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Es war eine deutsche Flotte, der erging es wie dem armen verzauberten Prinzen im Märchen: sie konnte nicht leben und nicht sterben.
An den Rändern der Ostsee und der Nordsee wuchsen viele Tausende braver und strammer Jungen, die sich vor der weitesten Fahrt nicht scheuten und dem wildesten Sturm in die Zähne griffen. Sie hatten Sehnen wie Schiffstaue, diese Jungen von der Wasserkante, und Pfoten, so groß wie Backschaufeln, und wenn sie mal ein Steuerrad so richtig zwischen den Pranken hielten, so mußte schon eine ganz besondere Woge kommen, um den Kurs ein bißchen zu irren. Aber alles das, diese michelhaften Überschüsse an Gesundheit und Kraft, diese hellen Augen, diese unerschütterlichen Herzen wurden zumeist nur an die schäbigste Kauffahrtei gesetzt, an Heringsfänge noch Schottland hinauf oder an Krämerbummeleien nach Holland oder Norwegen oder zu den Moskowiten. Man blieb im kleinen und zog die enge Jacke nicht aus, und es war, als hörten die deutschen Küsten gar nicht, wie hinten im Lande das Geld blinkend und klingend durch die Adern zu rollen begann und wie metallene Pulsschläge an Deutschlands Grenzen klopften.
Nur ganz wenige von diesen Salzluftjungen, von Tausenden kaum einer, kamen auf die wackeligen Kähne, die man Bundesflotte nannte und die in den Häfen lagen, zur Freude der Muscheln, die sich in dichten Scharen vom Kiel bis zur Wasserlinie ansiedelten. Die Planken vermorschten, die Figuren unterm Bugspriet verwitterten, also daß die Neptune aussahen wie Armenhäusler mit Mistgabeln und den Amphitriten ihre reizvollen Blößen ins Negerhafte und Pockennarbige verunstaltet wurden. Die Schutzhüllen auf den Kanonenrohren zerschlissen in Sturm und Regen und Sonnenbrand, Schiffsknechte und Matrosen lernten das Nichtstun, als sei hier eine hohe Schule für Fleetenkieker. Sie standen an der Reling, rauchten und spuckten ins Wasser, und wenn nicht hier und da einmal ein ehrgeiziger Kommandant auf einen neuen Anstrich bedacht gewesen wäre oder einen Zorn auf die Steckmuscheln bekommen hätte, so hätten ihnen alle Gelenke von den Fersen bis zum Nacken einrosten müssen.
Wenn um die Sommersonnenwende die alten Heldengötter mit den deutschen Flüssen und Strömen auf den weißen Klippen Arconas zusammentrafen, dann war ein großes Bedauern, daß so viel gutes deutsches Holz nutzlos in den Häfen faulte, und war ein Beraten darüber, wie man es bessern könne. Aber schließlich rauschten die deutschen Ströme Tag und Nacht an deutschen Städten vorbei, die sich zu dehnen und zu strecken begannen, und sie rauschten unablässig, wie schade es sei, so viel gutes deutsches Bergwasser ins Meer zu tragen, wenn doch dort nur alle anderen Kriegsflaggen und niemals die deutsche zu finden wären. Rauschten so lange, bis man auch in der Eschenheimer Gasse fand, mit der deutschen Flotte müsse etwas geschehen, und wenigstens über die Kosten zu streiten begann. –
Der hannoversche Gesandte von Bothmer trug den ganzen Kopf voller Flottengedanken, als er an diesem Februartage des Jahres 1852 die Klinke der Bismarckschen Tür aus den Händen eines Berliner Geheimrates entgegennahm. Der hatte sie von einem russischen Gesandtschaftsattaché bekommen und dieser von einem ungarischen Magnaten, dem sie vom alten Fürsten Radziwill übergeben worden war, der sie wieder vom Bürgermeister von Hanau mit einer großen Verbeugung erhalten hatte. Wer diesem vorangegangen war, dessen wußte sich der Türsteher wahrhaftig nicht mehr zu entsinnen; aber da er auf seiner schwarzen Tafel im Verlaufe des heutigen Vormittags schon einundzwanzig Striche hatte machen müssen, so war es weiter nicht verwunderlich, daß Herr von Bismarck den hannoverschen Gesandten noch in seinem schwarzgelben Schlafrock empfing.
