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32

An einem späten Januarabend ging der König in zerrissenster Laune durch die langen Galerien des Versailler Schlosses.

Der Kronprinz war dagewesen, Schleinitz, als Minister des königlichen Hauses, und Bismarck, der ihm wieder schonungslos zugesetzt hatte in dieser letzten Beratung vor der morgigen Ausrufung zum Kaiser.

Glas und Gold, Glas und Gold, Glas und Gold in endlosem Wechsel, Gebaumel von Kristallkronleuchtern über dem Kopf, dann olympische Szenen von großem Wurf, in denen die strahlendste Nacktheit immer höchst wirkungsvoll gegen die erhabenste Würde abgesetzt war, blühendes Fleisch gegen Stahlpanzer und Allongeperücken, die Mythologie und die Historie waren hier abgeschildert, und wenn man dieses Gewimmel von Göttern, Göttinnen, Heroen, Riesen, Königen, Barbaren und Feldherren betrachtet hatte, so mußte man zuletzt davon überzeugt sein, daß die ganze Welt- und Menschheitsgeschichte von vornherein ausschließlich zum französischen Privatgebrauch erfunden worden sei.

Dann kam der König an dunkeln, schmalen Bildnissen französischer Herrscher und Prinzen vorüber, in denen die Teilnehmer des olympischen Deckengetümmels in einer den Sterblichen zugänglicheren Fassung Platz genommen hatten.

Der König durchschritt viele Gemächer, von denen ein jedes seine Besonderheit und große Bedeutung hatte, das eine durch kostbarste Stuckarbeit, das andere durch ein Wunder von Marmorkamin, eines durch eine Tischplatte aus einem einzigen riesenhaften Malachit und ein anderes durch die Menge edelster Porzellangefäße, die darin aufgehäuft waren. Hie und da standen Posten und hüteten die Türen, durch die man zu einem deutschen Fürsten oder Herzog oder König kam. Hofbeamte warteten in den Vorzimmern, sie verbeugten sich vor dem König, die Posten zogen die Gewehre an und standen in stählerner Strammheit.

Der König sah das alles kaum, er war in seine bitteren und grimmigen Gedanken zu tief eingesenkt. »Wie eine Presse ist er«, dachte er, »unerbittlich, man fühlt sich wie zwischen zwei harten Brettern. Er schraubt und schraubt, der Atem vergeht einem, man spürt, wie einem der eigene Wille ausgepreßt wird. Wie ein Saft läuft einem der Wille aus; was zurückbleibt, ist wie Ton, den er mit seinen Händen kneten kann.«

Wieder schritt der König durch Glasgalerien, die nur von wenigen Lichtern erhellt waren. »Und ich«, spann der König seine Gedanken fort, »ich soll immer der Prellbock zwischen ihnen sein. Alle rennen mit ihren harten Köpfen gegen mich. Moltke und Bismarck fechten ihre Turniere aus, und mich treffen die Püffe. Bismarck zerrt dahin und mein Sohn dorthin. Dem ist es noch viel zuwenig, was geopfert wird, der möchte alles noch achtundvierzigerischer haben, als es ohnehin schon ist. Aber ich weiß nicht … vielleicht mache ich ihnen allen noch einen dicken Strich durch die Rechnung.«

Während dieser Gedanken war der König auf seiner Flucht vor Begegnungen mit Hofbeamten und Offizieren in immer abgelegenere Teile des Schlosses geraten. Es schien ihm, als müsse er schon sehr lange umhergewandert sein; nur selten drangen noch ferne Stimmen zu ihm, Nachtstille zog alle Geräusche ein. Aber der König konnte noch nicht zur Ruhe kommen, die Wendung der Geschicke ins Große war für ihn nichts als eine schwere Bitternis, Trennung seiner Wurzeln aus heiligem Lebensgrund.

Bescheidener waren die Wände, an denen er jetzt vorüberschritt, Prunk und Pracht des Sonnenkönigtums war hier dem Gebräuchlichen gewichen; vielleicht hatten hier die Diener oder Beamten gewohnt, die Hofdamen, ehe sie von einer Neigung ihres Herrn in seine Nähe gerückt wurden.

