Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Beim Schmied von Jüterbog aber war der Teufel einmal höllisch an den Unrechten gekommen, und wenn er sonst von alten geriebenen Hexenmeistern oder frommen Mönchen bloß um den Einsatz geprellt worden war, um irgendeine mürbe, knusperige Seele oder dergleichen Teufelsleckerei, so ging es bei diesem jüterbogschen Grobian gleich um den eigenen Buckel und Schweif.
Es war um die Ölkessel und Feuerroste im Höllengrund ein großes Gerede gewesen von dieses Schmiedes unbändiger Kraft und Trotzigkeit, und da der Teufel nun einmal das Wetten nicht lassen kann, so war er darauf verfallen, sich mit dem Meister zu messen. Was ihm aber nach einigem Herum und Herauf und trotz aller angewandten höllischen Fixigkeit und Beelzebüberei so übel ausschlug, daß er ringsum im ganzen Land ein Kinderspott und Gelächter wurde, so daß sich noch heutigentags in Jüterbog und zehn Dörfern im Umkreis kein Mensch vor dem Teufel fürchtet. Denn was für ein Teufel ist das noch, von dem ein jeder Hosenmatz weiß, daß ihn der Meister Schmied damals mit tückischer Freundlichkeit in einen Sack nötigte und kaum, daß er ihn darin hatte, auf dem Amboß mit dem Schmiedehammer so mörderisch verdrosch, daß dieser die himmlischen Heerscharen singen zu hören meinte; was für den Satan doch keineswegs ein besonderer Hochgenuß und Ohrenschmaus sein kann. Ja, es war wirklich so, daß der Schmied den Teufel im Sack hatte und sappermentisch zwieselte, bis ihm das flüssige Pech aus Nase und Hintern rann und er um Gnade winseln mußte, die ihm denn auch schließlich unter allerlei Vorsichten und Bedingungen gewährt wurde. Worauf er aus dem wieder aufgeschnürten Sack mit solchem Gestank von dannen fuhr, daß der Schmied auf seinem Feuer drei Tage lang von früh bis abends Wacholderbeeren brennen mußte, um an seiner Arbeit bleiben zu können. So wurde der Grobian des Urian Meister, und dieser läßt sich seither mit keinem Schmied mehr ein; mahnt ihn doch, wenn er ja vergessen wollte, alle Augenblicke an den argen Jüterboger sein linker Fuß, der ihm von jenem Abenteuer her krumm und kürzer als der andere verblieben ist.
Höchstens, daß er es hinten herum versucht, durch ein Frauenzimmer, dem er sich in die Rockfalten gesteckt hat, dachte Bismarck, wie beim alten Schmied Jochen Hildebrand. Durch ein Frauenzimmer, eine von der Sorte, die ein Gesicht haben wie ein Blumenbeet und ein Herz wie ein Misthaufen, eine Haut wie Samt und eine Seele wie ein Reibeisen, oder ein verräucherter Schornstein, durch den nichts als lauter Hexengedanken besenreitend aus und ein fahren, durch solche Frauenzimmer, hinter denen dann die Branntweinvettel dreintanzt, mit der Schnapsflasche in der Hand, wie beim alten Hildebrand.
Ein Feuer schnob unweit, von einem Blasebalg in Stößen angefaucht, daß aus den Kohlen Funkenreigen in die Nacht stiegen, die in Wirbeln vom Wind dahingerissen und vom Regen verlöscht wurden; dazu hämmerte jemand ganz nahe mit solcher Wut gegen klingendes Eisen, daß Bismarcks Schädel mit Gedröhn angefüllt war. Und alles das, das Schmiedefeuer drüben an den Schienen, aus dem ein paar rot überronnene Gesellen glühende Eisenstücke hoben, um andere mit Zangen in die Glut zu schieben, dieses Gehämmer, das seine Gehirnwindungen zu zermalmen drohte, alles das mochte Bismarck den alten Hildebrand wieder leibhaftig gemacht haben, der längst schon in seiner Grube vor dem Frauenzimmer und der Branntweinvettel geborgen war.
