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22

In diesem Kriegsjahr 1866 – und auch schon seit etlichen Jahren vorher – wurde das Dietrichsteinsche Schloß zu Nikolsburg in Mähren von einem Verwalter betraut, der früher Gymnasialprofessor in Brünn gewesen war und nun seinen Ruhestand mit einem freundlichen Anschein von Betätigung vereinigte. Es war eine Betätigung ganz nach Anton Strahofers Sinn: dem alten Gemäuer liebevoll aufs Wohlergehen schauen, alle kleinen Schäden entdecken, melden und bessern lassen, den Arbeitern auf die Finger passen, allen Motten, Holzwürmern, Schimmelpilzen Wauwau und göttliches Strafgericht sein. Was nur entfernt wie Rost oder Feuchtigkeit aussah, wurde verfolgt und vertilgt, und von der stockigen Moderluft, die sonst in alten Schlössern zum vornehmen Habitus gehört, war in diesen immer von frischer Luft durchpulsten Räumen wenig zu merken. Daß dabei die alten Bildnisse der Dietrichsteine, die Jagdstücke, Stilleben, braungrünen Landschaften, über deren Wolken stets irgendwo die Gottesmutter im Strahlenglanze vorschwebte, gute Tage genossen, ist ebenso selbstverständlich, wie daß die große Bibliothek voll kostbarer alter Bücher, Karten und Handschriften in dem Professor einen Ordner und begeisterten Durchstöberer gefunden hatte.

Und daß schließlich dieses liebe, ehrwürdige Schloß mit seinen Bücher- und Bilderschätzen mitten in der allerlustigsten Weinlandschaft stand, unweit der Polauer Berge, in jenem guten Strich Gotteserde, der zwar politisch noch zu Mähren gehört, in den aber Sprache und Weinsegen vom Nachbarlande Niederösterreich herüberreichen, daß also um dieses Nikolsburger Schloß den Rebstöcken über alle andere Pflanzenheit weitaus die Vorhand verliehen war, das mußte füglich als ein noch besonders hinzugetaner Glücksumstand erscheinen.

Gleichermaßen der stillgewordenen Größe und Vornehmheit heimischer Geschichte, wie dem funkelnden, südlich starken Sonnenschein und der weinfröhlichen Gegenwart zugewandt, ein Vaterlandsfreund im edelsten Heimatssinn, mußte es der Professor als schmerzlichstes Erlebnis seiner bald sechs Jahrzehnte empfinden, daß Österreich in diesem Krieg geschlagen und bis in die Grundfesten erschüttert sein sollte. Zuerst war es kaum zu begreifen gewesen, daß ein solcher Krieg überhaupt entbrennen konnte, der dem Sinn der Historie eines halben Jahrhunderts widersprach. Dann, als man die Dinge immer spitzer und schärfer werden sah, als die Durchmärsche von Fußvolk, Reiterei und Kanonen begannen, Heersäule auf Heersäule, und als man sich vorstellen konnte, wie nicht nur auf dem Stückchen Welt, das man von der Gartenterrasse des Schlosses überschaute, sondern auf allen Straßen gen Böhmen, auf allen Eisenbahnen, links und rechts Hunderttausende von Soldaten gegen den Feind geschoben würden, da ließ man das Bedauern hinfahren und das hohe Siegesgefühl einziehen.

Aber dann kamen die ersten Nachrichten aus Böhmen, ein Getröpfel von Unglück vorerst: Nachod und Trautenau, Skalitz und Gitschin und, als die Siegessaat schon recht trübselig stand, die Hagelwolke von Königgrätz, die alles in den Acker schlug.

Der Rückzug begann, man sah die geschlagenen Truppen zurückkehren, in guter Haltung und bisweilen auch mit Rufen, es sei noch nicht aller Tage Abend, und so schnell schössen die Preußen nicht, daß sie etwa Wien wegnehmen könnten. Wenn sich auch der Professor an solchen Worten ungebrochenen Mutes erfreute, im Herzensgrund blieb ihm doch die dunkle Ahnung eines schlimmen Endes, denn er war zu gut in der Geschichte bewandert, um nicht seine Vergleiche zu ziehen. Und die sagten ihm, daß nun der Krieg entweder für das Vaterland verloren sei oder man sich auf eine sehr lange Dauer gefaßt machen müsse, zwei Gewißheiten, von denen ihm die eine ebenso unerträglich schien wie die andere.

