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4

Endlich sandte Fra Diavolo in Berlin doch den Pfeil ab, der sich dem Generalleutnant von Rochow mit seinen Widerhaken tief ins Fleisch bohrte.

Manteuffel hatte, aller Gegenarbeit zum Trotz, den Herrn von Bismarck zum preußischen Bundesgesandten ernannt, und als das dem Verschmähten kaum zur Kenntnis gekommen war, wurden die Reisekoffer gepackt, und ein paar Stunden später fuhr Herr von Rochow zur Bahn. Er ließ die Geschäfte im Stich, nahm keinen Abschied, wollte niemanden mehr sehen, war ganz böse. Aber noch ehe der Zug abging, war Bismarck da, sprach so herzlich von Dank für die Einführung in die schwierigen Frankfurter Verhältnisse, und es war so viel aufrichtige Freundschaft und Achtung um den Scheidenden gebreitet, daß er wider Willen seine grimmige Miene fahren lassen mußte. Ehe er sich dessen versah, hatte er, was er vermeiden wollte, getan, einige Winke und Weisheiten als sein politisches Testament an Bismarck abgegeben.

Erst als er im rollenden Zug am Fenster stand und ihm Frankfurt vor den Augen zerrann, kam's wieder über ihn, das Bedauern und ein kleiner Neid, der aber nicht mehr so brannte wie vorhin. »So ein märkisches Sumpfhuhn«, sagte er, schnalzte mit der Zunge und wußte nicht, daß ihm aus seinem gütigen Herzen sogar ein Lächeln auf die Lippen gestiegen war.

Bismarck aber fuhr heim und hatte sich ganz in die eine Wagenecke gedrückt, weil es ihm vorkam, als lehne in der anderen ein Schwert, so lang und breit wie das des steinernen Roland von Bremen.

Er schlug aber noch nicht damit drein, sondern bediente sich vorläufig nur eines spanischen Rohres, mit dem er bisweilen auf das grüne Tuch klopfte, daß die Motten torkelten, und über die Bundesakten drosch, daß in den Registraturen ein Zittern bis in die letzten Spitzzettel ging. Er brachte ein wenig Studentenbrauch und Junkerschneidigkeit in die höfischen Debatten und beschleunigte sie bisweilen so, daß den an langsamere Fahrt Gewöhnten der Atem ausging. Dem Regensburger Gespenst, das sich im Bundespalais niederzulassen drohte, ging er mit kräftiger Beschwörung zu Leibe. Er tat, als merke er das Kopfschütteln nicht, das sich rings um ihn erhob, und als wisse er nichts von den Berichten, die ihn bei den Regierungen als einen schwarzen Peter und preußischen Wauwau hinzustellen nicht müde wurden.

Er wußte seinen liebsten Bundesgenossen nahe, und an einem Herbsttag kam er wirklich, kam mit einer Menge von Koffern und Schachteln, hatte das reinste Gesicht, das je aus Gottes Meisterhand hervorgegangen war, und strahlte aus blauen Augen alles Liebe und Gute, das es auf der Welt gab, Vertrauen und Hingabe, Zuversicht und Fröhlichkeit. Und zwei kleine Zuversichtshelfer hingen an ihm, kletterten jetzt am Vater empor und fingen sogleich an, eine Geschichte von einem grooooßen Elefanten zu erzählen, den sie heute auf einer Wiese neben der Bahn gesehen hatten.

Dann fuhren sie die Bockenheimer Straße entlang, und der Kutscher begann schon oben an der Ecke beim Zigarrenhändler zu schnalzen, damit es gleich alle wüßten, die Frau Gesandtin ziehe ein. Hinterdrein kam ein nicht ganz unbeträchtlicher Steifwagen langsamen Schrittes; auf dem war verstaut, was an Unentbehrlichem bis zuletzt in der Nähe Johannas und der Kinder benötigt worden war. Und das war gut, daß man es rasch bei der Hand hatte, denn was an Kisten und Kasten vorausgesandt worden war, lag noch zyklopisch im Hausflur und in den Zimmern aufgemauert.

