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24

Der alte Pfarrer Mulert in Wossow war ein richtiger hinterpommerscher Knasterpastor und Skatgelehrter. Auf dieser, nach seiner Meinung ziemlich wohlgeratenen Gotteswelt schien ihm, neben anderen höheren Dingen, wie etwa alle Seelenangelegenheiten, eine gute Pfeife und ein bierehrlicher Skat zu den gelungensten Schöpfungseinrichtungen zu gehören. Sein Vergnügen am Irdischen war ohne Arg und wurde von ihm selbst als eine Art minderen Gottesdienstes empfunden, und so war es kein Wunder, daß er seinem Nachbarn, dem hochmächtigen Gutsherrn von Varzin, wohl gefiel, als welchem ja alle zusagten, die sich in diese Welt mit Mut und Vertrauen zu schicken wußten.

Daneben aber hatte der Pastor Mulert aus vielen alten Kalendern, Kirchenbüchern, Urkunden und vergilbten Schmökern eine gründliche Kenntnis der Vergangenheit des Schlawer Kreises zusammengelesen, und es war dem hochmächtigen Gutsherrn auf Varzin keine unwillkommene Zugabe zu des Pfarrers prächtiger Menschlichkeit, daß er sich von ihm über alle Dörfer, Schlösser, Wälder und Berge in dieser buckligen Gegend Geschichten und Sagen erzählen lassen konnte. Es war freilich alles ins Kleinste verschränkt und verschachtelt, und Weltbewegendes war von hier nicht hinausgetragen worden; aber dafür haftete an der Landschaft genug des Heimlichen und Unheimlichen, von alten peinlichen Familienereignissen bis zu den wehklagenden Irrlichtern im Sumpf und dem zweiten Gesicht, daß vielen Leuten hier herum eigen sein sollte.

An einem Julitag des Jahres 1870 bekam der Pastor den Besuch seines Schwiegersohnes. Das war nun freilich kein richtiger Pastorenschwiegersohn, weil doch die überwältigende Mehrheit der Pastorenschwiegersöhne immer wieder unter Kandidaten, Lehrern und Kantoren und anderen, mehr nach geistigen als nach irdischen Gütern Strebenden erwählt zu werden pflegt. Fritz Hochgesandt aber war als Prokurist eines Berliner Bankhauses schon von Berufs wegen mehr diesen als jenen zugewandt, und wenn man sich etwa darüber verwundern sollte, wie der Prokurist zu dem Pfarrerstöchterlein kam, so muß bemerkt werden, daß die Wege des Herzens allenthalben verschlungen und seltsam sein können.

Fritz Hochgesandt war also aus Berlin gekommen, und als er nach den üblichen Grüßen und Gesundheitsversicherungen und -erkundigungen weiter nichts Besonderes vorzubringen wußte, da verstand der Pastor, daß er wegen etwas ganz Besonderem gekommen sein müsse.

Es sollte ihm Gelegenheit zum Sprechen gegeben sein, und so schlug der Pastor nach dem Nachmittagskaffee einen Spaziergang in den Wald vor. Auch dieser späte Nachmittag war noch heiß, und sie traten aus dem Sonnenglast der Ackerfelder in den Waldschatten wie in eine Kirchenkühle. Eine Weile gingen sie nebeneinander und sänftigten den erhitzten Atem.

»Sehr schöne Bäume«, sagte der Schwiegersohn, als sie in den Buchenstand kamen, wo das Laubgewölbe von den glatten, grauen, starken Stämmen hoch über ihre Köpfe gehoben war.

Es lag etwas von Brettsäge und Holzgeschäft in dieser Anerkennung; aber da mußte man nur lächeln, denn dieser Wald stand vor allen Prokuristengelüsten in Sicherheit. »Ja, Bismarck pflegt seinen Wald«, sagte der Pastor geruhig, »väterlich kann man sagen. Ich glaube, seit er das Gut von Blumenthal gekauft hat, ist dem guten Oberförster das Leben sauer geworden. Bismarck kennt wohl jeden Baum. Und wenn der Oberförster einen kranken oder dürren Stamm aushauen will, so gibt es heftige Gefechte. Weißt du, was Bismarck zu tun imstande ist? Ich treffe ihn unlängst im Wald mit dem Gewehr. ›Kommen Sie mit, Pastor‹, sagt er. Ich gehe also mit und denke, ich soll ihm auf dem Anstand Gesellschaft leisten. Aber nein … er zieht mich tief in den Wald hinein, auf eine Blöße, auf der eine Fichte steht. ›Die soll weg, meint der Oberförster, weil sie wipfeldürr ist. Aber steht sie nicht noch ganz schön und stattlich? Kann man so was schon umbringen?‹ Und er zwinkert mir zu, legt dann das Gewehr an, zielt bedächtig und schießt. Es kracht und prasselt in den Zweigen, und dann schlägt das dürre Wipfelgeäst neben uns hin. ›So‹, lacht er, ›und jetzt soll der Oberförster noch kommen und von Wipfeldürre sprechen.‹«

