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Die dickbäuchige, gelbe »Ariadne«, der rheinischen Dampfschifffahrtsgesellschaft Drittälteste, kam stromabwärts und krabbelte mit ihren patschenden Rädern auf die Landungsbrücke von Rüdesheim los. Obzwar der Strom das Beste an der Fahrerei selbst tat, mühte sie sich doch, auch den Anschein besonderer Beflissenheit zu erwecken, und quirlte unter den Radkasten das Wasser zu einem dicken Schaum, der in großen Flocken hinter dem Heck zurückblieb und sich im Kielwasser drehte.
Erst als Heinz Kogges aus Köln zu der Glocke am Bug ging und zu läuten begann, als sei ihm aufgetragen, bis an die französische Grenze vom Kommen der Ariadne Kunde zu geben, verlangsamte sie die Fahrt. Der Kapitän legte den Mund an die Muldenmuschel des Sprachrohrs und tutete in den Maschinenraum. Der dünne, gelbweiße Rauch zog vom Schornstein nicht mehr in einem breiten Band über den Strom hin, sondern ballte sich um die verrußte, schwarze Mündung und quoll dann heiß und beizend auf das Verdeck herab. Timm Belzig stand mit dem zur Wurfschlinge zusammengelegten Tau steuerbords, wie ein Gewittergott von Wolken umhüllt; und als der langsam näher rauschenden Ariadne auf der Landungsbrücke noch immer keine hilfreiche Hand entgegenkam, sog er Luft in die Brust und brüllte wie ein Nebelhorn: »Bratenbusch!«
Darauf öffnete sich die Tür der Schiffskneipe »Zur Loreley«, und der alte Bratenbusch erschien, mit knallrotem Gesicht unter weißen Haaren, ein wenig schief geladen, wie immer, und schlotterte dünnbeinig auf die Brücke. Im Bauch der Ariadne klingelte es, der Kapitän ließ, ohne den Mund vom Sprachrohr zu nehmen, die Augen zwischen Schiff und Ufer wandern; plötzlich begann unter dem gelben Radkasten ein neuer gewaltiger Wassertumult, die Wurfschlinge fuhr aus Timm Belzigs Hand und wurde vom alten Bratenbusch geschnappt und über den dicken Pfahl gestülpt.
Behutsam wand sich das Schiff heran.
Und als Karl Heine und Fred Karsten den Steg vom Bord zur Brücke geschoben hatten, da schoß ein weißer Pudel als erster unaufhaltsam darüber hin und fuhr mitten in das kleine Häufchen Reisender, wie in eine Schafherde.
»Scipio! Scipio!« rief sein Herr klagend hinter ihm.
Aber Scipio hatte aller Würde vergessen, zu der ihn sein Name verpflichtete, und war, wie einer, dem die Freude den Sinn verwirrt hat, ganz in das Unternehmen vertieft, den eigenen Schwanz zu fangen. Er drehte sich wie toll im Kreise, und Bratenbusch, dem das weiße Ringelspiel zu seinen Füßen die ganze Welt in einen Zirkusgalopp brachte, hielt sich krampfhaft am Landungspfahl, um nicht mitgerissen zu werden.
Die drei Herren hatten das Schiff verlassen, Hildebrand stand, mit Mänteln und Decken bepackt, hinter ihnen. »Aber Scipio!« sagte der schlanke Graf Lynar im Tone sanften Vorwurfs und sah fassungslos auf die rasende Wollkugel zwischen ihnen. Der größte der drei Herren beugte lachend seinen mächtigen Leib vor, reckte langsam die Hand und faßte mit plötzlichem Griff in das weiße Gewirbel. Er riß die Faust hoch, und da zappelte auch schon Scipio am Halsband und war keine irrsinnige Billardkugel mehr, sondern wieder ein Hund, an dem man, wie es sich gehört, alle Bestandteile, Kopf, Beine und Schwanz, genau unterscheiden konnte.