»Sie kommen in der Flottenangelegenheit?« fragte Bismarck, indem er seinen Besucher etwas hastig in die diplomatische Ecke seines Sofas drückte.
Immer mußte man bei diesem Menschen erschrecken, wie er alles so geradezu anging und beim Schopf packte. Da war es unmöglich, das langsame Drumherum anzubringen und erst allmählich mit seinen Wendungen und stetem Sondieren vorzudringen, wie es als Wesen aller diplomatischen Kunst gelehrt worden war. Dieser Plötzlichkeitsfanatiker hatte keinen Sinn für den Reiz des Allmählichen und schien dem abscheulichen Grundsatz aller banalen Naturen zu huldigen, daß Zeit Geld sei.
Da indessen Herr von Bothmer keiner der ganz Umständlichen war, faßte er sich rasch und entgegnete, daß er wirklich in der Flottenangelegenheit komme.
»Hat Ihnen Schele gesagt, worum es sich handelt?« fragte Bismarck.
Ja, er wisse von Seiner Exzellenz, dem Herrn Minister, daß der Herr Gesandte in Hannover gewisse Vorschläge bezüglich einer Teilung der Flotte gemacht habe, deren Annahme einerseits einige nicht abzuleugnende Vorteile mit sich bringen würde, andererseits aber geeignet sein dürfte, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten im Bunde vielleicht noch zu verschärfen.
Bismarck focht mit dem elfenbeinernen Falzmesser über einen dicken Akt hin, in dem mit blauen und roten Strichen grausame Verwüstungen angerichtet waren. »Also, lieber Bothmer, bringen Sie mir den Antrag Hannovers oder nicht? Sie wissen doch, daß ich Schele gesagt habe, der formelle Antrag müsse von Hannover ausgehen. Wenn Preußen den Antrag stellt, so ist sogleich das gewisse Mißtrauen da, und aus unserer Idee wird Essig.«
Es wäre zu überlegen, meinte Bothmer, ob man nicht doch die Frage über das Eigentum an der Flotte aussetzen und vorher versuchen wolle, zu einer völligen Übereinstimmung mit Österreich zu gelangen, wozu er nach wie vor seine guten Dienste zur Verfügung zu stellen geneigt sei.
Bismarck stand auf, und wenn Bismarck aufstand, dann fühlte sich Bothmer in seiner Diplomatenecke wie von unsichtbaren, gewaltigen Fäusten zurückgedrückt und eines Teiles seines Willens beraubt. Und es verschlug nicht das mindeste dabei, daß jetzt, da Bismarck aufgestanden war, unter dem schwarzgelben Schlafrock die Unterhosen zum Vorschein kamen, die unweit der türkisch gestickten Hausschuhe mit kräftigem Bund abgeschlossen waren. »Überlegen!« sagte Bismarck. »Ich bitte Sie, lieber Bothmer. Die Sache ist so einfach wie Haarpomade. Entweder die Flotte ist Bundeseigentum, dann sollen die Herrschaften auch zu ihrer Erhaltung beitragen, aber durch wirkliche Beiträge, nicht bloß durch Vorschußumlagen. Oder aber, die Flotte ist nicht Eigentum des Bundes; dann kann man doch auch durch Mehrheitsbeschlüsse nicht über sie verfügen. Diesen Fall sieht mein Vorschlag vor. Wir wollen dann mit Hannover die Flotte teilen und die anderen irgendwie abfinden.«
»Meine Bedenken bleiben bestehen«, sagte Bothmer tapfer; »die Ansprüche der anderen Staaten sind nicht so leicht festzustellen, unsere Verpflichtungen gegen den Bund und die Rechte der Bundesstaaten müssen wohl abgewogen …«
»Von Rechten, wirklichen juristischen Rechten kann doch nicht die Rede sein, etwa Eigentumsansprüchen und dergleichen. Woher denn Eigentumsansprüche? Wer hat denn zur Gründung der Flotte beigetragen? Matrikularbeiträge sind wohl ausgeschrieben worden. Aber wer hat sie denn gezahlt? Wir und ein paar andere. Die meisten, die heute vom Bundeseigentum sprechen, nicht. Sie sollen sich erst zur Nachzahlung der Gründungskosten verpflichten!«