Bismarck saß auf einem umgestürzten Schubkarren, und es war ein rechtes Satanswetter mit einem niederträchtig beizenden Regen, dem ein giftiger Herbstwind hinter den Rockkragen und in die Tasche wehte und bis unter die Haut blasen zu wollen schien. Aber Bismarck zog diesen Platz im Freien immer noch dem Aufenthalt im Stationsgebäude drüben vor; denn dieses war kaum noch aus dem Rohen herausgewachsen, ließ Nacht und Wetter durch leere Tür- und Fensterlöcher ein und aus und hauchte aus den triefenden, nassen Wänden den üblen Geruch des Mörtels über den noch ungedielten Boden und über Schutthaufen hin. Alles war um- und umgewühlt; Pechfackeln, deren Flammen vom Wind in lange Lanzenblätter, in krumme Türkensäbel zerzogen, dann wieder in ein Gesträhn lodernder Frauenhaare, in das Feuergewirr eines brennenden Dornbusches zerrissen wurden, leuchteten in eine wüste Arbeitswildnis. Kalkgruben bargen geronnene Milch neben braunen Erdhaufen, deren Lehmklumpen im Flackerlicht von der Glätte des Spatenstiches glänzten, Bretterzäune umschlossen irgendein unbekanntes Stück Dunkelheit, die sich mit diesem trostlosen Regen wie ein Schwamm zu tränken schien. In Haufen von Balken lagen lange, schmale, schwarz glänzende Baumleichen übereinander. Die Schienen, die ganz von hinten aus dem Abgrund der Nacht kamen und sich schnurstracks wieder in ihn hineinstürzten, bäumten sich an dieser Stelle empor wie eine Art eiserner Raupen oder Würmer, die an einem Ende mit spitzem Holz gepfählt worden sind. Das flatternde Licht der Pechpfannen und Fackeln ließ sie sich ringeln, machte sie zu gequälten Kreaturen, die sich winden und wegkriechen wollen, fort aus dieser Bedrohung in den Schutz der Dunkelheit. Die eisenfarbene Haut der glatten Leiber war straff zum Verspringen, dann, im Schatten wurde sie auf einmal stumpf und fahl, und wie tot lagen sie da und streckten verborgene Enden starr vom Boden weg.
Eine Tafel, die quer über die Stirne des kahlen, noch unbeworfenen Stationsgebäudes lief, trug in flüchtigem, vorläufigem Gepinsel den Namen, den diese ganze Wirrnis einmal in Ordnung und Sauberkeit führen sollte: Jüterbog. Jetzt aber war noch nicht abzusehen, wie sich diese verwunschene Welt einmal sänftigen und zu Einklang kommen würde; der Gedanke, dem sich alle Kräfte fügten, war Bismarck fremd, und fast feindlich empfand er, daß er vom Verstehen ausgeschlossen war. Aber ging er etwa deshalb zum Ingenieur, in dessen Kopf schon alles feststand, hin, um ihm seinen Rat und seinen Plan aufzunötigen? Er tat es nicht, und kein Vernünftiger unterfing sich einer solchen Torheit. Ihm aber kamen sie alle zugelaufen, und alle schrien auf ihn ein und drohten ihm mit Fäusten und wollten es alle besser wissen und hatten ihre verdrehten und befangenen Gedanken wie Dolche bereit. Und konnte doch nur einer Meister und Bauherr sein; wenn sich die Teile vereinigen sollten, konnte nur einer die Verantwortung für Gelingen und Mißlingen tragen.
Ein schwerer Menschenklotz wuchtete aus dem rotgeäderten Dunkel und schreckte Bismarck durch das Geklirr eines Bündels Eisen, das er neben ihn auf den Boden warf.
Aus dem einzigen beleuchteten Zimmerchen des ungefügen Baues meckerte der Telegraph, unablässig wie ein boshaftes Tier. Der Schatten des Beamten, der dort zwischen dem Apparat und den Regalen hin und wieder ging, sprang aus dem Fenster, lief Bismarck vor die Füße und zuckte plötzlich weg. Männer mit roten Laternen stiegen zwischen Erdhaufen und um Bretterwände hervor und pflanzten sich in die Schienengassen. Aus dem Abgrund der Nacht kam ein rundes, glühendes Auge herangerollt, unheimlich körperlos, nur einem leisen Dröhnen gesellt, das unter Bismarcks Sohlen den Boden beben machte. Nun teilte sich das Auge in zwei, die vor dem Dröhnen herblitzten, zuerst zwinkernd und flirrend, dann immer starrer und bannender, bis man sah, daß sie an der plumpen Brust eines schwarzen Kolosses saßen, der jetzt wüst trampelnd an Bismarck vorüberschnob, daß ihm Luft und Regen wirbelnd um die Ohren schlugen.