»Bravo, Bismarck!« sagte Graf Rochow. »Wenn Sie einmal in Zollvereinssachen auch den Bund so famos am Halsband packen, so kann sich unser König ja Glück wünschen, gerade Sie ausgewählt zu haben.«
Bismarck setzte Scipio auf die Erde und entließ ihn mit einem freundlichen Klaps auf das Hinterteil. Der Hund fuhr die Uferböschung hinauf und war verschwunden. »Ja«, meinte Bismarck, »mit dem Bund wird's wohl schwer gehen. Der hat mehr Köpfe als einen, viel mehr sogar als der Höllenhund Cerberus, berüchtigten Angedenkens, und ob man da gleich das richtige Halsband erwischt …? Ich glaube immer, daß ich zu einem guten Diplomaten verdorben bin. Da scheint's mir mit dem Zupacken nicht getan. Es kommt vielmehr darauf an, den Füchsen Salz auf den Schwanz zu streuen.«
Auf dem klugen, fein gefälteten Gesicht des Generals war der leise Schimmer eines stillvergnügten, befriedigten Lächelns. »Es steht uns nicht an, an den Entschlüssen unseres königlichen Herrn Kritik zu üben. Es muß sein wie bei Goethe: ›Der König sprach's – der Knabe lief‹ … im übrigen aber glaube ich wirklich, daß Ihnen vielleicht Petersburg mit seinem derberen diplomatischen Klima besser zugesagt hätte.«
Bismarck schob den Kopf zurück, ein wenig Erz mischte sich in den Klang seiner Stimme: »Seine Majestät wird wissen, warum Eurer Exzellenz unschätzbare Dienste am russischen Hof nicht zu entbehren sind. Ich meinerseits bin von keinem anderen Gedanken geleitet als von dem, meine Pflicht auf dem Platze zu erfüllen, auf den mich der Wille meines Herrn zu stellen beliebt. Soweit es in meinen schwachen Kräften steht, natürlich.«
Der General entgegnete nichts mehr, stocherte im Gehen mit der Spitze seines Stockes den Boden. Auf der Landungsbrücke warf der alte Bratenbusch das Tau vom Pfahl ab, die dickbauchige Ariadne begann zu schnaufen und schob den gelben Leib im kurzen Bogen in den Strom hinaus. Hinter dem Binger Wald war eine Weltuntergangsröte aufgegangen; die brandete bis gegen den blassen und dünnen Mond, der im Osten unbeachtet aus dem versinkenden Tag getreten war. Die drei Herren hatten sich umgewandt und sahen, wie die »Ariadne« zwischen Gold und Purpurrot in den Abend fuhr. Sie wurde immer kleiner und dunkler, je weiter sie sich zu Tal arbeitete, immer unbedeutender im Schimmer der Unendlichkeit, der sich aus dem Himmel in den Strom ergoß.
Man beriet, welchem Gasthof man sich für Abend und Nacht anvertrauen sollte, und einigte sich auf ein behagliches Häuschen mit rebenumranktem Balkon, das zudem den freundlichen Namen »Zum vollen Becher« trug.
Der Wirt merkte was Vornehmes, rückte ein blaues Käppchen, strich die Schürze glatt und versprach gebackene Hühner mit Salat. Der Wein, meinte er, sei wohl geraten, und es werde die Herren nicht gereuen, ihm selbst die Wahl zu überlassen. Während hinten im Hof unter den mörderischen Händen der Köchin ein arges Gezeter der schlaftrunkenen Hühner anging, trat Bismarck auf den Balkon. Blau schatteten die Wälder über den Rhein, wie ein buntes getigertes Fell war der Himmel ausgespannt, im Städtchen blinkten Lichter, und der Fluß begann seinen Nachtgesang.
Etwas Dunkles wuchs neben Bismarck aus dem hellen Holzboden des Balkons. Das war der Schatten, den der goldgelb gewordene Mond neben ihn lautlos hinschmiegte. Bismarck breitete die Arme weit aus. Ehrfürchtig und beinahe andächtig sah der blasse und schlanke Graf Lynar die mächtige Gebärde, mit der dieser Mann Wald und Strom und Himmel zu umschließen und an sich zu ziehen schien.
»Vor vier Jahren war's anders«, sagte Bismarck, »Regen und Kälte … sie trug einen grünen Mantel. Der ganze Silberschatz ging damals drauf, achthundert Taler hat uns die Reife gekostet. Bin ich ein Verschwender, Graf Lynar? Wer hätte damals gedacht, als wir in Frankfurt waren, daß ich einmal dort für den König zu wirken berufen sein werde?«
Graf Lynar wagte nicht zu antworten. Es war ihm, als hätte Bismarck gar nicht zu ihm, sondern zu jemand anderem gesprochen, der fern war. Aus dem Fenster über ihnen, wo des Generals Zimmer war, brach Kerzenlicht und verlor sich im grünen Rebengerank. Sie hörten, wie Rochow ins Waschbecken prustete und sich das Wasser um Hals und Ohren schlug.