Der Prokurist zog aus dieser Geschichte seine eigenen Schlüsse. »Er scheint also wieder ganz gesund zu sein …«

»Ja, mit Gottes Hilfe hat er's wieder überwunden. Es ist ihm ja in den letzten Jahren einige Male recht schlecht gegangen, mit Magenkrämpfen, rheumatischen Brustschmerzen und Nervenzuständen; aber so arg wie in diesem Mai mit der Gelbsucht war es seit Hohendorf nicht, meint die Gräfin. Jetzt aber ist er wieder obenauf. Er macht seine Karlsbader Brunnenkur, reitet, schießt, daß es eine Freude ist.«

Fritz Hochgesandt wandelte bedächtigen Schrittes: »Ob es wohl wahr ist, daß jede Gemütserregung bei ihm gleich zu einer körperlichen Krankheit wird?«

Der Pfarrer sann sich in Längstdurchdachtes wieder hinein: »Geist und Körper hängen bei ihm wohl enger zusammen als bei anderen. Es ist, als ob dieser Mensch, der sich so hoch über andere erhebt, erdgebundener wäre als sie.«

Sie waren an die Wipper gekommen, die hier wie ein rechtes Waldmärchen aus einem dunkelgrünen Geheimnis hervor unter einem Torbogen von Sonnenlicht hin wieder in ein geheimnisvolles Dunkelgrün hineinfloß. Im Sonnentorbogen schimmerte eine Brücke aus weißrindigen Birkenstämmen. Sie gingen über das Gemurmel hin, sahen Forellen blitzen, dann duftete die Sommerwiese um sie.

»Dann steht jetzt wohl alles gut«, sagte Fritz Hochgesandt, indem er leichthin seinen Stock schwang, »ist alles in Ordnung … da Bismarck bei guter Gesundheit ist.«

Lächelnd drang des Pastors Blick bis auf die Prokuristennieren; es stand also so, daß man Fritz ausgeschickt hatte, um Kundschaft über Krieg oder Frieden zu bringen. Und er beschloß, den Tückebold und Breiumschleicher vorerst ein wenig zappeln zu lassen, steckte also Diplomatenbedenken aus und sagte ein gedehntes Jaaaaa von einem Ton, in dem sehr viel Zweifelhaftes hineingemischt war.

Bankprokuristen mögen hinterpommerschen Pastoren im Verständnis der Kurszettel von Devisen und Valuten überlegen sein; wo es sich aber um Kurszettel von Menschenherzen handelt, sind die Pastoren den Bankprokuristen zumeist über, und es wies sich, daß Zappelnlassen allemal eine gute Politik ist. Gegenüber diesem sehr unsicher einherschwankenden Ja wagte sich Fritz Hochgesandt weiter vor. Was denn Bismarck eigentlich zu dem Ton gesagt habe, der vom französischen Premierminister am 6. Juli in der Pariser Kammer angeschlagen worden sei?

Pfarrer Mulert ließ den Schwiegersohn wieder in sein Gummielastikum von Jaaaa beißen. Er habe seither mit Bismarck nur ganz flüchtig gesprochen und über ganz unpolitische Dinge, als Erntestand und Aussichten für die Hasenjagd.

Nun wurde Fritz ungeduldig und meinte, der Pastor müßte als Bismarcks häufiger Tisch- und Rauchgenosse doch eigentlich wissen, wessen man sich angesichts dieser doch offenbar vor aller Welt angetragenen französischen Ohrfeige von Bismarck versehen könne. Man sage doch, daß Bismarck die ganze spanische Kandidatur nur angezettelt habe, um endlich von der Wetterschwüle durch ein Kriegsgewitter zu erlösen.

