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Frau von Vrints hatte einen ihrer strahlendsten Tage. Ihr leichtes Sommerkleid lag auf dem Moos, als wäre es aus Wiesenschaumkraut gewoben, und ihr Gesicht blühte so frisch auf einem Hintergrund von wildem Waldgebüsch, als hätte sie das gute Wetter erfunden. Der fünfundsechzigjährige Marquis Tallenay, der unermüdlichste ihrer Bewunderer, nahm keinen Anstand, ihr das einige Male zu wiederholen und hinzuzufügen, man brauche nur die schöne, junge Gräfin Thun anzusehen, um zu merken, daß diese sich geschlagen fühle. Und Graf Szechenyi, der zu ihrer Linken lag, meinte, es lohne sich, den deutschen Bund zusammengetrommelt zu haben, einzig aus dem Grunde, damit ihr Ruhm sich vom Rhein bis zur Weichsel verbreite. Was den magyarischen Globus anbelange, so wolle er schon dafür sorgen, daß man erfahre, wo die schönste Frau Europas zu finden sei.
Selbst Baron Brenner von der österreichischen Gesandtschaft machte, obzwar er pflichtgemäß gemeinsam mit Fräulein von Umständer aus einer kleinen Kaviarbüchse löffelte, seine romantischsten Augen zu ihr hinüber. Man hatte ihn der sommersprossigen Bankierstochter zugeteilt, und da er viel zu faul war, um sich dieser Pflicht durch einen Staatsstreich zu entziehen, verharrte er auf seinem Posten und ließ nur seine Blicke wandern.
Auch die Gräfin Thun hatte ihren Stamm von Bewunderern um sich versammelt, Herrn von Bülow, den Gesandten von Holstein und Lauenburg, den Darmstädter Munch, dessen gemessene Höflichkeit bei ihr immer ein wenig wärmer wurde, den bayerischen Gesandten Schrenck-Notzing, der ihr zu Ehren seine besten Hofbräuwitze auskramte, und Herrn von Regenhardt selbstverständlich, den Advokaten und Ratsherrn, dessen Gattin ihr Taschentuch zerknüllte, weil sie niemanden bei sich hatte als den österreichischen Baron Nell, der schon mit der Zunge anzustoßen begann.
Sie lagen auf einer Waldblöße des Taunus, der sich vor ihren Blicken unabsehbar buckelte, als bestehe Deutschland von einem Ende bis zum andern aus nichts als Wald, wie zu des Tacitus Zeiten. Daß des Tacitus Zeiten aber vorbei waren und seither sehr viel Französisches nach Deutschland hereingeflattert war, hätte man aus den Witzen des jungen Herrn von Umständer entnehmen können, die einer Schar von jungen Mädchen und Frauen eine Röte nach der andern von Nacken und Busen über Hals und Gesicht riefen und die geschmückten Ohren erglühen machten.
Unten auf der Straße standen, ganz klein und unansehnlich, die grüngestrichenen Landauer, in denen man gekommen war. Die Kutscher lagen im Farnkraut und schliefen, nur Hildebrand hielt die Augen offen, sah dem Geschwirr glasheller Flügel zu. Der Wald sang tief und voll, aber davon war oben auf der Waldwiese nichts zu hören, über die Frauenlachen und Gläserklingen in lauen Wellen ergossen war.
Graf Thun ging ruhelos zwischen den Gruppen umher und band jeder Frau eine hübsche kleine Schmeichelei an. Niemand war ein liebenswürdigerer Wirt als er, und niemand konnte das Bild des heiteren und lebenslustigen Österreich mit einem einzigen Lachen so hervorzaubern. »Alsdann, mein lieber Mott«, sagte er zu dem kurhessischen Gesandten, der rinnenden Schweiß mit einem Taschentuch bekämpfte, »machen S' doch keine Faxen. Wir sind doch unter uns, nicht? Sommerlust bei 18 Grad im Schatten. Da zieht man sich halt den Rock aus.« Und er riß mit einem Athletengriff den kaffeebraunen Rock vom Leib, als gelte es einen Ringkampf, warf ihn dem Diener zu und stand in battistenen Hemdärmeln.
