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18

Wenn es in Gastein gutes Wetter gab, mit Morgen- und Abendglühen, bei dem sich die Schneeberge immer zu kräuseln und aufzuplustern begannen, wie Mullspitzen unter der Brennschere, dann war dieser Gebirgsspalt mittags mit drei Handvoll Sonne beschenkt. Man konnte eben gerade genug davon in einer Linse sammeln, um sich ein Loch in die Haut zu sengen oder mit einem Spiegel dem dicken Postrat aus Brünn, der jenseits des Wasserfalles gerade gegenüber im Hotel Weismayr eingemietet war, vor den Augen herumzublitzen, sobald er aus dem Fenster sah. Der Wasserfall selbst war gar nicht anspruchsvoll, milderte seine Stimme und sprang zwischen den weißen Mauern der Gasthöfe gesittet zu Tal. Man konnte zusehen, wie die Meisen ihre Jungen fütterten, oder man konnte eine Büchse nehmen und mit irgendeinem haarigen Urmenschen knienackend in die Wände steigen und sich stundenlang braten lassen, bis irgendein unglücklicher Gemsbock seine Krickel zeigte.

Es war zwar, aller dieser Herrlichkeiten ungeachtet, immer ein klein wenig Bangigkeit und Gedrücktheit in der Seele Hintergrund, und Bismarck gestand es sich ein, daß diese riesenhaften Berge wohl sehr schön zum Ansehen seien, zum Verweilen, Wohnen und ganz Heitersein aber doch nur das ebene oder flachwellige Land, mit ein paar runden Kuppen darauf, von denen man nicht in grauenhafte Abgründe sah, sondern wieder auf Menschenstätten, Wiesen und Äcker. Also daß sich Pommern immer wieder als von Gott recht eigentlich zum Gleichgewicht der Sinne und der Seele eingesetzt erwies.

Ganz schlimm aber wurde es in Gastein, wenn es den Bergen einfiel, die Wetterkappen aufzusetzen, und wenn dann der Regen kam und die Wolken wie feuchte Tücher zwischen die Wände gequetscht waren. Dann konnte man überhaupt am Bestehen der Sonne zu zweifeln beginnen und glauben, man sei in den Zustand der Welt vor der Erschaffung des Lichtes zurückversetzt. Die Ache wurde dann aufdringlich laut und machte ein acherontisches Getöse, so daß sie einen mit Haß gegen sich erfüllte und man schließlich beinahe ihrem ewigen Brausen und Donnern und Stäuben die Schuld an dem endlosen Regen zuschob. Wie trübsinnige Selbstmörder standen dann die Hotels an dem weißen Gischt, und es sah aus, als wollten sie sich vornüber hineinstürzen, um nur dem gestreiften Geplätscher zu entgehen.

Und wenn nicht der König immer wieder Gefallen an dem Aufenthalt gefunden und die Wohltat der Bäder sehr gelobt hätte, Bismarck hätte seinen Sommerwochen schon eine andere und lieblichere Zuflucht gewußt. Zudem ließen ihn in der Umgebung seines Herrn die Geschäfte nicht einen Augenblick los, und dieser Sommer zumal verstand es, die Gasteiner Wasserkünste mit den allerschönsten politischen Umtrieben und Begebenheiten so holdselig zu verknüpfen, daß Bismarck nicht daran zweifelte, diese Augusttage seien von Macbeths Hexen zusammengebraut worden.

Es stand nämlich so, daß Preußen und Österreich jedes die dänische Beute an einem Zipfel hielten und nicht fahren lassen wollten, und daß darüber die Messer ganz von selbst locker geworden waren, und nun war Graf Blome, Österreichs Gesandter in München, nach Gastein gekommen, um vielleicht noch in letzter Stunde das leise Zischen und Klirren der Klingen zu einem friedlichen Schweigen zu bringen. Und bei aller dieser Sorge und der schlimmen Regenwetterlaune galt es, ein heiteres und zuversichtliches Gesicht zu machen, wie es sich für einen Diplomaten schickt, der den andern glauben machen möchte, er fühle den Erfolg schon in seiner Hosentasche.

