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6

Im Garten des Taxisschen Palais tropfte der Schnee von den Büschen. Eine ganz unzeitgemäße, verwunderliche Vorfrühlingswärme löste weiche Klumpen aus den Ästen und warf sie in die weiß verhüllten Beete. An den Rändern der geneigten Dachtraufen rannen die Tropfen rasch hintereinander her, als wollten sie einander fangen, und dann liefen sie einen kleinen Eiszapfen entlang und plumpsten von feiner Spitze in das Wasserfaß, das sie in seiner schwarzen Höhlung aufnahm.

Diesem unzeitgemäßen Frühlingsgegaukel widersprach der mächtige grüne Kachelofen im Gartensaal des Palastes. Er stand wuchtig im Raum, wie ein Stück Vergangenheit, das nicht umzubringen ist, und spie Wärme in die Bundessitzung. Von den Seitenteilen, die mit weitausladenden Rollen und mit hochaufgebäumten Schnörkeln verziert waren, sahen, in ovale Rahmen gefaßt, die allegorischen Gestalten der Stärke, Mäßigkeit und Tapferkeit nach dem grünen Tisch. Nur die Weisheit hatte einen schlechten Platz, denn sie war auf der vierten Seite des Ofens angebracht und hielt ihren Spiegel fruchtlos der Wand entgegen. Im übrigen waren alle Damen außerordentlich von innen heraus erhitzt, so daß es aussah, als schürzten sie nur deshalb ihre Gewänder so hoch, damit sie einen kühlen Wind auffangen könnten. Und die Bande von Putten, die sich unter ihnen mit Blumen- und Fruchtgewinden um den Ofen tummelte, hätte, wenn sie nicht von Natur aus grün gewesen wäre, die schönsten knallroten Bäckchen haben müssen.

An dem ungeheuren kreisrunden Tisch, an dem die Geschicke des Bundes beraten wurden, hatte man soeben die Debatte über eine Revision der Geschäftsordnung beendet, die von Preußen angeregt worden war. Und wie jeder grüne Tonengel am Ofen und jede der tanzenden Horen des verführerisch verschlungenen Wandfrieses hätte voraussagen können, war es nicht für nötig befunden worden, an den bisher bestehenden Gebräuchen und Ordnungen das geringste zu ändern. Im Gegenteil: man hatte, da man bei dieser Gelegenheit wegen der Zweifel eines umstürzlerischen Neulings das ganze Gebäude vom Grunde bis unter das Dach wieder einmal genauer in Augenschein genommen hatte, sich davon überzeugen können, daß es nichts Vollkommeneres gebe und daß alles so seinen Bestand behalten müsse. Es war alles so künstlich eingerichtet, daß kein Stein hätte herausgenommen werden dürfen, ohne das Ganze ins Wanken zu bringen. Es war ein Labyrinth, aber ein höchst vergnügliches Labyrinth, und das war eben die Hauptsache, daß sich nur der darin zurechtfand, der politischen Verstand, Einsicht und Erfahrung hatte.

Man hatte eine Pause gemacht, die Herren hatten sich erhoben, standen in Gruppen. Der Gesandte für Braunschweig und Nassau, Baron Dungern, lehnte den Rücken an die grünglasierten Gewandfalten der Stärke, nahm die Wärme in seinen Körper auf und sagte: »Er ist ganz blau und gelb vor Galle.« Nostitz sah vorsichtig nach Bismarck hinüber, der mit Bothmer und Oertzen am Tische sitzengeblieben war: »Ich vergönne es ihm. Bis heute ist es noch immer so gegangen, auf einmal soll es nicht mehr gehen.« »Man darf die wohlerworbenen Rechte Österreichs nicht verletzen«, sagte der Darmstädter Münch, »und darauf läuft's doch hinaus. Wie hat er gesagt? Der Bund gleiche in seinem heutigen Bestand einer Präfektur mit dem österreichischen Gesandten als Präfekten, aber nicht einem Kollegium gleichberechtigter Gesandter. Ja … wenn wir uns das gefallen lassen wollen, unsere Souveräne, meine ich … so braucht Preußen keine Extrawurst zu haben.« In des Baron Dungern politischer Brust lebten zwei Seelen, eine preußische, die ihre Eingebungen von seinem Minister Wintzingerode empfing, und eine österreichische, die auf die schwarzgelbe Partei seines Hofes und die hübsche, junge Herzogin Adelheid hörte. Und da er selbst für seine Person den Preußen und vor allem diesem junkerlichen Goliath von Gesandten nicht günstig gesinnt war, gehorchte er zumeist und in entscheidenden Augenblicken eher dem schwarzgelben als dem schwarzweißen Geflüster. Er rettete sich vor inneren Verdrießlichkeiten, indem er zuweilen, wo es nicht schadete, auch die Abteilung Wintzingerode zu Worte kommen ließ, und die schien eben obenauf, als er sagte: »Man kann doch nicht gut von wohlerworbenen Rechten sprechen. Es ist doch eben auch viel Usus darunter, kleine Übergriffe des Präsidiums, die man geduldet hat und die sich dann eingebürgert haben.«