»Ach, Liebste«, klagte Bismarck, »du kommst in kein bereitetes Nest. Alle haben sie mich im Stich gelassen. Versprechen gilt bei diesen Leuten so viel wie ein verblühter Löwenzahn im Wind. Sie fangen eine Woche später an und hören zwei Wochen später auf, als sie dürften.«

Es sah wirklich noch ein wenig umstürzlerisch aus; in einigen Zimmern rutschten noch die Maler, mit Papiermützen auf dem Kopf, auf ihren beklecksten Leitern herum, in der Küche putzte der Ofensetzer noch am Herd und fuhr ihm mit dem nackten Arm bis an die Achsel in die Eingeweide, die Glaser klebten im Speisezimmer neue Scheiben in die frisch gestrichenen Rahmen, und dort, wo man der Familie Heimlichstes zu suchen pflegt, stand ein Mann und stocherte mit einem langen Eisenstab in der Tiefe.

Aber Johanna hing an Bismarcks Arm, ging mit ihm aus einem Zimmer ins andere und fand alles so lustig, daß er zuletzt gar nicht mehr ärgerlich war und zugab, es sei so viel romantischer, als sich in eine geglänzte und gebügelte Häuslichkeit zu setzen. So ein Tumult sei, als habe man noch einmal geheiratet; daß es aber keineswegs frisch geheiratet sei, das bewiesen die beiden Bälger Marie und Herbert, die schon mit allen Wänden und Türen und Treppen gut Freund geworden waren und das Haus von vorne nach hinten und von hinten nach vorne durchfuhrwerkten, unbekümmert um die Kinderfrau, die sich über diese Jagd in der Zugluft entsetzte.

Der frühe Abend machte der Handwerkerarbeit ein Ende. Maler, Glaser, Schlosser und Ofensetzer zogen die Röcke an und gingen mit flüchtigem Mützenrücken an den Gatten vorüber. Als es stiller geworden war, trat Bismarck mit Johanna an die Glaswand des Salons. Man sah auf die Steinterrasse hinaus und den Garten, der das Heim von der Straße schied. Dort war die Welt zu Ende, die über den Mann Macht hatte, die seine Kraft verlangte. Die Kinder lärmten im Oberstock, man hörte das Trappeln der kleinen Füße, dann schrie Herbert quiekend hell auf, nicht wie Schmerz, sondern wie höchstes Vergnügen.

Die Steinterrasse vor der Glaswand war dunkel von dem Regen, der den ganzen Tag über fein gerieselt hatte und nun mit der Dämmerung stärker zu werden begann. Bismarck küßte den letzten Schimmer des Tageslichtes von Johannas Augen. »Die armen Augen«, sagte er, »hast du viel leiden müssen? Du darfst mir nie mehr abends lesen und schreiben, außer bei gutem Licht.«

Ach, was war das kleine Augenübel jetzt; hatte es Bismarcks Mund hinweggeküßt? »Es ist nichts«, sagte sie, »du kannst ruhig sein. Die Bäder tun mir gut. Wenn es wiederkommt, will ich nichts versäumen.«

Bismarck hielt sie noch bei den Wangen, stand über ihre Stirn gebeugt: »Wie kann etwas so Strahlendes so schmerzen? Und, Kleine, wie steht's mit dem Französischen? Taugt die Französin was, die du mitgebracht hast? Man braucht es hier in der Gesellschaft; wenn sie hochnotpeinlich werden oder besonders fein, glauben sie, es gehe nur auf französisch. Sind aber viele, die sprechen's so, wie Dütken Sauer das Deutsche.«

Frau Johanna mußte lachen, denn Dütken Sauer war ein Dorftölpel, und sein Deutsch hatte so krumme Beine wie er, also daß es gar nicht aus dem Stolpern kam. Dann aber rang sie die Hände in einem kleinen Verzweiflungsanfall ineinander: »Ach, ich fürchte mich so vor deiner Frankfurter Gesellschaft. Was für strahlende Damen das sind, wie werde ich da bestehen, vor so viel Geist und Eleganz.«

Er drückte die schmalen Schultern an sich: »Du hast dich nicht zu fürchten. Du bist meine Frau! Wie hinter mir der König steht und Preußen, so stehe ich hinter dir. Vergiß das niemals. Würde brauchst du keine, lebe dein liebes Leben für mich, laß sie an der Rinde nagen. Übrigens wirst du Freundinnen finden. Frau von Vrints, die du aus meinen Briefen kennst, die kann dich kaum erwarten. Sie wird dir die Hand geben.«