Sie waren alle in den Hintersaal des Hotels Germania gegangen, um den halben Abend totzuschlagen. Eine Theatergesellschaft war da eingerückt und spielte in dem halbdunkeln, kahlen und kalten Hundeloch schlecht und recht Komödie. Die Frau Direktor Ehrmann mit drei Töchtern und vier Söhnen und zwei Familienfremden; der eine war Gehilfe beim Theaterfriseur in Pilsen gewesen und war beim Anpassen von Perücken und Zurechtmachen von allerlei Maskenglorie unversehens von der dramatischen Muse geküßt worden, also daß er nicht umhin konnte, jetzt auf Frau Direktor Ehrmanns Schaubühne die jugendlichen Liebhaber zu spielen. Der andere gehörte einem weit älteren Jahrgang an und hatte außer der Aufgabe, hinter den Kulissen den Akteuren ihre Rollen vernehmlich zuzuflüstern, auch noch die schwierigere, der Frau Direktorin den verstorbenen Gatten zu ersetzen.

Sie spielten Komödie, mehr schlecht als recht, mit einem Nichts von Ausstattung und Gewandung, also daß der Phantasie der Zuschauer ein fast shakespearisch weiter Spielraum belassen war, sich alles das zu imaginieren, was die Handlung verlangte.

Ein paar armselige Lämpchen glommen über den Bankreihen, die auf wackeligen Böcken lagen. Die wenigen Besucher des Spektakels, das der kalte Schnürlregen um den Zuspruch gebracht hatte, drehten die Köpfe und zeigten einander die vornehmen Gäste, den König von Preußen, seinen Minister, den übelberufenen Bismarck, den österreichischen Gesandten. Im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit saßen Keudell und der preußische Kultusminister von Mühler mit seiner Gattin.

Die Frau Direktor Ehrmann hatte ein Ritterschauspiel angesetzt, das offenbar irgendeinem sehr beliebten Volksdichter seinen Ursprung verdankte, denn es wimmelte darin von Kindesweglegungen und Vertauschungen, von edeln Räubern und verkleideten Jungfrauen.

Gegen Schluß hatte eine von diesen als weißer Ritter in einer Schlacht zu erscheinen und den Geliebten aus einer Schar von Feinden herauszuhauen. Man hatte ihr zu diesem Zweck das Glanz- und Hauptstück der Ehrmannschen Theatergarderobe angelegt, eine funkelnde Brünne aus Blech; da man aber für ihre untere Hälfte nicht ein gleiches ritterliches Rüstzeug besaß, hatte man sich begnügt, aus dem väterlichen Erbteil für sie eine Unterhose hervorzuholen. Diese väterliche Ehrmannsche Unterhose war dort, wo solche Kleidungsstücke geschlitzt zu sein pflegen, vernäht und unten ihrer Bindbänder beraubt und fiel nun in zwei weißen Röhren von den Hüften bis zu den roten Samtpantoffeln, in denen die Heldenjungfrau ihre Füße ein wenig nach einwärts setzte.

Und als sie auf die Frage des von ihr geretteten Gundobald: »Tatst du das mir – tatst du's dem Vaterland?« geantwortet hatte: » Du warst mein Sporen, Gundobald!« fand man um den König, es sei genug, und nun endgültig im Schwanken zwischen Weinen und Lachen für das letztere entschieden.

Man nahm Bismarcks Einladung an, in seinen Zimmern noch ein kleines Abendbrot zu genießen, und ließ den Eindruck des Abends in einigen Witzen und einigen sentimentalen Betrachtungen über fahrende Leute ausklingen.

»Die Kunst … die Kunst«, sagte Keudell, »warum finden wir solche Dinge doch immer rührend? Und nicht bloß traurig, wie irgendein anderes Elend. Wir schämen uns beinahe, zu lachen. Weil doch immer noch ein Rest von Idealismus …«

Aber Frau von Mühler wollte das nicht gelten lassen. Sie reckte ihren langen, dürren Oberleib steif auf und meinte, es sei doch nur Faulheit und Arbeitsscheu bei diesen Leuten, und wenn sie sich dazu verstehen wollten, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, so würden sie es nicht nötig haben, die armseligen Kreuzer in der Theaterkasse zusammenzuzählen.