Herrn von Mott blieb der Atem aus, und der Schweiß trat ihm noch stärker aus allen Poren. Er warf einen erschrockenen Blick nach den Damen und einen hilfeflehenden nach den Kollegen vom Bund, die auf einem kleinen Gesprächsklumpen nahebei unter einer Linde standen. Die Damen schienen des gräflichen Gastgebers Hemdärmeligkeit weiter nicht übelzunehmen; aber bei den Kollegen sah er von Bedenken langgezogene Gesichter. Der Mecklenburger Oertzen hatte die Hände auf den Rücken gelegt; jetzt schob er sie wie zur Verwahrung noch ein Stück höher hinauf, daß die Rockschöße hinten abstanden wie Flügel einer lahmgeschossenen Krähe. Der alte Smidt aus Bremen zog sein faltenreiches Gesicht bis zur Unterlippe in das Halstuch ein und hatte ganz das Ansehen einer Schnecke, die sich in ihr Haus zu begeben beabsichtigt, und da dem Gesandten Sachsens, Herrn von Nostitz, eben kein passendes Zitat aus Schiller einfiel, meckerte er ein hölzernes: »He, he!« Obzwar Österreich, wie es sich gehörte, das Beispiel gegeben hatte, war nämlich noch keineswegs festgestellt, in welcher Reihenfolge es nachgeahmt werden dürfe und ob etwa der Gang der Abstimmung im Bundestag auch auf diesen außerordentlichen Fall vorbildlich anzuwenden sei.
Mott, dem es vorgemacht worden war und der nach dem Maß seines Schwitzens auch der Nächste dazu war, fühlte sich keineswegs berufen, es so ohne weiteres nachzumachen, hielt sich unschlüssig zwischen persönlichem Bedürfnis und diplomatischem Bedenken selbst an den Rockaufschlägen und sah von einem zum andern.
Aber Herr von Bismarck, preußischer Legationsrat, an diplomatischem Verständnis und bundestäglichem Dienstalter der Benjamin der Gesellschaft, warf, ohne abzuwarten, wie sich der weitere Verlauf ordnen würde, seinen Rock ins Gras und sagte: »Sie haben recht, Graf Thun, warum sollen wir in der eigenen Schale sieden wie Kartoffeln? Wenn die Damen nichts dagegen haben.« Seine Hemdärmeligkeit war freilich keine so feinbattistene wie die des österreichischen Gesandten, aber dafür stammte sie aus den Schönhausener Hochzeitstruhen, zeigte ein Gewebe, das bis fünf Meilen hinter die Ewigkeit zu halten versprach.
Und als dies geschehen war, da kam eine plötzliche Wallung über die ganze Waldwiese, so, als hätte sich sämtlicher Herren Blut mit einem Schlag um mehrere Grade erhitzt. Sie beeilten sich, ihre Röcke abzuziehen und fortzuwerfen wie eine Schar von Schauspielern, die sich mit höchster Geschwindigkeit zwischen zwei Akten umzuziehen hat. Braune, blaue und grüne Tuchklumpen ballten sich auf dem Moos, und mitten darinnen lag Motts zitronengelber Nankingrock mit ausgebreiteten Ärmeln und einem großen dunkeln Schweißfleck auf dem Rücken, wie ein verflogener tropischer Riesenfalter. Des Grafen Diener gingen dazwischen herum und lasen die abgeworfenen Hülsen auf, um sie den Fichten des Waldrandes an passende Zweiglein zu hängen.
Nur der Marquis von Tallenay hatte an der Entkleidung keinen Anteil genommen; denn er war fünfundsechzig Jahre alt und aus der guten Pariser Kulturschule. Und der alte Smidt aus Bremen hatte sein Kinn mit offensichtlichem Verdruß noch schneckenhafter in die Halsbinde gezogen. Denn auch er mißbilligte dieses leichtfertige Wesen, und überdies hatte er, weil die Woche an den Samstag geraten war, kein einwandfreies Hemd vorzuweisen.