Ein paar Tage nach dem letzten österreichischen Vorüberdröhnen und Staubgewölke kamen preußische Ulanen über die Nikolsburger Katzenköpfe hereingeklappert, und der Professor erfuhr von einem stramm schnarrenden Leutnant, das Schloß sei zum königlichen Hauptquartier ausersehen. Mit einigem Herzklopfen hatte der Professor den Boten der Sieger empfangen; denn, wenn er auch die Gerüchte nicht glaubte, die den Preußen voranliefen, und sie als eine Art von Hunnen zeichneten, denen nur das Kinderspießen und Fleischweichreiten zum Steppenräuber fehle, so fürchtete er doch einen siegesherrlichen Übermut, dem er hätte mit Würde entgegentreten müssen. Er fand aber in den Preußen wohlerzogene Leute, die sich nur in einer etwas stark aufgetragenen Schneidigkeit gefielen, und auch der Mannschaft war nur nachzusagen, daß sie sich gehörig und nicht herausfordernd betrug. So brauchte der Professor nichts von seiner Selbstachtung abzustreichen und konnte gemessen und mit dem Bewußtsein, jetzt in die Welthistorie mit einbezogen zu sein, entgegnen, das Schloß stehe den Herrschaften zur Verfügung.

Am nächsten Tage kam das Hauptquartier von Brünn, und Thusnelda stand im Hof und sah mit strengen Augen in das Gewimmel der Wagen und Reiter. Thusnelda war des Professors Fünfzehnjährige, das letzte der Strahofer-Mädeln, das ihm, nach Abgabe der zwei Ältesten an die Ehe, noch im Haus verblieben war, um ihm für die Schwestern und die tote Mutter zugleich zu gelten. Sie war so in die Welt des Vaters hineingewachsen, daß sie ihm in allen Gedanken und Gefühlen gleich war und darum ebenso schwer an der Niederlage des Vaterlandes trug. Nur daß in ihren fünfzehn Jahren alles viel mehr Farbe und Blut hatte, als in den sechsundfünfzig ihres Vaters, und also auch ein leidenschaftlicher Haß gegen die Sieger in Herz und Kopf und Kehle saß.

Sie musterte die Gäste und hatte sogleich nach den Bildern der Zeitschriften Bismarck in dem Mann herausgefunden, der auf einem Ungeheuer von Pferd neben einem Wagen heranritt, in dem offenbar der König saß. Das Pferdeungetüm schien geradenwegs aus dem Riesenland gekommen, und der Reiter war jedenfalls auch nicht weit davon zu Hause, ein Schwert hing ihm zur Seite, das war wohl zwei Ellen lang, und ein fürchterlicher Helm war auf den Kopf gestülpt. Und wie er jetzt absaß, und auch die anderen von den Pferden und aus den Wagen stiegen, bärtige und breitschultrige Hünen, da kam es Thusnelda vor, als seien die alten Ritterzeiten, die in der Schloßbücherei eingesargt lagen, auf einmal wieder aufgebrochen. Ihr Zorn wurde nur noch heftiger, als sie an dem Banditenhäuptling, dem Verderber des Vaterlandes, nichts fand, worüber sie heimlich hätte lachen können. Es wäre ihr Trost und Vergeltung für das Königgrätzer Unglück gewesen, wenn sie ihm so eine rechte Mädelbosheit hätte anhängen können, einen Spitznamen oder einen Flederwisch, wie man ihn einem verspotteten Lehrer an die Rockschöße nadelt. Daß er müde und verfallen aussah, mit grauem Gesicht und aufgetriebenen Tränensäcken, entging ihr nicht, aber das konnte man nicht zum Anlaß eines Gelächters nehmen.

Thusnelda ging mit unentschlossenen Schritten in Hof und Garten umher, die halbkurzen Röcke schwankten ihr nachdenklich um die Beine, die Zöpfe hingen glanzlos über den Rücken. Ihr Haß geriet immer tiefer ins Ernsthafte, sie konnte es sich nicht verhehlen, daß die Gestalten der Jungfrau von Orleans, der Judith, der Charlotte Corday und anderer entarteter und rabiater Frauenspersonen an ihr vorübernickten und sich heranflüsterten.