Bismarck lief den Zug entlang. »In welchem Wagen sitzt der König?« fragte er den Schaffner, der auf krummen Beinen daherkam und mißmutig seine Laterne schwenkte. Bei solchem Hundewetter auch noch auf offensichtlich höhnische Witze Rede stehen zu sollen, ging dem Mann wider seine Amtswürde, er stieß Bismarck zur Seite und schwenkte brummend seine Laterne nach vorne. Weiter hinten kam ein zweiter Schaffner, der hob auf Bismarcks Frage mißtrauisch sein Lämpchen hoch und leuchtete ihm ins Gesicht. »Ja, ja, hat schon dreimal nach Ihnen gefragt, der König!« sagte er dann ingrimmig mit einer heiseren, rauhen Stimme.
Wo denn Seine Majestät also sei?
»Was geht mich denn Ihr König an?« schrie der Mann plötzlich. »Suchen Sie sich gefälligst Ihren König selbst. Das da ist kein Hofzug. Das ist 'n fahrplanmäßiger Zug … für ganz gewöhnliche Menschen. Vastanden.« Und er pfiff schrill und recht gellend gerade in Bismarcks Ohr hinein.
Ein einziger Wagen erster Klaffe war da, Bismarck erkletterte ihn, ein peinliches Summen im Trommelfell, riß mit dem ersten Ruck des abfahrenden Zuges die Tür auf und tappte in den von schwach fließendem Deckenlicht durchdämmerten Raum. Im dritten Abteil, auf grünsamtener Polsterbank, an ein weißes, gehäkeltes Deckchen gelehnt, saß der König, allein, mit geschlossenen Augen. Als Bismarck die Tür aufschob, gingen die Augen auf, ein müder Blick fragte, dann rann Erstaunen hinein: »Sie sind es, Bismarck?«
»Ich habe mir erlaubt, Majestät hier zu erwarten, um Sie noch vor Berlin zu begrüßen und um …«
Der König schnitt mit einer Handbewegung Bismarcks Satz entzwei. »Ja, ja, … weiß schon, wieder Husarenstreiche gemacht. Deichhauptmann gewesen, Göttinger Student. Eisen und Blut … weiß schon. Ist natürlich alles auf. Kocht der ganze Parlamentstopf über, kann es mir denken. Wollen sich jetzt entschuldigen.«
Bismarck füllte fast den ganzen Wagenabteil aus, wie ein Käfig war der enge Raum, nahe seiner Stirne brannte das armselige Ollämpchen, er beugte den Kopf. »Ich wollte Majestät … vorbereiten …«
»Vorbereiten … vorbereiten!« Der König schlug zweimal mit beiden Händen heftig den grünsamtenen Sitz. »Schonend vorbereiten, daß über kurz oder lang das Jahr 48 wieder da sein wird. Nur daß man uns diesmal nicht mit einer Verfassung wird echappieren lassen, mein Lieber. Sie sollen Ordnung machen, die Heeresreform ins trockne bringen, und was tun Sie? Sie hetzen mir die Leute noch mehr auf. Reden von Eisen und Blut … Was wird geschehen? Wissen Sie, was geschehen wird? Man wird Ihnen den Kopf abschlagen … Ihnen … und eine Weile später – mir.«
Ein Ruck über eine Weiche hin machte Bismarck wanken, ließ ihn leicht gegen den König taumeln. Ein schweres Wolkenwetter von Mißbehagen lag zwischen den Brauen Wilhelms, verdrießlich wies er mit stummem Wink nach dem Platz gegenüber. Bismarck schob sich hin, sank mit dem Gewicht seines Leibes ein; seine Knie standen, um ein kleines Stückchen höher, gerade denen des Königs gegenüber.