Da hielt es der Pastor nicht mehr in der diplomatischen Fischblütigkeit aus und schoß in Redesaft. Er strampelte mit den kurzen Beinen vorwärts und sprach ganz frei von der Leber weg, als wisse er, daß in diesem deutschen Wald die gerade gewachsenen und stämmigen Worte besser seien als die gewundenen und gerankten. Was sich Bismarck denke, das könne man nicht immer wissen, denn er habe wohl in seinem Herzen Fächer, die selbst vor seinen nächsten Freunden mit den sieben Siegeln Salomonis verschlossen seien. Wenn er aber zur Annahme der spanischen Königskrone durch den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen geraten habe, so dürften seine Worte mit seinen Gedanken wohl eines und eines harmlosen Sinnes gewesen sein. Denn die Spanier könnten doch zum König wählen, wen sie wollten, und wenn General Prim etwa nicht einen Hohenzollern, sondern Herrn Fritz Hochgesandt als Herrscher über die Caballeros setzen wolle, so dürften Louis Napoleon und der Herzog von Gramont von Rechts wegen dagegen nicht aufzumucken wagen. Und schließlich sei die Annahme der Krone durch einen Hohenzollern keine preußische Staatsangelegenheit, sondern von vorn bis hinten eine hohenzollernsche Familiensache. Der König sei daran nur als Oberhaupt dieser Familie beteiligt, und Bismarck habe seinen Rat nicht als Bundeskanzler oder preußischer Ministerpräsident, sondern nur als Freund des Königs abgegeben. Die Franzosen aber hätten es sich angewöhnt, in alle Suppen zu spucken und mit den Fingern in alle Schüsseln zu fahren, und wenn irgendwo etwas angerichtet werde, bei dem sie nicht mitgerührt hätten, so wäre Feuer auf dem Dach. Ja – und dann erinnere ihn die edle Nation an die Jahrmarktsaffen, die mit roten Hosen und einem Käppi angetan und ein Gewehr über der Schulter auf den Leierkästen herumhopsten und auf die Buben herunterkläfften.

Hierauf holte der Pastor Mulert tief Atem und wischte die Lippen, die während der letzten Sätze von Speichelbläschen befeuchtet worden waren, mit seinem rot und weiß gewürfelten Taschentuch. Fritz Hochgesandt aber wiegte den Kopf, und das hieß aus der Börsengebärde übersetzt: man kann nicht wissen. Dabei aber freute er sich über den prächtigen Menschen, den er zum Schwiegervater hatte, denn er war für Offenheit und ehrliches Drauflosreden außerhalb seiner eigenen Kreise keineswegs unempfänglich.

Sie waren nach einer Waldwanderung wieder der Wipper begegnet, die nach einem Bogen sachte unter den Buchen hervorkam und eine große Blöße durchschnitt, in deren Mitte ein runder Hügel gewölbt war. Der Abend wehte durch den Wald, füllte ihn mit Schatten, still und groß wich der Himmel über den roten Wipfeln in die Unendlichkeit. Er war ganz dünn, nur ein Hauch im Blau gelöster weißer Wolken; und um so schwerer wuchtete unter diesem leichten Geflimmer die vom Gedränge des sommerlichen Wachstums erfüllte Erde. Wachstum der Gräser und Mose, und Wachstum der Völker war eins vor Gottes Augen, und schließlich entschied über Bleiben und Fallen im kleinen und im großen sein unerforschlicher Ratschluß. Es galt nur, die Hände und die Herzen rein zu halten, und Bismarck war einer, der um und um blank und untadelig war. In des Pastors Freundesseele brannte helle Opferlohe für seinen Helden, in dem die alten Geschlechter alle Kräfte noch einmal gesammelt hatten.

Sie lagerten sich auf den Hügel hin, der Pastor legte den runden Hut ins Gras.

