Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17

Das nach den Taxisschen Aspekten Unglaubliche geschah wirklich: daß die Preußen mit den Weißröcken zusammen kämpften; Schulter an Schulter, wie es Moritz ausgedrückt hatte. Und alle schiefgezogenen Großmachtsmäuler und schielenden Diplomatenblicke konnten es nicht hindern, daß die Dänen von den Grenzen gleich ein gutes Stück ins Schleswig-Holsteinische hineingefegt wurden, und nicht ändern, daß die Preußen auf den Düppeler Schanzen den Danebrog niedergeholt und die schwarz-weißen Fahnen aufgepflanzt hatten.

Alle morschen Knochengerüste der Politik schlotterten, als der Donner von Düppel über Europa hinging. In sehr vielen einsturznahen Wänden begann ein verdächtiges Rieseln, und Sprünge zackten über die schönstbeworfenen Unzulänglichkeiten. Endlich einmal hatte man die Faust ballen und sie niedersausen lassen dürfen; und sie hatte wuchtig genug getroffen.

Über Flensburg jubelten die Fahnen hin, und die lustigste Aprilsonne lief den Truppen wärmend über den Rücken, als der König die Parade abnahm. Man hatte ein paar grimmige Winterwochen mit Eis und Schnee hinter sich und einen Vorfrühling, bei dessen Bereitung der himmlische Wetterwart aus Versehen ein paar Kübel Regen zu viel genommen hatte. Jetzt aber benahm sich der April, als wolle er vergessen machen, was man ihm jemals in anderen Jahren nachgesagt hatte; er kam aus dem Lächeln ins Lachen und stand zuletzt wie ein festes Versprechen, ewiger Heiterkeit über dem nordischen Zipfelländchen. Italien war nach Jütland hinübergezaubert, und wenn man die Truppen ansah, wie sie strohtrocken und frischgebacken dastanden, so hätte man nicht glauben mögen, daß sie noch vor ein paar Tagen wie die Wassermäuse in den nassen Laufgräben vor den Düppeler Schanzen gelegen hatten.

Sie brausten dem König ihr Hurra entgegen, und das war freilich ein anderer Empfang, als wenn er mit der Thronrede vor die Abgeordneten trat, die bocksteif und säuerlich dreinschauten und mit allen Fasern ihres Herzens nichts umklammerten als ein großes, kahles, leeres Nein. Es war kein leichter Entschluß, in einen Krieg zu gehen, aber es lohnte sich schon, die stockenden Säfte ein wenig umzutreiben. Und außerdem, wenn man ganz aufrichtig in die eigene Seele hinabstieg, so fand man da doch einen ganz großmächtigen Feiertag darüber, daß man als Sieger in eine eroberte Stadt einreiten durfte.

Nachher gab es ein Festmahl, und Wrangel hatte das große Wort, und wenn man ihm so zuhörte, so war es, als habe er den ganzen Krieg allein gemacht, und Prinz Friedrich Karl und der General von Gablenz seien gerade nur so ein wenig mitgelaufen. Und um die Düppeler Schanzen zu erstürmen, na ja … da hatte sich Papa Wrangel eben einfach in ein paar tausend Teile geteilt oder, wenn man wollte, eins, zwei, drei! vertausendfacht, hatte Hurra gebrüllt und den Rotröcken den Kolben über den Schädel geschmiert. Nur daß an des Königs anderer Seite dieser gottverdammte Himmelhund von Zivilist saß, dieser Bismarck, verdarb dem wilden Feldmarschall die Stimmung von Gloria und Glockengeläute. Ein so windiger Paragraphendreher und Schlauheitsreiter der war, so fühlte man sich doch von ihm ganz abscheulich gegängelt und gebändelt. Dieser Krieg hatte nicht nur das Londoner Protokoll zerbrochen, sondern auch die alte Freundschaft mit Bismarck; und als Wrangel einmal richtig erkannt hatte, daß der Leisetreter eigentlich an den Galgen gehörte, so hatte er nicht gezögert, diese Freundschaft mit einem Fußtritt in die Scherben zu schmeißen.

Es war gut, daß der König zwischen ihnen saß, als Grenzmauer und, wenn sie sich durchaus notgedrungen mit Fragen oder Antworten aufeinander beziehen mußten, als gemeinsame Mittelstelle. Da sagte Wrangel, was er eigentlich Bismarck sagen mußte, dem König, und der König empfing, was Bismarck eigentlich dem Feldmarschall zu sagen hatte. Bismarck machte das Spiel lächelnd mit und freute sich im Grunde über dieses große Kind, das nur durch Eigensinn und rechthaberischen Unverstand unlenksam war und eine feste Hand brauchte, um nicht Unheil anzurichten. Denn wenn es nach Wrangel gegangen wäre, so wäre er in Jütland eingefallen, ohne die Österreicher abzuwarten, hätte so das Gesicht des ganzen Krieges verändert und Bismarcks sorgsames, diplomatisches Konzept verdorben.