»Lassen Sie die armen Teufel nur dabei«, sagte Bismarck und lächelte ihr verbindlich ins Gesicht, »sie sind zu anderem doch nicht zu brauchen. Und es ist kein Stück so lächerlich und elendiglich, daß nicht dabei doch auch ein Körnchen Tiefsinn wäre. Haben Sie diese Walküre in Unterhosen nicht gehört? Gundobald hieß ihr ›Sporen‹ – nicht das Vaterland … Und so ist' immer, wenn sich Frauen in Politik mischen. Das kann man sich merken … Man möchte meinen, es geht ihnen ums Vaterland; aber nein, es steckt irgendein Gundobald dahinter oder irgendeine andere höchst persönliche Angelegenheit und Beziehung.«

Ein sehr schönes Gallengrün und Giftgelb wogte vor Frau von Mühlers Blick, und sie entschloß sich, ihrer hohen Gönnerin noch heute nacht einen Brief zu schreiben, in dem dieses Bismarck Niedertracht und Bosheit recht klargestellt war.

Bismarck aber hob sein Bierglas zu einem freundlichen Gruß gegen sie.

»Sie trinken schon wieder Bier, Bismarck?« fragte der König. »Haben Sie Banting wieder verabschiedet?«

Ach, es war nur zu wahr, Bismarck hatte sich vor kurzem der Bantingschen Kur und ihrer strengen Lebensweise zu- und allem Bier und sonstiger Leibesfreude abgeschworen, um seinen Umfang einmal gründlich zu verringern. »Majestät«, sagte er, indem er bekümmert an den sich rundenden Formen seines Körpers hinabsah, »es ist leicht, bei Banting zu bleiben, wenn das Bier so schmeckt wie Leipziger Gose mit Seife und Soda. Aber jetzt ist frisches Kaltenhauser Bier gekommen, und das ist … ja, was soll ich gegen die Bismarcksche Begehrlichkeit tun? Zwei Seelen wohnen ach …«

Er nickte dem Grafen Blome zu, der die Finger ineinander verschränkt hatte und mit einem klugen Lächeln Bismarcks Einsicht in seine Begehrlichkeit zustimmte, indem er sie vom engen Bierbezirk über ein viel weiteres Feld hindehnte.

Keudell brachte ein Album heran, in dem eine ganze Menge schöner Bilder von Alpenlandschaften staken, die nach dem neuestens sehr verbesserten Lichtverfahren von Daguerre hergestellt waren. Und als die Köpfe des Mühlerschen Paares mit denen Keudells und des Grafen über den Blättern vereinigt waren, wich Bismarck mit dem König in eine Fensternische.

»Ich bitte Majestät, mir Gelegenheit zu geben, noch heute mit Blome zu sprechen«, sagte er rasch. »Roon meint, es sei keine Verzögerung mehr angängig.«

Wilhelm biß die Unterlippe, verlegen wich sein Blick an Bismarck vorbei. »Wollen Sie es wirklich auf die Spitze treiben?«

»Es muß sein!«

»Habe ich denn wirklich ein Recht auf Holstein?«

»Majestät sollten nicht mehr zweifeln, seit die Kronjuristen ihr Urteil abgegeben haben, daß das Recht der Augustenburger erloschen ist. Es besteht kein anderes Recht in den Herzogtümern, als was Österreich und Preußen im Wiener Frieden erworben haben.«

»Die Kronjuristen?!« sagte der König zweifelnd.

»Es sind die ersten Juristen des Landes«, setzte Bismarck ernst dawider, »unabhängig von Eurer Majestät, unbeeinflußt von mir. Als Parteimännern mag es ihnen sogar unangenehm gewesen sein, so zu entscheiden, wo doch ganz Deutschland nach dem Augustenburger schreit … als Juristen mußten sie seinen Ansprüchen entgegentreten.«

»Ich soll also gehen und Sie mit Blome allein lassen?« seufzte der König.

Schon hob Frau von Mühler mißtrauisch ihren Kopf vom Album und spitzte nach der Fensternische hin.

»Ja … und ich bitte, nehmen Sie die gute Mühler mit, die geht mir sonst bis zum Morgen nicht vom Hals. Sie ist so maßlos neugierig, daß sie mir die Neuigkeiten am liebsten mit den Nägeln aus dem Gehirn kratzen möchte.«

»Schön! Ich bin Ihr gehorsamer Diener, Bismarck! Aber trachten Sie, daß Sie es mit Österreich zum Guten wenden.«

Gegen des Königs Wunsch zum Aufbruch war nichts einzuwenden, und Mühler mußte mit seiner Frau im Kielwasser folgen. Daß Blome und Keudell zurückgewunken wurden, war der Beweis, daß nun wohl um Entscheidungen gewürfelt werden würde, und es war ein Abgang in diesem Augenblick doppelt schmerzlich und empörend. Bismarck aber hatte ein rechtes boshaftes Wohlgefühl darüber, daß die Frau Ministerin gerade vom König abgeführt wurde, der keine Ahnung hatte, daß er mit ihr Augustas geheime Botschafterin und Nachrichtenfrau wegschleppte.