Herr von Münch zuckte die Achsel, und Herr von Nostiz, der Gesandte Sachsens, schnaufte bedauernd durch die Nase. Die Göttin der Stärke aber hielt die abgebrochene Säule, die sie als Sinnbild der Kraft in den Armen trug, schwebend gerade über des Barons Dungern rosige Glatze. Es sah so aus, als sei diese Säule ein großes Petschaft und als beabsichtige sie, im nächsten Augenblick dieser glatten Wölbung zur Anerkennung für die bewiesene Standhaftigkeit einen großen Stempel aufzudrücken.

Graf Thun, der am Nordpol der kreisrunden grünen Tischscheibe in Papieren gekramt hatte, die ihm Brenner und Nell von links und rechts zugeschoben, hob den Kopf, ließ seine Augen durch den Raum laufen und schellte dann mit einer kleinen silbernen Glocke. Die Herren nahmen unter Scharren und Husten ihre Plätze ein, Graf Thun erhob sich und lächelte die Versammlung an. Er habe die Ehre, begann er, den geschätzten Herren auch als nächsten Programmpunkt einen Antrag Preußens – er verneigte sich liebenswürdig gegen Herrn von Bismarck – vorzulegen, betreffend endliche Beschlußfassung in Angelegenheiten der Bundesflotte, und er überlasse es dem Herrn preußischen Gesandten, seinen Antrag eingehend zu begründen.

Bismarck legte einen gelben Bleistift fort, den er bis dahin in den Fingern gedreht hatte, und sagte mit einer etwas hohen Stimme, die Sache sei schon so oft im Bund zur Sprache gewesen, daß er sich darauf beschränken könne, sie kurz zusammenzufassen.

Der Kurhesse Trott winkte Bismarck heftig zu; er litt unter der Hitze des übermäßig erwärmten Raumes und war sehr für kurzes Zusammenfassen.

Bundeseigentum oder nicht Bundeseigentum an der Flotte sei die Frage. Niemand werde bestreiten, daß Preußen gewisse Ansprüche an die Flotte zu erheben berechtigt sei, und es sei verständlich, daß es diese endlich realisiert sehen möchte. Da, soweit Bismarck die Lage zu überblicken vermöge, wegen der Kosten wenig Geneigtheit bestehe, die Frage im Sinne des Bundeseigentums zu entscheiden, so möge man sich auf einen Modus einigen, durch den Preußens Ansprüche verwirklicht werden könnten.

Graf Thun hatte dem Sprecher mit geneigtem Kopf äußerst aufmerksam zugehört und wiederholt wohlwollend genickt. Sein frisches, kühnes Aristokratengesicht war gespannt, Jägerleidenschaft hielt die Züge straff. Er sah sogleich die leise Regung des Württembergers Reinhard und bat ihn, zu sprechen. »Meiner Regierung«, sagte der Gesandte ein wenig zögernd, weil er noch gar nicht hatte sprechen wollen und nun sozusagen ins Leere und Ungewisse redete, »liegt nichts mehr am Herzen, als dem Bund eine starke Flotte erhalten zu sehen. Ob dieses Ziel besser durch das Bundeseigentum an der Flotte oder durch eine Naturalteilung der Schiffe erreicht wird, ist zu entscheiden, und meine Regierung wird das annehmen, was der Bund für zuträglicher hält.«

Bismarck sah den Sprecher ungehalten an; da hatte einer der Getreuen vorschnell sein Pulver verschossen, und es war ohne Wirkung verpufft.