»Du bist doch gekommen«, sagte er plötzlich, »um herauszubringen, was von Bismarck zu erwarten ist. Jetzt sag einmal, was wollt denn ihr, ihr Bankmenschen und Geschäftsleute? Wollt ihr den Krieg oder den Frieden?«

Darauf war die Antwort nicht leicht abzuwerfen, denn einerseits war der Frieden wohl ein köstliches Ding, andererseits aber war einzusehen, daß er doch auf die Dauer nicht würde bewahrt werden können. Der unabwendbar herankommende Krieg drückte die Geschäfte, man wagte nicht, sich zu rühren, die Gelder liefen träge um, die Unternehmungen stockten, der schon auf viel Neues gerichtete Geist wurde von Bedenken gehemmt. Übrigens wußte man genau aus besten Quellen, daß Bleichröder, der doch Bismarcks Berater im Geldwesen war, diesen gebeten habe, doch endlich den Krieg irgendwie vom Zaun zu brechen …

Der Pastor hörte diese Ausführungen seines Schwiegersohnes aufmerksam an. »Bist du fertig?« fragte er, als Fritz Hochgesandt schwebend und ohne Punkt schloß.

»Es wäre noch vieles zu bedenken …«, sagte Fritz unsicher.

»Eines hast du ganz und gar vergessen. Eines fehlt in eurem Kalkül.« Der kleine Pastor setzte sich auf und sah seinem Schwiegersohn ins Gesicht. »Das ist die Ehre, mein Lieber! Jawohl! Ich weiß, sie fehlt auf dem Kurszettel. Aber ich sage dir, ein Staat, der seine Ehre verliert, der kann auch auf der Börse einpacken. Ein Krieg ist immer ein Unglück, jeder Krieg, selbst ein siegreicher. Und wenn er mit Ehren zu verwinden ist, so ist es besser, den Tomahawk nicht auszugraben. Aber wenn der Herzog von Gramont vom Leierkasten herunterkeift, die Franzosen werden nicht dulden, daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setzt, so ist das eine Herausforderung. Wer so spricht, der hat schon alle Gewehre geladen und alle Kanonen schußbereit.« Studentenmut blitzte aus den Augen des alten Herrn.

»Wenn mich einer rempelt und mir ›dummer Junge‹ sagt, soll ich kneifen und sagen: Entschuldigen Sie, mein Herr? … Und wie ich Bismarck kenne, wird er –«

»Was?« fragte Fritz Hochgesandt gespannt in die Dunkelheit, in der das Gesicht des alten Herrn leuchtete.

Aber der Pastor Mulert gab keine Antwort. Es war ihm plötzlich, als werde der Hügel, auf dem sie saßen, von einem inneren Beben erschüttert und schwanke hin und her, als werde die Erde aufgewühlt, wie man es auf Wiesen sehen kann, wenn der Maulwurf aus seinem Haufen ans Licht will.

Mein Gott, dachte der Pfarrer, was ist denn das? Ist unsere alte, friedfertige, hinterpommersche Erde rabiat geworden und hat sich in den feurig-flüssigen Revolutionsunfug hineinziehen lassen? Was soll man davon halten, daß der Boden zu zittern anfängt, als stoße der Teufel mit seiner Schürstange dawider?

Und mit einmal fiel dem Pastor ein, daß sie ja auf dem Heidenhügel saßen, von dem er in einem seiner uralten Bücher die Sage gelesen hatte, daß darunter ein ganzer Stamm begraben sei. Der Name des Volkes war nicht verzeichnet, es hieß nur, daß es auf einer Wanderung in diese Wälder gekommen und hier durch wendischen Verrat nach langem Kämpfe niedergemetzelt worden war. Hat mich Gott auserwählt, dachte der Pastor, die Dinge zwischen Himmel und Erde zu hören? Bin ich nun schon lange genug in diesem Land, habe ich meine Lebenswurzeln so tief hineingesenkt, daß ich mit dem begnadet bin, was so manchem alten Bauer gegeben ist, mit dem Ohr für die Geheimnisse des Waldes? Jochen Südekump hat mir von der Feenhaube erzählt, er habe dort das Singen der Waldschwestern gehört, und vom Häusler Schweinbarth sagt man, er lege das Ohr an eine alte, hohle Weide, um künftige Dinge zu erfahren. Und mir nimmt diese Nacht mein ungläubiges und überkluges Lächeln. Was ist geschehen, daß dieses begrabene Volk hier unter dem Hügel aufbricht und sich wieder auf die Wanderung begibt?