Zwei Falten waren da um Bismarcks Mund, wo früher oft Grübchen gewesen waren. Deutlich sah es Johanna in der Dämmerung; sie waren jetzt von Schatten erfüllt und umspannten die Lippen stramm und regungslos. Behutsam hob sie die Hände, strich weich über sie hin, als wolle sie die Schatten wegwischen. »Was für Falten sind das?«

Bismarck lachte. »Sind wohl meine Bundestagsfalten!«

»Hast du Ärger?«

»Du bist es, der ich's sagen kann. Ärger und Gelächter kämpfen in mir. Aus kleinen Dingen machen sie große, große verstehen sie oft nicht. Wie oft wollte ich's mir in meinen Briefen von der Seele laden! Aber die Österreicher schauen in jeden Brief hinein, Herr von Vrints hilft dabei, und die Taxischen Gauner haben ihre Kniffe, wie die Posträuber. Man muß vorsichtig sein, wenn man verdächtig ist, wie ich. Ja, der Bund wäre was Schönes, wenn sie so aufrichtig und harmlos sein wollten, wie wir es sind. Preußen hat die ungefährlichsten und gutmütigsten Politiker und eine Politik ohne positive Zwecke und Ziele. Und die Wiener, die uns an Geriebenheit und Schlauheit sechsmal über sind, mißtrauen uns doch.«

»Ich glaube, dieser Graf Thun ist dir nicht sympathisch«, sagte Johanna leise und ein wenig zaghaft, wie jemand, der auf dünnem Eis geht.

Bismarck wanderte mit starken Schritten im Dunkeln. »Sympathisch, das ist kein Wort im politischen Lexikon. Sympathie und Antipathie sind nichts für Diplomaten. Und persönlich mag ich ihn gerne, er ist ein Edelmann und hat die Liebenswürdigkeit seines reichen und begabten Volkes. Und schon um seiner Frau willen mag ich ihn, du wirst sie ja kennenlernen. Aber man kommt durch lauter Liebenswürdigkeit nicht zu seinem Kern. Er ist wie die Zimmermaler: versprechen und nicht halten. Umstände, Weitschweifigkeiten, Verzögerungen, Ausflüchte, das sind ihre Mittel. Diplomatenmittel, aber abgebraucht. Hinter einem geraden Wort vermuten sie neunundneunzig krumme. Es ist kein ehrlicher Handel, sie möchten uns immer gerne übers Ohr hauen wie Roßtäuscher. Und dabei haben sie sich unter den Kleinen eine Gefolgschaft zusammengetrommelt, und ehe man sich's versieht, ist bei der Abstimmung die Mehrheit gegen uns.«

Jetzt aber tobte es draußen die Treppen herab, »Herbert, Herbert!« kreischte die Kinderfrau, Lichtstrahlen zuckten, eine Jagd fuhr durch die leeren Zimmer. Und da kam Herbert wie ein Indianer bei der Tür hereingesaust, in der Hand einen langen Malerwedel und auf dem Kopf eine zerfetzte Malermütze aus Papier, die von allen Regenbogenfarben starrte. Aber da griff die väterliche Hand unvermutet aus dem Dunkel, »oh, die Range!« und der Indianer wurde hochgeschwungen und irgendwo in der Finsternis auf eine Schulter gesetzt, daß er vor Vergnügen brüllte. Die Kinderfrau kam keuchend in die Tür und beleuchtete die Begebenheit mit einer Kerze. »Mein Gott«, stammelte sie, »die dreck'ge Mütze … er ist so wild!« Und sie deckte die Kerze mit gekrümmten Fingern gegen die Zugluft, daß ihr bestürztes Gesicht ganz hell beleuchtet war.

Langsam glitt der Indianer zu Boden. Wie auf einmal alle diese Mauern lebten! Das tote Knistern und Rieseln, das Bismarck in diesen Räumen gehört hatte, war fort. Kinderstimmen banden Stein an Stein, machten das alte Holz neu und elastisch.

Bismarck umfing Johannas Leib und fühlte unsäglich beglückt die Rundung ihrer Hüften. »Ach du«, sagte er aufatmend, »nun bin ich daheim!«

Er führte sie in das einzige bewohnbare Zimmer, wo Hildebrand ein junggesellenhaftes Abendbrot angerichtet hatte. Draußen rieselte der Regen weiter auf die Gartenbüsche, vor dem Gitter, auf der Straße, stand die Welt und machte hungrige und böse Augen; aber Bismarck fühlte sich so schwer von Fäusten und stark von Herzen, daß er ihrer wohl Herr werden konnte.


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