»Ja – ja!« bekräftigte der Monarch, als habe Bismarck Zweifel geäußert. Aus Ärger und aus Befangenheit war dieses doppelte Ja gebacken, die Bekräftigung einer Ansicht, die einem noch neu ist und von der man sich nur widerstrebend hatte überzeugen lassen. Es war klar, daß man dem König in Baden die große Schwitzkur verordnet hatte, und daß ihm die Badestube mit sämtlichen Tyrannenmorden und Enthauptungen von Cäsar bis Ludwig XVI. eingeheizt worden war. Und wer die Scheite zugetragen hatte, das glaubte Bismarck so genau zu wissen, als wäre er dabei gewesen und hätte es selbst gehört. Aber nun hatte er den König für sich allein, nun konnte ihm keiner der Quere reden und ihm Pflöcke eintreiben, wo er Verzahnungen wünschte. Etwas sammelte sich tief im dunklen Hintergrund seines Wesens, wuchs mächtig und rasch heran.
»Auch Roon ist mit mir unzufrieden gewesen«, sagte Bismarck ehrlich, »er hat mir die Leviten gelesen. Man hat mir natürlich auch das Wort im Mund verdreht …«
»Sehen Sie, wenn selbst Roon …« meinte der König bekümmert.
»Ja, was soll man tun? Bin ich nicht mit den besten Absichten gekommen, mich mit den Leuten zu verständigen und ihnen zu geben, was sie vernünftigerweise verlangen können? Ich habe es an Versuchen nicht fehlen lassen. Natürlich, denn Feindschaft ist immer Kraftverlust, und wir müßten unsere Kräfte für andere Aufgaben sammeln. Darum war ich für Ausgleich und Versöhnung. Der Erfolg: Hohn und Spott. Sie mögen mich nicht, und ich finde, ihre Ideen sind wie Göpelpferde, die sich immer im Kreise drehen. Wie Würmer sind sie, die in alten Brettern bohren. Wir sind das Volk der Dichter und der Denker – ja spüren denn die Herren nicht, welche Ironie darin liegt, daß uns die anderen Nationen so nennen? Wir machen uns über alle Dinge Himmels und der Erde unsere Theorien, die leiten wir aber nicht etwa aus den Dingen selbst ab, sondern holen sie aus einem Wolkenkuckucksheim, zu dem jeder deutsche Professor seinen besonderen Schlüssel hat. Es kommt dabei viel Gescheites und Tiefsinniges heraus, und manchmal hat so ein wolkenkuckucksheimischer Gedankenschmetterling auf seinen Flügeln Glanz und Schimmer der Ewigkeit. Aber aus Gemeinem ist der Mensch gemacht! Und wie sich so ein Himmelsgeschöpf mit der gewöhnlichen Wirklichkeit einläßt, werden Mondkälber und Wechselbälger daraus. Und wenn sich dann zeigt, was für eine saubere Zucht aus solcher Kreuzung kommt, sind die Demokraten böse – auf uns, als hätte eine Königlich Preußische Regierung die Wirklichkeit gemacht. Und während wir darüber streiten, wer eigentlich daran schuld ist, daß zwei und drei bloß fünf und nicht sechs sind, werden die besten Gelegenheiten verpaßt. Es ist ein Jammer, was für schöne Gelegenheiten Preußen in den letzten Jahrzehnten versäumt hat, die ganze preußische Politik ist eine Politik der versäumten Gelegenheiten. Wir sind rings von Feinden umstellt und müssen uns rüsten, unser Schwert schärfen, und statt dessen werden bloß die Mäuler gewetzt, und unsere Panzer bestehen aus bedrucktem Zeitungspapier. Da habe ich es ihnen doch endlich einmal sagen müssen, daß die wichtigsten Angelegenheiten unserer Zeit nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse entschieden werden, sondern durch Eisen und Blut.«
Wilder Regenschwall schlug gegen die Fenster, die Dunkelheit schien aus Bottichen Ströme gegen den Zug zu schleudern, als wolle sie ihn vom Geleise stürzen. Und wie das Wasser über die Scheiben spülte, da zog es sich zu Flecken und Inseln auseinander, zu umgrenzten Flächen, zu Landkarten, die aber so rasch ineinanderrannen und wechselten, wie sich die menschliche Geschichte vom Throne der Ewigkeit aus ansehen mag. Nachdenklich schaute der König in das rasende Dunkel. »Damit werden wir in Deutschland und in Europa nicht populär werden«, sagte er.