Bismarck ließ die Arme sinken, stemmte sie gegen die Brüstung und beugte sich weit vor. »Wie anders die Welt aussieht, wenn der Himmel seine Sonntagslaune hat! Gott muß lächeln, das ist alles. Hören Sie!«, er wandte sich zu dem jungen Mann, »ich muß noch hinunter. So eine Nacht ist ein Geschenk, das man nicht wegwerfen darf. Ich will vor Hühnern und Wein noch im Rhein schwimmen.«
Und ehe der Graf noch etwas hatte entgegnen können, stampfte Bismarck schon die Treppe hinab. Hildebrand löste sich irgendwo aus dem Dunkel und schritt hinter seinem Herrn her. Der alte Bratenbusch murrte ein wenig, als man ihn hinter dem feuchten Schenktisch seiner Kneipe hervorholte, aber ein silberner Händedruck brachte ihn zur Einsicht, daß die Launen großer Herren ihren Sinn hätten. Er löste mit zitternden Händen einen guten Kahn von seiner Kette und sah mit abgezogener Mütze dem Einsteigen zu.
Durch lange, gelassene Schläge trieb Hildebrand das Boot längs des Ufers gegen den Strom. Bismarck saß eine Weile dem Getreuen gegenüber und ließ mit innigem Behagen die Lichter von Rüdesheim zur Seite hinwandern. Dann löste er das Halstuch, legte Rock und Weste ab, balgte sich im schwankenden Kahn mit der engen Hose, zog Stück um Stück seiner äußeren Schale fort, bis er im weißen Hemd blieb, das der kühle Wasserhauch von der erhitzten Haut lüftete.
Verklungene Worte bedrängten ihn, Reimworte, Zeilen eines Gedichtes, das er einmal irgendwo gehört und wieder vergessen hatte. Sie galten diesem Strom, besangen ihn, schienen ihm stark und gut, in dieser schwermütigen Schönheit der Nacht gingen sie ihm so durch die Seele, als wären sie der sprachgewordene Schlag seines Herzens.
Bitternis kräuselte seine Lippen, wenn er an den Bund dachte, diesen Rattenkönig zu Frankfurt, von dem er schon genug gesehen hatte, um zu wissen, daß durch ihn und sein geschäftiges Getue die deutsche Welt nicht weitergeschoben würde.
Hoch auf reckte er sich, warf das Hemd von sich und glitt im nächsten Augenblick ins Wasser. Der plötzlich entlastete Kahn tat einen Satz und wurde von Hildebrand mit glatt gestreckten Rudern wieder ins Gleichgewicht gebracht. Als Hildebrand nach seinem Herrn ausschauen konnte, war dieser fort, als hätte ihn der Strom verschlungen. Aber da tauchte er wieder auf, ein gutes Stück stromaufwärts, hob sich bis zur Brust aus dem Wasser und schüttelte den Kopf, daß ein silbernes Sprühen ins Mondlicht spritzte.
Daß Bismarck schwimmen konnte wie ein Lachs, wußte niemand besser als Hildebrand, der durch ihn einmal vorm Ertrinken gerettet worden war, und so schob er gleichmütig und unbesorgt den Kahn im Kielwasser seines Herrn hinterdrein. Auch er sann ins Mondsilber, aber es ging ihm nicht um Bundestag und Zollverein, sondern um eine, die Karoline hieß und jetzt vielleicht unter den Schönhausener Linden saß, wenn sie nicht bei einer Rüböllampe alte Wäsche stopfte.
Lauwarm spülte das Wasser um Bismarcks Leib. Es war in rascher Bewegung und drängte sich ihm entgegen, daß er mit Zug und Muskeldruck sich ihm hart an die Brust stemmen mußte. Ab und zu quoll eine kältere Strömung von unten empor; da war es, als griffe die Tiefe nach ihm, und ein leiser Schauer glitt ihm über das Kraftbehagen hin. Er fühlte den Widerstand des siegreich bekämpften Elementes beim Herunterdrücken der Arme und beim Schließen der langen, muskelbegnadeten Beine, und das war fast wie beim Reiten, wenn man die Rippen eines wilden Gaules preßt. Und er fühlte, daß eben dieser Widerstand es war, der ihn schwimmen ließ und über den dunkeln Abgrund trug. Und in diesem Zusammenspiel von Streben und Gegenstreben schien ihm die Weltordnung in wohltuender Heiterkeit und Fülle ausgedrückt.