»Wir würden nie«, meinte der Marquis zu seiner schönen Nachbarin, »in Gegenwart von Damen uns so zeigen. Ich muß gestehen, daß in diesem Belang die deutschen Sitten für unseren Geschmack etwas – frei sind.«
»Hören Sie, Bismarck«, rief Frau von Vrints den Preußen an, der seinem Rock nachging, um ihm die Zigarrentasche zu entnehmen, »der Herr Marquis hat mir soeben ein Tadelsvotum zukommen lassen. Hoffentlich wird uns Frankreich nicht noch einmal wegen unserer robusten Sitten den Krieg erklären.«
Bismarck blieb vor der kleinen Gruppe stehen, vor der klugen und schönen Frau, die des ganzen Frankfurter Getriebes Seele war, dem lustigen Ungarn, der hinter ihrer Schulter die Augen zukniff und anzügliche Grimassen schnitt, und dem Franzosen, der zart und feingliedrig auf dem deutschen Waldboden lag, so seltsam wenig zu ihm passend wie ein Sèvresfigürchen ins Heu. Frau von Vrints sprach ein tadelloses und wundervoll schwingendes Französisch – das beste Französisch in Deutschland, wie der galante Marquis zu behaupten pflegte –, aber das Französisch, mit dem Bismarck den Ball aufnahm, war kaum minder gut. »Ich schätze Frankreich und die Franzosen zu sehr«, sagte er, »um nicht einzusehen, was sie in ihrer großen und reichen Kultur vor uns voraushaben. Aber ich weiß auch, daß sie ihr Scharfsinn befähigt, dem, worin sich andere Völker von ihnen unterscheiden müssen, Gerechtigkeit werden zu lassen. Schließlich kommt es auf Äußerlichkeiten nicht so sehr an, Marquis, Rock oder Hemd … dann kommt ja doch die Haut, bei Franzosen und bei Deutschen. Übrigens«, er hielt inne, und ein lustig weltmännisches Lächeln schob sich in sein Gesicht, »haben die Franzosen jedenfalls den Ruhm, das Parfüm, wenn nicht erfunden, so doch in allgemeinen Gebrauch gebracht zu haben.« Damit verneigte er sich ein ganz klein wenig und ging auf den Fichtenstamm zu, an dem sein Rock hing.
»Gesprochen wie ein Diplomat«, sagte der Franzose, indem er ihm mit wohlgefälligem Kopfnicken nachsah und dann befriedigt ein wenig von der Patschuliwolke einsog, die von ihm über den Boden ausging.
Übrigens schien die Hemdärmeligkeit wirklich die Laune der Waldgesellschaft zur Ausgelassenheit gesteigert zu haben. Die Witze des jungen Herrn von Umständer wurden immer gewagter, und mit so großem Behagen man ihnen hätte weiter zuhören mögen, schließlich mußte man um des guten Scheines willen Einhalt tun und etwas anderes an ihre Stelle setzen. Die junge Gräfin Thun hatte sich zu der Runde gesellt, und die vermochte zu den Zweideutigkeiten einer derartigen Unterhaltung ein solches Gesicht zu machen, daß es gleich die ganze Saat verhagelte. Man tanzte ein wenig zu den Dudelsacktönen einer Okarina, die der Baron Brenner zu spielen verstand. Aber der Rasen wies einen solchen Wechsel von Berg und Tal im kleinen, daß man bald von dem anstrengenden Unterfangen abkam und den flatternden Ring wieder in Paare löste.
An der Moosbank, wo auf weißem Tuch noch immer einige Schlachtreihen belegter Brote ausgebreitet waren und einige Torten wie halbzerstörte Redouten auf Abtragung warteten, trafen sich drei Herren. Sie aßen Zungenwurst und Trüffelpastete und achteten für sich darauf, daß beim Griff nach den Tellern die Reihenfolge der Abstimmung im Bundestag eingehalten werde.