Das war wieder die Stimme Augustas, die immer nach Beifall aus war, den Weihrauch der Presse bitter entbehrte und nach England und Frankreich hinhörte, um sich Wert und Würde Preußens in London und Paris bestätigen zu lassen. Bismarck fing den Hieb mit einem Lächeln, gab ihn unverweilt zurück. »Wer ist Deutschland? Der Bund? Und wer ist Europa? Verschiedene große Nationen, die niemals darüber einig sind, was zu geschehen hat, und denen man es so machen muß, wie Götz den Bürgern von Heilbronn. Mit der eisernen Faust auf den Tisch hauen. Und was ist schließlich Popularität? Adressen, Huldigungstelegramme, Lorbeerkränze, Protektorate über Schützenfeste, die Zufriedenheit der Zeitungsschmierer. Sie wird damit erkauft, daß man von der Hand in den Mund lebt, daß man den kleinen Zielen nachläuft und die großen darüber vergißt. Es ist viel bequemer, populär zu sein. Wer aber an große Aufgaben glaubt, an Ziele, die nicht von morgen sind, der wird nicht zögern, auch sein Teil Haß und Spott zu tragen. Ich kann es, ich habe eine dicke Haut.«
Bismarcks Beredsamkeit kam dem König plötzlich allzu lebhaft und aufdringlich vor. Hatte nicht Augusta recht, wenn sie vor dem maßlosen Ehrgeiz dieses Mannes warnte, der danach verlangte, den Diktator zu spielen, und wenn darüber Preußen in die Brüche ging und das Königshaus zu Fall kam? Er schob das Kinn vor, der Ärger zog ihm die Brauen zusammen und ritzte Runzeln in die Stirne. »Ja – ja, mein Lieber, und darüber geht die ganze Heeresreform vor die Hunde …«
Bismarck reckte sich, endlich war der König seiner welken Müdigkeit entrafft, stand ihm in Kampfbereitschaft gegenüber. Seine Stimme klang hell und sieghaft: »Nein, nein … wir machen sie ohne Parlament. Wir wollen nicht die Verfassung brechen. Drei Mächte haben bei den Gesetzen mitzuwirken: das Parlament, das Herrenhaus, der König. Wenn aber das Parlament gewisse Ausgaben nicht bewilligt und sich darüber im guten mit den beiden anderen Mächten nicht einigen kann – was hat dann zu geschehen? Darüber enthält die Verfassung nichts. Also kehrt dann das Recht, darüber zu entscheiden, zu dem zurück, der die Verfassung gegeben hat – zum König.«
Trüb rann das Licht über das Gesicht des Königs an dem helleren Nasenrücken vorbei in den dichten Bart. Er sah Bismarck mit einem verdrossenen Blick an, der ihn von den Knien bis zur hohen blanken Stirn maß und etwas Trennendes einschob. »Sophisterei!« murmelte er.
»Und jetzt handelt es sich gar nicht mehr um die Heeresreform«, sagte Bismarck plötzlich rücksichtslos und mit wütender Entschlossenheit, »jetzt geht es einfach darum, ob das königliche Regiment oder eine Parlamentsherrschaft von Schwätzern über Preußens Geschicke entscheiden soll.« Was er heran- und heraufkommen gefühlt hatte, war da und erfüllte ihn ganz und gar, rann wie Wein durch seine Adern, schlug mit großen Fittichen in seiner Brust und brauste wie Sturm durch seinen Kopf. Indem er sich der ungeheueren Wucht seines Körpers voll bewußt war, war er doch zugleich von ihm gelöst und wie aus einer höheren Sphäre seiner so vollkommen Herr, daß er fast übermütig fühlte, wie jede kleinste Regung seines Fingers Ungeheuerlichstes zur Folge haben konnte, Bergstürze, Explosionen, Wassereinbrüche, Wirbelwinde von Kraft. Er schien einen Teil elementarer Gewalten der Erde an sich gerissen zu haben, und so gesteigert fand es sich, daß er, als er nun den König in seinen flammenden Blick spannte, dieses Trennende, das der König zwischen sie gelegt hatte, mühelos zurückschob wie ein Blatt Papier, wie ein Nichts. »Wir müssen in die Zukunft gehen wie die Cromwellschen Eisenreiter in die Schlacht.«
Mürrisch rief der König: »Bis zum Schafott!«
Knirschen der Bremsen sägte in allen Fugen des Leibes, ließ die Zähne schmerzhaft lang werden, man hielt irgendwo in der Nacht vor dem fahl beleuchteten Phantom einer Station.