Nach einem kurzen Gang durch das Zimmer, noch ein letztes Summen auf lächelnden Lippen, blieb Bismarck vor dem Grafen stehen. »Wollen wir nicht miteinander ein Spiel machen?«

Der Graf war keinem Spiel abgeneigt und hatte einige Male in Gefahr gestanden, es dem sangberühmten Grafen von Luxemburg gleichzutun. Aber von Bismarck war es höchst verwunderlich, daß er, von dem sonst keine Spielerleidenschaft bekanntgeworden war, sich nun ins Verlieren oder Gewinnen begeben wollte.

Keudell brachte eine schwarzlackierte Kartenkassette, Glück und Unglück lagen darin in bunten Blättern.

Nachdem zum erstenmal gegeben war, ließ Blome seine Karten ein wenig sinken, schaute über ihren Rand in Bismarcks Gesicht. »Sie wollen mit mir also über unsere Sache sprechen?« fragte er.

Da war angenehm zu sehen, daß man Schule gemacht hatte, sogar in Österreich, und daß das Herumgehen um den Brei nicht mehr aller Weisheit Um und Auf war.

»Ich sehe nicht ein, warum wir uns nicht verständigen sollten«, sagte Bismarck; »ich habe den guten Willen dazu und setze ihn bei Ihnen voraus. Schmerling ist beseitigt, der unser Gegner war und glaubte, Preußen müsse um jeden Preis niedergehalten werden. Neue Männer sind in Österreich, mit Belcredi oder eigentlich dem Grafen Esterhazy läßt sich reden.«

Sie spielten langsam und besonnen ihre Karten aus.

»Es kommt darauf an, was Sie uns zu sagen haben!«

»So viel muß Ihnen doch klargeworden sein, daß die Bundeskomödie und der augustenburgische Unfug in Schleswig-Holstein nicht länger geduldet werden dürfen. Was wollen die hannoveranischen und sächsischen Truppen in dem Land? Sie prügeln sich mit unseren Preußen herum, und der Herzog Friedrich läßt sich huldigen und benimmt sich, als hätte er das Land gewonnen.«

Ein Trumpf stach Bismarcks höchste Karte.

»Wir haben es doch für ihn erobert. Es ist nicht ganz angebracht, daß Preußen die Agitatoren des Herzogs verhaften läßt.«

»Ja, sollen wir denn zusehen, wie alles drunter und drüber geht und die Dänen schließlich sagen, wir könnten nicht Ordnung halten, und so müßten eben sie wieder nach dem Rechten sehen.«

Zwei Könige trafen sich über einem kleinen Häufchen bedeutungsloser Karten; sie ritten mit salbungsvollen Gesichtern und Umhängebärten auf ihren halbierten Pferden wie zur Krönung, und das Märchenhafte daran war, daß jeder König doppelt vorhanden war und an seiner Schnittfläche mit dem Gegenfüßler innig zusammenhing. Das Reihengesetz stand auf Blomes Seite, er war im Gewinnen, und es blieb dabei. Sie spielten schweigend, gleichmäßig klatschten die Blätter.

»Was hätten Sie uns eigentlich anzubieten?« fragte Blome ins nächste Mischen.

»Ich biete Ihnen an, den Zustand der Macht in den des Rechtes überzuführen.«

Blome sann einem feinen Zug nach, Keudell war zum Fenster gegangen, um frische Luft in die Qualmhölle Bismarckischer Gewaltraucherei einzulassen. Sogleich war das ganze Zimmer vom Getöse des Wasserfalles angefüllt, als stürze draußen das alte Chaos in den Abgrund der Zeitlosigkeit. Es war, als sei es im Weltenrat beschlossen, daß alle Berge zu Wasser werden und sich selbst zernagen müßten. Schwarze, kalte, nasse Finsternis wurde vom Toben zerwühlt, und Keudells Herz schlug heftig.