»Ach ja«, sagte Bothmer und versuchte, sich in seiner Ecke aufzurichten. »Eigentliche juristische Ansprüche sind ja nicht vorhanden.«
»Gewiß«, sagte Bismarck rasch, »es ist viel mehr eine politische als eine juristische Frage. Und darum will mein Vorschlag das Vernünftigste, was getan werden kann. Sie können überzeugt sein, daß Preußen Hannover so weit entgegenkommen wird, als Sie nur wollen. Wir sind bereit, Ihnen alle Zugeständnisse bezüglich des Kommandos zu machen, die Sie wünschen können. Bezüglich des Kommandos und auch sonst! Sie sollen sich wundern, wie nachgiebig wir sein können«, er hielt inne und lachte breit und gemütlich, »… wenn es sich nicht um den Bund handelt.«
Bothmers Blick hing an dem Bild des Königs, der mit mächtigen Ordensbändern und einem etwas grämlichen Gesicht auf den Schreibtisch seines Gesandten herabsah. »Gut«, sagte er, »aber Österreich! Manteuffel ist doch gegen alle antiösterreichische Politik.«
»Fra Diavolo gibt mir recht. Was heißt das, antiösterreichisch? Ist das schon antiösterreichisch, wenn wir nicht immer nach Österreichs Pfeife tanzen? Ich war unlängst beim alten Metternich auf Johannisberg zu Gast. Noch immer einer der klügsten Köpfe in diesem superklugen Europa, sag' ich Ihnen. Der bedauert die neue Schwarzenbergsche Richtung seiner Politik sehr. Sein Grundsatz war, Preußen und Österreich müßten auf dem Bund immer einig auftreten. Das war ein Grundsatz, für den ich durch Wasser und Feuer gegangen wäre. Aber nun ist es anders geworden, man will nicht mehr die Metternichsche Verständigung, man will uns vergewaltigen. Österreichs Politik ist eine Politik der Furcht vor uns. Noch etwas kann ich Ihnen sagen, lieber Freund.« Durchdringendes Feuer floß aus Bismarcks Blick, Bothmers Brust war wie sprödes Glas, fast sprang sie von Bismarcks Worten. »Ich schätze Ihren Schele sehr, und ich weiß, Sie selbst sind ein ehrlicher Mensch. Keiner von denen, die Anvertrautes sogleich weitertragen. Die neue Richtung in Österreich biegt sehr seltsam nach Westen. Wir wissen aus sehr guter Quelle, daß ihm daran gelegen ist, mit Frankreich gut Freund zu sein. Österreich hat es über kurz oder lang wieder mit Piemont zu tun, und Frankreich hat ihm seine Mitwirkung dabei versprochen. Dafür muß nun Österreich natürlich auch Frankreich allerlei zugesagt haben, und wenn darüber etwa … etwa ernstliche Spannungen zwischen ihm und uns entstehen sollten, so wäre es für Österreich doch nicht wünschenswert, die Bundesflotte ganz in unserer und unserer Freunde Hand zu wissen.«
Bothmer starrte das diplomatische Weltwunder sprachlos an, diesen Mann, der sagte, was er dachte, der offenbar nichts von dem, was er wußte, hinterm Berge hielt, und es war ihm, als sei das etwas Neues und Überwältigendes, vor dem alle Künste der Diplomaten nur wie ein zwerghaftes, verrunzeltes Geschlecht standen. Ein Glockenton schlug in sein Erstaunen. Bismarck lüpfte den Schlafrock und sah auf seine Beine herab. »Donnerwetter, noch in Unterhosen!« sagte er. »Johann läutet zum Anziehen, in einer halben Stunde muß ich bei der Sitzung sein. Auf Wiedersehen, Bothmer. Ich rechne auf Sie bei der Abstimmung.«