preußische Gesandte von Bismarcks Güte nebeneinander Platz gehabt. Bismarck löschte das Licht, zog den Vorhang vor seine Gedanken und war im Augenblick der Heeresorganisation der liberalen Kammermehrheit und selbst Seiner Majestät dem König entrückt.