»Was sagen Sie?« meinte Nostitz, indem er mit geschickter Zunge ein verlorenes Krümchen aus dem Mundwinkel hob.
Der Lübecker Gesandte Brehmer wischte heftig kauend mit seidenem Taschentuch den Mund. »Haben Sie sein Hemd gesehen? Er ist ein Bauer.«
Herr von Munch machte seine kalten, spitzen Augen: »Das kommt davon, wenn man eine solche Gans von Frau hat. Eine Landpomeranze, sage ich Ihnen … was man so hört.«
»Er soll doch früher«, warf Nostitz ein, »etwas auf sich gehalten haben. Man erzählt allerlei. Es soll sich manches zugetragen haben, in Wiesbaden zum Beispiel.«
Herr von Munch war an der Reihe, Zungenwurst zu nehmen. »Das mag sein. Aber ich sage Ihnen, meine Herren, es ist die Frau, die den Mann macht. Die seinige scheint aus der Zeit von Vossens ›Luise‹ zu stammen. Halb Hausmädchen, halb Kinderfrau. Mein Gott, wie wird sich die in diesem Kreis von Weltdamen ausnehmen!«
Herr von Nostitz warf einen Blick wie eine Angel: »Ist es denn schon gewiß, daß er uns beschieden ist?«
»Rochow ist ein Provisorium«, sagte Brehmer achselzuckend, »ob ihm Bismarck folgen wird?«
Sie schwiegen einen Augenblick, taten sehr beschäftigt mit Essen, legten indessen Fragen zurecht. Aber da wirbelte Szechenyi herein, der kein Verständnis dafür hatte, daß diplomatische Angelegenheiten auch zwischen Zungenwurst und Trüffelpastete hingesponnen werden können, und zwang die Herren dazu, ihm in feierlichem Zug zu folgen und eine kleine Auswahl von Brötchen vor Frau von Vrints zu bringen. Sie kamen gerade zurecht, um den Baron Nell heranstolpern zu sehen. Er trug, irgendeiner plötzlichen und unerforschlichen Aufwallung folgend, sein halbvolles Sektglas heran, stieß es an das ihre und sagte ein wenig dunkel lallend: »Der schönsten Frau!« Lachend tat man im Kreis Bescheid.
Frau von Regenhardt, die er ohne Erklärung und Entschuldigung so plötzlich verlassen hatte, sah ihm halb erleichtert und halb erbost nach. Dann strich sie ihr Kleid, das vom Liegen verknittert war, glatt und schickte sich, indem sie eine Hand auf das Moos stützte, mit einem leisen Seufzer an, ihre etwas ins Üppige geratene Schönheit aufzurichten. Eine Hand streckte sich ihr entgegen. »Gestatten Sie«, sagte jemand; ein kräftiger Ruck half ihr rasch auf die Füße.
»Ich danke Ihnen, Bismarck!« sagte sie, dunkelrot. Sie stand und sah ihn an, und da sie ein leises Muskelzucken seiner Schultern als Zeichen nahm, daß er seinen Ritterdienst beendet glaubte, setzte sie rasch hinzu: »Man hat Sie heute von Ihrem angestammten Platz verdrängt.«
Seine stumme Verwunderung machte sie lachen. Dieser Waldmensch war unter die Komödianten gegangen, und man mußte sagen, daß er mit großer Natürlichkeit spielte. »Ach Sie … Sie Schlimmer!« sagte sie, indem sie des Grafen Thun österreichische Sprechweise mit Geschick nachahmte. »Die beiden galantesten Nationen haben sich in Ihre Rechte geteilt … die Franzosen und die Ungarn.«
Jetzt verstand Bismarck. »Frau von Vrints ist meine Freundin«, sagte er ruhig.