»Das heißt«, sagte der Graf nach einer Weile, »Sie möchten Schleswig-Holstein für Preußen haben?« Bismarck antwortete nicht und schien ganz von dem zu Ende gehenden Spiel gefesselt. Und als es sich herausgestellt hatte, daß das Gewinnen abermals an Blome gewesen war, sagte der Graf mit einem fröhlichen Klang: »Es ließe sich vielleicht darüber reden … wenn gewisse Kompensationen … also eine Entschädigung Österreichs, nicht wahr? … eine Vergrößerung seines deutschen Gebietes durch eine Abtretung Ihrerseits … etwa die Grafschaft Glatz …«

Angstvoll sah Keudell in Bismarcks Gesicht, ob nicht die Flamme darin hochschoß. »Ich bin Esterhazy sehr dankbar«, sagte Bismarck, indem er einem verlorenen Stich gleichmütig nachsah, »daß er gerade Sie beauftragt hat, mit mir zu verhandeln. Sie sind Holsteiner und stehen diesen Gedankengängen nicht so schroff gegenüber wie ein Politiker von österreichischer Geburt. Aber das von Kompensationen, Entschädigungen, Vergrößerungen müssen sich die Herren in Wien schon aus dem Kopf schlagen. Mein königlicher Herr würde unter keinen Umständen auch nur einen Quadratfuß preußischen Bodens aufgeben … es sei denn, man schneidet ihn mit dem Schwert ab. Was aber Schleswig-Holstein anlangt … sehen Sie, was macht eigentlich Österreich mit diesem Land? Hätten wir gemeinsam mit Ihnen etwa Triest erobert, wir würden uns keinen Augenblick überlegen, es Ihnen zu überlassen, weil wir doch damit nichts anfangen können … für Österreich ist Schleswig-Holstein ganz und gar wertlos. Und glauben Sie mir, Österreich hat andere Aufgaben, sein Weg liegt gegen Osten …«

Die Blätter fielen mit Wucht aus Bismarcks Hand, erstaunt sah Keudell, welch wildes und regelloses Spiel er eingeschlagen hatte.

»Ich glaube, Sie verkennen Österreich«, sagte Blome mit dem Unmut eines gewandten und schulgerechten Fechters, der sich gegen einen gewalttätigen Waldmenschen zu wehren hat. »Ich bin, wie Sie richtig bemerkt haben, ein gebürtiger Holsteiner und kann also nicht so leicht in Verdacht kommen, ihm gegenüber verblendet zu sein. Und darum kann ich Ihnen sagen, was Sie von einem Österreicher vielleicht nicht zu hören bekommen würden, weil die Österreicher es als ein Zeichen besonderer Geistesschärfe ansehen, ihr Vaterland klein zu machen und ihm alles Üble nachzusagen. Es ist ein wunderbares Land voll verhaltener, unerprobter, unausgebeuteter Kraft. Sie kennen es eben einfach nicht, Bismarck, Sie tun ihm unrecht. Wenn Sie sich nicht absichtlich verschließen wollten, so würden Sie sehen, wie es dort ringt und gärt. Was ist in diesen Jahren seit 1848 alles geleistet, erprobt und verworfen worden, welche Fülle von Talenten sprudelt da hervor, was für prachtvolle Politiker sind das, diese Metternich und Schwarzenberg.«

Bismarck hatte unbewegten Gesichtes weitergespielt, nur jetzt konnte er ein leises Zucken des Mißbehagens nicht verbergen.

»Ja, auch Schwarzenberg«, sagte Blome nachdrücklich, »auch er. Was wollte er? Nichts anderes, als Österreich seine führende Rolle erhalten. Ist das so verwerflich? Er ist einseitig, und seine Mittel waren nicht immer einwandfrei. Aber wer ein großes Ziel hat, darf sich nicht davor scheuen, einseitig zu scheinen. Unter uns, Bismarck, sind Sie es nicht auch selbst, wenn Sie in Österreich immer nur den Gegner sehen. Wären Sie gerecht, so müßten Sie sich sagen, daß Österreich gar nicht anders handeln kann. Soll sich dieser Staat das Heft aus der Hand winden lassen? Er spürt seine großen und neuen Kräfte und will seine Stellung in Deutschland nicht aufgeben, ehe diese Kräfte sich gesammelt haben und ans Licht getreten sind. Soll ein erneuertes Österreich den Verlust seines alten Erbes an Macht und Ansehen beklagen? Lassen Sie ihm nur Zeit, sich zu entwickeln. Sie aber wollen nicht gerecht sein; Sie suchen alles Lächerliche und Unfertige hervor, um sagen zu können, mit diesem Österreich ist kein Vertragen möglich.«