Jetzt war Rüdesheim vorbei, dunkel lagen die Ufer, Rochow und Lynar und Backhühner fielen dem Schwimmenden ein, er wandte sich auf den Rücken, und sogleich erfaßte ihn der Strom und trug ihn den Weg zurück. Unweit gondelte Hildebrand, noch immer in der alten Richtung rheinaufwärts, unachtsam, in seinem Sinnen darüber, wie dieser Abend wohl in Schönhausen aussehen mochte. »He, Hildebrand! Daß dich der Teufel brate!« rief Bismarck, hob sich halb aus dem Strom und warf wie ein zürnender Wassermann einen Guß kühler Nässe nach dem Ruderer. Die Rheinwelle zerstäubte silbern über dem Schönhausener Traumgefilde, eben als Hildebrand mit sich ins klare gekommen war, daß es Karolines hausfraulichen Tugenden mehr entsprach, Strümpfe zu stopfen oder Federn zu schleißen, als schwärmerisch im Mondschein zu sitzen.
Bismarck aber lag schon wieder auf dem Rücken und trieb weiter stromab. Der Mond war kleiner geworden und sah ihm voll ins Gesicht. Nur Mund, Nase und Augen standen dem Schwimmenden über Wasser, rundum war alles Licht und Glanz. Mit kleinen Bewegungen der Finger lenkte Bismarck die mühelose Fahrt. Er war körperlos, schwerlos, nur denkendes Gehirn und selig schauendes Auge. Welche Gottespracht das war, was für ein Gleißen, in dem er davongeführt wurde! Das Bewußtsein der dunkeln Tiefe war geschwunden, das ganze Wasser eine einzige leuchtende Herrlichkeit. Rüdesheim kam sehr rasch vorbei, rascher als vorher. Wälder und Weinberge schwangen dunkle Kuppen einander zu, alte Burgzinnen zackten in den matt opalfarbenen Sternenhimmel, den der Mond nicht zu vollem Licht kommen ließ. Vorspiel der Ewigkeit, empfand Bismarck, so auf den Zeiten dahinzugleiten, getrieben von Gottes unerforschlicher Kraft, und das Strahlen aller Welten in sich zu saugen. Von Ufer zu Ufer war dieses Leuchten ergossen, strömendes Leuchten, streifig bewegt, heller und dunkler, aber selbst im dunkelsten Wirbel noch überquellendes Gleißen. Das war nicht mehr der Mond mit den schattigen Ringgebirgen, der dieses Wunder zauberte. Das war der Fluß selbst, der es aus sich hob, vielleicht der ins Flüssige gelöste alte Hort, der Nibelungenschatz seiner Tiefe. Die Jahrhunderte hatten den grausigen Blutfluch gelöscht, Gold und Silber waren in den Urzustand zurückgekehrt, indem sie noch rauschend durch die Adern der Erde flossen, rein und schimmernd rannen sie mit starkem Gesang ins Meer. Greifbar nahe schwamm ein Goldgebilde neben dem Glücklichen, gesponnenes Gold, in leise wechselndem Umriß, ein gleißendes Rund. Das war nicht das Abbild des Mondes, das war eine Krone, ein zauberhaftes Gewirk, das aus den geheimnisvollen Klippentiefen emporgestiegen war. Ein Machtwort hatte gesprochen, daß seine Zeit gekommen sei. Bismarck griff nicht danach, denn hundert alte Rheinsagen warnten vor Gier. Er ließ es schwimmen, regte sich nicht, versank im Glücksgefühl inniger Hingabe an Welt und Gott.
Ein dunkles Gemäuer türmte sich zur Linken, plump und wuchtig. Der Rhein erhob die Stimme, schlug schärfer gegen Fels und Quadern. Das war der Turm, wo die Mäuse über den alten, bösen Bischof Hatto das Strafgericht vollzogen hatten. Haß und Vergeltung, in Stein gebannte Bosheit reckte sich in die Seligkeit der Nacht. Es ging nicht an, sich treiben zu lassen, das war nicht Menschenlos, man war dazu berufen, alle Kämpfe aufzunehmen, die einem angeboten wurden.
Bismarck wandte sich, das Boot war ihm gefolgt, er zog sich hinein und begann sich anzukleiden. Und lächelnd sagte er sich, als er in die engen Hosen fuhr, daß von jeder, selbst der geringfügigsten Bosheit immer ein Teil auf den Täter zurückfällt. Denn es erwies sich, daß ein Teil des wassermännischen Gusses, den er nach Hildebrand gesandt hatte, auf seine eigenen Hosen niedergegangen sein mußte, als daß es ihm jetzt um die Sitzgelegenheit ein wenig feucht war. –
Rochow und Lynar saßen auf dem Balkon, vor drei Gedecken, die um ein Windlicht angeordnet waren, und Rochow schien ein wenig ungehalten, daß Bismarck sie hatte warten lassen.