»Sie ist noch nicht alt genug dazu. Aber Sie haben recht, Sie sind gegen alle Frankfurter Versuchungen gefeit … Sie haben eine Frau, die Sie lieben. Man wird also niemals eine Bismarcksche Skandalgeschichte zu hören bekommen.« Sie hielt inne und sah ihn von der Seite an.
Ein schmaler Waldweg, den sie eingeschlagen hatten, umfing sie mit Büschen, in denen schon Flocken von Dunkelheit hingen. Durch Buchenstämme drang der Abend und schlug die glatte Rinde mit Gold aus. Sie gingen wie zwischen brennenden Säulen, zwischen die ein Strahlengitter gespannt war. Ein später Fink hob aus einem Wipfel ein kleines, schmuckloses, tapferes Lied, in dem keine Nachtangst flatterte.
»Ich will Ihnen sagen«, begann Bismarck plötzlich herb, »was mit den Frankfurter Frauen los ist. Haben Sie den Hühnerhof um den jungen Umständer betrachtet? Sollte man so einen Kujon nicht gleich mit der Reitpeitsche bearbeiten? Mit welchem breiten Wohlbehagen streicht er den Frauen und Mädchen seine Zoten um die Ohren! Und das kichert und lacht dazu, als sei diese Art Unterhaltung die letzte und höchste Stufe von Geist. Sie nennen das vielleicht Esprit, auf gut märkisch heißt es Schweinerei.«
Frau von Regenhardt nahm das als eine kleine Abkanzelung, die nur zur Hälfte ernsthaft vermeint und zur anderen eine prickelnde Würze schien. »Ach, Sie Prediger aus der märkischen Sandwüste!« sagte sie mit einem Schmollen, das um zehn Jahre zu jung war.
»Sie haben hier einen einzigen Götzen … neben dem alten Amschel Rothschild natürlich … der ist das Vergnügen. Glauben Sie mir, das Leben wäre um vieles angenehmer, wenn das Vergnügen nicht wäre. Was glauben Sie, wie ich in diesen Wochen zeramüsiert bin? Bälle, Tees, Landpartien, eines hinter dem andern wie beim ›Schwan-Kleban‹. Aller innere Halt geht flöten, es ist, als wollte man uns eine moralische Rückenmarkschwindsucht an den Hals hetzen, als sei es ein teuflisch schlauer Vernichtungsplan, und wenn man sich eines Morgens im Lichte eines Katers betrachtet, so bemerkt man, man ist heruntergekommen und weiß doch selber nicht wie. Und das, meine Gnädige, kommt von nichts anderem als von dieser schauderhaften Geselligkeit.«
Wispern und Kichern flatterte seitwärts aus den Büschen, ein helles Sommerkleid drängte sich tiefer ins Dunkel. Beide sahen mit kurzem Blick hinüber. »Geben Sie mir Ihren Arm, Bismarck«, sagte die Frau, »es sind hier so viele Wurzeln.«
»Wir wollen umkehren.«
Aber sie lenkte weiter waldeinwärts. »Was sollen wir denn tun, mein Lieber?« klagte sie. »Sehen Sie doch unser Leben an! Sollen wir uns hinknien und Fußboden scheuern oder uns in die Waschküchen stellen? Wollen Sie das von uns? Welche andere Aufgabe haben wir, als elegant und – so schön als möglich zu sein?«
»Pflichten, Pflichten, Gnädige; wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun. Wie oft muß ich das nicht auch meiner Frau sagen, obzwar die sich doch wahrhaftig nicht um ihre Pflichten drückt. Sehen Sie, man spaßt, Armut ist kein Verdienst, und Reichtum schändet nicht. Aber er schändet doch, wie man an Frankfurt sieht, wo der Hochmutsteufel bis zu den Handwerkern hinunter seine Opfer findet. Er macht die Seelen kahl und die Herzen leer und läßt die Sinne allein übrig, die tanzen dann nach solchen Rattenfängerpfeifen, wie der Kujon, der Umständer, bläst.«
Frau von Regenhardt sah ihren Johannes von der Seite an. Je heftiger er prophetete, desto lockender erschien es ihr, diesen Simson der Moral zu fällen. Ihr Busen drängte immer heftiger gegen seinen Arm, in dem der ihre lag. Ihre Haut begann stärker zu duften, wie Jasmin, der seinen Geruch in die Sommerabende haucht. Sie überlegte nur, auf welche Weise sie Bismarck am wahrscheinlichsten in die Arme fallen könne, durch einen kleinen Schreck vor Waldgeräuschen oder einen Sturz über Wurzeln mit nachfolgender Knöchelverstauchung. Frau von Regenhardt war nicht wählerisch in ihren Mitteln, da sie wußte, daß die meisten Männer nicht wählerisch im Glauben daran waren. Sie war daher billig erstaunt und verstimmt, als Bismarck an einem alten Wegkreuz, das einen blassen Heiland durch die Nachtschatten leuchten ließ, ohne viele Fragen und Umstände kehrtmachte.