Von dem Mann mit dem gelben, dürren Pergamentgesicht, der Bismarck gegenübersaß, waren solche Dinge nicht zu besorgen. Der war kein Draufgänger, sondern ein Überlegsamer, kein lauter Landsknecht, sondern ein stiller und gelehrter Rechner; aber man konnte wissen, daß, sobald er im Generalstab unter eine längere Rechnung des Zögerns einmal den Schlußstrich des Handelns setzte, das Ergebnis schwerlich anzufechten war.

Am andern Morgen, als man nach den Düppeler Schanzen hinausfuhr, hatte ihn Bismarck neben sich im Wagen. Der Sinn des Generals stand nicht nach vielem Reden, es war ihm mehr ums Schauen zu tun. Seine klugen, scharfen Augen gingen rastlos über den Schlag links und den Schlag rechts in die Weite, und beim Anblick dieser stillen, unablässigen Arbeit mochte man meinen, sie seien optische Instrumente, mit denen das Feld vermessen werde, um eine gute Zahl sauberer und klarer Risse im Gehirn aufzuspeichern. Bismarck rauchte seine Zigarre; aber wenn nicht Keudell auf dem Vordersitz gewesen wäre, wegen des Generalstabschefs von Moltke hätte er sie nicht ein einziges Mal aus dem Mund nehmen müssen.

Die Düppelberge wuchsen ihnen entgegen, aus dem graublauen Sund ein recht ansehnliches gelbes Erdgewoge. Drüben lag Alsen breit ins Meer hingestrichen, schwarz ragten die Trümmer der Brücke, die Sonderburg mit Düppel vor dem Waffengang verbunden hatte und die von der Kriegsfurie entzweigebrannt worden war. Dort lagen noch die Rotröcke eingebissen, hier waren ihnen die Finger aufgebogen worden; aber man sah allenthalben, wie fest sie in den Boden gekrallt gewesen waren.

Landwehrmänner räumten das Schlachtfeld auf, die Toten waren schon in die Erde gesunken; jetzt sammelte man Waffen und Rüstungsstücke. Eine Gruppe von Offizieren stand wartend und trat nun blinkend an den Wagen. Der Mann, der den Krieg bereitet, und der Mann, der ihn bis hierher geführt hatte, gingen durch die Laufgräben. Man stampfte im Schlamm, von den Rändern bröckelten Erdschollen und klatschten in Wasserlachen, aus einem Lehmklumpen bog sich die Ledersichel eines abgerissenen Mützenschildes.

Da war die vierte Parallele, aus der die Preußen den Sturm angesetzt hatten. Moltke sah sorgsam um sich, maß und rechnete mit den Augen. Dann kletterten sie über Erdstufen, die unter ihren Tritten wichen, schritten über zerwühlten Boden.

»Wie sind sie da durchgekommen?« staunte Keudell, von Grauen überrieselt.

Es habe viel Blut gekostet, meinte ein Oberst ernst; aber die Leute seien von einer unvorstellbaren Todesverachtung gewesen. Der Pionier Klincke … dem Manne müßte ein Denkmal gesetzt werden … »Wissen Sie … er schleppt einen Pulversack bis an die dänischen Palisaden und zündet ihn an, reißt eine Bresche in den Verhau … daß wir nachstoßen können …; freilich er selbst … er selbst ist auch …«

»Das Lied vom braven Mann …«, sagte Bismarck nachdenklich, und es fiel ihm mit einem Male ein, daß dies sein erstes Schlachtfeld sei. Wozu führte man eigentlich Krieg? Wer von den Tausenden, die hier geblutet hatten, hätte es eigentlich genau zu sagen vermocht … wer … wer wußte es überhaupt bis in die allerletzten Gründe …? Wer …?