Schließlich stand der König am Ende eines langen, schmalen Ganges vor einer roten Tür; er war nie in diesem Teile des Schlosses gewesen, es wandelte ihn die Lust an, einmal eines dieser Gemächer anzusehen. Wie er nur die Hand auf die Klinke legte, gab diese so überraschend schnell nach, als habe sie auf ihn gewartet, und er trat ein. Dunkel lag der Raum vor ihm, Schneedämmerung füllte nur eben den Fensterrahmen, und er sah nichts als an der Wand, gerade der Tür gegenüber, ein kleines Bildchen, das von dem Licht am Beginn des Ganges matt aus der Finsternis herausgeschnitten wurde. Er trat heran und sah zu seiner Verwunderung, daß es ein sprechend ähnliches Miniaturbildnis des Alten Fritz war, eines der kleinen Meisterwerke der Porzellanmalerei, wie sie das achtzehnte Jahrhundert so zierlich und lebendig zu üben verstand.

Der König fragte sich, wie das Bildchen wohl in das Schloß der französischen Könige gekommen sein mochte, ob es vielleicht ein Gesandter Preußens mitgebracht und in seinem Zimmer zurückgelassen hatte, oder ob es ein Geschenk des Königs an einen Literaten gewesen und von diesem seiner Freundin weitergegeben worden war. Es blieb immerhin einiges daran herumzurätseln, und es verlohnte sich schon, das Bildchen mitzunehmen und genauer zu untersuchen, ob nicht Unterschrift oder Widmung irgendeinen Fingerzeig gäben.

In seinem Schlafzimmer angelangt, setzte sich der König in den behaglicheren Armstuhl, den er allen hochlehnigen, kronengeschmückten Prunksesseln vorzog, und rückte das Bild in den Lichtkreis der hochgeschraubten Lampe. Es war wirklich ein äußerst lebendiges Bild des großen Preußenkönigs; mit einer peinlichen Wahrheitsliebe verzeichnete es alle Runzeln des alten Gesichts, ohne daß man hätte sagen können, dieser Pinsel sei nichts als ein Sklave der Natur gewesen; denn von künstlerischem Vermögen sprach der Ausdruck leise ironischer Klugheit, und vor allem diese Augen, die aus dem Gesicht hervorsahen, als befände sich hinter der Porzellanplatte wirklich eine Seele, deren Blick sie zu versenden hätten.

Im übrigen aber war weder auf, noch hinter dem Bild, noch am Rahmen irgendein Hinweis, wie es in den Palast des Sonnenkönigs gekommen sein mochte.

Wie der König das Bildnis seines Ahnen so hin und her wandte, wurde ihm ein wenig freier und leichter zumute, als habe sich ein guter Freund und treuer Berater zu ihm gesellt, dessen Anwesenheit allein schon alle Kümmernis milderte.

Ach, dachte er, wenn ich ihn doch um Rat fragen könnte … ihn, den größten aller preußischen Könige! Er würde mir das Richtige sagen, denn es geht doch um den Namen, dem er Achtung und Geltung verschafft hat; es ist das Schicksal seines Geschlechtes, das sich entscheidet.

Wenn ich ihn rufen könnte … wenn meine Stimme zu ihm dränge in sein himmlisches Sanssouci … vielleicht stünde er eben inmitten seiner Tafelrunde und spielte Flöte. Und da käme mein Ruf, und er horchte und legte die Flöte weg und sagte: »Pardon, Messieurs … man ruft mich unten. Ich muß doch mal nachsehen …« Und dann käme er die lange Himmelstreppe hinab und träte in eben dieses Zimmer und klopfte mit dem Stock bis zu mir hin und sähe mich an … mit diesen Augen da … und fragte: »Na, was hat Er denn, red Er einmal frisch von der Leber weg.«

»Sire«, würde ich sagen, denn ich weiß nicht, ob ich ihm einen anderen Titel zu geben wagte, »es handelt sich darum, daß ich aufhören soll, König von Preußen zu sein.«

Es ist gewiß, daß da diese Augen Feuer sprühen würden, und die Donner aller seiner Schlachtfelder würden grollen: »Wie denn das, enchantier Er sich!«