Abends zeigte ihr der Vater die Liste, auf der vom preußischen Quartiermeister verzeichnet war, wie die Zimmer auf die Herrschaften verteilt worden seien. Da waren neben den Räumen des Königs die des Prinzen Friedrich Karl – »des Husaren mit dem großen Bart, weißt du« –, und auf der anderen Seite hatte man die Zimmer des Kronprinzen vorbereitet, der demnächst vom Schloß Eisgrub herüberkommen würde. Da wohnte der Kriegsminister Roon, und da der Generalstabschef Moltke, und da Bismarck. Aber nicht bloß Preußen weilten im Hauptquartier, sondern auch Italiener und der Abgesandte Napoleons, der Graf Benedetti, und – der Professor hob die Augenlider und sagte, den Finger auf einem Namen der Liste, mit bebender Stimme: »… und Graf Karolyi, der frühere österreichische Botschafter in Berlin … das bedeutet … das bedeutet natürlich …«

Aber Thusnelda wußte nicht, was das bedeuten könne.

»Das bedeutet natürlich«, schloß der Professor, »daß bereits über den Frieden verhandelt wird.«

Von allen den Namen suchte Thusnelda nur den Namen Bismarck auf der Liste nach, und als sie las, daß ihm das Delfter Zimmer und das anstoßende rote Kabinett gegeben sei, da brannte ihr das Herz plötzlich vor kaltem Schreck so sehr, daß sie den Atem verlor. Das Delfter Zimmer hatte seinen Namen davon, daß es von einem kunstreichen Meister in Blau und Weiß, ganz genau nach Art der Delfter Kacheln bemalt war, so daß man vom Boden bis zur Decke hinauf immer wieder eine Kuh neben einer Windmühle und ein Schiff neben einer Kaffeetasse hingetäfelt sah, viele Hunderte von Kühen und Windmühlen und Schiffen und Kaffeetassen im kalten Delfter Blau und Weiß unter- und nebeneinander. Noch merkwürdiger aber war das benachbarte rote Kabinett, denn, wenn es sich auch in seinem einförmigen pompejanischen Rot mit der holländischen Kachelei nebenan nicht messen konnte, so war es doch vor allen anderen Räumen dadurch ausgezeichnet, daß in ihm eine wirkliche und wahrhaftige, echt mittelalterliche Geheimtreppe mündete. Thusnelda wußte von ihr, wie sie ja jeden Stein und jedes Mausloch des ganzen Schlosses kannte, besser fast als ihr Vater, und sie suchte sogleich auf seinem Gesicht, ob ihm wohl auch eingefallen sei, welche besondere Bewandtnis es mit diesem Raum habe. Aber Professor Strahofer hatte so ruhig über die Liste hingesehen, als biete sie gar nichts besonders Erregendes, und schien jetzt ganz anderen Dingen nachzuhängen; und da sagte sich das Mädchen, daß es wohl seinen guten schicksalmäßigen Grund haben müsse, wenn man Bismarck in das rote Zimmer gesteckt habe, und wenn dessen düsteres Treppengeheimnis auf einmal nur ihr von allen Menschen auf dem Schloß bekannt scheine.

Einen ganzen Tag lang wehrte sie sich tapfer gegen das Gewisper; am nächsten Abend aber war es so weit, daß sie weder aus noch ein wußte, da suchte sie aus dem väterlichen Schlüsselbund jene Schlüssel hervor, die in Betracht kamen, und trat ihren Schleichgang an. Sie ließ sich auf keine Abkürzungen ein, sondern machte den ganzen Weg regelrecht, von der Grotte im gewachsenen Felsgrund des Schlosses an, wo zwischen seltsam verdrehten Zapfen und Muschelzeug ein gespenstisches Pferd aus dem Stein gehauen war, durch alle Wendungen und Windungen, steile Stufen hinan, zwischen Mauern, die so eng aneinander gedrückt waren, daß sogar sie ihre schlanke Person noch schmaler machen mußte. Schließlich glitt sie durch die geheime Tür in das rote Zimmer, nachdem sie vorher sorgsam durch das sinnreich verborgene Späherloch die Leere des Raumes festgestellt hatte.