»Wir dachten schon, Sie wären ertrunken«, sagte er, und das klang ein bißchen spitzig und scharf gewürzt.
Aber Bismarck lag noch die Kühle des Rheines und der Schimmer der Mondnacht in Blut und Herzen. »Nein«, sagte er behaglich, »wem Gott bestimmt hat, in den Redefluten des Bundes unterzugehen, den läßt er nicht im Rhein versaufen.«
Die Backhühner kamen, umgrünt von krausen Salathecken, ein Wein gesellte sich dazu, der war schwer und goldig und roch nach allem Herrlichen des Sommers. Erwartungsvoll stand der Wirt mit reiner Schürze im Hintergrund, und als Bismarck nach der ersten Zungenprobe Lobendes zu sagen wußte, da verneigte er sich, als hätte er einen Orden bekommen. Denn er hatte indessen von Hildebrand erfahren, daß er Herren von der preußischen Bundesgesandtschaft zu beherbergen und bewirten die Ehre hatte.
Das Windlicht brannte in reinem Tulpenglas, das Besteck und Geschirr glitzerten, der Wein rann leuchtend aus hohen Flaschen in grasgrüne Römer, alles war strahlend, bis auf Scipio, der sich eingefunden hatte und betrüblicherweise durch irgendeinen lästerlichen Wandel aus einem frischgewaschenen weißen Pudel ein braungelbes Untier geworden war.
Bald nach dem Speisen zog sich Rochow zurück, und Bismarck blieb mit Lynar allein. Blauer Zigarrenqualm wolkte in der stillen Luft über die Römer hin, und nur wenn er über den offenen Mund der Glastulpe hinzog, wurde er von der aufsteigenden Wärme des Lichtes erfaßt und wirbelnd in die Höhe entführt. Leise überschattete Müdigkeit, vom Rhein her und vom Essen her, den künftigen Gesandten des preußischen Königs. Er hatte das Gespräch allein zu bestreiten, denn der stille, bescheidene Lynar sprach nur, wenn er eine Antwort zu geben hatte. Er sei ja wohl für morgen zum alten Fürsten Metternich nach Johannisberg eingeladen, meinte Bismarck. Und es verlocke ihn schon einigermaßen, beide kennenzulernen, den alten Metternich und den alten Johannisberger. Seien doch beide sozusagen heute noch immer die interessantesten Gewächse in Europa, den Louis Napoleon vielleicht ausgenommen, aber von dem wisse man noch nicht so recht, was für ein Wein aus ihm werden solle. Indessen – ein Gähnen trieb Bismarcks Zähne auseinander – er werde sich den Metternich und den Johannisberger wohl für ein anderes Mal aufheben. Für jetzt sei ihm ein anderer ans Herz gewachsen, und das sei der Rhein. Den könnten sie morgen bis Koblenz genauer besehen. Bei diesem Sonnenwetter müsse man sich an des Herrgotts Rockschößel halten, und der Johannisberger schmecke bei Regen ebensogut.
Scipio kam herangeschlichen, demütig im Bewußtsein seiner Untaten, setzte sich in gemessener Entfernung auf das Hintergestell und hängte bettelnde Blicke an die Backhühnerreste. Bismarck warf ihm mit mildtätiger Hand abgenagte Knöchelchen zu.
»Hören Sie, Lynar«, sagte er, wie durch den Hund auf das Gemeinsame ihres Lebens gebracht, »wir werden jetzt hoffentlich unseren Haushalt bald auflösen können.«
Graf Lynar wand sich in Verlegenheit.
»Nein, nein, mein Lieber«, beeilte sich Bismarck, »ich meine nicht, daß Sie ein unangenehmer Hausgenosse wären, den ich froh bin loszuwerden. Aber Sie werden es mir nicht verdenken, wenn ich mich danach sehne, die Junggesellenwirtschaft bald abgetan zu haben. Zum Donnerwetter, wozu ist man denn Ehemann und Vater, wenn sich sechsunddreißig deutsche Bundesstaaten zwischen mich und die Meinen legen dürfen. Sie sind um zehn Jahre jünger, Lynar, Sie verstehen das noch nicht so. Ihnen gefällt's vorläufig noch im Junggesellenkarpfenteich.«
Schamhafte Röte glomm aus Lynars hellroter Halsbinde, daß es aussah, als rinne die Farbe aus ihr gegen alles Naturgesetz bergan. Bismarck blies eine große blaue Wolke von sich; und da sich aus ihr durch Spiel des Zufalles ein Ringlein löste, steckte er den Finger hindurch, so daß es sich einen Augenblick lang ansah, als biete sich ein Abbild des Saturn mit seinem Ring. Dann schlug er plötzlich mit der flachen Hand schwer ins Gewölk. Es wallte nach allen Seiten heftig auseinander.