»Majestät werden sich erinnern«, begann Bismarck wieder, wie eine Stahlfeder, die jedem Druck widersteht, »daß Sie abzudanken gesonnen waren, als ich in Babelsberg vor Ihnen stand. Majestät haben mich befragt, ob ich gewillt sei, den Kampf für die Heeresreform unter Umständen auch gegen die Mehrheit des Landtages fortzusetzen. Und als ich bejahte, haben Majestät gemeint, dann sei es Ihre Pflicht, diesen Kampf unter meinem Beistand noch einmal aufzunehmen. Es ist so weit, Majestät, daß es versucht werden muß.«
Des Königs Rücken straffte sich an dem gehäkelten Deckchen hin, Bismarck sah mit diesem hellen Scharfblick seiner Spannung, dem nichts entging, daß die Finger der königlichen Hände sich krümmten, einzogen und in die Handflächen wuchsen. »Meinen Sie?« fragte Wilhelm. Ein Wort war gefallen, das ihn aus seinem Kleinmut emporzog, ein rechtes Preußenwort und Soldatenwort, das Wort Pflicht. Das hatte er in Babelsberg gesagt, Bismarck hatte es bewahrt, eisern stand es vor ihm.
»Sollen wir uns ergeben?« Triumphierend schwang Bismarcks helle Stimme, »ergeben, ohne das Äußerste versucht zu haben. Was kann uns geschehen? Und wenn man Eurer Majestät den Kopf abschlägt, so werden Sie im Kampf für Ihr gutes Recht gefallen sein … Steht nicht schließlich der Tod am Ende aller Dinge! Es würde ein Soldatentod geworden sein, Majestät, auf dem Schlachtfelde der Ideen, Sie würden gefallen sein für die Idee des Königtums, die nicht zum Spott werden darf, für die Ehre Ihres Namens und für die Zukunft Preußens, von der Sie ein anderes und größeres Bild in sich tragen als jene Leute, die das Vaterland lieber heute als morgen an ihre Fata Morgana von Freiheit und Verbrüderung dransetzen möchten.«
Zwei harte Fäuste lagen auf des Königs Knien. Er saß hoch aufgerichtet, ganz der alte, wie ihn Bismarck kannte, wenn er mit munteren frischen Offizieren beisammen war, deren Jugend er über sich hinsprudeln ließ, um selbst ein gutes Stück jünger zu werden. Sein Gesicht hatte alles Welke und Schlaffe fallen lasten, es war kühn und beinahe ein wenig wild, und da Bismarck außer sich selbst und über sich selbst geraten war, seines Körpers Herr und Schöpfer bis in die letzte Falte, wußte er auch, daß sich der Mund des Königs ganz nach dem seinen formte und in den Augen des Königs genau dasselbe blaue Flimmern stand, das Bismarck aus den seinen sprühen fühlte. »Sie haben recht«, sagte der König, »Sie haben recht, Bismarck.«
Da war der Teufel in den Sack gefahren, den ihm Bismarck vorgehalten hatte, und als ein rechter Schmied vom Schlage des Meisters von Jüterbog hob er den Hammer und drosch unbarmherzig zu. »Euer Majestät haben keine Kritik zu befürchten. Es kommt auf die Haltung an. Wenn Sie bei dem Beginnen, die Geschicke des Staates vor der Unvernunft zu schützen, untergehen sollten, so wird die Sympathie der ganzen Welt auf Ihrer Seite sein. Man wird Sie bewundern, und Sie werden als eines der edelsten Beispiele in der Geschichte dastehen. Ein König, der zu sterben wußte wie ein Offizier auf seinem Posten.«
Der Teufel der Verzagtheit und des Kleinmutes winselte und wand sich unter den Schlägen, aber Bismarck, der froh war, diesen rechten deutschen Oberteufel einmal in der Falle zu haben, ließ nicht locker. Er drosch ihn zu Brei, zermalmte ihn, zerbrach ihm alle Knochen. »Ich sage nicht, daß es so kommen muß. Die demokratischen Geldverweigerer sind nicht das preußische Volk, noch immer und trotz allem bedarf der deutsche Patriotismus seiner angestammten Dynastie, um lebendig zu bleiben. Und die deutsche Politik wird wohl auch weiterhin auf den Schultern der Fürsten ruhen, nicht auf den Barrikaden. Aber wenn es so kommen sollte, daß uns auf dem Meer der Zeitungsphrasen der Wind aus den Segeln genommen wird und uns der Sturm des Unwillens verschlingt, dann wollen wir uns an Mast und Ruder binden und mit wehender Flagge untergehen.«
»Und Sie, Bismarck, und Sie?« fragte der König und tappte nach der Hand, die da, eine Spanne von der seinen entfernt, auf Bismarcks Knien lag.