Kaum aber stand sie vor dem vorspringenden blinden Wandschrank, als welcher die Tür nach außen gebildet war, da fiel ihr ein, daß sie gar nicht wußte, warum sie sich eigentlich hierher geschlichen hatte. Wenn sie etwa ertappt würde, so könnte sie beim besten Willen keine Gründe angeben und vielleicht in diesen grausamen Kriegszeiten gar noch des Spionierens verdächtig werden. Ein Brausen stürzte in ihr nieder; sie tappte unentschlossen nach der Wandtür. Indessen aber malten doch die Augen wenigstens den Eindruck der nächsten Dinge in ihren Mädelkopf ab. Das rote Zimmer war bei seiner Bestimmung als Schlafraum verblieben; das große Himmelbett quirlte in der Ecke seine vier barocken Drehsäulchen aus dem Gestell zur blauseidenen Decke hinan; ein Mantel hing genialisch wüst über das Fußende; ein Buch lag gespalten auf dem Nachttisch hingespreizt, und mit leisem Schämen stellte Thusnelda fest, daß aus der Dämmerung unter der hochbeinigen Bettlade jetzt noch, am Abend, jenes Gefäß matt hervorschimmerte, das die Strahofer Mädels nach einer uralten Familienüberlieferung den Ferdinand zu nennen pflegten.

Plötzlich wurde sie sich dessen bewußt, daß nebenan laut und offenbar sehr erregt gesprochen wurde. Das scheuchte sie nun vollends in die Flucht. Schon lag der Finger am Drücker der Geheimtür, da kam ein Wort, das war wie eine Harpune nach ihrem Herzen geworfen und hielt sie fest.

»Österreich!« sagte jemand, »Österreich … sind wir Gurgelabschneider, daß wir ihm ans Leben wollen? Sind wir Landräuber nach Art des glorreichen Ludwig, den ich den Franzosen herzlich gern überlasse? Ich sage Ihnen, meine Herren, Österreich ist eine Notwendigkeit für Europa, Österreich muß dem Kontinent erhalten bleiben. Sollen wir vielleicht Österreich zertrümmern helfen, damit wir dann an Stelle eines Staates einen Topf Mehlwürmer haben, um den sich die Stare zu raufen anfangen?«

»Haben nicht immer so gesprochen, Bismarck!« sagte ein anderer, und so wußte Thusnelda nun, daß es Bismarck gewesen war, den sie zuerst gehört hatte. »Nicht immer so gesprochen! Kann mich gut erinnern!«

»Gegen den Zollverein mit Österreich bin ich gewesen. Gegen einen deutschen Bund mit Österreich; denn Preußen darf sich nicht an die Wand drücken lassen. Und wenn ich auch manchmal verärgert war, nie habe ich das gute Recht Österreichs angezweifelt, sich gegen uns zu stemmen und zu wehren. Sollen wir uns anmaßen, über sie zu Gericht zu sitzen? Österreich mußte unser Feind sein, aber es steht nicht als Angeklagter vor uns, über den wir eine Strafe zu verhängen haben. Vergönnen Sie ihm den ehrenvollen Rückzug und Frieden, Majestät; nehmen Sie die österreichischen Bedingungen an. Verlangen Sie keine Gebietsabtretung; glauben Sie mir, es ist ihnen Ernst damit, daß der Kampf bis aufs Messer ginge; ich habe dem Grafen Karolyi und dem General Degenfeld in die Augen gesehen. Und was von den österreichischen Soldaten zu halten ist, haben wir ja bei Königgrätz erfahren.«

Eine trockene, rissige, spröde Stimme kam daher: »Das ist es eben, daß bei den Österreichern noch immer eine in den tatsächlichen Verhältnissen unbegründete Überheblichkeit da ist. Dieses Unbezwungentum muß gebrochen werden; man muß sie militärisch niederringen. Unser Einzug in Wien muß sie zur Vernunft bringen.«