Der bayrische Gesandte Schrenck-Notzing reckte die Hand. Er sog die Brust voll Luft und begann, indem er die Finger erklärend spreizte: »Bayern steht auf dem Standpunkt, daß die Flotte als Bundeseigentum, aber nicht als organische Einrichtung anzuerkennen ist. Nicht als organische Einrichtung, wohl verstanden.« Er machte seine schlauesten Augen, und es war ihm anzumerken, daß diese subtile Unterscheidung sehr nach seinem professorischen Geschmack war. »Aus dem Eigentum aber folgt noch nicht die Verpflichtung, die Matrikularbeiträge zu entrichten, die behufs Anschaffung der Flotte ausgeschrieben wurden.« Er sah sich im Kreise um, und ein heftiges Gewoge beifälligen Nickens ging durch das Rund der diplomatischen Köpfe. »Im übrigen«, brachte er seine Instruktionen zu Ende, »ist meine Regierung der Ansicht, daß die Verhältnisse der einzelnen Bundesstaaten zueinander bezüglich der Flotte nicht durch Majoritätsbeschlüsse geregelt werden können.« Er war zu Ende, und die Luft stürzte sich wieder wirbelnd in seine Lungen.

»Die Ansicht der königlich bayrischen Regierung läßt sich hören«, nahm Bismarck rasch das Wort, »trotz der etwas kitzlichen Auslegung des Begriffes Eigentum, eines Eigentums, das bei Ablehnung der Matrikularbeiträge doch auf keinem Rechtstitel beruhen würde. Insonderheit ist die königlich preußische Regierung mit der königlich bayrischen bezüglich der Majoritätsbeschlüsse des Bundes eines Sinnes. Daraus folgt, daß diese Verhältnisse doch nur durch Vereinbarungen der einzelnen Bundesstaaten untereinander geregelt werden könnten. Und in diesem Belange sind den meisten Bundesstaaten doch wahrscheinlich die Wünsche Preußens bekannt, die man wohl als durchaus diskutabel bezeichnen kann. Es erübrigt dem Bund also nur, auszusprechen, daß er Preußen für diese Verhandlungen freie Hand läßt.«

Herr von Bothmer hatte sich nicht gerührt, aber Nostitz räusperte sich, das Sprachrohr Österreichs begann zu tönen. Wie sich denn Preußen das Liquidationsgeschäft vorstelle und wie die Ansprüche der Bundesglieder bei einer solchen Naturalteilung Berücksichtigung finden könnten? Der Bremer Smidt reckte sein faltenreiches Fuchsgesicht gegen den Vorsitzenden; man habe doch schon auch von einem Flottenverein etwas hören lassen; das sei ein keineswegs zu verwerfender Gedanke, und der Zollverein könnte als Vorbild dienen. Herr von Trott hatte ein großes Blatt Schreibpapier aufgerafft und fächelte sich damit, indem er sehnsüchtig in den Garten hinaussah, wo über den Schnee schon das leise Rot des sinkenden Tages gehaucht war.

Vergebens suchte Bismarck die zerflatternde Aufmerksamkeit zurückzuzwingen. »Preußen will dem Bund möglichst entgegenkommen. Der Bund könnte bezüglich der Liquidierung sich dahin einigen, daß der Verlust auf den Wert der Schiffe und die Erhaltungskosten von allen Staaten matrikularmäßig zu tragen sind. Was die Nachzahlung der Gründungsumlagen anlangt«, er machte eine Pause, um seine Worte mit mehr Gewicht fallen lassen zu können, »so wäre Preußen unter Umständen nicht abgeneigt, von ihrer Forderung abzusehen.«

»Und die Ansprüche der Bundesstaaten auf die einzelnen Schiffe?« wiederholte Nostitz hartnäckig.

Die könnten auf den einzelnen Schiffen beibehalten werden, wenn sie sich auch tatsächlich im Besitz Preußens befinden, meinte Bismarck.

»Also eine Eigentumsgemeinschaft«, sagte der Hamburger Syndikus Bunke mit einem scharfsinnigen Juristenlächeln, »für jeden Bundesstaat Eigentum zu soundso viel Teilen an jeder Planke, jedem Tau und jedem Nagel.«

Das Regensburger Gespenst ging um; Bismarck verstand, daß es für ihn nicht mehr viel zu wollen gab, weil man sich bei seinen Gegnern darüber einig war, was zu geschehen habe. Aus dem Munde seines Nachbarn ging ein peinlicher Geruch aus, ein Hauch schlechter Zähne und eines durch allzu üppiges diplomatisches Essen verdorbenen Magens, und es schien ihm, als sei dieser Geruch der unverfälschte Atem des Bundes selbst, der Atem von Unverdaulichem und Verdorbenem, dessen man sich doch nicht entledigen wollte.