»Ja, ich soll Deutscher Kaiser werden«, müßte ich sagen, »da muß ich doch wohl den preußischen König dahinterlassen. Unser Preußen, Sire, unser Preußen soll in Deutschland aufgehen. Haben Sie deshalb sieben Jahre um Preußen gekämpft?«

»Hm«, würde der König machen und den Krückstock gegen das Kinn stemmen, »ja, schmeiß Er mir nicht alles in einen Topf. Deutscher Kaiser ist kein gar so übles Ding, wenn's nicht einer von der Sorte wird, die glauben, alles Heil läge jenseits der Alpen, oder so ein Jämmerling, der die Reichskleinodien vertrinkt. Ist alles bei meinem Stamm nicht zu befürchten. Und es ist mir doch, als wäre dieses ganze Jahrhundert schon angefüllt von dem Geschrei nach einem Deutschen Reich und einem Kaiser.«

»Das ist richtig, Sire«, würde ich sagen müssen, »laut genug hat's ja geklungen. Ich würde aber niemals darauf eingegangen sein, den Gedanken auch nur zu erwägen, wenn er auf die achtundvierziger Manier gekommen wäre, vom souveränen Volk und so … Aber nun bringen mir die Fürsten die Krone dar …«

»Red Er mir nicht so vom Volk«, würde der Alte Fritz sagen, und vielleicht sähe er dabei sogar etwas zugespitzt lächelnd aus, »man lernt darüber oben anders denken, wenn man erst einmal durch die große Knochenmühle gegangen ist. Wenn Er sich aber auf die Fürsten kapriziert, so hat Er ja ohnehin, was Er will.«

Da würde man sich wohl ereifern müssen: »Ob vom Parlament oder von den Fürsten, als König von Preußen bin ich dreiundsiebenzig Jahre alt geworden und habe mir Mühe gegeben, ein rechter König zu sein, wie er auf Preußens Thron gehört …«

Und wenn man genau hinsähe, so würde man vielleicht die Freude haben, ein kurzes, zufriedenes Nicken Friedrichs wahrzunehmen, da würde man gehobener fortfahren können: »Und nun soll man diesen Rest Leben an etwas ganz anderes wenden, an einen Kaisernamen, den man nicht liebt, der etwas ganz Neues ist. Zweierlei kann mit diesem Kaiser sein: er ist entweder ein Schatten, ein bloßer Titel, eine leere Würde, und dann ist es eines Königs von Preußen unwürdig, ihn zu tragen. Oder aber er ist wirklich etwas Lebendiges, etwas Starkes, dann braucht er alles Erdreich für sich, und der König von Preußen verkümmert neben ihm.«

Aber wie, wenn der große Fritz jetzt etwa eine Prise nähme und dabei nachdenklich sagte: »Larifari … kommt ganz auf den Kerl an, kann mir recht gut vorstellen, daß einer kann König von Preußen sein und Kaiser von Deutschland dazu, ohne daß ihm die Erde zu knapp wird. Und dreiundsiebenzig Jahre ist kein Alter! David nahm noch ein Weib, da er hundert Jahre alt war, und glaub Er mir, das ist ärger als Kaiser werden.«

Und da würde man, wenn sich der Alte Fritz so ausließe, wohl alles recht beweglich vorstellen müssen: »Es sollen neue Reichsfarben aufgezogen werden: Schwarz, Weiß und Rot.«

»Ist doch Preußens Schwarz-Weiß schön darinnen«, würde aber der König vielleicht einwenden. »Die Fahnen, die über die Barrikaden geweht haben«, sage ich, »hätten mir nie über meinem Thron flattern dürfen. Aber dann ist noch dies, daß die Armee kaiserlich heißen soll und die Flotte kaiserlich. Die Flotte ist was Neues, die mag sich meinetwegen nach den neuen Zeiten etikettieren. Aber von meinem preußischen Heer mag ich nicht Abschied nehmen.«