Und nun erzählte einer nach dem andern von den heldischen Ereignissen, über deren Stätte man schritt. Die Pfähle lagen geknickt und zersplittert, Schanzkörbe waren in den Boden gewühlt, in Wolfsgruben starrten spitze Pfähle; bösartige Fußangeln waren hingestreut, vor denen man sich zu hüten hatte, und die Dänen hatten sogar stachelige Drähte kreuz und quer gespannt, an deren einem ein gutes Stück aus Keudells Hose zurückblieb. Aus den tiefen Gräben hoben sich die Schanzen steil hinan, keuchend kam man oben an und ermaß aus der Mühe des ungefährdeten Klimmens die Leistung des Sturmlaufes im Feuer. Geschütze hatten sich in den Sand eingegraben, wie walzenförmige Seetiere im Schlick des Strandes; die Blockhäuser der Werke waren von den preußischen Kanonen hinweggeblasen wie Kartenpaläste. Moltke und Bismarck mußten die große Mine betrachten, mit der die stürmenden Preußen hätten in die Luft gesprengt werden sollen, wenn nicht der Hauptmann Stöphasius dem dänischen Kanonier im Augenblick des Anzündens die Lunte entrissen hätte.

Von hier oben sah man über die ganze Halbinsel Sundewitt hin, wie sie mit zwei Spitzen gegen die Insel Alsen züngelte, und über das vielgeteilte Meer, von dem jedes Fleckchen immer gleich seinen Namen für sich hatte, hier Flensburger Bucht und dort Alsener Förde, dort Apenrader Bucht und hier Wenningbund. Und alles gleißte verheißungsvoll der Sonne entgegen, Land und Meer grüßten zum Himmel hin, als wären sie eben funkelnagelneu gemacht worden, und trugen noch den Abglanz der Hände des Schöpfers.

»Und was wird jetzt?«

Moltke hatte den Mund aufgetan und gesprochen. Die Offiziere standen ein Stückchen entfernt und spießten für Keudell mit den Zeigefingern interessante Punkte an.

Ja, was jetzt werden solle? lächelte Bismarck. Na – nun gerade sei doch in der Londoner diplomatischen Küche ein neuer Topf mit Brei auf das Feuer gesetzt worden, und alle Köche rührten eifrig darin herum. Man müsse abwarten, ob man das Gericht gar koche oder ob es von einem Ungeschickten versalzen oder verschüttet werde. Vielleicht käme dabei ein Waffenstillstand heraus … vielleicht Friedensverhandlungen, und da voraussichtlich die Dänen nicht würden nachgeben wollen, so würde das Feuer auf dem Londoner Kochherd wieder ausgehen.

»Und dann?«

Bismarck wies nach der Insel Alsen hinüber, die frühlingsgrün jenseits des Sundes lag. »Das Weitere ist dann Ihre Sache!«

»Und wenn wir damit fertig sind?« beharrte Moltke.

Ja, dann würde der Landtag wahrscheinlich die Stimme erheben und sich darüber beschweren, daß man sich unterstanden habe, mit dem Schwert anstatt bloß mit der Phrase zu siegen. Und daß alles so ganz und gar nicht nach dem demokratischen Patent und Rezept gemacht sei, und daß man sich beeilen müsse, um Gottes willen dem Augustenburger lieber heute als morgen die Herzogtümer zu übergeben. Und wenn aller Erfolg so recht hübsch nachdrücklich dem lieben Zufall gutgeschrieben wäre, so würde man sich beeilen, der Regierung das Geld zu verweigern, das die Sache gekostet hätte.

Moltke drang dem Sprecher mit seinen klaren Augen bis in die Brust. »Und Sie … was gedenken Sie zu tun?«

Mit weitem Blick umspannte Bismarck Land und Meer; er hob den Kopf und atmete tief, als habe die Welt hier einen eigentümlichen Duft, den er einsaugen müsse. »Ich … ich«, sagte er mit einem porzellanenen Lächeln, »oh, ich werde meine Bedingungen stellen – wenn wir schon durchaus für den Augustenburger gekämpft haben sollen. Kiel – Kiel sollen sie mir jedenfalls nicht aus der Hand winden; denn ich muß ein Fenster aufs Meer haben. Und wenn wir einmal dieses Läppchen Land durchschneiden, daß Ostsee und Nordsee nicht um Jütland herumfließen müssen …«

Die Herren näherten sich wieder; Bismarck brach ab, und Moltke stülpte wieder sein Schweigen auf. Langsam verließen sie die Schanze und rochen den Rauch der Feuer, an denen die Landwehrmänner ihr Mittagessen bereiteten. –

Aber es war, als habe Bismarck ein Zauberwort ausgesprochen, durch das er selbst gebannt worden sei. Türme stellte es vor ihn hin, einen Hafen mit vielen Schiffen, und das Meer, das von den steinernen Mauern des Strandes zurückwich, immer weiter hinaus, und im Eigentlichen besehen zwar überall Grenzen, aber nirgends ein Ende hatte.


 << zurück weiter >>