Er hatte seine letzten Worte in sehr heftigem Ton gesprochen; denn es war unerhört, wie Bismarck zu spielen wagte, wie er allem Kartenverstand zuwider die wahnwitzigsten Streiche unternahm und wie ihm dabei doch unablässig das Glück zur Hand war. Den Worten des Grafen gegenüber blieb er verschlossen, und der Ausdruck seiner Mienen war eine höfliche Abwehr eines solchen Schwalles, der ihn in seiner nächsten Pflicht, im unerbittlichen Verfolgen seines Kartengegners störte.

Ein Dutzend Spiele folgten einander, die Karten schnellten über den Tisch wie bunte Fische. Stich auf Stich fiel Bismarck zu, anfänglich Eingebüßtes kam zurück, und dann begann auch Blomes Geld hinüberzurutschen.

»Sie lieben Österreich nicht«, sagte Blome, ganz und gar außer sich und entrüstet.

Mein Gott, wo hatte Bismarck diesen Zehner her, durch den Blomes Dame sehr rasch vom Schauplatz abgeschoben wurde?

»Es war immer die Richtschnur meines Handelns, mit Österreich einig zu sein.« Scheinbar wahllos und blind warf Bismarck die Karten aus und riß den Grafen in atemlose Hast. »Ich meine, es wäre schon wert …« Die wilde Draufgängerei endete mit einer schweren Niederlage für Bismarck. Er nahm ruhig die Karten und ließ sie durcheinandergleiten. »Ich meine, es wäre schon wert«, sagte er langsam, »noch diesen … letzten Versuch zu machen, in gemeinsamem Vorgehen die deutschen Fragen zu lösen … und dafür zu sorgen …, daß dieser Versuch nicht mißlingt.«

Das Spiel wurde fürchterlich; Bismarck betrieb es weiter als wilder Mann, ohne Rücksicht auf Gewinn und Verlust. Man sprach nichts mehr von Politik; unter diesem Hagel von Stichen konnte sich kein anderes Wort mehr hervorwinden, als was eben Geben und Nehmen betraf. Ungeheuerliche Summen wechselten mehrmals von einer Seite des Tisches zur anderen; blaß und betroffen saß Keudell und suchte vergebens nach dem Sinn dieses erregten Getümmels. Und er war schließlich nicht weit davon entfernt zu glauben, daß die lang befürchtete Nervenkrankheit endlich ausgebrochen sei und Bismarcks Abneigung gegen alles Kartenspielen in leichtfertigste Waghalsigkeit gewandelt habe.

Schmutziges Grau wurde vom Regen mitgespült, die verregneten Hotelgesichter gegenüber drehten sich fast dem Morgen zu; die weißen Milchstrudel der Ache sprangen wild schäumend aus weichenden Finsternissen.

Da wurde das Spiel beendet, und Blome empfahl sich ernst und förmlich, nachdem er Bismarck mitgeteilt hatte, er werde sich die Ehre nehmen, im Laufe dieses Tages noch einmal vorzusprechen.

Keudell näherte sich Bismarck; lächelnd las dieser die Besorgnis des Getreuen und nahm dankbar seine Hand: »Lassen Sie nur gut sein, Keudell«, murmelte er, »lassen Sie nur gut sein.«

An diesem Tage, der ihnen am Kartentisch angebrochen war, einigten sich Bismarck und Blome zu einem Vertrag, demzufolge Lauenburg gegen eine Zahlung von zweieinhalb Millionen Taler an Preußen fiel und die Verwaltung der Herzogtümer so geteilt würde, daß Preußen Schleswig erhielt und Österreich Holstein. Rendsburg war zur Bundesfestung und Kiel zum Bundeshafen geworden und vom Augustenburger weiter keine Rede mehr. Der Graf Blome aber war nicht wenig zufrieden, sich mit seinem Gegner so billig abgefunden zu haben; denn von einem so waghalsigen und gefährlichen Spielwüterich, dem keine Regel galt, hätte man sich auch in politischen Dingen versehen können, daß er als ein borstiger wilder Mann alles auf eine Karte setze. Also, daß es schon das Rechte gewesen war, so weit nachzugeben, als man in Wien nur glaubte gehen zu können.


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