Graf Leo Thun lehnte sich in seinem Stuhl zurück; er sah, daß alles so ging, wie er es wollte, und daß die preußische Anmaßung in ihre Schranken gewiesen werden konnte. Es war vergebens, Österreich übers Ohr hauen und ihm das Heft aus den Händen nehmen zu wollen, und ein ganz leises und höfliches Lächeln des Triumphes war in seinen Worten, als er sagte: »Die Herren werden mir recht geben, wenn ich das Ergebnis der Debatte dahin zusammenfasse, daß die Frage keinesfalls noch spruchreif ist.«

Und Sachsen fiel sogleich ein: »Ich beantrage, die Abstimmung zu vertagen.«

Die Diener hatten Lichter gebracht und auf den Tisch gestellt. Vor dem Platz des Präsidenten reckte ein Leuchter drei rosenfarbene Kerzen hoch, vor den übrigen Gesandten flammten nur weiße Kerzen in Doppelarmen. Der süße Geruch brennenden Wachses kämpfte gegen den übeln Atem von Bismarcks Nachbarn. Behaglich holte Graf Thun die krokodillederne Tasche mit dem in Gold eingeprägten Doppeladler vor, knipste mit silbernem Werkzeug die Spitze seiner blonden Zigarre ab und entzündete sie an einer rosenfarbenen Kerze. Die Flamme schoß dreimal in langer Zunge empor, blauer Rauch verhüllte einen Augenblick das feine und liebenswürdige Gesicht des Gesandten. Das war ein hohes und unantastbares Vorrecht der Präsidialgewalt, sich bei den Sitzungen in Rauch wickeln zu dürfen, wie es Jupiters Vorrecht war, sich bisweilen in Wolken den Blicken zu entziehen.

Der bayrische Gesandte hatte sich, etwas spät, noch eines Stückes seiner Instruktionen entsonnen und meinte, daß seine Regierung dem Gedanken einer Nordsee-Kontingentsflotte nicht abgeneigt sei. Aber niemand hörte ihn an, alle Diplomatenköpfe waren vorgeneigt und starrten stier und unverwandt auf ein unglaubliches Schauspiel. Bismarck, Herr von Bismarck, der Gesandte Preußens, hatte aus seinem Rock eine Tasche aus Juchtenleder gezogen, entnahm ihr langsam eine graubraune Walze, die wie eine getrocknete Seegurke aussah, und brannte sie an seinem Leuchter an. Und wie die Flamme aus der Zigarre hochschoß, sah man dieses herrische Gesicht unter der wie aus schwerem Eichenholz gedrehten Stirn. Zitternd verkroch sich das Regensburger Gespenst.

Unbeirrt durch die sprachlose Verwunderung ringsum sagte Bismarck, er müsse gegen eine abermalige Vertagung protestieren. Die Angelegenheit sei ja nach allen Seiten durchgesprochen, und Preußen wolle nicht weiter warten, weil es doch die Kosten dieses Wartens zu tragen hätte.

Graf Thun hatte seine Zigarre sinken lassen, sie lag nahe über einem Akt, und unter ihrer Glut begann sich das Papier zu krümmen und zu bräunen. Beinahe wohlwollend sah er ins Gesicht des Empörers.

»Ich beantrage, die Abstimmung zu vertagen«, murmelte Nostitz, wie einer, dem alle Gedanken plötzlich aus dem Kopf genommen sind und der nur immer wieder seine letzten Worte sagen kann.

Die Abstimmung wurde vorgenommen, und es ergab sich, daß eine große Mehrheit der Ansicht war, über die Flottenfrage sei heute nichts Entscheidendes zu beschließen.

Als die Gesandten draußen waren, stand Nostitz noch immer neben dem Grafen Thun. Aufgeregt griff er nach dem Arm des beleidigten Präsidenten. »Exzellenz«, stammelte er, »wollen Sie sich das bieten lassen? Das ist doch noch viel ärger als die Hemdärmelgeschichte, da haben uns Exzellenz doch erlaubt …«

»Lassen S' ihn«, lachte der Graf in seinem saftigsten Wienerisch, »er is ein Mordskerl. Das is er. I will nur net, daß uns die Preußen übern Kopf wachsen. Aber warum soll er net sein Zigarrl rauchen? Raucht's halt auch. Deshalb wird an Österreich net weniger.«

Als sich diese Geschichte in Frankfurt herumgesprochen hatte, erhielt Bismarck von einem unbekannten Spender ein Kistchen blonder, duftender Zigarren. Eine Karte besagte, das sei dieselbe Sorte, die der Graf Thun rauche, und die passe auch besser zu den battistnen Hemden, die er sich ja gottlob neuerdings zugelegt habe. Bismarck glaubte in der kleinen, mit eifrigem Bemühen verstellten Schrift die Züge der Frau von Vrints zu erkennen. Aber sie leugnete es, als er es ihr auf den Kopf zusagte.


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