»Ich werde mit Ihnen untergehen, Majestät«, sagte Bismarck, »und werde mich glücklich preisen, daß ich meinem Leben einen solchen Abschluß geben durfte.«
Wie gerade und einfach dem König das alles auf einmal aussah, was man ihm in Baden so ins Ängstliche gezogen und verbogen hatte. War es nicht wirklich die einfachste und natürlichste Sache von der Welt, seine Pflicht zu tun und sich nicht darum zu kümmern, wie es ausging?
»Dann kommen wir miteinander nach Walhall«, lachte er glücklich, »und die Walküren reichen uns den Ehrentrunk. Und wir essen von dem ewigen Schweinebraten der Asen …«
»Könnten wir nicht wenigstens Borchardt mit hinaufnehmen, daß er etwas Abwechslung ins Menü bringt«, sagte Bismarck mit bedenklichem Stirnrunzeln.
Da lachten sie einander vergnügt an, zwei große Jungen, die eben einen gewagten, aber tüchtigen Streich verabredet haben. Bismarck hatte den Schmiedehammer sinken lassen, er hatte bessere Arbeit getan als seinerzeit der Meister von Jüterbog; Herrn Urian war kein Abzug gewährt worden, so daß er jetzt nichts mehr war als ein Häuflein Elend aus Pech und Schwefel.
Lichter standen im dunkeln Feld auf, gesellten sich zu Haufen, immer öfter sprang der Zug über Wechsel, und nun schob das nächtliche Berlin helle Fensterreihen an die Bahn; man sah in gelbliche Straßenschluchten, deren Boden dünnstrichelnden Regen in schwarze Lachen sammelte. Der Zug fuhr in ein Gewölbe von Eisen und Glas; Bismarck ließ das Fenster herab und beugte sich vor: »Bodelschwingh ist da … und Eulenburg … und Roon …«
Sie stiegen aus, bürgerlich, im Strom der anderen Reisenden. Hier kannte man den König, und die Überraschung zog ein paar zögernde Hüte herab. Die Minister hatten sich eingefunden, jeder mit einem Sack voll Lamento und voll übelriechender Nachrichten aus den Ausschüssen und der mächtig greinenden Presse. Und sie erstaunten nicht wenig, als der König das gar nicht mit dem gewohnten Bedenken aufnahm und alles zusammen mit einer frischen Gebärde auf die leichte Achsel warf; gerade als sei er Sankt Christophorus, der sich schon zumuten dürfe, mit einiger Belastung durch das wilde Bergwasser der öffentlichen Meinung zu stampfen. –
In der Hölle war aber in dieser Nacht große Betrübnis, als der deutsche Oberteufel Zweifelhuber nicht zurückkam, und man vernahm, er sei einem wilden und grausamen Jüterboger zum Opfer gefallen. Und die höllische Großmutter, als ein zähes und unerbittliches Frauenzimmer romanischen Geblütes, sann darüber nach, welchen ihrer Söhne sie nun ausrüsten und wider den deutschen Erbfeind senden solle.