Und nun spähe ich nach Zustimmung im Gesicht des Königs, der dieses Heeres Schlagfertigkeit vollendet und seinen Ruhm bis zu den Sternen gehoben hat. Aber was soll man dazu sagen, daß er den Kopf schüttelt: »Kommt auch da immer wieder auf den Kerl an, der den Schießprügel trägt. Wie er dabei heißt, ist dem Feind einerlei, wenn er totgeschossen wird. Hör Er, seine ganze Not steckt im schweren Preußenblut, das glaubt, die Welt muß untergehen, wenn sie nicht schwarz-weiß angestrichen bleibt. Da Er mich nun einmal gerufen hat, so will ich Ihm nur sagen, mir wär's schon recht, wenn Er ja sagen wollte.«

Aber da ist es mir, als dürfte ich mir in dieser Sache von niemandem etwas befehlen lassen, auch vom Alten Fritz nicht, und ich sage: »Aber es geht mir ganz wider Herz und Gewissen, ich mag Preußen nicht an Deutschland verraten. Sie mögen ihr einiges Reich haben, das haben sich die Deutschen redlich verdient, und auch ihren Kaiser. Aber ich mag es nicht sein, der so heißt. Ich trete zurück und überlasse alles Fritz. Er mag sich in die neuen Dinge hineinfinden, er hat's ja von vornherein darauf abgesehen gehabt, und schließlich kommt es ihm und seinen Nachkommen zu, das neue Reich recht stark und fest zu machen. Ja – nun ist's entschieden: ich gehe ab, mögen sie meinem Sohne die Krone geben.«

Das habe ich kaum gesagt, so sind die Augen des Königs wie Lichtbündel, er stampft mit dem Krückstock auf den Boden: »Schockschwerenot«, schreit er, »hat Er mich deshalb molestiert, um mir dann aufzumucken. Sperr Er sich nun nicht länger und nehm Er auf sich, was Ihm auferlegt ist; was weiß denn Er, wie sich eins ins andere fügt. Ist Er wirklich so blind, daß Er den großen Zusammenhang nicht erkennt und sich an Altpreußen anklammert, wo doch dessen Stunde jetzt geschlagen hat?«

Und jetzt sehe ich erst, wie sehr die Augen des Königs denen Bismarcks ähnlich sind, wenn er seinen großen Zorn hat und ihn nur der Respekt vor mir hindert, loszudonnern, wie er wohl möchte.

Und da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als nachzugeben, und ich sagte: »Dann will ich es also tun, wenn es so verhängt ist. Aber dann will ich auch nicht Deutscher Kaiser heißen, sondern Kaiser von Deutschland.«

»Ach, heißen kann Er sich, wie Er will«, sagt da der König, »wenn Er's nur ist.« Und er nickt mir zu, nimmt eine Prise und geht, mit schief geneigtem Kopf, seinen Krückstock fest aufsetzend, aus dem Zimmer.

»Ja, so würde er wohl sprechen«, sagte Wilhelm seufzend, indem er das Bild weglegte, das er bisher so fest betrachtet hatte, daß ihm nun die Augen zu flimmern begannen. –

Am nächsten Morgen verbreitete sich in den untersten Einquartierungsschichten des Versailler Schlosses ein absonderliches Gemurmel. Der Ulan, der spät in der Nacht vor des Königs Tür die Wache gehabt hatte, wollte seinen Kameraden eine Gespenstergeschichte aufbinden. Er habe eine Gestalt den Korridor herabkommen sehen, die sei wie der Alte Fritz anzusehen gewesen, so wie man ihn in hundert Volksbüchern und Kalendern abgebildet habe; dem Posten sei die Stimme im Halse festgefroren gewesen, und da sei sie ohne weiteres beim König eingetreten, und nach einer guten Weile sei sie wieder hervorgekommen.

Die Soldaten lachten und sagten, der Posten hätte nur zugreifen sollen, da hätte er schon irgendeinen Kammerdiener in Händen gehalten; und etliche meinten, man dürfe sich darüber nicht verwundern, Mulert sei der Sohn eines Pastors in Hinterpommern, und dort hätten ja zehn Leute zusammen elf Gesichter, weil jeder zehnte Mensch sein zweites Gesicht habe.


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