»Na … der Einzug in Wien!« sagte die Stimme jenes, den Bismarck als den König angeredet hatte. Bismarck sprach, und es war der kleinen Österreicherin, als höre sie das wundersame Phänomen, das sie an ihrem Klavier so liebte, bei dem der Anschlag einer Taste alle verwandten Töne in der Höhe und der Tiefe ins Schwingen riß: »Ich bitte Sie, Majestät, denken Sie nicht an den Einzug in Wien. Lassen Sie sich's genug sein, Österreich in einer großen Schlacht geschlagen zu haben; verzichten Sie darauf, es auch noch zu demütigen. Hüten Sie sich davor, es zu Preußens unversöhnlichem Feind zu machen. Es könnte Sie einmal gereuen, jetzt Ihrem Siegergefühl allzuviel eingeräumt zu haben. Und überdies: dieser Einzug in Wien dürfte uns keineswegs leicht gemacht werden.«

Jemand widersprach: »Ich denke, Graf Bismarck, das dürfen Sie ruhig den militärischen Ratgebern Seiner Majestät überlassen, wie wir nach Wien kommen.«

»Ich habe allen Anlaß, die Ansichten meiner Generäle als ausschlaggebend anzusehen«, sagte der König mit einem zornigen Ton.

»Die Herren belieben mir im Hauptquartier die Rolle einer Art von Questenberg zuzuweisen. Ich maße mir auch nicht an, in militärische Angelegenheiten sachverständig dreinreden zu wollen. Aber die Herren sind nun einmal im Siegen und glauben, es müsse so immer weitergehen. Ich warne Sie und bitte Sie, nicht zu vergessen, daß die Österreicher einen neuen Bundesgenossen bekommen haben.«

»Na! Na!« warf ihm eine fröhliche Stimme entgegen, »da müßten wir wohl davon wissen.«

»Sie wissen davon … die Cholera! Wir wollen nach Ungarn einfallen – je tiefer wir in dieses Land dringen, desto fürchterlicher wird die Seuche aufräumen. Wissen Sie, daß schon jetzt in manchen Regimentern kaum die Hälfte der Leute dienstfähig ist? Noch können wir dem Krieg ein rasches Ende machen. Und ich habe meine guten Gründe, es dringend zu wünschen. Unser Kriegsziel war, freie Hand in Deutschland zu gewinnen. Dieses Ziel ist erreicht, und ich bitte Sie, Majestät, es nicht … es nicht … auf Landerwerb von Österreich auszudehnen.«

Hart und hölzern hämmerte die Stimme des Königs: »Es bleibt dabei, wir müssen Schlesien haben und die Randstriche Böhmens und …«

Eine kleine Stille brach ein, in der nebenan offenbar irgend etwas vorging; ein Murmeln und Stühlerücken, dann tappten schwere Tritte zur Schlafzimmertür.

In Thusneldas Starrnis schlug mit der Erkenntnis der Gefahr jähes Leben. Eidechsen schnell war sie in der Schranktür und stand zwischen den kühlen, feucht atmenden Wänden. Zaghaft beugte sie sich zu dem Späherauge des Schrankes, das mit dunklem Glas in eine zusammengerollte Schmuckranke unkenntlich eingesetzt war. Da sah sie nicht weit vor sich Bismarck auf einem Stuhl sitzen, aber gar nicht als den Mordgesellen und Riesenkerl, als der er sich ihr im Hof dargestellt hatte, sondern zerbrochen und zerschlagen, als sei er vom Rade gelöst. Die ausgerenkt baumelnden Glieder wurden bisweilen von einem Zucken geworfen, das Gesicht war fahl überronnen, über der spitzen Nase knotete die Stirn einen schweren Wulst, der sich kahl bis zum Scheitel zog. Und jetzt warf er plötzlich die Arme gegen die Kante des Nachttischchens, den Kopf darauf, und über den gekrümmten Rücken lief ihm eine Welle inneren Schüttelns nach der anderen. Es war ein Weinen, das seinen Körper im Krampf zusammendrehte und hilflos herumschleuderte, und wie Thusnelda das durch ihr dunkles Glas mit ansah, war es ein Weinen aus dem Urgrund der Welt, ein Erdbeben, ein Krampf der ganzen Menschheit, so fürchterlich und erschreckend anzusehen, als müßten im nächsten Augenblick die Posaunen des jüngsten Gerichtes losbrechen.

Da konnte sich Thusnelda nicht mehr helfen, ihre Lippen begannen zu zittern, und sie fing an, leise zu weinen, bis sie sich besann, daß sie doch nicht hier hinter der geheimen Tür heulen dürfe, und mit umdunkelten Augen tappend davonschlich.


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