»Man soll das bedenken und mich nicht herumziehen! Werde ich nun Bundesgesandter oder werde ich es nicht? Was für Umstände, daß ich als Legationsrat hierherkomme und mich erst langsam zum Gesandten auswachsen soll. Ich muß erst in die Schule gehen, den politischen feinen Ton lernen, als ein diplomatischer Hosenmatz! Der König wollte es anders. Aber ich weiß, wer dahinter steckt, daß sich die Sache verzögert. Einer, der selbst gerne hier bliebe, wie es scheint.«
Lynar warnte ängstlich durch einen Blick nach Rochows geschlossenem Fenster. Scipio, durch Duldung unverschämt gemacht, rutschte an Bismarck heran und legte ihm mit leisem Gewinsel die lehmige Pfote auf die Hose. Aber Bismarck schleuderte sie mit heftigem Ruck von sich. »Ich weiß es ganz genau. Petersburg paßt ihm nicht mehr, aber Frankfurt, das wäre was. Die vielen kleinen Höfe hier in Süddeutschland, das Leben im Bund, eine höhere Vereinsmeierei. Er ist ein feiner und kluger Mensch, hat's aber mit dem Edelmut und den moralischen Eroberungen. Und mit Leisetreten geht's beim Bund nun einmal nicht. Man muß ihnen auf die Perücken klopfen, daß der Staub herausstiegt. Man muß ihnen Pfeffer in die Nase streuen, daß sie ihren politischen Stockschnupfen loswerden. Ich hab' mir's nun einmal in den Kopf gesetzt, als könnt' ich's. Und der König glaubt's auch von mir.«
Der Rest der Zigarre flog über die Balkonbrüstung; eine glimmende Krümmung bog sich über das Rebengerank wie die Bahn einer Sternschnuppe über die krause Dunkelheit der Nacht.
»Ich weiß nun freilich nicht, wie man die Hintertüren auf- und zumacht. Ich kenne die Lakaienwege nicht. Aber wenn sie mich vielleicht abschieben wollen, nach Darmstadt oder Stuttgart oder weiß ich es wohin, so bin ich derjenige, welcher. Als Legationsrat hier oder als Gesandter an irgendeinem Höflein, ach nee, da bin ich weder Fisch noch Fleisch, weder gesotten noch gebraten.«
Bismarck reckte sich, der Stuhl knackte, durch das Rohrgeflecht ging ein angstvolles Stöhnen. »Kommen Sie, Lynar, wir wollen schlafen gehen. Morgen nach Koblenz. Der Wein hat warm gemacht.« Er löste das weiße Halstuch, schwangt es in der Hand hin und her. »Und wenn man Sie fragt, Lynar – man fragt Sie ja nicht, und von selbst tun Sie den Mund nicht auf –, aber wenn man Sie fragt, so können Sie sagen, ich hätte mich niemandem aufgedrängt. Da man mich aber schon einmal hervorgezogen habe, so gebe es für mich nur eine Entscheidung: der Bund – oder Schönhausen. So … und nun: durch die Mitte ab.«
Vor des Grafen Lynar schnellem Blick nach Rochows Fenstern schien oben eine weiße Nachtmütze von den Scheiben zu weichen. Und es war dem Grafen, als blitze auch Bismarck sehr schnell hinauf. Jetzt aber nahm ihn Bismarck unter dem Arm, und indem er unmittelbar in das komische Pathos eines Heldendarstellers überging, der auf Provinzbühnen den Marquis Posa spielt, schritt er gravitätisch mit ihm ins gemeinsame Schlafzimmer.
Auf dem Balkon blieb nebst dem Mond nur Scipio zurück, der sich abermals seines stolzen Römernamens unwürdig erwies, indem er diebsgewandt auf einen Stuhl kletterte und mit gekrümmter Zunge alle Teller ausschleckte.
Die Fenster des Balkonzimmers blieben offen, und die ganze Nacht rauschte der Rhein in Bismarcks Schlaf.