Der Pastor fühlte sich am Arme erfaßt und zum Aufstehen ermuntert. Fritz Hochgesandt spracht etwas. Das verstand der Pastor nicht, aber er folgte seinem Begleiter über die Wiese hin, als schreite er mitten durch eine dichte Menge, deren Gemurmel er rings um sich hörte. Im Dunkel des Waldes war ihm der Weg wie durch ein inneres Licht erhellt, er geriet keinen Schritt vom Pfad, hatte eine Sicherheit, wie sie ihm sehende Blicke nicht hätten geben können. Und dabei lebte der Wald links und rechts in der schweren Finsternis von diesen tiefen, gedämpften Stimmen, die eine rauhe Sprache hatten, vom Knarren der Räder und dem Klirren der Waffen. Es schien, als gehe der Zug in der Richtung ihres Weges, und dabei glaubte der Pastor zu hören, wie allenthalben aus allen Gründen des Waldes neue Haufen zu den Wandernden stießen und sich mit ihnen vereinigten.

Ein Licht brach vorne die Dunkelheit entzwei, legte eine breite, freundliche Scheibe über das Ende des Waldweges. Da stand das Pfarrhaus in den Ackerbreiten, zwischen den Gartenbäumen brach das helle Scheinen hindurch und überrann die weiße, staubige Landstraße vor der Gittertür.

»Ich weiß nicht, was du hast?« hörte der Pfarrer Fritz Hochgesandt fragen, »warum gibst du mir keine Antwort?«

Da faßte der Pfarrer die Hand des jungen Mannes und preßte sie fest zusammen. »Ich weiß nicht«, murmelte er, »laß mich, und sprich nichts davon.«

Das war so seltsam, ganz aus dem Abgrund der Seele gesprochen, daß Fritz nicht weiter zu fragen wagte und auch niemandem von der beängstigenden Geistesabwesenheit des Pfarrers sprach, sondern im Verlauf des Abends immer nur auf dem Gesicht des alten Herrn suchte, ob kein Anzeichen von Krankheit darauf zu entdecken sei. Aber der Pastor betrug sich wie sonst, mit einer vielleicht um einen Schatten ernsteren Heiterkeit, und wie sonst immer, ging er auch heute nach der dritten Pfeife zu Bett.

Er konnte aber lange nicht in den Schlaf sinken, lag lauschend, und jenseits der tiefen Atemzüge der Pastorin glaubte er durch das offene Fenster die Stimmen der begrabenen Völker zu hören, die während der ganzen Nacht unaufhörlich durch den Wald zogen. Wie Kinder sind wir, dachte er, die von Dunkel umgeben sind, in dem Vertrauen und Furcht inbegriffen ist. Aber Gott der Herr wird wissen, was er mit uns vorhat, wer will seine Pläne ermessen, er wird es uns zum Besten lenken. Und als er seine Sache so ganz und gar auf den Hort des Lebens gestellt hatte, kam ihm eine tiefe, selige Ruhe und mit ihr der Schlaf.

Der Morgen brach frisch und fröhlich an; der Pfarrer machte blanke Augen und stieg sorgsam mit dem rechten Fuß zuerst aus dem Bett auf das zottige Ziegenfell, auf daß ihm die sonnige Laune bewahrt werde und der Tag Gutes bringe. Er fühlte sich gewichtig und doch heiter, scherzte mit Fritz, und während sich dieser dann im Gastzimmer zur Abreise bereitete, trat er mit der frühesten Pfeife auf die Türstaffel in den warmen Sommerglanz.

Ein Wagenrollen schwoll heran, und da dem Pfarrer alles Fuhrwerksgeräusch weit und breit wohl vertraut war, glaubte er auch dieses bald zu erkennen. Ist das nicht Bismarcks Wagen? dachte er, ja wahrhaftig … das ist er! Da kommt er aus dem Wald, und die beiden Braunen sind vorgespannt, und Bismarck selbst sitzt breitmächtig darin. Sitzt darin, jawohl! Da fährt er wohl nach Köslin, zum Berliner Zug. Himmel, Herrgott und Heidengrab! … Zum Berliner Zug!

Er nahm die Pfeife aus dem Mund und das grüngestickte Morgenkäppchen vom weißen Kopf. Und Bismarck winkte freundnachbarlich zurück, und plötzlich reckte er den Arm steil in die Luft, als habe er einen Schläger in der Faust und pfiff mit dem unsichtbaren Gewaffen zwei sehr scharfe Hiebe in den blauen Morgen, wie sie auf sämtlichen Mensurböden Deutschlands nicht hätten schöner hingelegt werden können.

»Hao!« stammelte der Pastor, »Quart-Terz'. Scharf' Eysen schneid't. Das ist der Krieg.«


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