Sie kamen an der Stelle vorbei, wo man hinter den Büschen noch immer das Sommerkleidchen schimmern sah, wenn es auch jetzt schon mit Asche überstreut schien. »Sie sollten Traktätchen schreiben«, sagte Frau von Regenhardt mit einer plötzlichen Wallung von Wut.
»Bitte, halten Sie mich nicht für einen Ritter von der traurigen Gestalt«, lachte Bismarck scheinbar unbefangen in die Schwüle, »Gott ist mein Zeuge, ich freue mich, wenn sich zwei Menschen zusammenfinden, stark und groß in ihrer Leidenschaft. Und wenn sie dabei zu Fall kommen …! Das kann ein ergreifendes und erhebendes Schauspiel sein, ein Erlebnis aus den Tiefen der Natur, wie eine Sturmflut, ein Gewitter, ein Erdbeben. Aber die Liebe als Gesellschaftsspiel, wie sie hier betrieben wird, das ist gegen mein Gefühl. Haben Sie die Damen angesehen, mit welchem Vergnügen sie ihre Scham an diesen Bengel verraten haben? Nun, eine ist darunter, die hat vor ein paar Tagen ihr Küchenmädchen hinausgejagt, weil sie vom Gärtner schwanger ist und demnächst ein Kind bekommen wird. Heute hat sie am lautesten gelacht. Ich schätze die Liebe der Frau viel zu hoch, um nicht die Lüsternheit des Weibchens peinlich zu empfinden. Das verehre ich an dieser jungen Gräfin Thun, daß sie an diesen Dingen keinen Gefallen findet, obzwar ihr Herr Jupiter von Gemahl ihr genug Vorwand gäbe, sich auf die leichte Seite zu schlagen. Und noch mehr finde ich das an meiner Freundin; ist das nicht prächtig, wie sie durch einen Blick oder ein Wort alle vorlauten Zungen zügeln kann? Davon hat ja unser Gespräch seinen Ausgang genommen, wenn ich nicht irre.«
Sie hörten den Lärm des Aufbruchs von der Waldwiese her; Diener liefen mit Fackeln den Berg hinab, große Schatten zuckten plötzlich bis vor ihre Füße und drehten sich dann ins Gebüsch. Frau von Regenhardt hielt den Kopf gesenkt. »Bismarck«, sagte sie, und es war, als sei ihre Stimme von eben demselben zuckenden Spiel von Licht und Schatten erfüllt. Sie verzögerte den Schritt.
Und noch einmal, zaghaft und beklommen: »Bismarck, wann werden Sie endlich Ihr Versprechen halten? Sie haben mir zugesagt, daß Sie uns besuchen wollen.«
Der große Mensch verbeugte sich leicht zur Seite der stattlichen Frau: »Es wird mir eine Freude sein, Ihnen meine Frau, die ja nun hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten läßt, vorstellen zu können.«
Frau von Regenhardt entzog ihm ihren Arm, griff nach ihrer Frisur, strich die Ärmel des Kleides glatt. Leise klirrten die Armbänder, die ihre Handgelenke umwanden, wie silberne Schuppen.